Protokoll der Sitzung vom 25.11.2009

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind für die sofortige Abschaffung der wettbewerbsverzerrenden Subventionen und Sonderrechte der Atomindustrie. Wir sind für die Einführung einer Kernbrennstoffsteuer, und wir sind für die transparente Aufarbeitung der finanziellen Vorteile dieser Industrie. Wir sind auch für eine angemessene und deutliche Beteiligung der Atomindustrie an den Sanierungskosten der Altstandorte sowie für die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, keinem anderen Wirtschaftszweig in der Bundesrepublik werden solche Zugeständnisse gemacht wie der Kernindustrie. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass Sie von Schwarz-Gelb alle anderen Wirtschaftsbereiche massiv benachteiligen.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP] lacht)

- Da brauchen Sie gar nicht zu lachen, Herr Hocker. Sie sind noch nicht lange genug dabei.

(Björn Thümler [CDU]: Er lebt aber schon länger!)

Wie würden sich die Automobilwirtschaft oder die Chemieindustrie freuen, wenn ihre Versicherungsprämien auf ein symbolisches Minimum gekürzt würden? Wie viel besser ginge es all jenen, die sich - wie z. B. Hannover bei de Haën - mit Altlasten beschäftigen, wenn sie wüssten - egal was passiert -, dass der Staat schon einspringen wird? - Nein! Kolleginnen und Kollegen, alle Unternehmensbereiche in unserem Land haben bis auf die Kernindustrie Rücknahmeverordnungen zu beachten und Verpflichtungen zur Aufarbeitung ihrer Altstoffe nachzukommen.

Wer außer der Kernindustrie darf in diesem Land überhaupt steuerfreie Rückstellungen bilden - und das in Milliardenhöhe - in dem Wissen, dass der Staat ohne Zögern einsteigen würde, wenn etwas schief ginge? - Niemand sonst hat mit Recht ein solches Rundum-sorglos-Paket bereitgestellt bekommen. Bei Atomanlagen ist eben alles anders. Die tatsächlichen Risiken sind nicht versicherbar. Keine Assekuranz würde ein Atomkraftwerk mit allen Restrisiken absichern. Da kann es doch nicht sein, dass der Staat umfassend und von der Öffentlichkeit unbemerkt einspringt.

Kolleginnen und Kollegen, das ist eine durch nichts zu überbietende Wettbewerbsverzerrung. Der eigentliche Skandal ist aber, dass für Bildung angeblich immer zu wenig Geld zur Verfügung steht. Die Hochschulen können nicht annähernd so ausgestattet werden, wie es notwendig wäre, sagt sogar Ihre Frau Schavan. Gleichzeitig werden in den Bundeshaushalt für die Atomwirtschaft Jahr für Jahr Hunderte von Millionen Euro - zum großen Teil als Forschungsausgaben getarnt - eingestellt.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Skandal!)

Ist etwa die Sanierung der Asse Forschung? - Nein, ist es nicht, war es nicht und wird es vermutlich niemals sein. Kosten in Höhe von mindestens 2 Milliarden Euro kommen dennoch auf uns zu.

Ist die Verglasung dieser Strahlenbrühe in Karlsruhe Forschung? - Nein.

Der Rückbau des Reaktors in Karlsruhe? - Nein. Noch einmal mindestens 2 Milliarden Euro.

Ist die Zerlegung des einstigen RWE-Reaktors in Jülich Forschung gewesen? - Nein. Aber er gehört wieder dem Steuerzahler, wenn es um Rückbau geht.

Gleiches gilt für den Reaktor in Hamm-Uentrop. Auch den hat uns RWE überlassen.

Alle diese Altstandorte werden über das Altlastenreferat im Forschungsministerium finanziert. Noch mindestens 10 Milliarden Euro kommen auf den Steuerzahler zu.

(Zuruf von der SPD: Unerhört!)

Hier wird der Wissenschaftsetat künstlich aufgebläht und wird die Öffentlichkeit getäuscht, und nichts von dem Geld erreicht die Wissenschaft oder die Bildung in Deutschland.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist nicht zu verantworten, dass die wahren Kosten der lebensgefährlichen Hinterlassenschaften der Kernindustrie, verteilt über zahlreiche Bundesetats, klaglos durchfinanziert werden - alles unter dem Deckmäntelchen „Bildung, Wissenschaft, Forschung“, oder wie man es sonst so nennen könnte. Und das, obwohl alle wirklich wichtigen Zukunftsprojekte unterfinanziert werden. Hier wird der echten Wissenschaft der Boden entzogen, um etwas zu finanzieren, was wahrlich keine Aufgabe des Staates sein darf.

Wenn man alle Mittel für die Forschung zusammenzählt, die bisher verbrämt angekommen sind, so beläuft sich der Betrag laut UBA bis heute auf 40 Milliarden Euro. Das sind Milliarden, die statt in die Bildung in den Müll der Atomindustrie gingen.

Kolleginnen und Kollegen, die Sanierung von Morsleben und Wismut wird über den Staat finanziert, die Atomanlagen von Greifswald und Rheinsberg ebenso. Zählt man dazu sämtliche Steuervorteile und unversteuerten Rücklagen der Atomindustrie sowie die gedeckelten Versicherungssummen, dann hat die Atomindustrie im Laufe der vergangenen Jahre Vorteile in Höhe von 160 Milliarden Euro zugestanden bekommen. Das ist siebenmal so viel wie unser gesamter Landeshaushalt. 34 Jahre lang könnten wir die gesamte Bildung in Niedersachsen in allen Schulen und Kindertagesstätten bezahlen. Das Geld würde sogar für 100 Jahre reichen, wenn wir es für unsere Hochschulen ausgeben könnten.

(Detlef Tanke [SPD]: Unglaublich!)

Diese versteckten Kosten dürfen nicht länger versteckt bleiben. Das können wir uns wirklich nicht mehr leisten. Wir stimmen dem Antrag zu.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, für die FDP-Fraktion hat sich nun Herr Dr. Hocker zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich Ihren Antrag vor einigen Tagen zum ersten Mal gelesen habe, habe ich mich als Liberaler erst einmal gefreut; denn es ist darin davon die Rede, Subventionen abschaffen zu wollen, und es wird das Verursacherprinzip ange

mahnt, damit Kosten von der Allgemeinheit ferngehalten werden. Das erschien mir zunächst als ein erstes gutes Zeichen der Vernunft.

(Rolf Meyer [SPD]: Dann stimmen Sie doch zu!)

- Keine Angst! Das hat sich dann leider sehr schnell relativiert.

(Rolf Meyer [SPD]: Da haben Sie wohl mit Herrn Dürr gesprochen!)

Bei genauerer Lektüre Ihres Antrags habe ich als Wirtschaftswissenschaftler dann doch an der einen oder anderen Stelle stutzen müssen.

Ein Punkt hat mich ganz besonders aufhorchen lassen. In Ihrer Begründung schreiben Sie, dass Sie gerne die Sonderrechte der Atomindustrie beseitigen möchten. Immerhin nehme die Atomindustrie - ich zitiere - „steuerfreie Rückstellungen in Milliardenhöhe für die Entsorgung nuklearer Altlasten in Anspruch.“

Das Wirtschaftslexikon definiert Rückstellungen als Verpflichtungen, die dem Grunde und/oder der Höhe sowie dem Zeitpunkt nach noch nicht sicher feststehen. Von einer Sonderregelung für die Atomindustrie, meine Damen und Herren, kann bei der Bildung von Rückstellungen mitnichten die Rede sein.

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Dann möchte ich auch welche haben, wenn es keine Sonderregelung ist - steuerfrei natürlich!)

- Wenn Sie einmal einen Blick in Bilanzen werfen, die DAX-Konzerne veröffentlichen, dann werden Sie in fast jeder der Veröffentlichungen Rückstellungen sehen. Die sind steuerfrei gebildet. Das ist richtig und gut so, weil das volkswirtschaftlich sinnvoll ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Diese Fi- nanzen müssen mündelsicher ange- legt werden, und das tun sie nicht!)

Diesem Problem, mit einer in der Zukunft anfallenden Verbindlichkeit, deren Höhe und Fälligkeit nicht bekannt sind, umgehen zu müssen und hierfür Rückstellungen zu bilden, muss sich nahezu jedes Unternehmen stellen, wenn es sich wirklich verantwortungsvoll verhalten will.

Ich empfehle den Antragstellern, ich empfehle Ihnen, Herr Wenzel, sich bei den großen Windenergiebetreibern in Niedersachsen einmal über

die Höhe ihrer Rückstellungen zu informieren und ihnen die Frage zu stellen, was sie denn davon hielten, wenn diese Rückstellungen künftig nicht mehr steuerfrei gebildet werden dürften. Bei diesem Gespräch würde ich wirklich sehr gern Mäuschen spielen, Herr Wenzel.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wenn es sich bei der Frage nach den Rückstellungen nachweislich nicht um ein Sonderrecht für die Atomindustrie handelt, müssen doch, wenn ich Ihren Antrag richtig lese und verstehe, zumindest an anderer Stelle staatliche Subventionen für die Atomindustrie geflossen sein.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wie ist es mit der Deckungsvorsorge, Herr Ho- cker?)

Auch hier, Herr Wenzel, hilft ein kurzer Blick ins Wirtschaftslexikon, den Sie bei der Formulierung Ihres Antrages ganz offensichtlich nicht gewagt haben, um Licht ins Dunkeln zu bringen. Direkte Subventionen sind Subventionszahlungen. Indirekte Subventionen erfolgen z. B. in Form ermäßigter Steuer- oder/und Zollsätze. Eine Subvention ist eine direkte oder indirekte finanzielle Zuwendung des Staates zur Stützung wettbewerbspolitisch benachteiligter oder aber existenznotwendiger Branchen.

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Das ist bei der Kernindustrie natürlich der Fall!)

Wenn Sie also unterstellen, Frau EmmerichKopatsch, die Atomindustrie habe Subventionen erhalten, bewerten Sie sie als sowohl - - -

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Jetzt muss ich dabei lachen! - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wie ist das bei der Deckungsvorsorge? Ist das kein Son- derrecht?)

Herr Präsident, würden Sie bitte kurz für Ruhe sorgen?

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Er ist neu!)