Protokoll der Sitzung vom 25.11.2009

- Ich glaube nicht, dass da noch viele übrig blieben, Herr Jüttner.

Meine Damen und Herren, wer sich mit der demografischen Entwicklung auch nur am Rande einmal beschäftigt hat, der weiß: Die Alterspyramide steht bald auf dem Kopf. Das Statistische Bundesamt hat gerade in der vergangenen Woche dazu interessante Daten verkündet. Die Zahl der über 65Jährigen wird nach 2020 enorm ansteigen. Der Schwerpunkt der Arbeitnehmer wird sich dann von den 30- bis 40-Jährigen auf die 45- bis 60-Jährigen verschieben. Schon jetzt wechseln Jahr für Jahr immer mehr Beitragszahler auf die Seite der Rentenempfänger, und es wird nicht einmal mehr 20 Jahre dauern, bis die Rentner zahlenmäßig mit den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gleichgezogen haben.

Daher sind Angebote zum Vorruhestand, zur Frühverrentung oder zu sonstigem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben das völlig falsche Signal. Anders herum wird ein Schuh daraus. Nicht Freisetzen und Altersdiskriminierung sind angesagt. Im Gegenteil, wir müssen Ältere qualifizieren. Deshalb ist Qualifizierung und nicht Abschiebung der Älteren angesagt. Die Botschaft muss doch lauten: Ihr gehört noch lange nicht zum alten Eisen. Wir brauchen euch. Wir brauchen eure Sachkunde. Wir brauchen euer Wissen. Wir brauchen eure Erfahrung und eure Zuverlässigkeit. - Wir müssen geraden kleinen und mittleren Unternehmen Mut machen, insbesondere ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker als bisher zu fördern und zu fordern.

Meine Damen und Herren, die nochmalige Verlängerung der geförderten Altersteilzeit ginge in die völlig falsche Richtung. Damit wäre nur wenigen

geholfen, aber viele würden belastet. Unsere Aufgabe für die Zukunft wird vielmehr sein, älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vielfältige und noch bessere Möglichkeiten zu bieten, damit sie länger vollwertig im Berufsleben stehen können. Die über 50-Jährigen gehören nicht aufs Abstellgleis oder in den vorzeitigen Ruhestand abgeschoben. Im Gegenteil, sie sind mit all ihrer Erfahrung und ihrem Wissen ein für unser Land immer wichtiger werdender unverzichtbarer Standortfaktor.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächste Rednerin ist Frau König von der FDPFraktion. Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem, was mein Kollege Hoppenbrock gerade gesagt hat, voll zustimmen: 50-Jährige oder über 50-Jährige gehören nicht zum alten Eisen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Aus dem Inhalt des Antrages geht aber hervor, dass die 50-Jährigen Ihrer Meinung nach in hohem Maße nicht mehr leistungsfähig sind oder wenigstens einen geringeren Wert gegenüber jüngeren Mitarbeitern haben.

(Björn Thümler [CDU]: Das wäre ja schlimm!)

Sie sollen nach Ihrer Meinung den Weg freimachen für die Jungen. Auf der einen Seite wollen Sie also die älteren Arbeitnehmer in die Altersteilzeit schicken - das heißt, sie können früher aufhören, indem sie 100 % Teilzeit nehmen -, andererseits wollen Sie aber auch den Erfahrungsschatz dieser Menschen nutzen. Was für ein Gegensatz!

Wir wissen heute schon, dass wir ab 2020 immer weniger Schulabgänger haben werden; denn die Kinder, die 2020 die Schule verlassen werden, sind bereits geboren. Laut Statistik werden etwa 25 % fehlen. Damit ist klar, dass wir jeden brauchen, sowohl Jung als auch Alt. Schon heute bleiben Lehrstellen frei, wir haben also bereits heute tatsächliche Leerstellen.

Der Antrag der SPD im Bundestag, meine Damen und Herren, mag für Sie Vorlage zu diesem Antrag sein, aber wie man auf Bundesebene entscheiden wird - das hätten Sie ermessen können, wenn Sie den Koalitionsvertrag aufmerksam gelesen hät

ten -, kann ich Ihnen schon vorab mitteilen. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP im Bundestag:

„3.3 Ältere Arbeitnehmer

Wir streben eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung vor allem von Älteren und Frauen an und ermutigen zu mehr Bildungs- und Weiterbildungsanstrengungen. Staatliche Anreize zur faktischen Frühverrentung werden wir beseitigen. Eine Verlängerung der staatlich geförderten Altersteilzeit über den 31. Dezember 2009 hinaus lehnen wir daher ab.

Rente ist kein Almosen. Wer sein Leben lang hart gearbeitet hat, der hat auch einen Anspruch auf eine gute Rente. Damit dies auch in Zukunft gewährleistet ist, wollen wir wegen des demografischen Wandels die Voraussetzungen für eine längere Teilhabe Älterer am Erwerbsleben verbessern.

Die überwiegende Mehrheit der Bürger ist bis ins hohe Alter körperlich und geistig fit. Ihre Bereitschaft, sich zu engagieren und zu beteiligen, möchten wir fördern. Wir wollen die Kenntnisse, Kompetenzen und Kreativität älterer Menschen für unsere Gesellschaft nutzen. Wir lehnen daher jegliche Form der Altersdiskriminierung ab und werden den Wegfall der beruflichen Altersgrenzen prüfen.“

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Ich finde, das ist ein vernünftiger Vorschlag, dem wir hier in Niedersachsen auch zustimmen und beipflichten werden. Wir wollen nicht die Jungen gegen die Alten ausspielen oder umgekehrt. Wir wollen beide nebeneinander. Wir brauchen die Erfahrung der Älteren, auch die jungen Leute brauchen die Erfahrung der Älteren. Beide sind eine Bereicherung für uns.

Arbeitnehmer müssen vernünftig, ordentlich und sachgerecht entlohnt werden. Sie müssen aber auch die Möglichkeit haben, an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen oder an Umschulungen teilzunehmen; denn wenn sie tatsächlich ihren Beruf nicht mehr ausüben können - aus welchen Gründen auch immer, das können seelische oder kör

perliche Gründe sein -, müssen sie zumindest die Möglichkeit bekommen, sich in einem anderen Bereich der Berufswelt zurechtzufinden und dort eine vernünftige Bezahlung zu bekommen und einen ordentlichen Rentenanspruch zu erwirken.

Ich bin der Meinung, dass wir für alle anderen, die wirklich nicht mehr arbeiten können, bereits gute Lösungen haben; die Frühverrentung ist eine davon. Von daher sind wir gut ausgestattet, und ich bitte Sie, das bei Ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir haben jetzt die interessante Situation: Frau Weisser-Roelle hat sich zunächst zu einer Kurzintervention gemeldet. Danach ist sie sowieso als Rednerin dran.

(Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: Das kann ich verbinden!)

- Prima. Dann geben wir Ihnen zunächst Gelegenheit zur Kurzintervention. Bitte schön!

Danke schön, Herr Präsident. - Ich gehe später noch auf einige Punkte aus den Reden meiner Vorredner ein, aber ich habe vorweg eine Frage an Frau König. Sie sprachen richtigerweise davon, man solle die Leistung älterer Arbeitnehmer würdigen, Arbeitnehmer sollten die Möglichkeit haben, mit einer guten Rente aus dem Arbeitsleben in den verdienten Ruhestand ausscheiden zu können. Meine Frage an Sie ist, nachdem wir in den vergangenen Wochen und Monaten schon häufig darüber diskutiert haben: Wie wollen Sie dafür sorgen, dass Arbeitnehmer nach einem langen Arbeitsleben mit einer guten Rente ausscheiden können, wenn Sie gegen gesetzliche Mindestlöhne und gegen die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse und schlechter Arbeitsbedingungen sind? Das ist ein Widerspruch in sich. Auf diese Frage hätte ich gern im Vorfeld schon einmal eine Antwort von Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau König möchte antworten. Bitte schön!

Frau Weisser-Roelle, es ist ganz einfach: Indem wir versuchen, alle Menschen so lange wie möglich in Arbeit zu halten und möglichst wenig Arbeitslose zu produzieren, weil eine hohe Arbeitslosigkeit nämlich genau in die entgegengesetzte Richtung steuern würde.

(Beifall bei der FDP - Kreszentia Flauger [LINKE]: Was ist denn mit der Rente?)

Nächste Rednerin ist für die Fraktion DIE LINKE Frau Weisser-Roelle. Bitte schön!

Danke. - Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Antwort war das nicht, aber damit muss ich jetzt erst einmal leben.

(Klaus Rickert [FDP]: Das wird schwierig!)

Die Linksfraktion spricht sich ebenfalls für eine Verlängerung der Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz über den 31. Dezember 2009 hinaus aus. Übrigens hat auch die Fraktion DIE LINKE mit der Drs. 17/21 am 10. November 2009 einen entsprechenden Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wer in Altersteilzeit geht, verdient weniger, aber weil die meisten Menschen nicht von einem halben Gehalt leben können, leisten die Unternehmen eine Aufstockungszahlung. Das wurde eben schon gesagt. Diese Zuzahlung ist steuerfrei, und auch die Sozialversicherungsbeiträge für diese Aufstockung sind niedriger. Etwa die Hälfte der Altersteilzeit findet auf dieser Basis statt. Darüber hinaus ist es bis Ende 2009 möglich, dass die Bundesagentur für Arbeit einen Zuschuss an Arbeitgeber zahlt, die Altersteilzeit anbieten und gleichzeitig - und das ist das Entscheidende - neue Arbeitnehmer einstellen.

Altersteilzeit ermöglicht es älteren Arbeitnehmern, früher aus dem Berufsleben auszusteigen, und bietet gleichzeitig den Jungen eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt. Genau das wollen wir.

(Beifall bei der LINKEN - Minister Möllring: Sie wollen immer alles! Ar- beit für Junge, für Alte, Äpfel für Kin- der! - Gegenruf von Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Das kriegen wir auch hin!)

Die geförderte Altersteilzeit hat sich als sinnvolles Instrument erwiesen, um älteren Beschäftigten einen flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in die Rente zu ermöglichen. Vielen älteren Beschäftigten - das beweisen auch die Zahlen - ist es aufgrund von Belastungen am Arbeitsplatz oder aufgrund gesundheitlicher Probleme nämlich nicht möglich, bis zum regulären Renteneintrittsalter zu arbeiten. Und wenn sie vorher aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berufsleben ausscheiden müssen, bedeutet das für sie einen Rentenabschlag. Das bedeutet für ganz viele Menschen Armut.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Gabriela König [FDP])

Die gesundheitliche Belastung am Arbeitsplatz nimmt zu; und das betrifft nicht nur, wie es eben gesagt wurde, den Dachdecker, der schwer tragen muss, sondern es bestehen bei ganz vielen - das stellt man fest, wenn man sich damit beschäftigt - psychische Belastungen, weil in allen Arbeitsbereichen der Druck auf die Arbeitnehmer unendlich groß geworden ist.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Gabriela König [FDP])

Aber auch arbeitsmarktpolitische Gründe sprechen dafür. Aktuell sind bundesweit offiziell 340 000 Menschen, die noch nicht das 25. Lebensjahr erreicht haben, erwerbslos. Diese Zahl würde sich auf knapp 480 000 erhöhen, wenn man auch diejenigen mit einbeziehen würde, die sich in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme befinden und daher nicht offiziell als arbeitslos gelten. Dabei sind noch nicht einmal die Auszubildenden mit eingerechnet, die in Kürze arbeitslos werden, wenn ihr Ausbildungsverhältnis ausläuft.

In Niedersachsen waren Anfang des Jahres noch knapp 27 000 Jugendliche ohne Arbeit. Für rund 57 000 Jugendliche - gemeldete Bewerberinnen und Bewerber um einen Ausbildungsplatz - standen nur knapp 40 000 Stellen in Betrieben zur Verfügung. Nicht umsonst hat die DGB-Jugend im letzten Sommer in einem Schreiben an alle fünf Landtagsfraktionen den Appell gerichtet, sich dafür einzusetzen, dass die Altersteilzeit weiter gefördert wird. Denn Altersteilzeit dient als Beschäftigungsbrücke zwischen Jung und Alt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Jeder Arbeitnehmer, der in Altersteilzeit geht, schafft eine berufliche Perspektive für arbeitslose

Jugendliche. Dieses Anliegen sollten wir sehr ernst nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nachdem in den vergangenen Jahren die Möglichkeiten für einen früheren Renteneintritt immer mehr eingeschränkt worden sind, ist die Altersteilzeit eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten, flexibel in die Altersrente zu gehen.