Protokoll der Sitzung vom 26.11.2009

Meine Damen und Herren, was Sie hier wieder aufschnüren wollen, gehörte zu den umstrittensten Fragen im Zuge der Wiedervereinigung. Eine Abschlussregelung wurde im Entschädigungs- und Ausgleichsgesetz 1994 getroffen. Diese gesetzliche Regelung und die darauf basierende Flächenerwerbsverordnung waren ein politischer Kompromiss zu den Enteignungsmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone nach alliiertem Recht. Die gesetzlichen Regelungen nach der Wiedervereinigung sind unter Regierungsverantwortung von CDU/CSU und FDP erfolgt. Die SPD hatte sich immer dafür eingesetzt, dass die ortsansässigen landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Bundesländern über langfristige Pachtverträge die landwirtschaftlichen Flächen nutzen können und beim Flächenverkauf gleichberechtigt behandelt werden.

Diesen politischen Kompromiss, meine Damen und Herren, kündigt die schwarz-gelbe Koalition in Berlin jetzt auf. Damit verunsichern Sie diejenigen, die dort ihren Lebensunterhalt verdienen. Das ist einer der Gründe, warum ich - Herr Dinkla hat ei

nen entsprechenden Antrag gar nicht gestellt, aber uns wurde vorher mitgeteilt, dass heute sofort abgestimmt werden soll - es für sinnvoll halte, den Antrag im Ausschuss zu behandeln, damit wir uns mit den Folgewirkungen der Unterstützung einer solchen Zielsetzung auseinandersetzen können.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich verkneife mir jetzt einige Bemerkungen in Richtung der FDP zu diesem Passus. Das würde die friedliche Stimmung vielleicht etwas stören.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich danke Ihnen, Herr Bartling. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Briese. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mir ist es während der Rede von Herrn Dinkla ähnlich gegangen wie Herrn Bartling. Ich fand diese Rede sehr angemessen, um noch einmal das zu würdigen, was vor 20 Jahren passiert ist. Herr Dinkla, Sie haben dafür sehr treffende und richtige Worte gefunden.

Trotzdem hat man sich ein Stück weit gefragt, was dieser Antrag jetzt und in diesem Landtag soll - genauso ging es auch mir, Herr Bartling. Man hatte ein bisschen den Eindruck, dass das Ziel ist, wieder eine Debatte darüber zu führen, wie schlimm der Kommunismus in der Geschichte war. Und er war schlimm; darum braucht man gar nicht herumzureden. Der Kommunismus hat auf der Welt sehr viel Leid gebracht. Das sollte man sich mit sehr offenen Augen anschauen.

Genauso richtig ist, dass ein ungezügelter Finanzkapitalismus momentan zu viel Arbeitslosigkeit und Armut führt, ohne - das will ich gleich betonen - dass ich das irgendwie auf eine Stufe stellen, miteinander vergleichen oder irgendwie relativieren will. In diesem Hause sind wir ja immer hypersensibel, dass es bloß keine Vergleiche von Unrechtsgehalten gibt. Das will ich eingangs dazu sagen und noch einmal ganz deutlich machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich glaube auch, dass man in diesem Hause sehr stark aufpassen sollte, dass man die verschiedenen Unrechtsgehalte, die es bei den verschiedenen Formen des Extremismus in der deutschen Geschichte gegeben hat, nicht miteinander vergleicht. Vergleichen darf man sie sogar miteinander, aber man darf sie nicht gleich bewerten. Ich glaube, das ist das ganz Entscheidende.

Zu den Punkten des Antrags ist schon vieles gesagt worden. Es war eine phantastische und bewundernswerte Bewegung, die damals vor 20 Jahren in der DDR entstanden ist. Es wurde eine famose historische Leistung vollbracht. Ich will das gar nicht wiederholen. Das sollte uns aber ein Stück weit dafür sensibilisieren, auch heute unser Ohr immer wieder etwas stärker am Wort des Volkes zu haben. „Wir sind das Volk“, das war damals eine ganz tolle Parole. Ich frage mich manchmal, warum wir eigentlich heute so ängstlich sind, was Plebiszite angeht. „Wir sind das Volk“, das war doch damals eine richtige und gute Parole. Wir sollten also heute nicht so plebiszitscheu sein.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Die Antragsteller wissen natürlich auch, dass die ganze Debatte über die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, in den politischen Gazetten, in den juristischen Kommentaren oder in den politikwissenschaftlichen Seminaren immer wieder sehr kontrovers diskutiert worden ist.

Ich finde, die Frage ist politisch eindeutig mit Ja zu beantworten, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Das ist für mich gar keine Frage. Wenn es in einem Land keine Meinungsfreiheit gibt, wenn ein Land seine Leute einsperrt, wenn sie also keine Reisefreiheit haben, wenn es keine Pressefreiheit gibt, wenn es politische Gefangene gibt, wenn gefoltert wird, dann ist das schlicht und ergreifend Unrecht. Darum braucht man gar nicht herumzureden.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Das andere ist - Herr Dinkla, Sie haben das etwas angedeutet; ich finde, das kommt in dieser ganzen Debatte immer etwas zu kurz; daher müssen wir scharf unterscheiden -, dass deswegen die DDRBevölkerung als Ganze keine Unrechtsbevölkerung war.

(Zurufe von der CDU: Das ist richtig! - Das stimmt!)

Das muss man streng unterscheiden: das Unrechtssystem auf der einen Seite und die Bevölkerung und die Lebensbiografien der Menschen auf der anderen Seite.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Dieses Empfinden haben die Bürger in den neuen Bundesländern immer wieder, weil man sagt: Euer gesamtes Staatssystem war ein großes Unrechtssystem. - Sie haben dann zumindest den Eindruck, dass damit auch ein Stück weit gesagt wird: Ihr habt euch immer kollektiv unrecht verhalten. - Ich glaube, dass wir in der inneren Vereinigung öfter sensiblere und differenzierendere Wörter finden müssen, damit diese Gesellschaft tatsächlich weiter zusammenwächst.

Vieles haben wir schon geschafft. So schlecht ist die Vereinigung nicht gelaufen. Dabei muss man ehrlicherweise sagen, dass nicht alles gut gewesen ist, wie der innere Vereinigungsprozess angeschoben wurde. Auch das gehört zur historischen Wahrheit dazu.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Herr Dinkla, Sie haben interessanterweise Herrn Herrhausen genannt. Herr Herrhausen hatte damals im Vereinigungsprozess eine sehr interessante Anmerkung an Herrn Kohl gerichtet und gesagt: Stellt euch das ökonomisch nicht so einfach vor. Das wird sehr viel schwieriger. - Ich erinnere mich auch noch an die Debatte, in der Politiker gesagt haben: Das alles wird nicht so einfach werden. Das sollten wir der Bevölkerung wahrhaftig sagen. - Andere haben gesagt: Das wird vielleicht doch relativ schnell gehen und relativ einfach werden.

Ich möchte nur sagen, dass auch das zur Wahrheit dazugehört.

Ich möchte jetzt auf die Nr. 3 des Antrages eingehen; auch dazu hat Herr Bartling etwas gesagt. Dabei geht es um die Rolle der so genannten Blockparteien in dem System der DDR. Das war sicherlich eine schwierige Rolle. Das will ich zugeben. Trotzdem vermisse ich eine konsequente und ehrliche Aufarbeitung, welche Rolle die Blockparteien in der DDR gehabt haben und wie der Aufarbeitungsprozess nach der entsprechenden Vereinigung stattgefunden hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich finde schon, dass da noch ein bisschen mehr ehrliche Aufarbeitung stattfinden könnte. Ich jedenfalls vermisse die eine oder andere kontroverse Debatte. Ich habe mir das genau angeschaut. Dazu möchte ich ein Zitat von einem gegenwärtigen Ministerpräsidenten anführen, der erst vor Kurzem in der Wahl bestätigt worden ist, nämlich von Herrn Tillich im Staat Sachsen. Herr Tillich sagte:

„Die Ost-CDU war Teil des DDRSystems und hat letztlich den Machtapparat der SED unterstützt.“

Das gehört schlicht und ergreifend einfach zur historischen Wahrheit dazu.

(Glocke der Präsidentin)

Zur historischen Wahrheit gehört auch dazu, dass Sie diese Teile der CDU relativ kritiklos - übrigens genau wie die FDP auch - einfach übernommen haben. Diese Debatte, sich damit kontroverser auseinanderzusetzen, vermisse ich heute - das muss ich ehrlich sagen - in Ihrer Parteigeschichte.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Denn zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass es sich die SPD nicht so einfach gemacht hat. Die SPD hat eben nicht die Teile, auch vielleicht den reformorientierten Teil der SED, in ihrer Partei übernommen, sondern da gab es die entsprechende Spaltung. Das ist der Unterschied in der Historie.

(Glocke der Präsidentin)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit ist zu Ende. Es ist ein sehr spannendes Thema. Es ist ein sehr konfliktbeladenes Thema. Eigentlich ist es in der Geschichte ganz gut gelaufen, dass wir da sind, wo wir heute sind. Ich wünsche mir aber in dem Landtag - das hat wohl auch die gestrige Debatte gezeigt -, dass wir in der einen oder anderen Debatte etwas differenzierter und etwas sachlicher werden. Plakatparolen oder das Eindreschen aufeinander hilft uns jedenfalls nicht weiter, wenn wir die Vereinigung weiter voranbringen wollen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Dankeschön, Herr Briese. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Zimmermann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion verurteilt den Bau der Mauer als ungeeignete Maßnahme, einen im Aufbau befindlichen sozialistischen Staat zu sichern. Nie wieder darf ein Staat zur Grundlage haben, dass die dort lebenden Menschen ihr Land nicht verlassen dürfen. Wir verurteilen auch, dass es durch die Etablierung eines Grenzregimes zu Todesopfern gekommen ist, und empfinden die nicht zu rechtfertigenden Inhaftierungen für gescheiterte Fluchtversuche als unmenschlich.

Der Fall der Mauer am 9. November 1989 ist ein denkwürdiger Tag für die Freiheit. Die Mauer und die Art und Weise der Grenzsicherung haben der sozialistischen Idee schweren Schaden zugefügt.

Meine Damen und Herren, der 9. November ist in mehrfacher Hinsicht ein denkwürdiger Tag für die Freiheit. Im Jahr 1918 wurde am 9. November infolge einer Revolution in Deutschland unwiderrufbar die Republik ausgerufen. Der deutsche Kaiser, der für die Auslösung des Ersten Weltkrieges mit 17 Millionen Todesopfern mitverantwortlich war, musst abdanken und ins Ausland fliehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Am 9. November 1923 fand der sogenannte HitlerPutsch statt, an dem Hitler versucht hatte, mit Gewalt die Macht zu ergreifen.

Nie vergessen werden darf der 9. November 1938, an dem mit der Reichspogromnacht die Verfolgung und spätere Ermordung von 6 Millionen Juden durch die Nationalsozialisten eingeleitet wurde. Herr Dinkla, Sie haben das bereits erwähnt. Das hat mir gut gefallen.

Meine Damen und Herren, im Gedenken an den Mauerfall vor 20 Jahren ist das Menschenrecht eingeschlossen, das eigene Land ungehindert verlassen zu dürfen. Das funktioniert aber nur, wenn andere Staaten bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme von Flucht und Vertreibung müssen wir Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass sich Europa nicht mit Gesetzen und Verordnungen als Festung ummauert. Deutschland und Europa müssen sich für Menschen in Not öffnen.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie setzen sich in Ihrem Antrag nicht tiefgreifend mit der Geschichte der DDR und des Mauerfalls auseinander. Würden Sie

das tun, dann hätten Sie in Ihrem Antrag nicht die Möglichkeit angesprochen, den im Zuge der Bodenreform enteigneten Großgrundbesitzern in der damaligen sowjetischen Besatzungszone Grundstücke zum bevorzugten Erwerb anzubieten. Auch wenn die Art und Weise der Bodenreform aus heutiger Sicht kritikwürdig ist, bleibt sie eine soziale Errungenschaft.