Protokoll der Sitzung vom 21.01.2010

Meine Damen und Herren, ich darf wohl in unser aller Namen sagen, dass sich Niedersachsen als Teil dieser Initiativen und Aktivitäten sieht. Ich will auf die Aktivitäten der EU hier nicht im Einzelnen eingehen, aber darauf hinweisen, dass die Niedersächsische Landesregierung es für richtig und erfolgversprechender hält, wenn Initiativen und Aktivitäten zur Abschaffung der Todesstrafe auf EU-Ebene ergriffen werden. Es sind u. a. Demarchen in individuellen Fällen wie dem des Journalisten Mumia Abu-Jamal vorgesehen.

Mumia Abu-Jamal wurde am 3. Juli 1982 durch den Court of Common Pleas in Philadelphia, Criminal Trial Division, wegen Mordes an einem Polizisten zum Tode verurteilt. Das Berufungsgericht bestätigte am 27. März 2008 den Schuldspruch, hob das Urteil aber im Hinblick auf das Strafmaß auf. Die Todesstrafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Gegen dieses Urteil hatte der Bundesstaat Pennsylvania Einspruch beim US Supreme Court, dem obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, eingelegt, um dem ursprünglichen, auf Todesstrafe lautenden Urteil wieder Geltung zu verschaffen. Vor zwei Tagen, am 19. Januar 2010, hat - jedenfalls einer Pressemitteilung der Frank

furter Allgemeinen Zeitung zufolge - der US Supreme Court den Fall zurück an das Bundesberufungsgericht im Bundesstaat Pennsylvania verwiesen. Dieses soll nun das Urteil aus dem Jahr 2008 überprüfen. In der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit konnte leider nicht geklärt werden, ob und in welcher Weise die EU bereits interveniert hat. Die Niedersächsische Landesregierung wird daher die Bundesregierung bitten, dies zu prüfen, geeignete Maßnahmen in der EU und gegebenenfalls darüber hinaus zu unternehmen und generell die Politik einer grundsätzlichen Ächtung der Todesstrafe durch die Vereinten Nationen bis zu einem endgültigen Erfolg fortzuführen.

Ich gehe davon aus, dass die erste und die dritte Frage mit diesen Ausführungen hinreichend beantwortet sind.

Zu Frage 2 möchte ich ergänzen, dass im Mittelpunkt der bisher einzigen dienstlich veranlassten Reise des Herrn Ministerpräsidenten in die USA vom 29. September bis zum 5. Oktober 2009 Wirtschaftsfragen und Themen der Energie- und Umweltpolitik standen. Die politischen Gespräche konzentrierten sich u. a. auf die Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Das Thema Todesstrafe ist nicht problematisiert worden.

Zu Frage 3 möchte ich ferner ergänzen, dass Herr Ministerpräsident Wulff in einem an den Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika gerichteten Schreiben darum gebeten hat, die Vollstreckung eines Todesurteils am Journalisten Mumia Abu-Jamal unbefristet auszusetzen.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Die erste Zusatzfrage stellt Herr Dr. Sohn von der Fraktion DIE LINKE. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Busemann, ich bedanke mich zunächst einmal für die klare Positionierung. Ich habe gleich zwei Nachfragen zu dem, was Sie eben hinsichtlich der Möglichkeiten gesagt haben, von Niedersachsen aus initiativ zu werden.

Die eine Frage bezieht sich auf den 10. Oktober, den Europäischen Tag gegen die Todesstrafe, den Sie erwähnten. Könnten Sie sich vorstellen, dass die Niedersächsische Landesregierung und das

Land Niedersachsen in irgendeiner geeigneten Form an diesem Europäischen Tag gegen die Todesstrafe initiativ werden?

Die zweite Frage bezieht sich auf den konkreten Fall Mumia Abu-Jamal. Gegenwärtig läuft, wie Sie sicherlich wissen, eine prominent besetzte Unterschriftensammlung. Könnte die Landesregierung sich vorstellen, sich dieser Unterschriftensammlung anzuschließen?

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank, Herr Dr. Sohn. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Sohn, der Tag gegen die Todesstrafe ist, wenn ich so sagen darf, deutsche und europäische Beschluss- und Willenslage. So gesehen - das sage ich für meine Person - kann ich mir vorstellen, dass wir uns entsprechenden Aktivitäten am jeweiligen 10. Oktober eines Jahres anschließen. Aber ich denke, es ist vernünftig, wenn es hier keine Alleingänge gibt, sondern man sich mit anderen Bundesländern und mit der Bundesregierung abstimmt, vielleicht auch im EU-Kontext. Das gibt dann auch den gewünschten internationalen Widerhall, wenn nicht jeder für sich das Thema angeht, sondern wenn man das im Großen tut.

Unterschriftenaktionen wie für Abu-Jamal sind immer Geschmackssache. Ob es hilft, wenn eine Regierung und Politiker an ihnen teilnehmen, ist die Frage. Aber ich darf Sie auf die Antwort hinweisen, die ich eben gegeben habe: Ganz frisch liegt eine wichtige Unterschrift zu diesem Thema vor, nämlich die unseres Ministerpräsidenten, der den amerikanischen Botschafter angeschrieben hat.

Danke schön. - Die nächste Zusatzfrage von der Fraktion DIE LINKE - das ist damit die dritte Frage - stellt Herr Kollege Adler.

Frau Präsidentin! Herr Minister Busemann, Sie haben eben bei der Beantwortung der Dringlichen Anfrage erklärt, dass der Ministerpräsident bei den Besuchen in den USA, die er durchgeführt hat, Wirtschaftsfragen in den Mittelpunkt gestellt hat.

Ich frage deshalb: Bei Besuchen des Ministerpräsidenten oder anderer Regierungsvertreter in anderen Ländern, z. B. der VR China, wird regelmäßig auch die Menschenrechtsfrage angesprochen. Warum wird das nicht endlich auch einmal in den USA gemacht, angesichts der Todesstrafe und angesichts der Tatsache, dass immer noch das Lager Guantánamo besteht?

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. - Für die Landesregierung hat Herr Minister Busemann das Wort.

Frau Präsidentin! Herr Kollege Adler, im Zweifelsfalle müsste man das den Ministerpräsidenten fragen. Aber es war eine Dienstreise, die natürlich sehr stark unter wirtschaftspolitischen Aspekten stattgefunden hat. Wie mir gesagt wurde, sind auf dieser Reise auch umweltpolitische Themen angesprochen worden, aber nicht das Thema Todesstrafe und auch nicht dieser spezielle Einzelfall.

Grundsätzlich möchte ich Ihnen sagen: Wenn Politiker westlicher Demokratien unterwegs sind - ob in China oder anderswo, von mir aus auch in befreundeten demokratischen Ländern wie den USA - und z. B. eine humanitäre Problematik oder das Thema Todesstrafe zu besprechen ist, wäre es, denke ich, sogar richtig und gut, dass das wirklich nur intern und diskret stattfindet und nicht immer pressetechnisch herausgehängt wird; denn die Wirkung ist dann im Zweifelsfall größer.

(Beifall bei der CDU)

Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Dr. Biester von der CDU-Fraktion. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir uns über die negative Bewertung der Todesstrafe sicherlich alle einig sind, und vor dem Hintergrund, dass dies natürlich auch für den Fall von Herrn Mumia AbuJamal gilt, zielt meine Frage auf eine andere Passage in der Dringlichen Anfrage, wo es wörtlich heißt:

„Er wird beschuldigt, einen Polizisten erschossen zu haben. Beweise gibt es keine.“

Deckt sich diese Behauptung mit den Erkenntnissen der Landesregierung?

Danke schön, Herr Dr. Biester. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Biester, auch mir ist diese Formulierung in der Fragestellung aufgefallen: „Beweise gibt es keine.“ Ich sage grundsätzlich: Das Eintreten gegen die Verurteilung zur und die Verhängung der Todesstrafe ist unabhängig vom prozessualen Hintergrund gerechtfertigt. Deswegen bedarf das Anliegen auch nicht einer Suggestion, da sei jemand ohne Beweise - vielleicht sogar ohne Gerichtsverfahren und ohne Urteil - zum Tode vorgesehen. Das ist eigentlich nicht nötig.

Zu dem Hintergrund, worüber wir reden: AbuJamal war mir ein Begriff, auch durch internationale Kampagnen, die auch lagermäßig eingeordnet werden können. Der Hintergrund der Tat hat dann auch mich interessiert; zum Verfahren habe ich ja einiges gesagt. Ich will Ihnen das - ich denke, die Zeit lässt das zu - kurz wiedergeben:

„Am 9. Dezember 1981 hielt der irischstämmige Polizist Daniel Faulkner Abu-Jamals Bruder William Cook an, nachdem dieser ohne Licht falsch“

- wohl mit dem Pkw -

„durch eine Einbahnstraße gefahren war. … Der Anklage zufolge tauchte Abu-Jamal in dem Augenblick, als Faulkner mit dessen Bruder rangelte, an der Straßenkreuzung auf und schoss dem Polizisten in den Rücken. Dieser drehte sich um und feuerte einmal zurück, bevor er hinfiel. Obwohl getroffen, sei Abu-Jamal auf den inzwischen am Boden liegenden Faulkner zugegangen, über ihn getreten und habe seine Waffe leergeschossen, wobei ein Schuss Faulkner aus nächster Nähe in dessen Kopf traf und tötete. Drei von der Anklage genannte Augenzeugen bestätigten Abu-Jamals Tatbeteiligung bzw. seine unmittelbare Anwesenheit während der Tat.

Abu-Jamal wurde Sekunden später in unmittelbarer Nähe des Tatortes durch die von Faulkner zuvor herbeigerufenen Polizisten verhaftet. Bei Abu-Jamal wurde ein auf ihn zugelassener Revolver der Marker Charter Arms mit kurzem Lauf und fünf Patronenkammern sichergestellt. Die gefundenen Kugeln stimmten in Bezug auf Hersteller, Typ und Kaliber mit den recht seltenen Patronenhülsen in Abu-Jamals leergeschossener Waffe sowie mit den Charakteristiken des Laufs seiner Waffe überein. … Die Kugel in Abu-Jamals Körper stammte aus der Waffe des Polizisten. Zwei Zeugen identifizierten Abu-Jamal unabhängig voneinander als den Mann, der auf Daniel Faulkner geschossen hatte …“

Das zum Hintergrund. - Wir dürfen sagen, dass Herr Abu-Jamal entsprechend der Beweislage verurteilt wurde. Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir gegen die Todesstrafe eintreten.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. - Zur vierten Zusatzfrage für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Humke-Focks das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Busemann, Sie haben eben die Anklagepunkte vorgetragen, auf deren Grundlage Mumia AbuJamal verurteilt worden ist. Dann kam die entsprechende Reaktion von Ihnen. Wenn man das so hört, fragt man sich zu Recht - Frau Präsidentin, entschuldigen Sie die Vorbemerkung; sie muss einfach sein -, inwieweit eine solche Dringliche Anfrage gerechtfertigt ist.

Der Hintergrund unserer Dringlichen Anfrage ist, dass es im Laufe späterer Untersuchungen durchaus Korrekturen und Änderungen von Zeugenaussagen gegeben hat. Neue Erkenntnisse haben der Grundlage widersprochen, auf der Mumia AbuJamal verurteilt worden ist. Liegen Ihnen auch Erkenntnisse darüber vor, dass es durchaus eine andere Einschätzung des Sachverhalts an diesem „Tattag“ gegeben hat?

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Humke-Focks. - Für die Landesregierung erteile ich das Wort Herrn Minister Busemann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Humke-Focks, die Dringlichkeit der Anfrage - Oberthema Todesstrafe - war dadurch gegeben, dass der Vollzug der Todesstrafe möglicherweise letztinstanzlich abgesegnet worden wäre. Jetzt hat es eine Zurückverweisung und damit einen Zeitgewinn gegeben.

Wir gehen von einer rechtskräftigen Verurteilung auf der Basis des von mir, wie ich denke, richtig beschriebenen Hintergrundes aus. Der möglicherweise zur Todesstrafe Anstehende sagt ja: Ich bin es nicht gewesen. - Das ist das Fundament seiner ganzen Haltung und - entschuldigen Sie, wenn ich das so sage - Strategie. Es gibt Stimmen im Umfeld - vom Freundeskreis und Ähnlichem -, die die Situation ebenfalls anders sehen. Nach meinem Kenntnisstand gibt es aber keinen juristisch beleihungsfähigen Sachverhalt, der es rechtfertigen würde, hier aus Deutschland zu sagen: Das ist kein rechtsstaatliches, von Beweismitteln getragenes Urteil. - Darauf sollte man sich gleichwohl verständigen, auch wenn man sagt: Wir kämpfen gegen die Todesstrafe.

(Zustimmung von Ernst-August Hop- penbrock [CDU])

Herzlichen Dank. - Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit ist die Behandlung der Dringlichen Anfragen insgesamt beendet.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass sich die Fraktionen darauf verständigt haben, den Tagesordnungspunkt 24 noch vor der Mittagspause zu behandeln.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 20 und 21 auf, und zwar vereinbarungsgemäß zusammen:

Besprechung: Situation von Menschen mit Behinderungen in Niedersachsen - Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1430 - Antwort der Landesregierung - Drs. 16/1861

Besprechung: Teilhabe für Menschen mit Behinderung ermöglichen - Barrieren abbauen - UN-Konventionen umsetzen - Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1530 - Antwort der Landesregierung - Drs. 16/1862