Protokoll der Sitzung vom 17.02.2010

(Ulrich Watermann [SPD]: Ach so! Ich dachte, meine Redezeit wäre schon am Ende gewesen!)

- Nein, Sie dürfen jetzt noch weiterreden, vor allen Dingen mit der Aufmerksamkeit des Plenums. Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Jetzt hat er mich ganz aus dem Konzept gebracht.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Du wolltest Riese gerade einen verpulen!)

- Nein! Der Vorsitzende des Sozialausschusses ist lernfähig, habe ich gemerkt. Der zitiert jetzt schon

aus dem Godesberger Programm. Vielleicht merkt er ja, dass er ein paar Dinge anders machen muss.

Zur Sache: Wir brauchen jetzt eine schnelle Einigung und eine schnelle Wegweisung. Wir brauchen in der inhaltlichen und in der organisatorischen Ausgestaltung schnell Ergebnisse. Ich denke, hier muss niemand irgendjemandem gute Dinge auf den Weg geben. Wir waren Schrittmacher, und ich hoffe, dass die in Berlin das jetzt auch umsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Adler das Wort. Bitte sehr!

(Unruhe)

- Einen kleinen Moment, Herr Adler. Mit der Aufmerksamkeit funktioniert es heute noch nicht so gut. Ich bitte wirklich dringend um Aufmerksamkeit für den Redner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hartz-IV-Gesetzgebung, die wir immer kritisiert haben, ist verfassungswidrig. Das hat Ihnen nicht nur der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts ins Stammbuch geschrieben - darüber haben wir schon heute Morgen gesprochen -, sondern auch der zweite Senat in dem Urteil, um das es jetzt geht, das nämlich die Organisationsstruktur betrifft.

Um sich das Ausmaß des Problems klar zu machen, sollte man sich noch einmal in Erinnerung rufen, was der zweite Senat dazu gesagt hat:

„Die Organisationsstruktur der Arbeitsgemeinschaften widerspricht der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung. … Eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung setzt voraus, dass der jeweils zuständige Verwaltungsträger auf den Aufgabevollzug hinreichend nach seinen eigenen Vorstellungen einwirken kann.“

Das war nicht gewährleistet. Das Bundesverfassungsgericht fährt fort:

„§ 44 b SGB II verstößt zudem gegen den Grundsatz der Verantwortungsklarheit. Die organisatorische und

personelle Verflechtung bei der Aufgabenwahrnehmung behindert eine klare Zurechnung staatlichen Handelns zu einem der beiden Leistungsträger.“

Deswegen spricht das Bundesverfassungsgericht auch davon, dass dadurch die Gefahr einer Verselbstständigung ohne hinreichende Kontrolle durch einen verantwortlichen Träger entsteht. Mit anderen Worten, was mit der Grundgesetzänderung jetzt auf den Weg gebracht werden muss, um das wieder ins Lot zu bringen, ist keine Kleinigkeit.

In der Plenardebatte am 26. November haben wir darüber diskutiert. Herr McAllister, es ist nicht so, dass die CDU immer für eine Grundgesetzänderung war.

(David McAllister [CDU]: Wir hier wa- ren immer dafür!)

Ich will Sie an das erinnern, was Ministerpräsident Wulff dazu gesagt hat:

(Wilhelm Hogrefe [CDU]: Der war auch immer dafür!)

Er ging auf Frau Polat von den Grünen ein und sagte:

„Nein, ich kann Ihrem Antrag“

- da ging es um eine Grundgesetzänderung -

„nicht zustimmen, weil Ihr Antrag im Grunde genommen ein Aufbrühen von Dingen ist, die seit zwei Jahren nicht zum Ziel geführt haben.“

Wenn Sie sich die Debatte von damals angucken, sehen Sie, dass SPD, Grüne und wir gesagt haben: Ändert das Grundgesetz, damit wenigstens das organisatorische Problem ins Lot kommt. - Jetzt soll das offenbar doch geschehen.

Dass es sinnvoll ist, dass die Leistungen aus einer Hand gewährt werden, hat das Bundesverfassungsgericht - ich rede jetzt vom zweiten Senat - übrigens nicht kritisiert. Aber man muss es anders machen. Wenn man es anders macht, muss man verschiedene Probleme bedenken. Man muss nämlich auch an die Beschäftigten der Hartz-IVBehörden, der Argen und Jobcenter, denken, die zur Zeit wegen der ungeklärten Situation nur befristete Verträge haben. Das motiviert sie in ihrer Tätigkeit nicht gerade.

Man muss auch im Blick haben, was die Grundgesetzänderung für die Betroffenen bedeutet. Wenn

das Finanzamt bei einer Einkommenssteuerberechnung einen Fehler macht, dann ist das ärgerlich, aber es hat keine existenziellen Folgen. Im Bereich Hartz IV geht es aber um Menschen, die in der Regel kein finanzielles Polster haben. Da darf man sich neue Fehler nicht erlauben. Diese Menschen sind auf sichere Leistungen in angemessener Höhe und auf Leistungen aus einer Hand angewiesen, damit keine überflüssigen Behördengänge erforderlich sind.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat jetzt der Herr Ministerpräsident. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich bin auch ich froh, dass wir hier in den letzten Jahren grundsätzlich Einigkeit erzielt haben, die jetzt hoffentlich auch zum Ziel der Grundgesetzänderung führt. Wahrscheinlich muss ich damit leben, dass Sie Roland Koch jetzt noch mehr mögen als mich.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Niemals! Das geht nicht!)

Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass ich Ursula von der Leyen noch mehr mag, als Roland Koch sie mag; denn Briefe an die Ministerin werden in Hessen in einer Pressekonferenz dargelegt, während sie bei uns auf dem Postweg nach Berlin transportiert werden.

Die Landesregierung hat ausweislich der Regierungserklärung bereits von Anfang an, seit 2003, die Stärkung der kommunalen Einbindung bejaht, weil wir der Überzeugung sind, dass die Kommunen in der Kenntnis des jeweiligen kommunalen Arbeitsmarkts und in der Kenntnis der jeweils Betroffenen über besonderen Sachverstand verfügen. Deswegen haben wir dafür gekämpft, dass das Verwaltungshandeln in einer Hand, die Zuständigkeit bei einer Stelle gebündelt wird. Das war im Übrigen ein Vorschlag, der sich schon aus den Erkenntnissen der niederländischen Nachbarn mit ihren Zentren für Arbeit und Einkommen ergab. Auch Erfahrungen aus anderen Ländern konnten wir im Jahr 2000 sammeln.

2005 durfte ich den Kompromiss mit Joschka Fischer, Gerhard Schröder, Angela Merkel und anderen vereinbaren, nachts um halb drei in einer

Untergruppe des Vermittlungsausschusses. Es ist uns immerhin gelungen, sechs Optionen und die Möglichkeit weiterer Optionen zugestanden zu bekommen, sodass Niedersachsen das einzige Bundesland ist, in dem alle Kommunen, die wollten, Optionskommunen werden konnten. Mit 13 Optionen haben wir neben Hessen die meisten Optionen im Vergleich aller Bundesländer. Es gab damals keinen Kreis, der Optionskommune werden wollte, aber nicht konnte.

Es hat dann eine positive Entwicklung gegeben - da bin ich bei Herrn Watermann von der SPD -, bei Arbeitsgemeinschaften, bei Optionen, sogar auch bei der zweigeteilten Aufgabenwahrnehmung. Jetzt geht es darum, durch eine Grundgesetzänderung in Kenntnis der Rechtsprechung das, was sich eingespielt hat, auch in Zukunft möglich zu machen. Sie haben gesagt, Sie wollen einer Grundgesetzänderung zustimmen, die eine künftige Zusammenarbeit von Bund und Kommunen im Rahmen der Verfassung möglich macht.

Zu der zweiten Frage, die der Vorsitzende der CDU-Fraktion hier aufgeworfen hat, ob den Kommunen überlassen werden soll, sich zu entscheiden, ob der Region Hannover überlassen werden soll, zwischen zweigeteilter, getrennter Aufgabenwahrnehmung, einem veränderten oder unveränderten Jobcenter und der Option zu wählen, haben Sie sich nicht geäußert. Ich möchte Ihnen einfach Mut machen: Lassen Sie doch die Region Hannover, lassen Sie doch die niedersächsischen Landkreise und kreisfreien Städte dies entscheiden! Dass die das nicht von der einen Sekunde auf die andere entscheiden können, das weiß jeder. Wir brauchen hier einen geordneten Übergang.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Wer liest, ist klar im Vorteil!)

Das hängt auch von der Frage der Fach- und Rechtsaufsicht durch den Bund und davon ab, welche Vorstellungen der Bundestag dazu hat. Denn die 40 Milliarden Euro, die pro Jahr aus dem Bundeshaushalt hierfür zur Verfügung gestellt werden, sind sein Geld. Wir wollen natürlich eine starke Einflussposition der Länder als Gewährträger der Kommunen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Aber vielleicht können wir zu dieser Frage der freien Wahl auch hören, ob die Positionen der niedersächsischen Landtagsfraktionen der SPD

und der Grünen gelten, dass jede Kommune für sich entscheiden kann.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Selbst- verständlich! )

- Dann wäre die Frage nur noch an die SPD zu richten, ob das auch für sie gilt. Denn wir haben jetzt Herrn Kauder für die Grundgesetzänderung gewonnen. Jetzt müssen Sie noch Herrn Scholz für die Grundgesetzänderung gewinnen. Wenn wir das gemeinsam verfolgen, wird es ein gutes Ergebnis geben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal Herr Watermann gemeldet. Herr Watermann, Sie haben 1:49 Minuten Redezeit.