Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit mittlerweile zwei Jahren diskutiert und taktiert die Politik über Reformen der Arbeitslosenbetreuung, als hätte sie alle Zeit der Welt. Herr McAllister hat es gerade noch einmal ausgeführt. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber einen Endtermin gesetzt, an dem wir nicht vorbeikommen. Bis Ende dieses Jahres müssen wir uns auf einen tragfähigen Kompromiss geeinigt haben.
Der Start in Richtung einer überparteilichen Lösung ist der Bundesarbeitsministerin von der Leyen allerdings deutlich misslungen. Dabei ist ihre Rolle als austarierende Moderatorin unverzichtbar. Sie muss in diese Rolle jetzt dringend hineinwachsen. Das zeigen die Gesprächsergebnisse von CDU und SPD, die bislang äußerst mickrig ausgefallen sind.
Der gemeinsame Beitrag aus Niedersachsen hier aus dem Parlament liegt seit Langem vor. Ministerpräsident Wulff hat unsere politische Initiative zwar spät und leider erst nach Roland Koch in die aktuelle Debatte eingebracht, aber er hat es immerhin getan, auch wenn der Antrag von uns Grünen dazu immer noch im Ausschuss schmort. Diesen vorauseilenden Gehorsam finden wir in diesem Zusammenhang gar nicht schlecht. Es wäre aber schön gewesen, wenn wir auch über unseren Antrag hätten beraten können.
Auf Bundesebene haben wir als Grüne unseren Beitrag am 9. Januar in Berlin geleistet. Der Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der Grünen sieht den Erhalt der Jobcenter sowie die Ausweitung der alleinigen kommunalen Trägerschaft vor. Union, FDP und SPD können gern darauf zurückgreifen. Das würde das Verfahren erheblich beschleunigen. Der von uns aufgezeigte Weg ist
Für den Fall, dass sich die Protagonisten auch weiterhin nicht einigen können, möchte ich hier einen Weg zur Lösung des Problems aufzeigen. Zur Auflösung der verfahrenen Situation in der Jobcenterfrage schlagen wir die Einsetzung eines parteiübergreifenden Schlichterrates vor. In diesen Rat sollten neutrale, anerkannte Personen des öffentlichen Lebens berufen werden, die den weiteren Verhandlungsprozess steuern und moderieren, natürlich unter Einbeziehung der Parteien, der Länder, der kommunalen Spitzenverbände, der Wohlfahrtsverbände und anderer relevanter Beteiligter. Auf diese Weise könnte vielleicht eine Lösung erarbeitet und zügig umgesetzt werden.
Lassen Sie uns die verbleibende kurze Zeit also effizient und im Sinne der Arbeitslosen nutzen. Dazu gehört aber auch - das will ich hier noch einmal deutlich machen -, dass alle Parteien ihre Befindlichkeiten in dieser Diskussion relativieren, um ein gemeinsames Ergebnis herbeizuführen. Trotz aller Unterstützung der Grundgesetzänderung für eine faire, gemeinsame Aufgabenwahrnehmung von BA und Kommunen bleibt zu sagen, dass sich auch die Optionskommunen bewährt haben. Es sollte deshalb in Zukunft, wenn regional gewünscht, mehr davon geben dürfen.
Es hilft niemandem, wenn sich die Bundes-SPD aus Prinzipienreiterei dagegen wehrt, nur weil ein ehemaliger Bundesminister sich in diesem Sinne festgelegt hat. Ich denke, man kann sich im Verlaufe des Prozesses durchaus weiterentwickeln. Dazu gehört aber auch der Anstand von SchwarzGelb, der Bundesregierung, mit allen Parteien der Opposition und nicht nur mit der SPD zu sprechen, wenn es um die Änderung der Verfassung geht. Sonst schafft dies Unmut und erschwert einen gemeinsamen Weg. Der Bundesrat muss schließlich auch mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Wir werden sehen, wie sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nach der NRW-Wahl darstellen. In Niedersachsen sind wir uns in dieser Frage ja gottlob einig.
Ich appelliere deshalb hier an SPD, CDU und FDP, in dieser Frage ihren ganzen Einfluss im Bund in die Waagschale zu werfen, damit nicht ein neuer Akt des Trauerspiels aufgeführt wird. Wir sind zum Erfolg verpflichtet. Alles andere wäre nicht nur ein politischer Totalschaden, sondern würde auch die
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sozialpolitik hat wesentliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich der Einzelne in der Gesellschaft frei entfalten und sein Leben in eigener Verantwortung gestalten kann. - Das ist ein wunderschöner Satz. Er steht im Godesberger Programm der SPD von 1959 und ist auch heute, 50 Jahre später, immer noch wahr.
Die 60er-Jahre waren eine Zeit des bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwungs. Die 70er-Jahre waren die Zeit der Verteilungspolitik und auch der zunehmenden Staatsverschuldung, deren Folgen wir in der Gegenwart beileibe nicht bewältigt haben. Die FDP hat erstmals in ihrem Bundestagswahlprogramm von 1983 erkannt, dass die Aufgabe, die unterschiedlichen Transfersysteme und die unterschiedliche Einkommensverteilung über die Besteuerung zusammenzufassen - das ist eine frühe Formulierung des Bürgergeldgedankens -, eine Aufgabe der Zeit ist. 30 Jahre später ist diese Aufgabe angegangen worden, insbesondere mit den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt unter der Bundesregierung von SPD und Grünen.
- Es war 20 Jahre später. Herzlichen Dank für die mathematische Nachhilfe, Herr Jüttner. - Wir wissen aber - das ist in dieser Debatte heute schon in Erinnerung gerufen worden -, dass die Aufgabe noch nicht bewältigt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die gesetzliche Konstruktion zu Recht kritisiert.
Im Jahre 2009 dürften die sozialen Ausgaben der öffentlichen Hände bei insgesamt etwa 750 Milliarden Euro gelegen und damit ein knappes Drittel des Bruttoinlandsprodukts betragen haben. Wir müssen die uns gestellte Aufgabe lösen. Das geht nur mit einer Änderung des Grundgesetzes, für die ich hier eindringlich werbe.
Die FDP würde die Einführung des Bürgergeldmodells bevorzugen, bei dem Grundsicherung und Besteuerung aus einer Hand bei Finanzämtern erfolgen würden. Das ist aber in der Gegenwart nicht zu erreichen. Die Diskussion läuft zurzeit anders. Die guten Ergebnisse der SGB-II-Änderung durch das Hartz-IV-Gesetz müssen gesichert werden. Es geht nicht nur darum, dass Optionskommunen für die Zukunft abgesichert werden. Es geht auch darum, dass ihre Zahl nicht begrenzt wird. Ich appelliere an alle Beteiligten, in den anstehenden Verhandlungen nicht gewissermaßen die Preise zu treiben und eigene Steckenpferde zu reiten, sondern sich ins Gedächtnis zu rufen, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, der entweder auf Grundsicherung oder auf Hilfe auf dem Arbeitsmarkt angewiesen ist. Das steht im Zentrum der anstehenden Diskussionen. Hauptgesichtspunkt kann nicht die Frage sein, in welchen Strukturen dies geschieht. Schon gar nicht kann es darum gehen, welche Gremien möglicherweise bei der Bundesagentur für Arbeit mitzugestalten haben.
Meine Damen und Herren, zahlreiche Kommunen stehen Schlange, um Optionskommunen zu werden. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, sind die Kommunen in hervorragender Weise in der Lage, diese Aufgaben dicht am Menschen zu erfüllen, sowohl die Grundsicherung als auch die Motivierung, am Arbeitsmarkt aktiv teilzunehmen.
Wer bezüglich der Zahl der Optionskommunen noch Bedenken hat, den verweise ich auf die Sozial- und Arbeitsministerin des Landes RheinlandPfalz, Malu Dreyer, die ganz eindrücklich dafür wirbt, die Optionskommunen in der Zukunft zu sichern und ihre Zahl auszuweiten.
Meine Damen und Herren, im Godesberger Programm war beschrieben, welche Aufgaben Sozialpolitik hat, nämlich dass der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht die Frage der Organisation. Lassen Sie uns gemeinsam den Weg weiter beschreiten, über den wir uns im Niedersächsischen Landtag ja sehr einig sind.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es muss am Aschermittwoch liegen, dass wir uns noch stundenlang das erzählen, was wir hier in diesem Landtag mehrfach beschlossen haben. Dieser Landtag und Niedersachsen waren nun einmal in einer Frage vorne. Das gilt für andere Politikfelder eher selten. Wir haben sehr früh und sehr schnell die Gräben zugeschüttet und gesagt - die Sozialpolitiker waren das -: Wir wollen diesen Streit beenden und erkennen an, dass beide bestehende Systeme, die Argen und die optierenden Gemeinden, gute Arbeit leisten.
- Heinz Rolfes, wir können uns doch einmal loben, wenn wir zusammen gute Politik hinbekommen haben, und zwar wegweisend für die Kommunen und das Land.
Das muss er ja tun, das ist auch gut so. Er hat dabei aber eine wichtige Person vergessen, nämlich den Ministerpräsidenten aus Hessen. Denn der hat ja richtig auf den Tisch gehauen, und dann kam Bewegung. Das muss man gelegentlich auch sagen. Nun ist es natürlich für einen Sozialdemokraten äußerst misslich, wenn er den hessischen Ministerpräsidenten loben muss.
(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ja, das macht man nicht gern! - David McAl- lister [CDU]: Dann doch lieber den Ministerpräsidenten hier! - Gegenruf von Wolfgang Jüttner [SPD]: Der hatte ja schon aufgegeben! - Unruhe - Glo- cke des Präsidenten)
Das will ich in dem Fall einmal ausdrücklich tun; denn wir hatten ja einen absoluten Stillstand in dieser Situation. Ich kann von uns aus nur sagen - das geht auch in Richtung Berlin und aller Handelnden -: Eine Einigung ist zwingend erforderlich.
Gut wäre es gewesen, wenn wir den schmorenden Antrag der Grünen noch hätten verabschieden können. Aber jetzt gehen wir einmal davon aus, dass alle auf dem richtigen Weg sind.
Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit eben nicht der hessische Ministerpräsident im Vordergrund gestanden hätte, sondern dass Sie, Herr Ministerpräsident, so auf den Tisch gehauen und dafür gesorgt hätten, dass Bewegung kommt.
Jetzt schauen wir einmal, was dabei herauskommt. Ich habe noch einmal mit unseren Leuten gesprochen und gesagt: Schraubt das nicht zu hoch, erkennt das an. Lasst es vor Ort so machen, wie es angemessen ist. Dabei kommen gute Ergebnisse heraus. - Ich denke, Signal der Aktuellen Stunde ist: Wir haben über die Inhalte und darüber gesprochen, dass eine anständige Grundsicherung gezahlt werden muss, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, Herr Vorsitzender des Sozialausschusses. Auch mit Ihrer verdrehten Entschuldigung konnten Sie gestern die Sozialdemokraten nicht besänftigen.
Herr Watermann, ich unterbreche Sie kurz. Ich habe jetzt mehrfach die Glocke eingesetzt. Sie dient ja dazu, dem Redner Aufmerksamkeit zu verschaffen.