Protokoll der Sitzung vom 18.02.2010

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Ich erinnere in dem Zusammenhang noch einmal an den Satz aus dem Godesberger Programm der SPD von 1959, den ich gestern hier schon zitiert habe.

Meine Damen und Herren, die CDU und die FDP schlagen dem Landtag politische Zielvorstellungen zur Ausgestaltung der UN-Konvention vor, die zeitgemäß sind und auf ein hohes Maß an Zustimmung der befragten Verbände treffen. Ein Mehr an individuellen Wahlmöglichkeiten der Betroffenen, die Weiterentwicklung der Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben, die individuellen Teilhabeplanverfahren, die Verbesserung der Kooperation der Hilfen aus verschiedenen Sozialsystemen, das sind die Gebote der Stunde. Interessenverbände müssen dabei wirtschaftliche Aspekte und die Leistungsfähigkeit der Haushalte nicht beachten, die Politik muss das schon.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der Antrag der Grünen übersieht zahlreiche Hinweise aus diesen Stellungnahmen, die die Finanzierbarkeit betreffen. Er enthält durchaus sympathische Ansätze, z. B. mit der Forderung nach leistungsträgerübergreifenden unabhängigen Beratungs- und Unterstützungsangeboten auf regionaler und lokaler Ebene. Frau Groskurt hat bereits darauf hingewiesen. Planerische Vorstellungen wie die, die vorhandenen stationären Heimplätze innerhalb von fünf Jahren um 10 % zu reduzieren, stehen jedoch in genauem Gegensatz zu dem, was die Verbände uns vortragen. Da insbesondere die finanziellen Auswirkungen eines von Ihnen geforderten Bundesteilhabegelds als Nachteilsausgleich überhaupt nicht abgeschätzt werden können, muss ich dem Landtag die Ablehnung des Antrags der Grünen-Fraktion empfehlen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Oh, wie schade!)

Die Kernforderung der SPD nach einer zusätzlichen Fachkommission ist entbehrlich; denn es fehlt nicht an umfassendem Wissen und auch nicht am gegenwärtigen Austausch unter den beteiligten Rehabilitations- und Kostenträgern sowie Verbänden der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Deswegen sollte auch der SPD-Antrag heute keine Zustimmung finden.

Im Ansatz durchaus zustimmungsfähig ist die in diesem Antrag enthaltene Zielbestimmung, dass ambulantes Versorgen, Wohnen und Arbeiten zu fördern und weiterzuentwickeln sind. Wer aller

dings dieses will, kann guten Gewissens dem Antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zum Beitrag von Herrn Riese hat sich Herr Schwarz zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben anderthalb Minuten. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Riese, ich möchte nur auf eines hinweisen: In unserem Sozialstaat und bei den ihm gesetzlich zugrunde liegenden sozialen Absicherungen geht es bei der Frage des behindertengerechten Ausgleichs nicht um das Einkommen des Betroffenen, sondern um seine Behinderung.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Um die Benachteiligung!)

Wir haben ein Sozialstaatssystem, das ich übrigens hervorragend finde und das in der Welt sehr beachtet wird,

(Norbert Böhlke [CDU]: Richtig!)

das exakt sagt: Den Mehrbedarf für behindertengerechten Ausgleich bekommt ein Mensch aus der Solidargemeinschaft, in der er verankert bzw. versichert ist. Das Einkommen spielt dabei keine Rolle. Das ist einer der Grundsätze unseres Sozialstaatssystems, zu dem wir stehen, und wir arbeiten dafür, dass das auch so bleibt. Da haben wir einen Riesendissens zu dem, was Sie hier vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das haben wir ja beim Blin- dengeld auch lange gehört!)

Herr Riese möchte antworten. Bitte sehr! Sie haben auch anderthalb Minuten.

Danke schön. - Herr Schwarz, ich hoffe, diesen Riesendissens haben wir nicht, weil durch uns die Sozialversicherungssysteme in keiner Weise infrage gestellt werden.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das sieht Herr Rösler aber anders!)

- Nein, das sieht Herr Dr. Rösler nicht anders.

Aber ein zusätzliches einkommens- und vermögensunabhängiges Teilhabegeld on top, zusätzlich zu dem, was wir zurzeit schon haben, ist nicht leistbar, und es gibt auch keine Vorstellungen zu einem etwaigen Finanzrahmen. Dazu warte ich schon auf weitere Ausführungen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Helmhold von Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, dass uns heute drei Anträge von Oppositions- und Regierungsfraktionen zu diesem Thema vorliegen, alle mit unterschiedlichen Akzenten, mit unterschiedlicher Differenziertheit, aber alle einig darin, dass die Eingliederungshilfe hin zu einem personenzentrierten Hilfesystem reformiert werden muss. Wir begrüßen diesen breiten Konsens ausdrücklich,

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Roland Riese [FDP])

zumal er noch vor drei Jahren nicht möglich gewesen ist. In der Debatte zu unserem damaligen Antrag „Alternativen zum Heim schaffen - ambulante Wohnformen weiter ausbauen“ haben uns alle anderen Fraktionen vorgeworfen, wir seien mit unserer Forderung nach dem Abbau von Heimplätzen und dem Aufbau von ambulanten Wohnformen realitätsfremd. Wir standen mit dieser Forderung ziemlich allein auf weiter Flur.

Nun kann sich Politik schnell ändern, das ist ja auch gut so. Mit einem Anstoß von außen, der UNKonvention, ist große Bewegung in die erstarrten Strukturen gekommen. Die Sozialminister der Länder haben ein Papier auf den Weg gebracht, in dem sie das personenzentrierte Hilfesystem fordern. Wenn die Ministerin Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und das Wohnen in der eigenen Wohnung fordert, finden wir das alles vollkommen richtig. Das ist uns recht, das wollten wir und übrigens auch die Betroffenen in der Behindertenbewegung seit Jahren.

Eines möchte in diesem Zusammenhang betonen: Wenn man das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen und ihr Selbstbestimmungsrecht ernst nimmt, muss einem allerdings auch klar sein, dass das ambulante Wohnen nicht in jedem Fall günsti

ger ist als die stationäre Unterbringung. Das gehört zur Wahrheit auch dazu. Ein Sparmodell ist das ambulante Wohnen nicht unbedingt. Wir rechnen mit Kostenneutralität.

Meine Damen und Herren, mit Absichtserklärungen ist es allerdings nicht getan; das habe ich schon anlässlich der Landtagsdebatte zu den Großen Anfragen zur Behindertenpolitik gesagt. Wir brauchen ein Konversionsprogramm zum Umbau und zum Abbau vorhandener stationärer Einrichtungen. Das ist der Kern unseres Antrags, und da unterscheidet er sich eben von dem Antrag der Koalition, die - vollkommen richtig! - das Papier der Arbeits- und Sozialministerkonferenz referiert, aber nicht den Schritt darüber hinaus tut und ins Konkrete geht.

Herr Riese, ich weiß nicht, wo Sie gelesen haben, wir wollten Werkstattplätze abbauen. Ich habe eben noch einmal ziemlich genau nachgesehen. Das steht tatsächlich nirgendwo. Wir wollen Heimplätze abbauen und in ein Konversionsprogramm gehen. Die Betroffenen brauchen gezielte Anreize, damit ein Verbleiben in der eigenen Wohnung oder ein Wechsel in eine eigene Wohnung für sie auch sinnvoll und reizvoll ist.

Frau Ministerin, Sie haben uns in der letzten Ausschusssitzung erklären lassen, Sie seien inzwischen mit den Langzeiteinrichtungen ins Gespräch gekommen. Sie haben aber nicht offenbaren lassen, wie die von Ihnen so bezeichnete gezielte Unterstützung der Betroffenen konkret aussehen soll. Es wäre wirklich schön, wenn Sie uns konkret sagen würden, was Sie dort verhandelt haben. Schließlich hat Niedersachsen im Ländervergleich die vierthöchste Zahl von Heimunterbringungen, und das heißt: Der Handlungsbedarf ist in Niedersachsen ganz besonders groß.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für uns ist auch klar: Es darf keine Kommunalisierung geben. Man darf nicht den ganzen Bereich der Eingliederungshilfe den Kommunen anheimfallen lassen. Der überörtliche Sozialhilfeträger muss für einheitliche Standards, für Hilfeplankonferenzen und einheitliche Hilfeplanverfahren sorgen.

Im Eckpunktepapier sind konkrete Erwartungen an notwendige Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen formuliert. Dazu gehört übrigens auch die Forderung nach einem bundesfinanzierten dauerhaften Nachteilsausgleich. Wir würden das immer Bundesteilhabegeld nennen.

Frau Mundlos, Sie haben bei der Diskussion unseres Antrags im Ausschuss - ich fand, sie war relativ kurz, aber immerhin haben wir darüber gesprochen - gesagt, das sei nicht finanzierbar. Damit fallen Sie dem Eckpunktepapier der Sozialministerkonferenz geradezu in den Rücken. Auch Herr Riese hat hier eben noch einmal gesagt, ein Nachteilsausgleich sei nicht finanzierbar.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Rede des Landesbehindertenbeauftragten Karl Finke am 4. Februar in der Auftaktkonferenz der Sozialministerin zum erwähnten Hilfeplanverfahren verweisen, in der er erklärt hat, dass Experten als Kosten für ein Bundesteilhabegeld je nach Ausgestaltung einen Betrag zwischen 600 Millionen und maximal 1 Milliarde Euro errechnet haben.

Das heißt, selbst bei einer sehr großzügigen Ausgestaltung wäre die dort aufzubringende Summe immer noch geringer als die 1,2 Milliarden Euro, die die jetzige Bundesregierung durch die von der FDP erzwungene Halbierung des Mehrwertsteuersatzes für die Hotellerie aus dem Haushalt aufzubringen hat. Da frage ich mich: Was ist wohl wichtiger, meine Damen und Herren?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ein solches Bundesteilhabegeld würde übrigens auch die sozialpolitisch nicht überzeugende Länderzuständigkeit beim Landesblindengeld und teilweise beim Landesgehörlosengeld aufheben, weil es dann bundeseinheitliche Regelungen für alle Menschen in Deutschland gäbe.

Den Ausgleich für eine Behinderung - das hat Herr Schwarz eben vollkommen richtig gesagt - hat in einem Sozialstaat die Gesellschaft für die betroffenen Menschen zu finanzieren. In den übrigen Fällen - wenn Sie schon das Beispiel des Millionärs bemühen - würden wir schon über die Besteuerung dafür sorgen, dass ein Mensch mit Behinderung, der Millionär ist, je nach seiner Leistungskraft einen Beitrag leistet und sozusagen für sich selbst bezahlt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Helmhold, Ihre Redezeit ist vorbei.

Wenn man es wirklich will, dann kann man es auch ermöglichen. Wir unterstützen die Ministerin bei der Forderung nach einem Teilhabegeld.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Zu dem Beitrag von Frau Helmhold hat sich Frau Mundlos zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben anderthalb Minuten. Bitte!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Helmhold, ich glaube, dass ich deutlich gemacht habe, dass ich ein Bundesteilhabegeld zum jetzigen Zeitpunkt nicht für realisierbar halte.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Nicht mit der FDP in der Koalition!)