Das war in der Tat sehr spannend. Natürlich kommt man zu unterschiedlichen Einschätzungen dessen, was Herr Professor Klemm dort ausgeführt hat.
Ich fand es z. B. sehr interessant, als Herr Professor Klemm uns dargestellt hat, was denn sein eigentlicher Auftrag gewesen ist. Sein eigentlicher Auftrag war nämlich, einmal auszurechnen, welche Ausgaben für Klassenwiederholungen entstehen. Er hatte also gar nicht den Auftrag, zu entscheiden, ob Klassenwiederholungen pädagogisch wirksam sind oder nicht. Vielmehr ging es um die Frage, wie viel eine solche Klassenwiederholung kostet. Das erklärt vielleicht auch, warum er die Wirksamkeit von Klassenwiederholungen gar nicht untersucht hat.
Hier greift man bei einer Studie, die man im Jahr 2009 anfertigt, auf eine zusammenfassende Studie des Jahres 2006 zurück, in der wiederum verschiedene Studien aus den 70er-Jahren zusammengefasst worden sind, und meint, damit die Wirksamkeit von Klassenwiederholungen widerlegen zu können. Allein das zeigt doch schon, dass diese Annahme nicht schlüssig ist.
Gleichzeitig bewertet man eine neuere Studie des Jahres 2004, die zum Ausdruck bringt, und zwar auch aus einer eigenen Betrachtung von Schülerinnen und Schülern heraus, dass Klassenwiederholungen durchaus sehr sinnvoll sein können, pauschal als nicht kritisch genug und negiert diese Studie, die zu einem aus dem eigenen Blickwinkel unliebsamen Ergebnis führt, einfach dahin gehend, dass man sagt, sie sei unseriös.
Stutzig machen muss auch die Tatsache, wie sich Herr Professor Klemm mit der Berechnung dieser Kosten auseinandergesetzt hat. In das Finanzvolumen für die Klassenwiederholer hat er nämlich auch die Heizkosten, die Kosten für den Hausmeister und die Renovierungskosten einbezogen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich heize einen Klassenraum für 25 Schüler genauso wie für 24. Ein Klassenwiederholer bindet da kein Finanzvolumen.
(Ursula Ernst [CDU]: Das wird sogar billiger! Die wärmen sich gegenseitig! - Kreszentia Flauger [LINKE]: In Ma- the sind Sie sitzen geblieben, oder?)
Man muss sich auch noch einmal genau ansehen, dass er selbst schreibt, in den Bundesländern mit einer klassenbezogenen Lehrerstellenzuweisung, wie es in Niedersachsen der Fall ist, entstünden 50 % der Ausgaben für Klassenwiederholer, die bei einer schülerbezogenen Lehrerstellenzuweisung entstehen würden. Als Herr Professor Klemm im Ausschuss gefragt wurde, wie er denn überhaupt zu der Annahme komme, dass man hier von 50 % ausgehen könne, hat er erwidert, das habe er aus Quellen, die er uns nicht preisgeben dürfe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus solchen Studien sollte man in der Tat keine Entschließungsanträge ableiten.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Försterling. - Zu einer Kurzintervention auf Ihren Beitrag hat sich Frau Kollegin Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Sie hat eineinhalb Minuten -
wenn Sie jetzt etwas leiser sind. Sonst erhöhe ich die Zeit für Frau Korter sogar. - Frau Korter, bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Försterling, so etwas Demagogisches habe ich selten erlebt.
Ich war bei dieser Sitzung des Kultusausschusses dabei und habe das Protokoll genau gelesen. Sie haben es vielleicht auch gelesen; das weiß ich nicht.
Erstens. Herr Professor Klemm hat im Ausschuss genau vorgestellt, warum die Klassenwiederholungen teuer sind und warum sie pädagogisch unwirksam sind. Bei dem Punkt der pädagogischen Wirksamkeit hat er sich auf eine Studie bezogen,
Zweitens. Herr Försterling, Sie haben gesagt, es gebe eine Studie aus dem Jahr 2004, die das Gegenteil belegen könne. - Herr Professor Klemm hat im Ausschuss ganz genau erläutert, wie fragwürdig die wissenschaftliche Basis und die Schlussfolgerung dieser Studie sind.
Auch das kann man im Protokoll ausführlich nachlesen. Mir fehlt die Zeit, das hier detaillierter auszuführen.
Drittens. Nicht ganz bei der Wahrheit bleiben Sie bei folgendem Punkt, Herr Försterling: Sie haben gesagt, Herr Professor Klemm habe sich bei seiner finanziellen Berechnung auf Quellen bezogen, die er nicht preisgeben dürfe. - Er hat erklärt, dass er im Auftrag einer Landesregierung bzw. eines Kultusministeriums eine Studie erstellt hat; da der Auftraggeber nicht wolle, dass das bekannt gegeben werde, könne er nicht sagen, wer das war. Er hat aber seine Berechnungsmethode genau vorgestellt und geschildert, wie er kalkuliert hat: dass er bei den Bundesländern, die Lehrerstunden klassenweise zuweisen, im Vergleich zu denen, die Lehrerstunden pro Schüler zuweisen, die Hälfte berechnet habe. Das halte ich für eine absolut nachvollziehbare Größenordnung.
Selbst wenn die Kosten 10 Millionen Euro geringer wären und nicht 56 Millionen Euro betrügen, sondern nur 46 Millionen Euro oder meinetwegen lediglich 36 Millionen Euro, wäre es immer noch besser, diese Gelder in die individuelle Förderung zu stecken, als sie für Klassenwiederholungen auszugeben, die unwirksam sind und noch dazu die Kinder diskriminieren und blamieren.
Herr Kollege Försterling möchte antworten. Auch Sie haben - angepasst an den Lautstärkegrad - eineinhalb Minuten.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Korter, Herr Professor Klemm hat gesagt, er habe die Zahlen von einer Kultusbehörde bekommen und andere Leute in anderen Kultusbehörden gefragt, ob diese
Zahlen möglicherweise so in etwa stimmen würden oder nicht, und das sei ihm bestätigt worden. Das waren die Ausführungen von Herrn Professor Klemm.
Ich fände es sehr hilfreich, wenn Sie dem Plenum ebenfalls mitteilen würden, dass Herr Professor Klemm auch gesagt hat, dass die überwiegende Zahl der Klassenwiederholungen im Einvernehmen mit den Schülern und den Eltern stattfindet und er es durchaus für kritisch hält, pauschal zu fordern, das Sitzenbleiben abzuschaffen. Das hätten Sie auch sagen sollten.
Herzlichen Dank. - Nun hat sich von der Landesregierung Frau Ministerin Heister-Neumann zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schulischer Unterricht hat das Ziel, Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Leistungsvoraussetzungen und ihrem Leistungsvermögen zu fördern, mit ihnen Lernfortschritte zu erzielen und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken. Deshalb gibt es regelmäßig Bewertungen dieser Lernentwicklungen. Deshalb erfolgen zu den Schulhalbjahren und zum Schuljahresende regelmäßig Bewertungen in Zeugnissen. Zeugnisse über das Leistungsvermögen und die Lernfortschritte dienen in erster Linie der Information unserer Schülerinnen und Schüler, aber natürlich auch der Information der jeweiligen Erziehungsberechtigten. Sie bilden die wesentliche Grundlage für eine pädagogische Entscheidung, wenn ein Schuljahrgang wiederholt werden soll, weil das Klassenziel nicht erreicht werden konnte. Ziel dieser Wiederholung ist, der Schülerin oder dem Schüler die Gelegenheit zu geben, Defizite nachzuholen, und einer Demotivation wegen einer dauerhaften Überforderung entgegenzuwirken. Dieses Ziel wird häufig erreicht, auch wenn sich selbstverständlich die Experten darüber streiten, in welchem Umfang.
Ihre schlichte Behauptung, meine Damen und Herren von der Opposition, die Studie von Professor Klemm belege das Gegenteil, lässt sich weder aus der Studie selbst entnehmen, noch kann sie von den vielfältigen pädagogischen Erfahrungen, die in den Schulen vorliegen, bestätigt werden.
Die Wiederholung eines Schuljahrgangs ist eine pädagogische Maßnahme, die immer sorgfältig überlegt und sensibel angewendet werden muss. Darüber sind sich unsere Lehrerinnen und Lehrer sehr wohl im Klaren. Selbstverständlich liegt das Fördern im Vordergrund. Diese Entscheidung ist die letzte Maßnahme, wenn es denn nicht mehr anders geht.
Dass diese Entscheidungen in der Praxis sehr sensibel getroffen werden, zeigt die Wiederholerquote, wie sie sich in unserem Land tatsächlich darstellt.
- Danke schön. - Im Primarbereich liegt sie bei 1,4 %, im Sekundarbereich I bei 3,2 % und im Sekundarbereich II bei 3,3 %. Bei der Gesamtproblematik geht es nicht um das Verfahren des Sitzenbleibens, wie in dem Entschließungsantrag behauptet wird. Es geht wirklich um die pädagogische Frage, wie eine Schülerin oder ein Schüler vor dem Hintergrund der eigenen Lernentwicklung und der fachlichen Anforderungen der Klassenstufe am besten beraten werden kann.
Da Sie die Integrierten Gesamtschulen angesprochen haben, meine Damen und Herren, darf ich auf Folgendes hinweisen: Dort gibt es tatsächlich nicht das Sitzenbleiben, aber es gibt das sogenannte Aufrücken. Die Klassenkonferenz trifft eine Entscheidung, ob dieses Aufrücken angesagt ist oder nicht, weil das Maßgebliche tatsächlich das Anforderungsprofil für den jeweiligen Klassenjahrgang ist. Deshalb ist die Unterscheidung bei Weitem nicht so groß, wie Sie versuchen, es hier darzustellen.
Die Klassenkonferenz hat einen Ermessensspielraum, wenn in Zweifelsfällen zu beurteilen ist, ob die erfolgreiche Mitarbeit im nächsten Schuljahrgang erwartet werden kann. In der Beurteilung sind die unter pädagogischen und fachlichen Gesichtspunkten wesentlichen Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen und, wie gesagt,
Frau Ernst hat netterweise auf etwas hingewiesen. Ich finde es richtig, dass Sie das angesprochen haben, Frau Ernst. Ich frage mich wirklich, was unseren Lehrkräften hier eigentlich zugetraut wird, die tagtäglich mit den Schülerinnen und Schülerin zu tun haben, die die Lernentwicklung der einzelnen Schülerinnen und Schüler genau einschätzen können und die dann im Rahmen einer pädagogischen Entscheidung in einer Klassenkonferenz entscheiden, was für das Kind am besten ist. Wenn sie dann zu der Entscheidung kommen, dass wiederholt werden soll, dann können Sie davon ausgehen, dass das eine gute und sachgerechte Entscheidung ist.
Meine Damen und Herren, Sie argumentieren mit den hohen Kosten, die dem Land durch Wiederholungen entstünden, und verkennen dabei, dass die von Ihnen behaupteten Kosten von mehr als 50 Millionen Euro jährlich in Niedersachsen, die durch die Klassenwiederholungen entstehen, eine reine Fiktion sind. Die Studie selbst führt nämlich aus, dass in Ländern wie Niedersachsen - deshalb kann das bundesweit gar nicht so verglichen werden -, in denen die gebildeten Klassen Maßstab für die Lehrerzuweisung sind, die Wiederholer in der Regel bestehende Klassen auffüllen und somit nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Ausgaben führen.
Der vorgelegte Entschließungsantrag, Frau Korter, verkennt die pädagogische Bedeutung und das Ziel der Klassenwiederholung. Er geht von falschen Prämissen aus - dies habe ich eben dargelegt -, führt deshalb in die Irre und ist bildungspolitisch nicht zielführend.