Protokoll der Sitzung vom 16.03.2010

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist ja auch ein Umbau!)

Es gibt aber auch Niedersachsen außerhalb von Hannover, die ganz stolz darauf sind, Niedersachsen zu sein. Und je weiter man sich von Hannover entfernt, umso weniger emotional wird der Landtagsneubau begleitet. Ganz im Gegenteil: Besucher haben den Portikus des Leineschlosses vor Augen und finden ihn toll.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das wollten Ihre Kumpels damals abreißen!)

Der Oesterlen-Bau - bei allem Respekt - bleibt nicht nachhaltig in Erinnerung.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Ich möchte nachdrücklich die Position des Oberbürgermeisters von Hannover stützen, er wäre doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er sich diese Chance der städtebaulichen Entwicklung entgehen ließe.

Wir als Niedersachsen sollten in unserer Außendarstellung selbstbewusster sein. Unsere Gäste aus anderen Bundesländern - oder woher sie auch immer kommen mögen - sollten dieses Selbstbewusstsein im wahrsten Sinne des Wortes erkennen können. Ich werde auf jeden Fall für das Modell Nr. 1 stimmen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile jetzt der Kollegin Dr. Lesemann von der SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Man sieht nur, was man weiß.“ So lautet eine auf die Kunstbetrachtung bezogene Äußerung Goethes. Dies gilt auch für diesen Plenarsaal. Wer sich näher mit ihm beschäftigt, der wird begreifen, warum er nicht einfach einem Glastempel Platz machen darf. Als ein herausragendes Symbol für den spezifisch niedersächsischen Weg der jungen Demokratie ist dieses Gebäude mit gutem Grund ein Baudenkmal. Es ist ein Meilenstein demokratischer Architektur und ein fundamentaler Beitrag zur Architekturgeschichte der Bundesrepublik. Mit einer Abrissentscheidung verlöre Niedersachsen selbst ein unverzichtbares Zeugnis seiner parlamentarischen Geschichte. Das, meine Damen und Herren, sollten wir nicht zulassen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sollen wir uns denn in spätestens 50 Jahren fragen lassen, warum wir einen Abriss nicht verhindert haben? - Nein: Wir sind zu einer umsichtigen und respektvollen Entscheidung im Umgang mit diesem geschichtsträchtigen Haus aufgefordert - und das nicht allein, um uns gegen den Vorwurf der Geschichtsvergessenheit zu wehren.

Es steht viel mehr auf dem Spiel: der Verlust von Glaubwürdigkeit. Die Länderhoheit bei Kultur und Denkmalschutz bedeutet eine besondere Vorbildfunktion und Verantwortung. Das Denkmalschutzgesetz ist ein Gesetz dieses Hauses. Und wenn der oberste Denkmalschützer Niedersachsens den Abriss als einen Verstoß gegen das Denkmalschutzgesetz wertet, dann sollten wir uns nicht wundern, wenn Politik einen Autoritätsverlust erleidet.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Bürgerinnen und Bürger würden zwangsläufig fragen, warum manche vor dem Gesetz gleicher sind als andere. Dieser Diskussion sollten wir nicht Vorschub leisten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Die erst im August 2009 vom Wissenschaftsminister eingesetzte Landesdenkmalkommission Niedersachsen warnt zu Recht vor der „Aushöhlung der kulturpolitischen Glaubwürdigkeit“. Immerhin weist das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz dem Land eine besondere Pflicht zu, nämlich „die

ihnen gehörenden und die von ihnen genutzten Kulturdenkmale zu pflegen“. Ein Opfer hätte die Abrissentscheidung in jedem Fall: das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz. Das können wir nicht zulassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Neubaubefürworter, Politik gerät in eine Glaubwürdigkeitsfalle, wenn beim Denkmalschutz mit zweierlei Maß gemessen wird. Was will ein Bundesland, das ohne zwingenden Grund eigene Denkmale zerstört, von den Bürgern künftig erwarten? Auf Ihre Antwort bin ich gespannt.

„Haben wir in Niedersachsen jeden Respekt verloren?“ Diese Frage des ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Gottfried Mahrenholz, gilt nicht nur für das OesterlenGebäude, sondern auch für die Gesetze, die wir hier beschließen. Diese Gesetze müssen doch zuallererst für uns gelten, meine Damen und Herren.

Ein Eingriff in das Baudenkmal Landtag oder dessen Abriss ist laut Denkmalschutzgesetz nur dann möglich, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse dieses verlangt. Aber wo bleibt der Nachweis dieses öffentlichen Interesses? Bislang - ich schaue nach draußen; vorhin konnte ich es tun - wird doch ganz deutlich ein öffentliches Interesse am Erhalt dieses Hauses vorgebracht.

Parlamentsbauten müssen Anforderungen in Bezug auf Zweckmäßigkeit, Repräsentation und Denkmalpflege genügen. Denkmalschutz ist keine fundamentalistische Idee, die Weiterentwicklung und Benutzerfreundlichkeit ablehnt.

Wie der Oesterlen-Bau unter Einhaltung von Prinzipien des Denkmalschutzes weiterentwickelt werden und heutige Anforderungen erfüllen kann, zeigt der einzige denkmalrechtlich akzeptable Entwurf des Wettbewerbs, der von Gebhardt. Dahin gehend hat sich auch der oberste Denkmalschützer Winghart öffentlich sowie in der Baukommission des Landtags geäußert; Herr Hagenah hat bereits darauf hingewiesen.

Der gebhardtsche Entwurf - wie auch schon der Preisträger von 2002 - überzeugt funktional und trägt den Erfordernissen des Parlamentarismus im 21. Jahrhundert Rechnung. Warum also sollte abgerissen werden, wenn der Umbau im Bestand möglich ist?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Zitat „In Ehrfurcht vor dem Alten, mit Mut zum Neuen“ wurde zwar vorhin schon einmal angeführt. Es ist heute aber absolut passend. Diese Worte von Oesterlen bei der Grundsteinlegung für den Neubau des Niedersächsischen Landtags am 30. September 1958 charakterisieren auch die Idee des gebhardtschen Entwurfs. Das Motto sollte lauten: Das Vergangene in die Gegenwart tragen.

Denkmalschutz braucht überzeitliches Denken und darf nicht dem Zeitgeschmack untergeordnet werden. Wir sind heute aufgefordert, keine emotionale Bauchentscheidung zu fällen, sondern eine verantwortungsbewusste Kopfentscheidung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Lassen Sie bitte die Abrissbirne aus dem Spiel!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich erteile dem Kollegen Möhrmann von der SPDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehöre diesem Parlament seit 1982 an. Ich weiß noch, wie stolz ich war, dass ich damals als frei gewählter Abgeordneter in diesen Landtag einziehen konnte. Deshalb möchte ich mit einer Bemerkung beginnen, die genau darauf abzielt.

Am Samstag gab es in einer großen Zeitung einen Kommentar, in dem auf „Erichs Lampenladen“ angespielt wurde. Meine Damen und Herren, ich finde diesen Vergleich mit dem VolkskammerPalast unter aller Würde. Das lasse ich mir als Abgeordneter auch nicht gefallen.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Eigentlich müsste jedem Demokraten klar sein, dass die Geschichte der DDR und die Geschichte dieses Parlaments nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, mit der heutigen Entscheidung werden sich die niedersächsischen Abgeordneten dieser Wahlperiode kein Denkmal setzen. Vielmehr werden sie darüber abstimmen, mit welcher Architektur sich die parlamentarische Demokratie in Niedersachsen in den nächsten Jahrzehnten für die Öffentlichkeit sichtbar darstellen soll.

Es geht um die Frage, was für den höchsten Repräsentanten des Landes, nämlich den Landtag, angemessen ist. Es geht um das wichtigste repräsentative Gebäude der parlamentarischen Demokratie in unserem Bundesland.

Natürlich geht es auch um Arbeitsbedingungen für Abgeordnete, um Energiekonzepte, um die unterlassene und jetzt notwendige Sanierung des vorhandenen Gebäudes, um erforderliche Brandschutzmaßnahmen, um die Wirtschaftlichkeit der Konzepte in der Umsetzung und natürlich auch - die Kollegen haben das schon angesprochen - um die Konkurrenz zu anderen wichtigen Aufgaben des Landes.

Bei diesen Fragen fällt es Populisten immer sehr leicht, Alternativen darzustellen. Jeder weiß auch, ob er nun als Bürgermeister ein Rathaus baut oder in einer anderen Funktion öffentliche Gebäude sanieren oder neu erstellen muss, in welche Konflikte man dabei kommt.

Meine Damen und Herren, deswegen bin ich stolz darauf, dass dieser Landtag - auch auf Vorschlag meiner Fraktion - jedem Einzelnen freigegeben hat, wie er sich in dieser Frage entscheidet.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Natürlich geht es auch um die Frage, wie dieser Landtag mit dem Denkmalschutzrecht umgeht. Ich werde nachher darauf zurückkommen. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu stellen: Gibt es ein überwiegendes öffentliches Interesse? Wir werden sehen, zu welcher Abwägung ich komme.

Es geht selbstverständlich auch um die Verrechtlichung der gesamten Frage, mit der wir uns heute zu beschäftigen haben. Das beginnt bei Urheberrechten und endet im Vergaberecht mit der Konkurrenz zu früheren Wettbewerben.

Sich jetzt hierhin zu stellen und mit dem Finger auf den Präsidenten zu zeigen, finde ich aber nicht in Ordnung; denn wir waren alle daran beteiligt. Wenn auf jemanden mit dem Finger gezeigt werden muss, dann auf uns alle.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es geht natürlich auch um die Frage der Barrierefreiheit, die bei uns nicht nur für die Abgeordneten nicht gegeben ist, sondern auch nicht für die Menschen, die unseren Beratungen zuhören wollen.

Nicht zuletzt geht es auch um das Stadtbild von Hannover.