Protokoll der Sitzung vom 18.03.2010

Ich halte es aber für inakzeptabel, dass Herr Ahlers hier Vorwürfe gegen meine Fraktion und gegen meine Partei tätigen darf, die mit der Debatte nichts zu tun haben und dem Zusatzblatt zur Geschäftsordnung sowie den Absprachen des Ältestenrates widersprechen. Im Konkreten: Weder bewundern meine Fraktion und deren Mitglieder die DDR, noch wollen sie die Staatsmacht untergraben.

(Frank Oesterhelweg [CDU]: Eure Bewegung, Herr Kollege!)

Im Übrigen verweise ich auf meine heute zur Debatte stehende Mündliche Anfrage 41, bei der es darum geht, dass ich die Situation der Polizeibeschäftigten im Landkreis Wolfenbüttel und darüber hinaus verbessern möchte.

Ich erwarte, dass der Ältestenrat sich mit der Rede von Herrn Ahlers beschäftigen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Christian Meyer [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Erste Beratung: Gegen eine Diskreditierung linker Gesellschaftsentwürfe durch die Gleichsetzung mit rechtsextremistischen Gesellschaftsvorstellungen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2288 neu

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, ich wäre sehr dankbar, wenn wir die erste Beratung dieses Antrags ganz in Ruhe durchführen könnten; denn hier geht es schon um ein wichtiges Thema, bei dem es sich lohnt, sich damit auseinanderzusetzen.

Frau Leuschner, Sie bringen den Antrag ein. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz einer inhaltlich gleichen Positionierung der SPD mit der CDU beim vorhergehenden Thema haben die Art und Weise, wie Herr Ahlers die Debatte geführt hat, mich noch einmal darin bestätigt, diesen Antrag hier für die SPD-Fraktion einzubringen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Grund unseres Antrags ist die zunehmende Diskreditierung linker Gesellschaftsentwürfe durch die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen von CDU und FDP. In den letzten Monaten hatten wir sehr viele Beispiele dafür, die ich Ihnen auch alle vortragen könnte. Dies geschieht dann auch noch durch eine undifferenzierte geschichtliche Interpretation, die die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus bewirken soll. Sie wissen ganz genau, dass die Ursachen sehr unterschiedlich sind und auch die Bekämpfungsformen andere sein müssen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es ist unstrittig, dass wir alle extremistischen Bestrebungen abwehren müssen, die auf die Abschaffung oder die Einschränkung der demokratischen Grundlagen unserer Gesellschaft und unseres Staates zielen.

Frau Kollegin, gestatten Sie Zwischenfragen?

Nein. - Wir lehnen natürlich jegliche Gewalt gegen Sachen und Menschen ab, insbesondere auch Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten; das ist eine Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig sprechen wir uns aber gegen die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus aus. Dies kommt in den Äußerungen des Innenministers

(Christian Meyer [GRÜNE]: Wo ist der eigentlich?)

und von Mitgliedern der Koalitionsfraktionen in der politischen Debatte zum Tragen. Besonders entsetzt hat mich übrigens - bei aller Wertschätzung der Arbeit der Abteilung 6 -, dass man diese pauschalierenden Aussagen jetzt auch in aktuellen Veröffentlichungen des niedersächsischen Verfassungsschutzes finden kann. Ich werde Ihnen dazu Beispiele nennen.

Frau Kollegin, gestatten Sie jetzt Zwischenfragen?

Ja. Frau Andretta!

Nein, erst kommt Frau Flauger.

Ja, Frau Flauger.

Sie hatte sich zuerst gemeldet. - Bitte!

Frau Leuschner, wie bewerten Sie es eigentlich, dass zu diesem Antrag und zu dieser Debatte der Innenminister abwesend ist?

(Björn Thümler [CDU]: Er ist auf Toi- lette!)

Das finde ich schlecht - extrem schlecht.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Frau Leuschner, die nächste Zwischenfrage hat sich erledigt. Sie können fortfahren.

Meine Damen und Herren, im Rahmen dieser Bemühungen, eine gleichwertige linksextremistische Gefahr zu belegen, werden auch historische Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen und in einen ganz anderen Kontext gestellt. Ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel vortragen. Im Vorwort zu einer Broschüre der Niedersächsischen Extremismus-Informations-Stelle - abgekürzt NEIS - schreibt Herr Wargel - Herr Wargel, ich habe Sie bisher immer anders kennengelernt -:

„,Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus.‘ Mit diesem Satz begannen vor über 160 Jahren Karl Marx und Friedrich Engels ihr ,Kommunistisches Manifest‘. Das ,Gespenst‘ lebt noch immer - selbst 20 Jahre nach dem Ende der kommunistischen Diktaturen in Europa und nach dem Abriss des Eisernen Vorhangs. In Deutschland erzielt die Partei DIE LINKE beachtliche Erfolge, die den Kapitalismus abschaffen will und unsere bestehende Verfassungsordnung in Frage stellt.“

So Präsident Wargel! Meine Damen und Herren, man darf doch nicht aus der Einleitung zum „Kommunistischen Manifest“ von 1848 den ersten Satz isoliert herausnehmen und die folgenden Sätze weglassen. Ich zitiere diese Sätze einmal. Dort geht es nämlich wie folgt weiter:

„Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Czar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.

Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrieen worden wäre …?“

Dort wird doch ein ganz anderer historischer Zusammenhang deutlich - der hier missbraucht wird.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Herr Wargel, warum haben Sie es nötig, dass hier so unvollständig zitiert wird?

Meine Damen und Herren, ich kann aus den hier geführten Debatten jede Menge Beispiele nennen, die für uns diffamierend waren. Ich möchte jetzt auf ganz bestimmte zentrale Punkte der Sozialdemokratie eingehen. Sie wissen, dass wir uns im Jahre 2007 auf dem Hamburger Parteitag wieder zum demokratischen Sozialismus bekannt haben. Das ist eine der zentralen Aussagen in der Programmatik der SPD. Das ist ein Gegenmodell zum staatlich verordneten Sozialismus osteuropäischer Prägung, den wir ablehnen. Das ist etwas ganz anderes. Willy Brandt hat gesagt: Wir, die wir uns zum demokratischen Sozialismus bekennen, stehen in der Tradition des Humanismus, der Demokratie und der Menschenrechte. - Das darf von Ihnen nicht missbraucht werden!

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Ursachen für Rechtsextremismus sind andere. Sie haben eine andere historische Entwicklung. Sie setzen im Grunde genommen die Gedanken von Sozialdarwinismus und Rassismus voraus. Das müssen wir mit anderen Mitteln bekämpfen als den Linksextremismus, der natürlich auch bekämpft werden muss. Aber es darf nicht sein, dass linke Gesellschaftsentwürfe diskreditiert werden und dass jegliche reformerische linke Bestrebungen dadurch in eine Ecke gedrängt werden, die für uns nicht zulässig ist.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Sie kommen immer wieder auf die Reduzierung dieser Gesellschaftsmodelle auf diktatorische Herrschaftsformen Lenins und Stalins in der früheren Sowjetunion und dem ehemaligen Ostblock. Sie ziehen daraus zwingend die Konsequenz, dass es sich historisch so entwickeln musste. Das ist historisch falsch, meine Damen und Herren, und kann aus unserer Sicht so nicht durchgehen. Die Utopien des demokratischen Sozialismus sind humanistisch und demokratisch angelegt.

Jetzt noch ein Beispiel zum Bereich Wirtschaftsdemokratie. Wie würde denn unsere Gesell

schaftsordnung aussehen, wenn sich Gewerkschaften, wenn sich Parteien nicht für Wirtschaftsdemokratie eingesetzt und mitgestaltet hätten im Sinne von Arbeitnehmerrechten?

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Das kann man doch nicht, wie im Verfassungsschutzbericht 2007 getan, in eine Nähe zueinander rücken, dass man den demokratischen Sozialismus und die Wirtschaftsdemokratie in eine Ecke schiebt und mit unserer demokratischen Grundordnung für nicht vereinbar erklärt oder dazu zumindest Zweifel zum Ausdruck bringt. Meine Damen und Herren, das ist mit uns nicht zu machen!

Wir finden es äußerst bedenklich, wenn seitens des Landesministeriums undifferenzierte Betrachtungsweisen und pauschale Vorverurteilungen in Veröffentlichungen und Darstellungen vorgenommen werden; denn ich meine, dass auch diese Behörde aufgrund ihrer hoheitsrechtlichen Stellung im Staat eine große Verantwortung hat. Sie kommt häufig mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zusammen. Deswegen muss man besonders vorsichtig sein, wenn der Verdacht naheliegt, dass sie parteipolitisch missbraucht wird. Dies können wir nicht dulden!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Jegliche Entwicklung, so etwas im Grunde genommen vorzuhaben, halte ich für fatal.

Herr Innenminister Schünemann, ich will Ihnen zwar nichts unterstellen, wie Frau Flauger, und Sie nicht in die Nähe der McCarthy-Ära rücken. Aber es ist doch ziemlich eindeutig, dass hier eine Wiederbelebung der Rote-Socken-Kampagne ziemlich naheliegend ist.