An dieser Stelle möchte ich die bisher bestehenden Maßnahmen der Landesregierung ausdrücklich loben. Ich nenne die Familienhebammen, das Modellprojekt „Pro Kind“, die Familienbildungsstätten und die Erziehungslotsen. Alle diese Maßnahmen zielen darauf ab, orientiert am Wohl des Kindes die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken. Bei allen diesen Maßnahmen muss uns immer auch klar sein, dass der Eingriff des Staates in eine Familie einer besonderen Sorgfalt und Sensibilität unterliegen muss.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem vorliegenden Entschließungsantrag stellen wir die Weichen, um die bestehenden Maßnahmen weiter auszubauen und ein noch stärkeres, umfassendes Versorgungsnetz zu schaffen. Dieser gemeinsame Antrag der Regierungsfraktionen zielt darauf ab, die Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen und den Schutz der Kinder auf ein rechtliches Fundament zu stellen.
Auf dieser Basis wollen wir in Niedersachsen den Kinderschutz aufbauen. Wir wollen ein verbindliches Einladungswesen für Früherkennungsuntersuchungen, um Eltern, Jugendämter und Ärzte gleichermaßen in die Strukturen der Erkennung von Misshandlung und Verwahrlosung einzubinden. Wir wollen, dass kein Kind verloren geht.
Eine staatliche verordnete Pflichtuntersuchung lehnen wir ab. Dass Sie alle Eltern unter den Generalverdacht stellen, sich nicht selber um das Wohl ihrer Kinder zu kümmern, zeigt, dass Sie das Vertrauen in die Eltern aufgegeben haben, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD.
Die Hilfsangebote für effektiven Kinderschutz müssen frühestmöglich ansetzen. Bereits während der Schwangerschaft sollen die Eltern auf die bestehenden Angebote zurückgreifen können. Dazu gehören das Landesprogramm „Familien mit Zukunft“, „Pro Kind“, die Familienhebammen-Projekte, die Kinderschutz-Zentren und die Erziehungslotsen zur Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern. Wir wollen einen flächendeckenden Ausbau der Familienhebammen-Projekte der Stiftung „Eine Chance für Kinder“ erreichen, die Fortbildung zur Kinderschutzfachkraft bedarfsgerecht ausbauen und die Offensive zur Bekanntmachung der Beratungs- und Hilfsangebote nachhaltig unterstützen.
Die Vernetzung der lokalen Kinderhilfs- und -schutzinstitutionen mit den Behörden ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Baustein, um sicherzustellen, dass das Frühwarnsystem rechtzeitig anspringt.
Zu dem Ganzen gehört auch, die Schwelle abzusenken, ab der das Jugendamt das Familiengericht anrufen kann. Wir bitten die Landesregierung, dies zu prüfen; denn das ist ein buchstäblicher Beitrag zum Kinderschutz - und besser als Rechte, die keine praktischen Konsequenzen haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach Lesen der Protokolle bin ich schon über das verwundert, was die Sozialdemokraten in der Vergangenheit zu diesem Thema geäußert haben. Wieder einmal ist bei diesem wichtigen Thema der Sozial-, Familien- und Kinderschutzpolitik kein einheitlicher Kurs zu erkennen. Hier in Niedersachsen laufen Sie noch immer auf dem Irrweg der Zwangsuntersuchungen. Sie sollten sich ein Beispiel an Ihrem Parteichef Kurt Beck nehmen. Wenn ich sein Siebenpunkteprogramm für mehr Kinderschutz sehe, kommt es mir so vor, als habe er ein Praktikum bei unserer Sozialministerin absolviert.
Ein verbindliches Einladungswesen im Zusammenhang mit Früherkennungsuntersuchungen und eine Fortentwicklung der bereits bestehenden Maßnahmen sind die besseren Lösungen. Staatliche verordnete Pflichtuntersuchungen stellen alle Eltern unter Generalverdacht. Das wollen wir nicht. Wie ich bereits gesagt habe, vertrauen wir auf und glauben an die Eltern in Niedersachsen.
Sehr geehrter Herr Kollege Schwarz, aus dem Protokoll der 136. Plenarsitzung vom 14. Dezember 2007 darf ich zitieren, was Sie in der Debatte zum Kinderschutz in Niedersachsen gesagt haben, bevor Sie lebhaften Beifall Ihrer Fraktion bekommen haben:
Herr Schwarz, Sie können sich sicher sein, dass wir mit unserer bestätigten Mehrheit den in unserem Antrag beschriebenen besseren Weg zum
Meine Damen und Herren, als Nächste hat sich Frau Staudte von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Effektiver Kinderschutz braucht einen aktiven Staat, der Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt, aber auch seinen Schutzauftrag und sein Wächteramt wahrnimmt, wenn Eltern ihre Sorgepflicht nicht erfüllen. Wir müssen die Realität anerkennen, dass Familien nicht immer ein Hort der Harmonie und der Glückseligkeit sind, wie CDU und FDP lange geglaubt haben.
Ein Schritt zur Verbesserung des Kinderschutzes soll nun sein, die Teilnahmequote an den Früherkennungsuntersuchungen zu erhöhen. Rund 90 % der Eltern nutzen schon heute freiwillig das kostenlose Angebot der Untersuchungen beim Kinderarzt. Sorgen bereiten uns die 10 %, die wir bislang nicht erreichen.
Wir sprechen bei dem Antrag heute zwar nicht über verpflichtende Frühuntersuchungen und auch nicht über Zwangsuntersuchungen, wie Herr Focke es gerade nannte. Pflichtuntersuchungen hätten wir Grüne uns immer gewünscht. Aber ein verbindliches Einladewesen ist eigentlich fast dasselbe. Da gibt es wirklich nur marginale Unterschiede; denn das Elementare ist in beiden Fällen die Möglichkeit, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter oder der Gesundheitsämter zu Hausbesuchen kommen können, wenn auf wiederholte Einladungen keine Teilnahme an den Untersuchungen erfolgt.
Aber bei dem Thema „verbindliches Einladewesen“ gilt auch, wie fast immer: Ohne ein gesichertes Finanzierungskonzept geht es nicht! - In einigen Jugendämtern, wie z. B. auch bei uns in Lüneburg, gehören heute schon Überlastungsanzeigen der Mitarbeiter zum Alltag. Das kleine Saarland, das sich als erstes Bundesland zu Pflichtuntersuchungen entschied, war vorausschauend genug und hat zu diesem Zwecke 1,5 Millionen Euro zusätzlich für Personalkosten zur Verfügung gestellt. Doch wo sind in diesem Antrag von CDU und FDP
die finanziellen Zusagen für Landesmittel? Das würde ich gerne einmal wissen. Die Kommunen können die Personalkosten, die durch die zusätzlichen Hausbesuche entstehen werden, nicht allein schultern.
Es ist absolut richtig, dass die Kinderrechte in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden. Aber wir haben uns, wie vorgestern festgestellt, noch nicht auf eine Formulierung geeinigt. Insofern muss es natürlich unter Nr. 1 zunächst allgemein heißen: Ein Artikel zu Kinderrechten wird in die Landesverfassung aufgenommen. - Denn, wir brauchen, Herr Focke, wie Sie wissen, die Zweidrittelmehrheit.
Ob wir mit dem verbindlichen Einladewesen wirklich Erfolge erzielen werden, wird letztlich nur ein Praxistest zeigen. Einen Fehler dürfen wir allerdings nicht begehen, nämlich uns in falscher Sicherheit wiegen. Selbst wenn 100 % der Kinder die Frühuntersuchungen wahrnehmen werden, heißt das nicht, dass zwischen den Intervallen, die zum Teil länger als ein Jahr sind, keine Misshandlungen mehr stattfinden. Verbindliche Frühuntersuchungen sind wirklich nur ein Baustein im Gesamtkonzept Kinderschutz. Wo ist denn z. B. die finanzielle Landesförderung für Familienhebammen, die Sie so gerne loben und die auch in diesem Antrag erwähnt werden? Das Land zahlt bisher die Schulungen für Familienhebammen, aber an den laufenden Personalkosten beteiligt es sich immer noch nicht. Mit 1 Million Euro mehr im Haushalt an dieser Stelle könnten wir wirklich viele Lorbeeren ernten und die Situation von gefährdeten Kindern tatsächlich verbessern.
Auch muss die Ausbildung von Erziehern und Sozialarbeitern im diagnostischen Bereich verbessert werden. Das Gegenteil ist im Moment der Fall, wenn die Studiencurricula von Sozialarbeitern um die medizinischen Anteile geleichtert werden. Wir brauchen auch eine bessere Betreuungssituation in den Kindertagesstätten. Die Erzieherinnen haben bei Gruppengrößen von 25 Kindern schlichtweg nicht genug Zeit für Elterngespräche. Sprechen Sie einmal mit den Erzieherinnen, wie unglücklich sie mit ihrer Arbeitssituation sind, und beachten Sie bitte auch die Petition vom Bündnis für Kinder und Familien, die uns zurzeit vorliegt.
ersten Schritt für mehr Kinderrechte in Niedersachsen. Aber tun Sie uns wirklich einen Gefallen: Beenden Sie Ihre Politik der bloßen Ankündigungen! Stellen Sie nicht nur Entschließungsanträge! Entschließen Sie sich auch einmal zu etwas!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kinderschutz ist sicherlich eine sehr wichtige Angelegenheit und ein ganz wichtiges Anliegen für alle Menschen hier in Niedersachsen. Wir haben schon verschiedentlich darauf verwiesen, dass er früh genug anfangen muss. Das heißt, wir brauchen auf jeden Fall Angebote aufsuchender Sozialarbeit. Familienhebammen sind dafür ein hervorragendes Programm. Das gilt genauso für andere Programme, die wir in Niedersachsen haben und die Herr Focke in seiner ersten Rede - Glückwunsch! - auch alle aufgeführt hat.
Das ist es natürlich nicht allein. Es ist auch wichtig zu sehen, dass alle Kinder von den jeweiligen Untersuchungen erfasst werden. Es ist übrigens nicht so, dass 10 % nicht erfasst werden, wie Sie, Frau Staudte, gesagt haben. „10 % der Kinder“ - das ist von der U 8 an der Fall. Vorher erreichen wir wesentlich mehr Kinder, aber eben nicht alle. Das genau ist der Punkt. Es ist ganz wichtig, wirklich alle Kinder zu erreichen, egal aus welchem Elternhaus sie kommen. Man muss überlegen, wie man das hinbekommen kann.
Verpflichtende Untersuchungen lehnen wir ab, weil wir meinen, dass das nicht der richtige Weg ist. Außerdem muss man eindeutig Folgendes sagen: In Finnland ist die Wahrnehmung der Untersuchung freiwillig. Dort schicken 97 % der Eltern ihre Kinder zur Untersuchung. In Belgien ist die Unter
suchung verpflichtend, und dort sind es nur 96 %. Das zeigt, dass es das allein nicht ist. Wir müssen versuchen, an die Eltern zu appellieren - die meisten Eltern nehmen das Angebot auch wahr -, und überlegen, wie wir an die Kinder herankommen, die nicht von ihren Eltern gebracht werden. Das funktioniert über ein verbindliches Einladungswesen. Der Gesetzentwurf dazu wird mit Sicherheit bald kommen. Wir haben im letzten Jahr angekündigt, dass das in dieser Legislaturperiode vorgenommen wird. Das werden wir auch entsprechend tun.
Wir können auf niedersächsischer Ebene zusätzlich zu den Programmen, die wir schon vorher gefahren haben, verschiedene Maßnahmen einleiten, mit denen den Kindern geholfen werden kann. Eine Möglichkeit sind die Kinderrechte, die wir in der Verfassung verankern wollen. Ich wünsche mir sehr, dass wir es schaffen, mit einer Zweidrittelmehrheit eine sinnvolle Regelung zu finden. Das ging im letzten Jahr leider nicht mehr. Deshalb mussten wir in diesem Jahr einen Neuanfang starten.
Wir können außerdem in Niedersachsen alle Programme aufsuchender Sozialarbeit, die ich teilweise schon erwähnt hatte, unterstützen. Auch das wollen wir tun. Es ist natürlich auch wichtig, sich auf Bundesebene einzusetzen. Das haben wir auch vor. Zwei unserer Punkte betreffen die Bundesebene. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat leider die Ausweitung der Kriterien für die Vorsorgeuntersuchungen und die Verkürzung der Intervalle abgelehnt. Kürzere Intervalle sind wirklich sehr wichtig, weil wir z. B. für Kinder im Alter von drei Jahren keine Untersuchung haben. Es wäre eigentlich sinnvoll, eine Untersuchung für Kinder im Alter von drei Jahren - Kindergarteneinstiegsalter - zu haben, die ähnlich wie die Schuleingangsuntersuchung wirklich alle Kinder erfasst, in der die Kinder untersucht werden und in der auch der Sprachstand festgestellt wird.
(Beifall bei den GRÜNEN Ich stelle mir vor, dass wir so etwas in Zukunft erreichen können. Aber das ist Zukunftsmusik. Der Bundesausschuss muss sich also bewegen. Wir werden dranbleiben. Unsere Ministerin wird sicherlich darauf hinwirken, dass eine Veränderung eintritt. Das andere betrifft die familiengerichtlichen Mög- lichkeiten zum Einschreiten. Wir wollen in § 1666 BGB die Möglichkeit schaffen, dass das Jugend- amt niedrigschwelliger das Familiengericht anrufen kann. Wir haben von allen, die in der Praxis tätig sind, gehört, dass das entscheidend helfen könnte, zum Wohle der Kinder einzugreifen. Wir haben also vor, zusätzlich zu dem, was wir jetzt schon tun, ein Bündel von Maßnahmen, die wir mit die- sem Antrag beschreiben, umzusetzen. Da vieles der anderen Fraktionen in eine ähnliche Richtung ging, können Sie dem eigentlich nur zustimmen. (Beifall bei der FDP und bei der CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es gut, dass Sie, Herr Kollege Focke, zukünftig in der Sozialpolitik arbeiten und als Vorbereitung meine Parlamentsreden lesen.