Protokoll der Sitzung vom 30.04.2010

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Wenzel, bei allem persönlichen Respekt, den ich vor Ihnen habe, wenn wir draußen Kaffee trinken, muss ich hier sagen: Wenn Frau Korter hierher kommt, kommt sie jeweils mit einem Tunnelblick hierher. Alles muss kritisiert werden, auch wenn etwas noch so gut ist. Versuchen Sie doch einmal, eine einheitliche Linie in Ihre Schulpolitik hineinzubekommen, damit wir wissen, was Sie eigentlich wirklich wollen! In der bisherigen Weise können wir jedenfalls nicht auf einer sachlichen Ebene miteinander diskutieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich bedanke mich bei Herrn Klare ausdrücklich dafür, dass er seine Zeitvorgabe eingehalten hat. Jetzt hat Frau Korter zu einer Kurzintervention das Wort. Dann haben wir die eingesparte Zeit wieder verbraucht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Klare, es ist schade, dass Herr Kollege von Danwitz nicht zu diesem Punkt gesprochen hat. Er ist nämlich der Einzige, der, wie ich glaube, bei Ihnen etwas von beruflicher Bildung versteht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sind schon sehr lange im Landtag und wollen mir hier trotzdem etwas über den Unterschied zwischen Berufsorientierung und Ausbildung erzählen. Ich meine, Sie hätten die Ausführungen wirklich Herrn von Danwitz überlassen sollen; denn er kennt den Unterschied.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! 15 000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch werden laut Polizeistatistik in Deutschland im Jahr angezeigt. Die „Dunkelfeld“-Schätzungen gehen noch weit darüber hinaus. Man geht davon aus, dass jährlich 70 000 Kinder Opfer sexueller Übergriffe werden. Statistisch gesehen bedeutet das, dass ein solches Vergehen alle siebeneinhalb Minuten auftritt. Drei Viertel dieser Fälle werden sogar im eigenen Familien- und Bekanntenkreis begangen. Dort nutzen Täter in schändlichster Weise das bestehende Vertrauens- oder Machtverhältnis aus.

Ihre Maßnahmen beinhalten Ausbildungsanteile. Es gibt viele gute Maßnahmen zur Berufsorientierung in der Hauptschule. Wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich das vorhin auch gesagt habe.

Sie gehen aber nicht systematisch vor. Auch an den Hauptschulen und vor allen Dingen an den Gymnasien gehen Sie nicht systematisch vor. Das haben wir in unserem Antrag zum Ausdruck gebracht. Schauen Sie sich ihn doch einfach einmal an, statt nur die Überschrift zu lesen und sich bei Ihren Ausführungen dann zu vergaloppieren!

Doch nicht alle dieser Täter sind Pädophile. Gerade im Familienkreis ist Missbrauch an Kindern oft eine Art Ersatzhandlung. Laut WHO-Definition sind Pädophile diejenigen, die auf vorpubertäre Kinder gerichtete sexuelle Neigungen verspüren. Neigungen verspüren heißt nicht, dass sie zwangsläufig entsprechend handeln müssen. Etliche dieser Pädophilen befinden sich in einem inneren Kampf zwischen Neigung und Verlangen auf der einen Seite und Schuldgefühlen und Gewissen auf der anderen Seite. Doch dieser innere Kampf wird leider, wie wir wissen, nicht immer gewonnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weder Herr Klare noch Herr von Danwitz möchten antworten.

Wir kommen dann zur Abstimmung.

Herr Mindermann hat beantragt, die Anträge zusätzlich dem Europaausschuss zu überweisen. Eigentlich sollte einen entsprechenden Beschluss jeweils der federführende Ausschuss fassen. Wenn es keinen Widerspruch gibt, stelle ich diese Überweisungsempfehlung jetzt aber mit zur Abstimmung.

Wie verbreitet Pädophilie letztendlich ist, lässt sich nicht genau sagen. Die Berliner Männer-Studie II geht davon aus, dass ca. 1 % aller Männer pädophil ist, und zwar völlig unabhängig vom sozialen Status. Es bleibt auch zu befürchten, dass gerade Pädophile durch ihre Berufswahl und ihr Freizeitverhalten ganz bewusst die Nähe zu Kindern suchen. Erzieher, Lehrer, Geistliche, Ehrenamtliche in Sportverbänden oder Kirchengemeinden, keine Gruppe ist ausgenommen. Eine schärfere Kontrolle ist hier absolut notwendig, wie z. B. die Forderung und die Diskussion um das erweiterte Führungszeugnis zeigen, was Frau Korter durch ihre Anfrage angestoßen hat.

Wer dafür stimmen möchte, den Kultusausschuss, den Ausschuss für Haushalt und Finanzen und den Europaausschuss mit der Behandlung der beiden Anträge zu beauftragen, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf:

(Zustimmung bei den GRÜNEN) Erste Beratung: Sexuellen Missbrauch an Kindern verhindern - Charité-Präventionsprojekt „Dunkelfeld“ als einen Baustein in der Präventionsarbeit auch in Niedersachsen etablieren - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2416

Was machen wir aber mit den unbekannten, den noch nicht straffällig gewordenen Pädophilen? Wie erreichen wir sie? - 1 % aller Männer: Das bedeutet, in Niedersachsen sind ca. 20 000 Männer betroffen. Hier setzt das Berliner Projekt Dunkelfeld der Charité-Uniklinik an, das wir mit unserem Antrag auch hier in Niedersachsen einführen wollen. Zur Einbringung des Antrages hat sich Frau Staudte von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Dort können sich Männer freiwillig einer Diagnose und einer kostenlosen Therapie und Behandlung

unterziehen. Dazu - das möchte ich betonen - gehört ausdrücklich auch die medikamentöse Behandlung.

Ich selbst war vor den Osterferien dort und habe mir von dem Forschungsleiter Dr. Dr. Beier berichten lassen, wie die Erfolge und Erfahrungen aussehen. Meldet sich dort überhaupt jemand freiwillig und bekennt zumindest einem Arzt gegenüber seine Präferenzstörung? - Er hat berichtet, dass sich seit dem Jahr 2005 dort 800 Männer freiwillig gemeldet haben, 800 größtenteils nicht justizbekannte Pädophile, die freiwillig Therapie und Behandlung suchen. - Das sind Zahlen, die so wohl niemand erwartet hat.

Frau Kollegin, gestatten Sie - - -

Nein, im Moment nicht.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ich ziehe zurück!)

Sie zieht zurück.

Einige dieser Interessenten, so wurde mir berichtet, kamen aus Niedersachsen. Doch nur 150 der 800 Männer, die sich dort gemeldet haben, konnten eine Therapie beginnen; denn es gibt Wartelisten.

Wartelisten! Das muss man sich einmal vorstellen! Wir richten runde Tische ein, sind alle sehr betroffen und suchen nach den richtigen Möglichkeiten, tätig zu werden, um sexuellen Missbrauch einzudämmen - und dann gibt es Wartelisten für diejenigen Gefährder, die sich sogar freiwillig melden. Wir wollen, dass sich das in Niedersachsen zumindest in der nächsten Zeit ändert.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Denn gerade aus dem Flächenland Niedersachsen können viele keine Therapie beginnen, weil die wöchentlichen Sitzungen in Berlin wegen der langen und weiten Anfahrt zeitlich oder finanziell nicht zu realisieren sind. Das Beratungsangebot in Berlin ist zwar kostenlos für diejenigen, die dorthin gehen - die Projektkosten tragen der Bund und auch die Hannoveraner Volkswagenstiftung -, die Fahrtkosten werden allerdings von den Kranken

kassen nicht bezahlt. Das ist ein Umstand, den wir sehr deutlich kritisieren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Deswegen wollen wir, dass auch in Niedersachsen, z. B. an der Medizinischen Hochschule Hannover, ein solches Projekt finanziert und realisiert wird.

Kiel hat seit einem Jahr ein entsprechendes Programm, und auch Bayern plant in Regensburg eine Behandlungs- und Beratungsstelle. Niedersachsen darf diese kleine Chance, Missbrauch einzudämmen, wirklich nicht ungenutzt lassen; denn - das möchte ich betonen - Täterarbeit ist aktiver Opferschutz!

(Beifall bei den GRÜNEN - Roland Riese [FDP]: Das ist keine Täterar- beit! Das ist Prävention!)

Wir Grünen haben schon länger auf dieses Projekt hingewiesen. Herr Briese hat in der letzten Wahlperiode, im Jahr 2007, schon eine Anfrage an die Landesregierung gestellt, wie sie zu dem Projekt steht.

Ich hatte im Sozialausschuss vor fast einem Jahr eine Unterrichtung dazu beantragt, doch geschehen ist nichts. Uns wurde lediglich gesagt, man beobachte das Projekt in Berlin mit Interesse, die Erfolge seien jedoch noch nicht belegt, außerdem gebe es auch noch Haushaltsaspekte zu berücksichtigen.

Da frage ich mich wirklich: Dort haben sich schon 800 Leute freiwillig gemeldet. Wie kann man dann davon reden, dass die Erfolge nicht belegt sind?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Außerdem können wir doch nicht annehmen, dass die dortigen Therapien mit noch nicht straffällig Gewordenen weniger erfolgreich wären als das, was wir an Forensiken im Maßregelvollzug anordnen und durchführen.

Wir sind der Auffassung, dass jetzt die Zeit gekommen ist, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Das Ausmaß des Kindesmissbrauchs, gerade in öffentlichen Einrichtungen, hat doch in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass wir hier ganz dringend handeln müssen. Ich hoffe, dass wir jetzt endlich auf offene Ohren stoßen und auch in Niedersachsen unseren Teil dazu beitragen können,

dass Kindesmissbrauch zumindest eingedämmt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich möchte an dieser Stelle betonen: Wir wissen, dass die Umsetzung dieses einen Projektes nur ein einzelner Baustein im Kampf gegen Kindesmissbrauch sein kann. Dieser Antrag erhebt ganz ausdrücklich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, auch wenn wir den Aspekt der Beratungsstellen für Opfer mit aufgenommen haben. Es wird, wenn das Projekt umgesetzt wird, auch nur eine Teilgruppe potenzieller Täter erreicht werden, nämlich diejenigen, die sich freiwillig melden. Aber ich bin mir 100-prozentig sicher - das versichere ich Ihnen nachdrücklich -, dass wir sehr viele Kinder vor schrecklichen Schicksalsschlägen bewahren können, wenn dieses Projekt hier in Niedersachsen realisiert wird.

Wir bitten um eine entsprechende Beratung im Ausschuss und Zustimmung.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Prüssner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es eben gehört: Sexuellen Missbrauch an Kindern verhindern - das ist ein Thema von hoher inhaltlicher und auch medialer Komplexität. Missbrauch und Gewalt: Wo hört das eine auf, wo fängt das andere an? Sind die Themen zu trennen? Oder geht das gar nicht? - Man könnte die Liste der Fragen zu diesem Themenkomplex sicherlich beliebig verlängern.

Wenn es dann noch um Kinder und Jugendliche geht, werden die Probleme und wird die Menge der Fragen immer größer. Dazu kommt noch, dass keiner der Missbrauchten mit dem Offenlegen solcher ungeheuerlicher Tatsachen der Erste sein will.

Zusätzlich sind die Scham der Betroffenen zu beachten, weil viele die Schuld bei sich selbst suchen, und die verständliche Zurückhaltung der Opfer, wenn zu hören ist, dass diese Menschen oftmals nicht einmal in ihrer eigenen Familie einen Rückhalt finden. Zudem werden sie noch häufig