Protokoll der Sitzung vom 30.04.2010

Zusätzlich sind die Scham der Betroffenen zu beachten, weil viele die Schuld bei sich selbst suchen, und die verständliche Zurückhaltung der Opfer, wenn zu hören ist, dass diese Menschen oftmals nicht einmal in ihrer eigenen Familie einen Rückhalt finden. Zudem werden sie noch häufig

der Unglaubwürdigkeit und sogar der Lüge bezichtigt, gerade wenn es Kinder sind, kleine Kinder.

Die Zurückhaltung bei den Betroffenen ist daher nur verständlich. Doch wenn erst einmal - wir haben es jetzt gerade erfahren - einer oder eine den Anfang gemacht hat, trauen sich weitere, sich zu offenbaren. Doch die Zeit muss eben reif sein. Ich denke, dass es nun so weit ist.

Meine Damen und Herren, es ist gut, dass wir anfangen, uns auch mit der Vorbeugung vor sexuellem Missbrauch zu beschäftigen; denn es bleibt sicherlich unwidersprochen, dass die Prävention das beste und sinnvollste Mittel ist, Übergriffen und Straftaten in diesem Rahmen zu begegnen,

(Beifall bei der CDU sowie Zustim- mung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

zumal Vorbeugung auch von sozialer und ökonomischer Bedeutung ist.

Am 23. April dieses Jahres - wir alle wissen das - tagte erstmals der runde Tisch der Bundesregierung gegen Kindesmissbrauch. Es ist gut, dass der runde Tisch, den die drei Bundesministerien für Familie, Justiz und Bildung einberufen haben, nun zusammenkommt und für eine Diskussion sorgt; denn nur eine offene Diskussion unter Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Politikbereiche kann helfen, wirksame und eben auch präventive Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch zu beschließen.

(Beifall bei der CDU)

Aber Missbrauch geht eben uns alle an. Unsere Gesellschaft, also auch wir, müssen Kinder und Jugendliche stark machen. Sie haben genauso einen Anspruch auf die Respektierung ihrer Intimsphäre wie Erwachsene. Dazu gehört, dass wir sie ernst nehmen und mehr Achtsamkeit für das entwickeln, was Kinder und Jugendliche auch in versteckten Botschaften mitteilen möchten. Nur so können wir reagieren, wenn sie schlimme Erfahrungen mit Missbrauch gemacht haben, und weitere Übergriffe verhindern.

Wenn wir heute in diesem Haus auch über Prävention reden, dann geht es primär um die denkbaren und potenziellen Täter und damit um das Verhindern solcher scheußlichen Verbrechen.

Das Präventionsprojekt „Dunkelfeld“ der Berliner Charité - wir haben es eben gehört - ist in diesem Zusammenhang ein sehr interessanter und vielversprechender Ansatz. Im Rahmen dieses For

schungsprojekts zur Prävention vor sexuellem Kindesmissbrauch im Dunkelfeld finden seit Juni 2005 solche Männer therapeutische Unterstützung, die auf Kinder gerichtete sexuelle Phantasien haben, aber keine Übergriffe begehen wollen, die also sozusagen Angst vor sich selbst haben.

Ich finde aber, dass Zurückhaltung an dieser Stelle absolut fehl am Platze ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Projekt gibt es seit 2005. Die derzeitige Justizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, lobt dieses Projekt bei jeder Gelegenheit. Dieses Projekt wird aus ihrem Ressort mitfinanziert. Bereits im Oktober 2008 hat Frau Zypries die Länder aufgefordert, dieses Projekt auch in den Ländern umzusetzen. Die Charité sagt: Das wäre für uns keine Konkurrenz. Es gibt einen sehr großen Bedarf. Bitte macht vor Ort Angebote!

Das übergeordnete Ziel dieses Projekts ist die Senkung der Häufigkeit sexueller Übergriffe auf Kinder durch die Etablierung qualifizierter, präventiver ambulanter Therapieangebote für potenzielle und reale Dunkelfeldtäter. Ziel dieses Projekts ist auch die Reduktion von Schwellenängsten der Betroffenen bezüglich der Inanspruchnahme solcher Behandlungsmöglichkeiten. Ich finde, wir sollten nicht zu viel Zeit im Ausschuss verschwenden, indem wir Arbeitsgruppen und runde Tische einrichten und ewig diskutieren. Es gibt die Möglichkeit, hier ganz konkret zu helfen, und das sollten wir auch tun.

Ob und wie wir allerdings - wie im Antrag der Grünen gefordert - auch in Niedersachsen ein solches Präventionsprojekt einrichten sollten, das bleibt natürlich noch zu diskutieren. Lassen Sie uns im Ausschuss auch über die Möglichkeiten nachdenken, die uns zur Verfügung stehen, um gegen sexuellen Missbrauch von Kindern vorzugehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie haben vorhin davon gesprochen, dass sich 800 Männer gemeldet haben. Das ist schon einmal ein großer Erfolg. Über den Erfolg der Therapie wissen wir aber noch sehr wenig. Seit dem Sommer 2009 liegen die Ergebnisse der Charité vor. Auch darin wird aufgezeigt, dass es schwer nachzuweisen ist, ob diese Therapien tatsächlich Erfolg haben. Lassen Sie uns im Ausschuss noch einmal darüber diskutieren!

Frau Prüssner, möchten Sie erwidern? - Nein. - Nächster Redner ist Herr Riese von der FDPFraktion.

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Grünen - ich sage es gleich - enthält viel Gutes. Es gibt einen Beschluss des diesjährigen Landesparteitags der FDP, der etwas Ähnliches fordert, nämlich dass wir zu solchen Beratungsstellen kommen.

Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Vielmehr sollten wir von anderen lernen, deren Wissen und Erfahrungen nutzen und bei diesem europäischen und weltweiten Problem ein hohes Maß an Zusammenarbeit anstreben; denn der Schutz jedes Kindes - darin sind wir uns alle einig -, das wir hier bei uns oder sonst irgendwo auf der Welt vor solchen Übergriffen und Verbrechen schützen, ist ein großer Erfolg.

Gleichwohl geht es nicht ganz so flott, wie es Frau Staudte vorgetragen hat, schon allein deshalb, weil sie - wie das so manchmal geschieht, wenn das Herz überfließt - ein nicht so ganz gutes Verhältnis zu Zahlen hat.

Verehrte Frau Staudte, wenn es stimmt, dass wir an eine Gruppe von 20 000 Männern in Niedersachsen denken müssen, die unter Umständen eine Zielgruppe darstellt, dann kommen wir mit den 80 000 Euro, die Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen im Dezember vergangenen Jahres beantragt haben, nicht besonders weit. Diese Mittel würden gerade einmal dazu reichen, jedem dieser Männer - wenn man denn weiß, um welche Männer es sich handelt - eine Postkarte zu schreiben. Damit kommen wir inhaltlich natürlich nicht weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Staudte hat den Wunsch geäußert, eine Kurzintervention zu machen. Frau Staudte, bitte!

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Prüssner, ich begrüße es, dass Sie dem Projekt offen gegenüberstehen. (Unruhe)

Herr Riese, vielleicht warten Sie einen Moment. - Meine Damen und Herren, ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, Herrn Riese zuzuhören. Ich finde, das ist ein Thema, das alle angeht. - Herr Riese, bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren, wir müssen erst einmal herausfinden, welchen Sach- und Fachverstand wir im Land Niedersachsen überhaupt schon haben. Es geht nicht darum, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr geht es darum, die Kenntnisse und die Fähigkeiten, die in Berlin entwickelt worden sind, uns dienstbar zu machen. Wir müssen in Ruhe miteinander erörtern, ob zusätzliche Kräfte erforderlich sind oder ob die Therapeuten, Behandler und Betreuer präventiv tätig werden können, die bereits jetzt mit denen arbeiten, die wir jetzt schon als Täter identifizieren können, weil sie straffällig geworden sind.

Kein Zweifel kann daran bestehen - das haben die beiden Vorrednerinnen bereits ausgeführt -, dass eine Prävention, die Straftaten im Vorhinein verhindert, sehr begrüßenswert ist. In der Unterrichtung, die im Juni 2009 im Fachausschuss des Landtags stattgefunden hat, ist deutlich geworden, dass man sich auch sehr schnell im Bereich des Justizressorts befinden könnte, wenn man die Überschrift „Prävention“ wählt. Dessen Kenntnisse müssen wir in die Beratung also auf jeden Fall einbeziehen.

Wir werden das Thema sehr offen und so konzis, wie es die Fülle der Aspekte zulässt, in den Fraktionen erörtern. Ich bin der Ansicht, dass wir zu einer Lösung kommen müssen, sage aber auch sehr deutlich: Was bereits an Kenntnissen und Fähigkeiten in Niedersachsen vorhanden ist, muss identifiziert und dieser wichtigen Aufgabe geöffnet werden.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion der SPD spricht nun Frau Tiemann. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Denn man stirbt daran jahrzehntelang.“ Das schrieb im Netzwerk für sexuell missbrauchte

Menschen eine Frau namens Hildegard am 25. April 2010. Wenn man auf diesen Seiten weiterliest, werden einem die Seele und das Herz schwer. Dabei haben sich in mir zwei unterschiedliche Gefühle aufgebaut: tiefes Mitgefühl für die Opfer und Unverständnis und Wut auf die Täter. Dem Schutz der Opfer gehört die oberste Priorität, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall)

Besonders wichtig ist der Schutz von Kindern; denn sie werden in den überwiegenden Fällen zu diesen Opfern. Zum Schutz gehört eine gute und intensive Präventionsarbeit für potenzielle Opfer - Kinder-stark-machen-Programme - und für potenzielle Täter.

Die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag geforderte Präventionsarbeit wird von uns grenzenlos unterstützt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich möchte zuerst auf den zweiten Punkt des Antrags eingehen. Es geht dort um die Sicherstellung von Beratungseinrichtungen. Wir haben in Niedersachsen Beratungsstellen, aber es sind zu wenige. Die bereits vorhandenen Beratungsstellen sind mit der Vielfältigkeit der Aufgaben in den Bereichen Opferberatung und Begleitung sowie in dem großen Feld der Prävention wirklich überfordert.

Nehmen wir beispielsweise die Beratungsstelle in meinem Landkreis! Im Landkreis Stade gibt es von der AWO eine Beratungsstelle mit dem Namen Lichtblick. Diese Beratungsstelle muss Jahr für Jahr um ihren Fortbestand bangen. Diese Stelle wird nämlich nur zum Teil vom Land unterstützt, und das Geld reicht angesichts der Vielfalt der Aufgaben nicht aus.

Jede Kommune in meinem Landkreis wird jedes Jahr um finanzielle Unterstützung gebeten. Über die desolate Finanzlage der Kommunen muss ich an dieser Stelle wohl nicht sprechen. Aber wenn die Landesregierung die Opfer nicht alleinlassen will und unsere Kinder nicht zu Opfern werden lassen möchte, dann ist auch an dieser Stelle ein schnelles Handeln angebracht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

An dieser Stelle möchte ich noch auf einen weiteren Punkt, der unbedingt in die Beratungen einfließen sollte, eingehen: auf die Versorgung der Opfer.

Aus Erfahrungsberichten der Beratungsstellen und der Betroffenen wird sehr deutlich, dass es hier auch noch mehr Verbesserungen geben muss. Die genehmigten Behandlungszeiten sind für viele Betroffene viel zu kurz, die Fachkliniken sind überbelegt, und es herrscht eine Wartezeit, die Monate überschreitet.

Gleichzeitig wird in den Beratungsstellen noch deutlicher gemacht, dass der Begleitungszeitraum für die Opfer schnell verändert werden muss. Gerade die Begleitung der Opfer - sei es zur Polizei, sei es zu therapeutischen Einrichtungen - ist ein sehr wichtiges Element der Betreuung. Aber den Beratungsstellen fehlt Personal, weil einfach zu wenig Geld zur Verfügung steht. Beratungsstellen dürfen nicht zu Bittstellern werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nun zu Punkt I, zu dem Präventionsprojekt Dunkelfeld. In diesem Programm geht es darum - ich glaube, das wurde von den Vorrednerinnen und Vorrednern schon deutlich gemacht -, potenziellen Tätern, die befürchten, die Kontrolle über ihre Impulse zu verlieren, therapeutisch zu helfen. Die Aussage von Professor Dr. Dr. Beier, des Projektleiters, dass sich auch Männer aus Niedersachsen gemeldet haben, muss - muss! - Grund genug sein, hier in Niedersachsen dieses Projekt etablieren zu wollen.

Die klinischen Erfahrungen der forensischen Sexualmedizin zeigen, dass rechtskräftig verurteilte Sexualtäter für therapeutische Angebote schwerer zugänglich sind. Weiter gehen die Experten davon aus, dass sich weder die Nachfrage noch der vorausgegangene sexuelle Missbrauch über diese Maßnahme eindämmen lässt. Umso wichtiger, meine Damen und Herren, wird die Unterstützung dieses Präventionsansatzes, der sich an selbst motivierte, an Hilfe suchende Männer wendet. Es ergänzt die Möglichkeit - so die Fachleute - auf Reduktion der Nachfrage nach Kinderpornografie, und gleichzeitig senkt der Ansatz die Wahrscheinlichkeit, dass betroffene pädophile Männer Kinder selbst missbrauchen, da hier darauf abgezielt wird, dass diese Männer die Verhaltenskontrolle über ihre Impulse lernen oder sie medikamentös zu unterdrücken.