Protokoll der Sitzung vom 30.04.2010

Herr Rösler ist allerdings bei Weitem nicht nur Opfer seiner parteipolitischen Ideologie, sondern er bedient mit einer bisher noch nie dagewesenen Dreistigkeit knallhart die Klientel, die die FDP bei der letzten Bundestagswahl besonders unterstützt hat. Die PKV bedankt sich schon einmal mit Sonderkonditionen für FDP-Mitglieder, und der bisherige Vizepräsident des PKV-Verbandes erhält das politische Schlüsselressort im Gesundheitsministerium.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ein Gesundheitssystem, das über Steuern finanziert wird, ist abhängig von der Finanzlage des Staates. Mit jeder Haushaltsberatung wird darüber entschieden, wie viel Geld der Staat im nächsten Jahr für Kopfpauschalen zur Verfügung stellt. Gleichzeitig werden bis zu 40 Millionen Bundesbürger zu Bittstellern und Empfängern von zusätzlichen Sozialleistungen des Staates und müssen alle Einkommens- und Familienverhältnisse offenlegen. Dazu ist der Aufbau einer neuen gigantischen Verwaltungsbürokratie notwendig - übrigens ausgerechnet von den selbsternannten Verwaltungsmodernisierern und -reformern.

Meine Damen und Herren, wir setzen dem die Weiterentwicklung unserer solidarischen Krankenversicherung hin zur Bürgerversicherung entgegen. Wir wollen, dass das Gesundheitssystem wieder voll paritätisch finanziert wird, ohne einseitige Zusatzbeiträge.

(Glocke der Präsidentin)

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Tja!)

Alle sollen nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit ohne einschränkende Beitragsbemessungsgrenzen zahlen.

Das Verfahren an sich ist aber völlig unangemessen und für die Betroffenen absolut entwürdigend.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, am 9. Mai geht es in Nordrhein-Westfalen nicht nur um die Landtagswahl.

Die Wirkung kann man übrigens in der Schweiz beobachten. Die Schweiz hat sich zwischenzeitlich zum Land mit dem zweitteuersten Gesundheitssystem der Welt vorgearbeitet. 50 % der Bürgerinnen und Bürger sind abhängig von Transferleistungen. Vizepräsidentin Astrid Vockert:

Letzter Satz! CDU und FDP planen mit ihren Vorstellungen das vollständige Ende der solidarischen Krankenversicherung: Einfrierung des Arbeitgeberbeitrages - die Versicherten werden zukünftig alle Kostensteigerungen alleine tragen -, keine echte KostenNutzen-Analyse mehr, Einschränkung der Kontrolle der Pharmaindustrie. Der bisherige Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit wurde kurzerhand gefeuert. Das Sachleistungsprinzip wird abgeschafft, Patienten zahlen die Rechnung direkt und müssen später mit ihren Kassen abrechnen. Die medizinische Notwendigkeit wird so nicht mehr festgestellt. Die Patienten bleiben auf den Mehrkosten sitzen. Versicherte erhalten Basistarife, alles andere müssen sie durch private Zusatzversicherungen abdecken. Herzlichen Glückwunsch, PKV!

Vielen Dank. - Die Wahl in Nordrhein-Westfalen ist eine Schlüsselwahl für den Fortbestand unseres bewährten solidarischen Gesundheitssystems. Dafür werden wir mit Nachdruck kämpfen, weil wir wissen, dass es sich lohnt und die Menschen das wollen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Schwarz. - Der Ordnung halber möchte ich Sie darauf hinweisen, hier nicht solche Formulierungen wie am Anfang Ihrer Rede zu verwenden. Wir reden im Landtag, wir sprechen, wir diskutieren, wir debattieren - ich möchte das Wort nicht wiederholen. Im Bundestag ist dieses Wort übrigens einen Ordnungsruf wert.

Wohin das führt, kann man in den Vereinigten Staaten sehen, wo 50 Millionen Menschen keinen ausreichenden Versicherungsschutz haben. Das ist nicht das Ziel unserer Gesundheitspolitik; das sage ich Ihnen ganz deutlich.

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Lammerskitten.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Vor diesem Hintergrund erweist sich auch eine zweite Behauptung aus dem SPD-Antrag als unwahr, nämlich die von dem angeblichen Angriff der Bundesregierung auf das solidarische Gesundheitssystem. Wir wollen keinen Totalumbau des heutigen Systems, sondern, wie gerade dargelegt, eine schrittweise gesunde Entwicklung. In diesem Sinne soll es auch dabei bleiben, dass Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen für Ehepartner ohne eigenes Einkommen und für Kinder keine Beiträge zahlen. Auch dies zeigt, dass wir keinen Beitrag pro Kopf und damit auch keine Kopfpauschale wollen. Genauso wenig zutreffend wie die Mär von der Kopfpauschale erweist sich die von der SPD auch in diesem Antrag erhobene Klage, die Union wolle jene Versicherten, denen künftig der Sozialausgleich zugute kommen soll, zu Bittstellern degradieren. Eine solche Bemerkung mag dazu taugen, Angst zu schüren; richtig ist sie trotzdem nicht.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Gerecht, leistungsfähig, krisenfest - mit diesen Worten haben die Kolleginnen und Kollegen von der SPD ihren Antrag überschrieben. Gegen diese Worte kann erst einmal niemand etwas haben. Wir in der CDU jedenfalls wollen genau das: ein gerechtes, leistungsfähiges, krisenfestes Gesundheitssystem.

(Zustimmung bei der CDU)

Aber in dem Punkt hören die Gemeinsamkeiten auch schon wieder auf. Auf den Antrag der SPDFraktion kann es aus unserer Sicht keine andere Reaktion als eine klare Ablehnung geben, da der Antrag von falschen Annahmen und Behauptungen ausgeht, die einer näheren Überprüfung nicht standhalten.

(Zuruf von der SPD: Was?)

(Beifall bei der CDU) Das fängt schon bei dem Stichwort „Kopfpauschale“ an. Ich verstehe ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie dieses Wort immer wieder gerne verwenden. Denn es klingt so schön ungerecht Wir wollen den Sozialausgleich so unbürokratisch wie möglich, also weitestgehend automatisch organisieren. Einem antragsbasierten Sozialausgleich mit millionenfacher zusätzlicher Einkommensprüfung werden wir als CDU nicht zustimmen. Niemand muss also bitten und betteln. (Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das ist es ja auch!)

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Wie soll es denn anders gehen?)

und eignet sich insofern hervorragend, um die Menschen zu mobilisieren. Für den Sachverhalt zutreffender wird das Wort jedoch auch durch den wiederholten Gebrauch nicht. Wir wollen keine Kopfpauschale. Wir wollen einen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, der deren Angebote und Leistungen verbessert, und zwar zum Wohle eines mündigen Versicherten, der einen Zusammenhang zwischen seinem Beitrag und der Leistung der Kasse herstellen kann und auf dieser Grundlage frei wählen kann, welche die richtige Kasse für ihn selbst und seine Familie ist.

Lassen Sie mich exemplarisch eine weitere von der Opposition in Bund und Land gern angeführte Behauptung widerlegen. Es wird gesagt, das von der Union angestrebte Gesundheitsmodell sei nicht finanzierbar; erst recht nicht, so heißt es, in der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation. Tatsache ist: Die Union ist sich der Haushaltslage des Bundes nur zu bewusst. Für uns wird die im Mai anstehende Steuerschätzung eine maßgebliche Rolle spielen, wenn es darum geht, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung neu zu regeln. Voraussetzung ist dabei, dass weder die Bürgerinnen und Bürger noch der Bundeshaushalt durch diese Neugestaltung überfordert werden dürfen.

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Dies zu beurteilen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, trauen wir von der CDU den Bürgerinnen und Bürgern durchaus zu. Um diesen Wettbewerb zu ermöglichen, wollen wir schrittweise von den prozentualen einkommensabhängigen Beitragssätzen zu einkommensunabhängigen Beiträgen gelangen, die mit einem automatischen Sozialausgleich verbunden sind. Diesen Umstieg werden wir nach und nach aus den heutigen Zusatzbeiträgen entwickeln.

(Beifall bei der CDU)

Ein Letztes: Die SPD fordert auch in dem vorliegenden Antrag die Bürgerversicherung. Das klingt zunächst einmal populär. Wir warten allerdings schon seit Jahren vergeblich auf ein solide durchgerechnetes Konzept der SPD für diese Versicherung. Wo soll z. B. die Beitragsbemessungsgrenze

liegen? Sollen Zinsen, Kapitaleinkünfte und Mieten mit verbeitragt werden? Zu diesen Fragen hat sich die SPD auch nach jahrelanger Diskussion noch nicht konkret geäußert.

(Norbert Böhlke [CDU]: So ist es!)

So populär das Wort auch klingt, in einer Bürgerversicherung müssten tatsächlich einmal mehr die Facharbeiter und die Angestellten mit mittlerem Einkommen den Löwenanteil der Last tragen. Ich sage ganz klar: Dies wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen die Last auf mehr Schultern verteilen, indem wir den Ausgleich schrittweise auf das Steuersystem umstellen. So und nur so wird der soziale Ausgleich über das Steuersystem alle einbeziehen, eben gerade auch die Gutverdienenden und die Privatversicherten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte ich mehr Zeit, könnte ich weitere unsachliche Argumente, die immer wieder gegen die gesundheitspolitischen Pläne der CDU angeführt werden, benennen und widerlegen. Wichtiger aber erscheint es mir, unsere Zeit nicht in Unsachlichkeiten oder, schlimmer noch, in Verunsicherung der Versicherten, sondern in eine konstruktive und gerechte Gesundheitspolitik mit Augenmaß zu investieren. Wer das will, dem kann zu dem vorliegenden Antrag nur eines einfallen: ein klares Nein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Lammerskitten. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Helmhold das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das bisherige System der solidarischen Krankenversicherung bedeutet ja nicht nur, dass die Jungen für die Alten einstehen und die Gesunden solidarisch für die Behandlungskosten der Kranken aufkommen. Es bedeutet eben auch, dass die Einkommensstarken stärker als die Einkommensschwachen zu den Kosten herangezogen werden. Das ist ein zutiefst gerechtes Prinzip.

Außerdem gilt das System der paritätischen Finanzierung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, das die Große Koalition allerdings leider schon durch die Einführung eines ausschließlich

durch die Arbeitnehmer zu tragenden Anteils in Höhe von 0,9 % durchlöchert hat.

(Roland Riese [FDP]: Das hat Rot- Grün getan!)

Die von Schwarz-Gelb geplante einkommensunabhängige Kopfpauschale bedeutet dagegen das Ende des beitragsbezogenen Solidarsystems in der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie wollen keinen Sozialausgleich mehr zwischen Armen und Reichen in der Finanzierung. Sie wollen auch keine paritätische Finanzierung des Beitragssatzes mehr. Dies hatte Herr Rösler bereits vor seiner Inthronisierung als Bundesgesundheitsminister in einem Vortrag vor dem Freien Verband der Deutschen Zahnärzte gesagt und damit die Katze aus dem Sack gelassen. Herr Rösler und die FDP behaupten nun, dass denjenigen, die die Kopfpauschale mangels ausreichenden Einkommens nicht bezahlen können, durch Steuermittel unter die Arme gegriffen werden soll; auch Herr Lammerskitten hat dies eben hier dargestellt. Es ist überhaupt interessant, dass an dieser Stelle die CSU unser treuester Verbündeter ist. Das ist ungewöhnlich; aber in diesem Falle ist es natürlich richtig, und wir nehmen die Unterstützung gerne an. Wenn Herr Söder beispielsweise sagt, an der Solidarität werde nicht gewackelt, dann hat er uns an seiner Seite.

Wir müssen einmal gucken, was das, was Sie da mit dem Steuerausgleich vorschlagen, eigentlich kostet. Herr Lammerskitten, meine Kollegin Bender, die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, hat eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, und das Bundesfinanzministerium hat ihr ausgerechnet, dass diese Unterstützung etwa 35 Milliarden Euro an Steuermitteln kostet. Woher wollen Sie sie nehmen, wenn nicht stehlen? Wie soll das bei einer gigantischen Staatsverschuldung gehen? Das Bundesfinanzministerium hat Ihnen zwei Wege aufgezeigt: Entweder Sie erhöhen die Mehrwertsteuer um 4 bis 5 % - viel Vergnügen! -, oder Sie erhöhen den Spitzensteuersatz auf 75 bis 100 %. So hat es Ihnen das Schäuble-Ministerium aufgeschrieben. Auch dabei viel Vergnügen! Ich möchte dabei sein, wenn Sie auf der anderen Seite sagen, Sie wollten die Steuern senken. Sie versuchen sich hier an der Quadratur des Kreises.

Was ist denn wirklich zu befürchten? Das Geld bekommen Sie aus dem Steuersystem nicht, es sei denn, Sie machen das, was Herr Schäuble Ihnen gesagt hat. Sie wollen am Leistungskatalog der Krankenkassen herumschnippeln; so wird es

sein. Es wird keinen einheitlichen Leistungskatalog mehr geben, sondern die Menschen müssen sich zusätzlich versichern und müssen zusätzlich bezahlen. Dann hätten wir endgültig das Zweiklassensystem in der Krankenversicherung eingeführt.

Für Ihre eigenen Leute hat die FDP ja mit Sonderkonditionen bei der Privatversicherung DKV vorgesorgt. Gucken Sie einmal ins Internet: Jeder normale Mensch wird vor Eintritt in die private Krankenversicherung auf seinen Gesundheitszustand hin geprüft, und es gibt Wartezeiten. All dies gilt nicht für FDP-Mitglieder.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Die sind per se gesund!)

Das ist Sozialpolitik Marke FDP. Meine Damen und Herren, auch wenn ich der FDP kein einziges Mitglied gönne, ich kann jedem Menschen mit Behinderung oder Vorerkrankung, der in diesem Land Schwierigkeiten hat, in die Privatversicherung zu kommen, nur raten: Treten Sie in die FDP ein,