Protokoll der Sitzung vom 08.06.2010

Danke schön, Frau Polat. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Zimmermann zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ziel des Gesetzentwurfs der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - die Auflösung der im Lande existierenden Gemeinschaftsunterkünfte zugunsten einer Unterbringung von Flüchtlingen in Privatwohnungen - ist mehr als überfällig. Die Einrichtungen in Bramsche, Oldenburg und Braunschweig müssen endlich geschlossen werden. Die dezentrale Unterbringung fördert nicht nur die aktive Integration von Flüchtlingen in unsere Gesell

schaft, sondern ist auch, wie in der Gesetzesbegründung und eben von Frau Polat richtig ausgeführt, deutlich preiswerter. Aus diesem Grunde hat meine Fraktion in den Beratungen sowohl über den Haushalt 2009 als auch über den Haushalt 2010 eine Kürzung von knapp 8 000 Euro beantragt, welche sich aus den Berechnungen des Landesrechnungshofes im Jahresbericht 2008 ergeben hatten, wenn Flüchtlinge dezentral untergebracht werden.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: 8 000 Euro sind nicht viel!)

- 800 000 Euro, Entschuldigung!

Dass das praktisch geht, zeigt nicht nur das in der Begründung genannte Leverkusener Modell. Auch in unserem Nachbarland Sachsen-Anhalt gibt es zahlreiche positive Beispiele. So werden im Landkreis Stendal Familien in Wohnungen untergebracht. In Sangerhausen werden seit Jahren grundsätzlich alle Flüchtlinge dezentral untergebracht. Auch im Landkreis Wittenberg läuft derzeit die Prüfung der Auflösung einer Gemeinschaftsunterkunft zugunsten einer dezentralen Wohnungsunterbringung. Im Rahmen der Ausschussberatungen des Gesetzentwurfes sollten wir uns mit diesen positiven Beispielen beschäftigen und die Verantwortlichen in einer Anhörung zu Wort kommen lassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie Zu- stimmung von Klaus-Peter Bachmann [SPD] und von Miriam Staudte [GRÜ- NE])

Meine Damen und Herren, dass die geplante Schließung der landeseigenen Gemeinschaftsunterkunft in Oldenburg kein Zeichen für Dezentralisierung und für Einsicht bei der Landesregierung ist, beweist die Antwort auf eine Anfrage des Kollegen Briese. Darin führt die Landesregierung aus, dass sie unabhängig von der Schließung des Standortes Oldenburg unverändert daran festhält, dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die keine Aussicht auf Anerkennung ihres Asylgesuchs haben, im Rahmen der zur Verfügung stehenden Kapazitäten grundsätzlich in den landeseigenen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. - Ich hoffe, dass es im Rahmen der Gesetzesberatungen endlich zu einem Umdenken kommt.

Meine Damen und Herren, mit der dezentralen Unterbringung muss die Abschaffung der Residenzpflicht einhergehen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf den Antrag meiner Fraktion

in der Drs. 16/2514, in dem genau dieses gefordert wird und der direkt an den Ausschuss überwiesen worden ist. Mit der Residenzpflicht geht eine Einschränkung sozialer, kultureller und politischer Rechte einher, die durch nichts zu rechtfertigen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Diskriminierung der Flüchtlinge muss endlich ein Ende haben. Die Landesregierung ist deshalb gefordert, sich beim Bund für die Abschaffung aller räumlichen Beschränkungen einzusetzen, denen Asylbewerber und geduldete Ausländer unterworfen sind. Zudem müssen die Einschränkungen schon jetzt so weit wie möglich aufgehoben werden, die im Zusammenhang mit dem Asylverfahrensgesetz und dem Aufenthaltsgesetz in Niedersachsen gelten.

Meine Damen und Herren, ich bin gespannt, ob Sie sich in den Ausschussberatungen in die richtige Richtung bewegen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Miriam Staudte [GRÜNE])

Herzlichen Dank. - Nun hat Frau Kollegin Lorberg von der CDU-Fraktion das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lehnen wir ab, da er geltendem Bundesrecht widerspricht, unsere Kommunen ohne Not mit nicht kommunalen Aufgaben belastet, Behörden bei ihrer Arbeit behindert und gesamtwirtschaftlich gesehen keinesfalls zu Einsparungen führt.

Gemeinschaftsunterkünfte, betrieben durch das Land oder die Kommunen, sind in diesem Entwurf nicht mehr vorgesehen. Eine Verteilung auf die Gemeinden mit ausschließlich dezentraler Unterbringung widerspricht § 53 des Asylverfahrensgesetzes, wonach die Unterbringung nach der Phase der Erstaufnahme in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften erfolgen soll. Diese Regelung wirkt bei bestehender Ausreiseverpflichtung gemäß § 56 Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz grundsätzlich fort.

Meine Damen und Herren, unabhängig von der rechtlichen Betrachtung sehen wir keine Notwendigkeit, das Unterbringungskonzept hier in Nieder

sachsen zu verändern. Der Verbleib von ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern in den landeseigenen Unterkünften bis zu der freiwilligen Ausreise oder bis zu der zwangsweisen Rückführung hat sich durchaus bewährt. Eine Verteilung auf die Gemeinden erfolgt, wenn im Einzelfall besondere Gründe vorliegen oder die Unterbringungskapazitäten erschöpft sind.

Ich bin davon überzeugt, dass die Unterbringung von Ausländerinnen und Ausländern während des staatlichen Asylverfahrens eine originär staatliche Aufgabe ist und nicht auf die Gemeinden verlagert werden darf.

Meine Damen und Herren, gerade die von Ihnen angesprochene Entwicklung der Zugangszahlen bei Asylerstantragsstellern und anderen aufzunehmenden Menschen lässt die Schließung der Gemeinschaftsunterkünfte nicht zu. In Niedersachsen wurden die vorhandenen Kapazitäten der landeseigenen Gemeinschaftsunterkünfte in den vergangenen Jahren sinkender Zugangszahlen angepasst. Wir können aber nicht davon ausgehen, dass die Zugangszahlen dauerhaft niedrig bleiben. Das zeigen die Zugänge für 2009 bereits sehr deutlich. Hier haben wir einen Anstieg von rund 25 % gegenüber 2008 zu verzeichnen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat bereits für 2010 einen weiteren Anstieg von 10 % prognostiziert. Zudem sind aus heutiger Sicht Aufnahmeverfahren aufgrund von Beschlüssen des Rates der Europäischen Union im Rahmen von Neuansiedlungsprogrammen oder Umverteilung zu erwarten. Vor diesem Hintergrund wäre eine Schließung der Gemeinschaftsunterkünfte des Landes unverantwortlich. Das gilt auch für die Kommunen. Schwankende Zugangszahlen erfordern Flexibilität und machen Gemeinschaftsunterkünfte auch dort unverzichtbar.

Einige Kommunen betreiben Gemeinschaftsunterkünfte, da diese entweder kostengünstiger sind oder aber für aufzunehmende Flüchtlinge nicht ausreichend Wohnraum auf dem Markt zur Verfügung steht.

Meine Damen und Herren, eine Unterbringung in den Gemeinden würde bei den Ausreisepflichtigen zu einer faktischen Verfestigung des Aufenthalts führen. Die Aufgabe der Ausländerbehörden, den Aufenthalt von ausreisepflichtigen Personen zu beenden, würde durch eine dezentrale Unterbringung erschwert. Gerade durch die Beratung in den landeseigenen Aufnahmeeinrichtungen konnte

eine Vielzahl von Fällen unberechtigten Aufenthalts erheblich verkürzt werden.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Das ist die Sys- tematik dahinter!)

Insgesamt betrachtet führen die in landeseigenen Gemeinschaftsunterkünften entstehenden Kosten bei gleichzeitiger konsequenter Umsetzung und Verfolgung der Ausreisepflicht zu einer wesentlich geringeren Belastung des Landeshaushalts als eine langjährige Kostenabgeltungspflicht gegenüber den Kommunen. Die betriebswirtschaftlichen Auswertungen und die Zahlen der freiwilligen Ausreise und Rückführung belegen, dass durch die Nutzung der Landeseinrichtungen die Wirtschaftlichkeit der Einrichtungen ständig verbessert wird und somit auch die Nachteile der dezentralen Unterbringung weitestgehend vermieden werden.

Im Jahre 2009 sind allein aus der ZAAB Niedersachsen 231 Personen mit individuell auf sie zugeschnittenen Hilfestellungen zurückgekehrt. In der Statistik 2009 zum Programm der freiwilligen Rückkehr sind für Niedersachsen 377 freiwillige Ausreisen erfasst. Ein Verbleib dieser Personen in den Kommunen hätte für das Land die Zahlung einer Kostenabgeltung nach dem Aufnahmegesetz in Höhe von rund 1 bzw. 1,6 Millionen Euro jährlich bedeutet. Diese Zahlen verdeutlichen noch einmal, dass eine Änderung des Unterbringungskonzeptes keinesfalls angebracht ist.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Das steht aber so in der Antwort der Landesregie- rung!)

Ich komme nun noch auf die anderen Vorschläge ihres Gesetzentwurfes zu sprechen.

Hier ist festzustellen, dass eine Umsetzung der Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 entbehrlich ist, weil die Aufnahme und Versorgung ausländischer Flüchtlinge den dort geforderten Standards bereits entspricht.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Was ist mit den minderjährigen?)

Bei der Verteilung der ausländischen Flüchtlinge werden im Rahmen der Ermessensausübung bereits jetzt Kriterien wie bestehende familiäre Bindungen sowie Betreuungs-, Behandlungs- und weitere migrationspolitische oder integrationsfördernde Aspekte berücksichtigt.

Bei der Verteilung jüdischer Zuwanderinnen und Zuwanderer ist zwischen den Belangen der Kommunen als Kostenträger, den persönlichen Le

bensumständen der Ausländerinnen und Ausländer, den Integrationsmöglichkeiten vor Ort und den Interessen der jüdischen Landesverbände in Niedersachsen abzuwägen. Bei der 30-km-Regelung handelt es sich um eine Kannbestimmung. Diese ermöglicht es, vorgenannte Interessenlagen gegenüberzustellen und in eine Verteilentscheidung einzubeziehen. Außerdem streben wir an, dass durch die Gesamtschau aller durch das Land verteilten ausländischen Personengruppen ein pragmatischer Verwaltungsvollzug sichergestellt wird. Das Land steht hierzu mit jüdischen Verbänden und den kommunalen Spitzenverbänden Niedersachsens in ständigem Dialog.

Meine Damen und Herren, abschließend stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf nicht dazu beiträgt, dass bei der Anwendung der geltenden Gesetze die Interessen von Bund, Land und Kommunen hinreichend berücksichtigt werden. Von daher bin ich schon gespannt, welche Argumente Sie im Ausschuss noch anbringen werden. Aber gehen Sie davon aus, dass wir in diesem Bereich keine Veränderungswünsche haben!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Frau Lorberg. - Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Bachmann. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser Rede von Frau Lorberg wird der Innenminister nicht mehr reden müssen. Es hörte sich ganz so an, als wenn die Rede aus seinem Hause gekommen wäre.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich will hier zunächst eines deutlich machen: Es gibt in dieser Frage nicht nur Schwarz und Weiß. Die Position der SPD-Landtagsfraktion ist etwas verantwortlicher, als jetzt schon Ja oder Nein zu sagen. Frau Lorberg, auch wenn Sie vornehm formuliert haben, hat ihre Rede ungefähr die gleiche Qualität wie die Rede von Herrn Bley, der jetzt schon wusste, dass man nach ernsthafter Prüfung mit Genugtuung ablehnen wird. Das war ja seine hier gebrauchte Wortwahl.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wir wollen und müssen ernsthaft prüfen. Die Kollegin Polat hat deutlich gemacht - und die rückläufigen Zahlen sprechen dafür -, dass im humanitären Bereich, insbesondere bei den Regelungen nach § 3 - Unterbringung besonderer Gruppen -, Regelungsbedarf besteht. Das alles muss im Ausschuss intensiv abgefragt werden. Wir brauchen eine Bestandsanalyse, und wir müssen uns über Perspektiven der Organisation unterhalten.

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass der Landesrechnungshof uns in seinen Denkschriften Überkapazitäten in zentralen Aufnahmeeinrichtungen bescheinigt und da auch von einer unsachgemäßen Mittelverwendung spricht. Es ist eben sehr umstritten, was billiger ist: das Vorhalten von Kapazitäten, die vielleicht nicht nötig sind, oder die Kostenerstattung an die Kommunen.

Aber nicht alles kann dezentral gelöst werden. Deswegen sage ich, es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Ich stimme der Kollegin Lorberg darin zu, dass man in Fällen, in denen mit Sicherheit zu erwarten ist, dass das Asylverfahren nicht erfolgreich ausgehen wird, nicht durch dezentrale Unterbringung falsche Hoffnungen wecken sollte.

Auf der anderen Seite halten wir viel mehr Menschen für integrationsfähig und für bleibeberechtigt als dieser Innenminister mit seiner restriktiven Anwendung des Rechts.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir über Standorte diskutieren, müssen wir berücksichtigen, dass wir dann natürlich immer auch über Menschen und Arbeitsplätze diskutieren. Auch in dieser Verantwortung stehen wir. Deswegen habe ich großes Verständnis für Diskussionen, wie sie mein Kollege Jürgen Krogmann über die Art und Weise der Schließung von Kloster Blankenburg in der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit führen muss.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das alles veranlasst die SPD-Fraktion, eine umfassende Bestandsaufnahme und Unterrichtung im Ausschuss zu beantragen. Wir werden dazu auch eine Anhörung brauchen. Wir werden dann sachgerecht entscheiden.