(Ronald Schminke [SPD]: Sind wir hier beschlussfähig? - Gegenrufe: Ronald, du bist doch da! Darauf kommt es jetzt nicht an!)
- Entschuldigung, Herr Professor Zielke. Wenn Herr Schminke diese provozierende Frage stellt, dann muss ich sie klar mit Ja beantworten, weil das heute Morgen schon festgestellt worden ist.
Die ARD zeigte im April 2010 die Verfilmung des Falls des damals achtjährigen Felix Wille aus dem niedersächsischen Neu Ebersdorf, der im Jahr 2004 Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Ein Schwerpunkt der Darstellungen waren die Auswirkungen solcher Gewaltverbrechen auf die Hinterbliebenen, die selbst zu Opfern werden. Insbesondere die Darstellungen der Mutter des damaligen Opfers machten deutlich, dass Opfer von Straftaten in vielen Bereichen nur wenig Unterstützung bei der Bewältigung von Aufgaben im Umgang mit Gerichten, Behörden und sonstigen Institutionen erhalten.
Der Niedersächsische Landtag hat mit der Errichtung der Stiftung Opferhilfe im Jahr 2001 diesen Umständen Rechnung getragen. Mit der Stiftung Opferhilfe soll das System des Schutzes und der Hilfestellung für Opfer ausgebaut und verbessert werden.
Ein wesentlicher Aspekt bei der Verarbeitung des Geschehenen ist für die Opfer von Straftaten die traumatherapeutische Versorgung. Hierbei ist es wichtig, dass diese möglichst zeitnah nach dem belastenden Ereignis eingeleitet wird, um gerade dem Entstehen von posttraumatischen Störungen bei den Betroffenen entgegenzuwirken.
Immer öfter werden auch Kinder und Jugendliche Opfer von Straftaten, z. B. in Fällen von häuslicher Gewalt. Hier gilt es, die Kinder und Jugendlichen, die Opfer von Straftaten geworden sind, fachgerecht zu betreuen und ihnen spezielle Hilfsangebote zur Verfügung zu stellen.
3. Gibt es besondere Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche als Opfer von Straftaten, und wie sehen diese aus?
Herzlichen Dank, Herr Professor Dr. Zielke. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Interessen der Opfer von Straftaten wurde lange Zeit nicht in genügendem Maße Beachtung geschenkt. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass die Opferperspektive heute stärker im Vordergrund steht und auch der Staat sich nicht lediglich um eine angemessene Behandlung des Täters kümmert. In den vergangenen Jahren ist in der niedersächsischen Justiz vieles für die Interessen der Opfer von Straftaten bewegt worden. Es ist der Niedersächsischen Landesregierung ein wichtiges Anliegen, diese positive Entwicklung weiterhin zu fördern. Alle beteiligten Ressorts und Stellen arbeiten eng zusammen, um die Situation der Opfer von Straftaten zu verbessern.
Ein wichtiger Baustein ist insoweit die erfolgreiche praktische Opferarbeit der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen. Die Stiftung Opferhilfe ist mit dem Ziel errichtet worden, Opfern von Straftaten außerhalb der gesetzlichen Leistungen und über die Hilfe anderer Opferhilfeeinrichtungen hinaus materielle Hilfe zu leisten. Die verschiedenen Hilfs- und Unterstützungsangebote der Stiftung orientieren sich ausschließlich an den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen und können demzufolge sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Stiftung zahlt z. B. unbürokratisch Soforthilfen zum Ersatz von Türschlössern, zerstörter Wohnungseinrichtung oder gestohlenen Gegenständen, hilft bei der Schaffung neuer Wohn- oder Arbeitssituationen oder leistet im Einzelfall auch finanzielle Beiträge zu psychischen Stabilisierungsmaßnahmen wie Traumatherapien. Hierbei handelt es sich aber um eine rein exemplarische Aufzählung.
Daneben bieten die pädagogisch qualifizierten Opferhelfer und -helferinnen psychosoziale Beratung und Begleitung an, indem sie u. a. Opferzeuginnen und -zeugen zu Strafprozessterminen begleiten, Krisenintervention leisten und bei Bedarf weitergehende Hilfen wie beispielsweise Traumaberatungen vermitteln. Um diese Arbeit erfolgreich verrichten zu können, pflegen die Opferhelferinnen und Opferhelfer an allen Standorten engen Kontakt zu ihren Netzwerkpartnern. Zu diesen gehören vor allem der Weiße Ring und andere Opferhilfeeinrichtungen, aber auch Schulen, Behörden und andere.
Die vielfältigen Angebote zur Opferbetreuung werden häufig in Anspruch genommen. Dies belegen die statistischen Zahlen deutlich: In den Jahren 2002 bis 2009 sind insgesamt 10 987 Opfer von Straftaten beraten, betreut und unterstützt worden. Angefangen im Jahr 2002 mit landesweit 939 Opfern hat die Stiftung zum 31. Dezember 2009 bereits 1 668 - im Vorjahr 1 649 - Personen mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Seit dem Jahr 2001 wurden über 2 Millionen Euro - exakt 2,321 Millionen Euro - an Opfer ausgezahlt. Dabei zeigt die Praxis in den Opferhilfebüros, dass die weit überwiegende Anzahl der Opfer Beratung, Betreuung und Hilfe suchen. Die finanziellen Hilfen stehen nicht im Vordergrund. Die Stiftung unterstützt darüber hinaus freie Träger finanziell bei der Initiierung von Opferhilfeprojekten.
Opferhilfebüros gibt es an elf Standorten im ganzen Land. Die Opferhelferinnen und Opferhelfer sind ausgebildete Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen und arbeiten dort hauptamtlich. Durch Umstrukturierungen in der letzten Zeit ist es gelungen, dass fast alle Opferhilfebüros jetzt mit zwei Teilzeitkräften besetzt sind. Dies verbessert die Erreichbarkeit und den Austausch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort.
Im Jahr 2011 wird die Stiftung Opferhilfe Niedersachsen zehn Jahre bestehen. Es ist beabsichtigt, im Jubiläumsjahr die Themenbereiche Opferschutz und Opferhilfe verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Einen überregionalen Schwerpunkt dieser Aktivitäten soll ein für September 2011 geplanter Opferhilfekongress bilden. Dieser soll den Erfahrungsaustausch der Fachöffentlichkeit fördern. Dabei geht es aber nicht vornehmlich um eine Darstellung dessen, was in der Vergangenheit bereits bewegt wurde. Vielmehr sollen im Rahmen des Kongresses Zukunftsvisionen für die Weiterentwicklung der Opferhilfearbeit skizziert werden. Daneben sind über das ganze Jahr verteilt regionale Veranstaltungen in allen elf Opferhilfebüros geplant.
Dies vorausgeschickt, beantwortete ich die Mündliche Anfrage namens der Niedersächsischen Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 2: Die therapeutische Betreuung traumatisierter Opfer schwerer Straftaten ist besonders wichtig. Diese Aufgabe kann indes durch die Opferhelferinnen und Opferhelfer nicht übernommen werden. Sie sind keine Therapeuten. Es zählt des
halb grundsätzlich nicht zu den Aufgaben der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen, die traumatherapeutische Versorgung in Niedersachsen flächendeckend sicherzustellen. Wegen deren besonderen Bedeutung setzt sich aber die Stiftung Opferhilfe bereits seit dem Jahr 2003 im Rahmen einer gezielten Schwerpunktarbeit für eine Optimierung der traumatherapeutischen Versorgung ein. Um einen Beitrag zur Optimierung der traumatherapeutischen Versorgung in Niedersachsen zu leisten, hat die Stiftung bislang verschiedene Ansätze verfolgt:
Zum einen sind freie Opferhilfeeinrichtungen finanziell unterstützt worden, um zusätzliche Traumatherapieangebote für Betroffene einzurichten. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der freien Opferhilfeeinrichtungen wurde beispielsweise berufliche Weiterqualifizierung ermöglicht. In Südniedersachsen wurde ein Träger finanziell unterstützt, der Stabilisierungsgruppen für traumatisierte Frauen durchgeführt hat, um die Zeit zwischen Straftat und Beginn einer Traumatherapie zu überbrücken.
Zum anderen ist ein weiterer elementarer Baustein die stetige Fortbildung des eigenen Personals im Schwerpunktbereich. Vier Opferhelferinnen und Opferhelfer haben zu diesem Zweck bereits eine anerkannte und zertifizierte Fachfortbildung im Komplex „Fachberaterin/Fachberater Psychotraumatologie“ absolviert.
Zu Frage 3: Der Stiftung Opferhilfe ist es seit mehreren Jahren ein besonderes Anliegen, die Betreuung von kindlichen und jugendlichen Opfern von Straftaten zu stärken. Um dieses Ziel zu erreichen, pflegt die Stiftung eine enge Zusammenarbeit mit Jugendämtern, Vormundschaftsgerichten, Betreuungsstellen, Kinderschutzzentren, Kindergärten und Schulen. Daraus entstehen regelmäßig weitere Kontakte und Projekte.
Die Opferhelferinnen und -helfer nehmen regelmäßig auch an runden Tischen zu vielfältigen Themenbereichen wie z. B. häusliche Gewalt oder Mobbing an Schulen teil, die insbesondere die Bedürfnisse kindlicher und jugendlicher Opfer von Straftaten in den Mittelpunkt stellen.
In Kooperation mit Schulen, Kindergärten und spezialisierten Beratungsstellen fördert die Stiftung verschiedenste Projekte finanziell, die auf die speziellen Bedürfnisse betroffener Kinder und Jugendlicher ausgerichtet sind. In einer Schule konnte so beispielsweise ein Angebot in Form einer offenen Sprechstunde für betroffene Kinder und Jugendli
Die Stiftung hat ferner die Erstellung von Informationsbroschüren zu verschiedenen Themen wie z. B. häusliche Gewalt speziell für Kinder und Jugendliche mitfinanziert.
Eine andere Annäherung an die Thematik stellen die Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Einrichtungen zur Kinderbetreuung, von Lehrern und Eltern dar. Diese werden dafür sensibilisiert, an bestimmten Verhaltensauffälligkeiten kindliche Opfer von Straftaten zu erkennen und richtig zu handeln.
Insgesamt hat die Stiftung von 10 987 Klienten bislang 1 990 Kinder und Jugendliche betreut. Das entspricht 18,11 % aller Opfer. Der Anteil der betreuten Kinder und Jugendlichen lag im Jahr 2002 noch bei 8,1 % und konnte seitdem deutlich gesteigert werden.
Das Angebot der Stiftung wird durch die getroffenen Maßnahmen zunehmend von Kindern und Jugendlichen oder deren Angehörigen in Anspruch genommen.
Herzlichen Dank, Herr Minister. - Die erste Zusatzfrage von der FDP-Fraktion stellt Herr Grascha. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: Welche genauen Maßnahmen gibt es für die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die Opfer einer Straftat werden und vor Gericht als Zeuge aussagen müssen?
Frau Präsidentin! Herr Kollege, es ist ja eine Belastung eigener Art, wenn junge Menschen, manchmal gerade auch Opfer von schweren Straftaten, Sexualdelikten und anderem mehr, vor Gericht auftauchen, erst mal in einer doch etwas fremden Umgebung auftreten müssen, wahrheitsgemäß
aussagen sollen und im Grunde genommen ein als Opfer erlittenes Delikt noch einmal Revue passieren lassen müssen. Das ist schon eine besondere Belastung. Hier gehen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Opferhilfe, so denn Bedarf besteht und man den Fall entsprechend ausgemacht hat, gezielt heran, gucken sich die jungen Leute an, bereiten sie auch rein technisch, psychologisch, wie auch immer, auf den Gerichtstermin vor. Es hat schon Fälle gegeben, dass man mal ein paar Tage vorher in den Gerichtssaal gegangen ist und gesagt hat, hier spielt sich das Ganze so und so ab. Man ist bei den Gerichtsterminen, so denn rechtlich erlaubt, mit dabei und achtet vielleicht auch darauf, dass der Zeuge nicht überstrapaziert wird - bis hin zur Nachbereitung von Gerichtsterminen, z. B. bezüglich der Frage, wie ist jetzt mit dem Ergebnis umzugehen, warum der Täter nur zu wenigen Monaten verurteilt wurde oder zu einer Geldstrafe, also dazu, wie sich diese Dinge verhalten.
Ich will hier einen anderen Komplex mit einbeziehen. Das ist die Strapazierung eines Opfers, wenn es manchmal nicht anders geht, als Zeuge. Das ist schon eine besondere Belastung. Nehmen Sie das jemandem ab, der seit 1979 selber in dem Fall viele Stunden als Anwalt im Gerichtssaal zugebracht hat: Wir haben schon bei unseren Richterinnen und Richtern, bei allen Prozessbeteiligten - wenn ich „alle“ sage, meine ich „in der Regel“ - eine Sensibilität, dass man ein Opfer, das als Zeuge benötigt wird, nicht unnötig quälen soll. Bei jungen Leuten ist ja gelegentlich die Frage des Ausschlusses der Öffentlichkeit mit zu klären. Es ist manchmal auch die Frage zu klären: Kann ich da jemanden freihalten von der Notwendigkeit der Zeugenaussage? - Das geht manchmal nicht ohne alle Prozessbeteiligten; oft ist ja nur noch der Täter einer, der da mitreden kann, wenn er dann auch noch anwaltlich vertreten ist.
Hier will ich mal darauf hinweisen, dass man das nach Möglichkeit vermeiden muss. Nehmen wir einmal die Situation der Vergewaltigung eines jungen Mädchens, das ein Jahr später das Ganze noch mal schildern soll, weil der Täter nicht geständig ist oder wie auch immer. Das ist schwierig genug. Aber da muss man mit der notwendigen Sensibilität aller entsprechend vorgehen.
Übrigens: Sie wissen, dass ich zum Teil zum Deal ein etwas differenziertes Verhältnis gehabt habe. Aber wenn ein Nebenprodukt des Deals ist, dass bei einem Geständnis des Täters darauf verzichtet werden kann, das Opfer sozusagen als Zeuge
Aber es gibt ein paar andere Dinge, die natürlich auch geklärt sein müssen. Vieles ist ja nun im Gesetz geregelt. Aber bestimmte Notwendigkeiten sind halt da. Das Drumherum wird durchaus durch die Opferhilfe begleitet, und ich habe viele positive Beispiele vernommen, bei denen das, soweit es eben ging, auch wirklich vernünftig gemacht worden ist.
Frau Präsidentin! Herr Minister, ich frage die Landesregierung: Ist Ihnen bekannt, ob es im Bundesgebiet, in anderen Bundesländern ähnliche Einrichtungen nach dem Vorbild des Landes Niedersachsen für Opferhilfe gibt?