Protokoll der Sitzung vom 17.08.2010

Wenn wir also an die Umsetzung von ProReKo gehen, ist dies mit Sicherheit in diesem Punkt auch ein Vorbild für die allgemeinbildenden Schulen. Auch sie müssen in den nächsten Jahren, gemessen an dem, was wir im Haushalt zur Verfügung haben, im Bereich der Verwaltungsleistung und Verwaltungsentlastung mit unterstützt werden. Ich denke, das wird sich in den nächsten Haushaltsberatungen und in den nächsten Jahren entsprechend darstellen.

(Zustimmung bei der CDU)

Kurzum: Die Handlungsfelder Qualitätsmanagement, Bildungsangebote, Budgetierung, Personalmanagement, Steuerung und Schulverfassung - all das ist hier eingebracht worden. Über Details wird noch zu beraten sein. Die Stellung der Eltern in etwas größeren Schulsystemen wird ebenfalls noch mit zu beraten sein. Dazu stehen wir schon in engem Kontakt mit dem Landeselternrat.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Koalitionsfraktionen für diesen Gesetzentwurf. Ich hoffe, dass sich der Leitgedanke von ProReKo, wenn es

umgesetzt wird, tatsächlich verwirklichen lassen wird.

Mein letzter Satz: Ich weiß freilich nicht, ob es besser werden wird, wenn es anders wird. Ich weiß aber, dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat zusätzliche Redezeit beantragt. Herr Poppe, Sie haben zwei Minuten.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Zusagen und Klarstellungen durch Herrn Minister Althusmann bin ich sehr erfreut. Das wird es der SPD-Fraktion erleichtern, im Ausschuss sehr wohlwollend mit weiteren Änderungen umzugehen.

Ich möchte mich nur gegen drei Punkte wenden.

Einmal zu Formulierungen wie „ein Haar in der Suppe suchen“: Sie fordern mit Recht von der Opposition eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit Gesetzentwürfen, die hier im Parlament behandelt werden. Nichts anderes leisten wir hier. Ich bitte, das auch so wahrzunehmen.

Zweiter Punkt ist der Zeitfaktor, den mehrere angesprochen haben, und zwar sowohl Herr Klare als auch Herr Försterling. Es liegt jetzt fast zwei Jahre zurück, dass der Transferbericht zu ProReKo vorgelegt worden ist. Seitdem war Zeit, hierzu etwas zu entwickeln. Ohne die ständigen Anforderungen durch den Entschließungsantrag, den wir schon im letzten Jahr eingebracht haben, und erneute Vorstöße im Sommer dieses Jahres wäre es möglicherweise immer noch nicht so weit gewesen. Es ist jetzt reichlich knapp.

Letzter Punkt: Die Punkte, die wir ansprechen, sind nicht, wie Herr Försterling meinte, „Kleinigkeiten“. Ich gebe nur noch einmal ein Beispiel: Wenn wir darüber sprechen, ob der Schulleiter die Vorsitzenden bzw. die Leiter von Bildungsganggruppen oder Fachgruppen bestimmt oder ob diese in den Gremien gewählt werden, dann ist das keine Kleinigkeit, sondern dann hat das mit innerschulischer Demokratie zu tun.

Darüber sollten wir im Ausschuss sehr ernsthaft diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Der Ältestenrat hat empfohlen, den Gesetzentwurf an den Kultusausschuss zu überweisen. Dabei ist versäumt worden, auch die Überweisung an den Rechts- und Verfassungsausschuss vorzusehen. Das machen wir ja mit allen Gesetzentwürfen. Wenn Sie damit einverstanden sind, diese beiden Ausschüsse mit dem Gesetzentwurf zu beschäftigen, dann bitte ich um Ihr Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist so beschlossen. Ich danke Ihnen.

Vereinbarungsgemäß rufe ich jetzt die Tagesordnungspunkte 6 und 7 zusammen auf.

Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung des Rechtsanspruchs auf inklusive Beschulung - Gesetzentwurf der Fraktion der SPD - Drs. 16/2702

Erste Beratung: Vielfalt ist Bereicherung - für ein sofortiges Aktionsprogramm zur Umsetzung inklusiver Bildung - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2703

Wir kommen zur Einbringung. Die Fraktion der SPD hat sich zu Wort gemeldet. Frau Heiligenstadt hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Inklusion ist seit Längerem ein Thema für diejenigen, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Aber inklusive Bildung war lange Zeit eher ein Thema für Expertinnen und Experten. Das hat sich in Niedersachsen im letzten Jahr verändert. Insofern erinnere ich an die parlamentarische Initiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, an die ausführliche Anhörung im Kultusausschuss zu diesem Gesetzentwurf und auch an die Reise nach Südtirol. Hier ist auch einmal eine Möglichkeit, Dank dafür

zu sagen, dass sie den Anstoß zu einer Diskussion in dieser Sache gegeben haben.

(Beifall bei der SPD)

Vor allen Dingen aber hat die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen diesem Thema einen enormen Schub gegeben. Sie fordert ein Bildungssystem ein, das niemanden wegen seiner individuellen Voraussetzungen ausschließt.

In diesem Zusammenhang haben wir hier zu diskutieren, wie unser Bildungssystem gewährleisten kann, dass jedes Kind im Sinne inklusiver Bildung seine Chancen bekommen kann. Meine Damen und Herren, diese Diskussion verlangt von allen Akteuren Mut, einen langen Atem und eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit, aber auch Gesprächsbereitschaft. Dieser Weg verlangt sicherlich auch Zeit, wie schon an den Beratungen auch in diesem Haus zu diesem Thema zu erkennen ist - Zeit, die die Betroffenen, die Eltern von Kindern mit Behinderungen, die Schulträger und auch die Verbände zum Teil nicht mehr haben. Sie wollen schnellstmöglich eine Aussage der Landespolitik, in welche Richtung es bei der Umsetzung der Inklusion gehen soll, und sie haben auch ein Recht darauf, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Der Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft erfordert aber von allen Menschen, auch von den Menschen ohne Behinderungen, die Erweiterung ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen.

Inklusion zielt perspektivisch darauf, dass sich alle Bildungseinrichtungen lebenslang den Bedürfnissen aller ihrer Nutzerinnen und Nutzer anpassen. Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu verwirklichen.

Inklusion, meine Damen und Herren - das ist meiner Fraktion besonders wichtig -, stellt einen Paradigmenwechsel dar und erfordert ein radikales Umdenken in der Bildungspolitik.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Nicht mehr der einzelne Mensch muss sich an bestehende Systeme anpassen - wenn das Herrn Thiele vielleicht auch interessiert, könnte er ja zuhören und sich nicht unterhalten -,

(Ulf Thiele [CDU]: Das tut er!)

sondern die Strukturen und Systeme müssen so geändert werden, meine Damen und Herren, dass alle Menschen von Anfang an einbezogen werden und ihre Teilhaberechte auch gesichert werden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Für den Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft, die alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens umfasst, ist eine inklusive Bildung und Erziehung nur ein Baustein. Es betrifft auch die Arbeitsmarktbereiche, die Wirtschaft, die Daseinsvorsorge. Hier haben wir noch sehr viele Diskussionen vor uns.

Aber die inklusive Bildung ist zugleich eine Chance für alle Kinder und Jugendlichen. Nur, das Bildungssystem in Niedersachsen ist von Inklusion so, wie sie die UN-Konvention meint, noch weit entfernt. Es grenzt Kinder mit Behinderungen nach wie vor in großem Maße aus. Nur ca. 5 % der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet.

Wir haben daher unser System vom Grundsatz her so umzugestalten, dass der gemeinsame Besuch von Kindern mit Behinderungen in Schule und Kindertageseinrichtungen mit Kindern ohne Behinderungen nicht die Ausnahme ist, sondern zur Regel wird, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

In diesem Zusammenhang - wir haben ja schon sehr viele erfolgreich arbeitende integrative Systeme; das ist gar keine Frage - leisten die Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher sowie das weitere Fachpersonal ausgesprochen gute Arbeit.

(Zustimmung von Dr. Karl-Ludwig von Danwitz [CDU])

Doch in einem von vornherein auf Separation ausgelegten Bildungssystem haben sie nur wenige Möglichkeiten, gegen Ausgrenzung vorzugehen. Der Wunsch vieler Eltern, ihre Kinder inklusiv und wohnortnah in Kindertageseinrichtungen oder in allgemeinbildenden Schulen zu fördern, kann nur sehr selten verwirklicht werden. Zurzeit steht er ja schulrechtlich noch unter dem Ressourcenvorbehalt.

Meine Damen und Herren, das ist die gesellschaftspolitische Herausforderung und der Hintergrund unserer heutigen parlamentarischen Initiative mit Entschließungsantrag und Gesetzentwurf.

Meine Fraktion hat in den letzten Monaten viele Gespräche mit Expertinnen und Experten geführt, viele Einrichtungen besucht, wie wir in Niedersachsen inklusive Bildung umsetzen können. Wir legen dazu heute unseren Vorschlag vor. Einerseits den Entschließungsantrag - hier ist die zentrale Forderung ein Aktionsplan -, andererseits den Gesetzentwurf zur Umsetzung eines Rechtsanspruchs auf eine inklusive Beschulung an einer allgemeinbildenden Schule. Beides, meine Damen und Herren, muss zusammen gedacht werden.

Zum Gesetzentwurf: Wir wissen ganz genau, das kann erst einmal nur ein sogenanntes Vorschaltgesetz sein. Wir sind aber fest davon überzeugt, meine Damen und Herren, dass die Umsetzung des Rechtsanspruchs von Kindern mit Behinderungen zur Beschulung an allgemeinbildenden Schulen der entscheidende Motor zur Aufhebung der Spaltung im Bildungsbereich sein wird. Eltern sollen entscheiden, welche Schule die beste für ihr Kind ist.

Meine Fraktion, sehr geehrte Damen und Herren, nimmt den Elternwillen in dieser Beziehung sehr ernst.

(Beifall bei der SPD)

Weil sich unser Gesetzentwurf da auch von dem Gesetzentwurf unterscheidet, den wir in diesem Haus bereits beraten, möchte ich besonders darauf hinweisen, dass wir uns bewusst dafür entschieden haben, nicht festzulegen, welche Förderschulen mit welchem Schwerpunkt wann und wie aufgelöst werden sollen. Das wird sich nach unserer Auffassung im Prozess entwickeln und hängt auch von den regionalen Gegebenheiten vor Ort ab. Wir sind fest davon überzeugt: Der Rechtsanspruch wird der Motor sein, meine Damen und Herren.

Für uns ist wichtig - deshalb auch der Entschließungsantrag -: Inklusion ist mehr als nur die Änderung eines Schulgesetzes. Wir haben auf der Reise des Kultusausschusses gelernt: Inklusion ist machbar. Kinder mit und ohne Behinderungen sind gemeinsam in einer Schule gut aufgehoben. Da wir ein neues inklusives System aber nicht im luftleeren Raum implantieren können, fordern wir einen Aktionsplan für die inklusive Bildung. Für einen gelingenden Prozess ist es daher notwendig, alle Menschen auf diesem Weg zu beteiligen. Hierzu zählen die Lehrkräfte, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im pädagogischen Bereich der Kindertagesstätten, bei therapeutischen Angeboten, bei der Jugend- und Sozialhilfe sowie der Me

dizin ebenso wie die Eltern und Angehörigen und an allererster Stelle die Nutzerinnen und Nutzer der Angebote selbst.