Protocol of the Session on September 8, 2010

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Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 81. Sitzung im 27. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.

Tagesordnungspunkt 12: Mitteilungen des Präsidenten

Die Beschlussfähigkeit stelle ich zu einem späteren Zeitpunkt fest.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 13, der Aktuellen Stunde. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll gegen 19.15 Uhr enden.

Ich darf Sie herzlich bitten, Ihre Reden bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, an den Stenografischen Dienst zurückzugeben.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr der Schriftführer mit.

Guten Morgen! Es haben sich entschuldigt: von der Fraktion der CDU Herr Ahlers und Frau Bertholdes-Sandrock nach der Mittagspause bis ca. 17.30 Uhr, von der Fraktion der SPD Herr Bachmann, von der Fraktion DIE LINKE Frau WeisserRoelle bis 15.30 Uhr und als fraktionsloses Mitglied des Hauses Frau Wegner.

Vielen Dank. - Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 13 auf:

Aktuelle Stunde

Für diesen Tagesordnungspunkt sind mir fünf Themen genannt worden, deren Einzelheiten Sie dem Nachtrag zur Tagesordnung entnehmen können.

Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf der Aktuellen Stunde geregelten Bestimmungen setze ich bei allen Beteiligten - auch bei der Landesregierung - als bekannt voraus.

Ich eröffne die Besprechung zu Tagesordnungspunkt 13 a:

Teuer, bürokratisch, diskriminierend - statt Bildungschipkarten und leerer Beschwörungsformeln: arme Kinder besser fördern - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2798

Ich erteile dem Kollegen Schwarz das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kinderarmut ist vor allem immer auch Ausdruck von Familienarmut. Und was macht in dieser Situation die gegenwärtige Bundesregierung mit Zustimmung und Unterstützung dieser Landesregierung? - Sie bekämpft Mindestlöhne, sie verstärkt den Niedriglohnsektor, sie lässt Leiharbeit ausufern, und sie streicht nun auch noch Hartz-IV-Empfängern das Erziehungsgeld, womit arbeitslosen Alleinerziehenden ein Drittel ihres Einkommens genommen wird. Meine Damen und Herren, für diese Menschen ist die Aussage „Kein Kind soll verloren gehen“ blanker Hohn, und sie fördert darüber hinaus Politikverdrossenheit.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Das gilt übrigens gleichermaßen für die Feststellung der Sozialministerin in der vergangenen Woche, dass die Armutsquote in Niedersachsen von 14,7 % auf 14,6 % gesunken ist, verbunden mit der Aussage: Aber noch immer sind Kinder von Armut betroffen.

Meine Damen und Herren, wir haben jetzt zwar eine neue Ministerin, aber leider werden die alten Satzbausteine bei dieser Problematik genommen. Frau Özkan, wir reden in Niedersachsen von 200 000 in Armut lebenden Kindern. Dann finde ich solche verniedlichenden Formulierungen wirklich nur noch zynisch gegenüber den Betroffenen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Frau Ross-Luttmann hat uns als Instrument der Armutsbekämpfung noch das 100-Millionen-EuroProgramm „Familie mit Zukunft“ verkauft. Vor wenigen Tagen konnten wir lesen, dass bei den Betreuungsplätzen der unter Dreijährigen Niedersachsen nach wie vor auf dem vorletzten Platz steht. Da stellt sich schon die Frage: Was haben Sie eigentlich mit den 100 Millionen Euro ge

macht? Wann fangen Sie bei dieser Landesregierung an, frühkindliche Bildung endlich ernst zu nehmen?

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich im Februar dieses Jahres festgestellt, dass die Regelsätze kein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten, Kinderregelsätze willkürlich festgesetzt und kinderspezifische Bedarfe nicht berücksichtigt wurden. Bis zum 31. Dezember dieses Jahres muss das korrigiert sein.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wird es auch!)

Nach unserer Auffassung sollte für Kinder endlich eine bedarfsgerechte Grundsicherung geschaffen werden. Das wäre eine relativ ehrliche Veranstaltung.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Frau von der Leyen hingegen hat bis heute kein Konzept zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vorgelegt

(Zuruf von der CDU: Angekündigt!)

- „angekündigt“ ist toll; wir sind drei Monate vor Ablauf der Frist; sie hat bis heute nichts vorgelegt, meine Damen und Herren -, geschweige denn die Bedarfe für Kinder definiert.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Stattdessen wirft sie Nebelkerzen und hat mit vielen medialen Showeffekten ein gigantisches Ablenkungsmanöver gestartet. Das Zauberwort ist „Bildungs-“ bzw. „Chipkarte“. Mal ungeachtet dessen, dass der Bund für Bildung gar nicht zuständig ist, will Frau von der Leyen Sachleistungen statt Geldleistungen finanzieren.

Ich sage ausdrücklich: Da wären wir bei ihr. Wir wissen, dass Bildung der Schlüssel zur Armutsbekämpfung ist. Deshalb würde es viel Sinn machen, das vorhandene Geld in Investitionen und zur Verbesserung der Infrastruktur im Kindergartenbereich und bei Schulen einzusetzen.

Dafür, meine Damen und Herren, brauchen wir allerdings keine Chipkarte, die Kinder selektiert, stigmatisiert, einen unnötigen Verwaltungsaufwand produziert und gleichzeitig den Missbrauch noch fördert.

Was wir brauchen, sind kostenfreie Kulturangebote, z. B. für Museen, flächendeckende Ganztagsschulen mit individueller Förderung, kostenloses warmes Mittagessen und Lernmittelfreiheit, und zwar für alle Kinder, meine Damen und Herren, ohne jede Chipkarte.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich finde, Frau Özkan, für diesen Ansatz und eine gerechte Lastenverteilung zwischen Bund und Land sollten Sie werben, anstatt Niedersachsen als überflüssiges Modellland bei diesen Versuchen anzubieten. Das stünde dieser Landesregierung auch gut zu Gesicht. Sie ist eine der Landesregierungen, die mit Abschaffung der Lernmittelfreiheit die Situation von Kindern noch dramatisch verschärft hat.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich will Ihnen sagen: Vor allem brauchen wir Regierungen, die nicht nur über Kinderschicksale reden, sondern endlich handeln. Vorbilder gibt es genug. Man braucht nur nach Skandinavien oder Südeuropa zu sehen. Ich finde, es ist an der Zeit, endlich Ernst zu machen mit Kinderschutz und Kinderförderung. Dazu gehört auch eine Bildung, die auf Chancengerechtigkeit ausgerichtet ist, und nicht das Lamentieren bei Sonntagsreden. Das, was Frau von der Leyen macht, ist in diesem Sinne absolut unverantwortlich, meine Damen und Herren.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich erteile dem Kollegen Riese von der FDP-Fraktion das Wort.

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, Sie können noch eine kurze Pause einlegen. - Bitte schön!

Danke schön. - Einige der Textbausteine, die wir vom Kollegen Schwarz gerade hören konnten, kamen uns sehr bekannt vor. Da war nicht viel Neues dabei.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Leider muss man das immer wieder sagen!)

Leider war auch sehr wenig Richtiges dabei, Herr Kollege Schwarz.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie überschreiben Ihren Antrag zur Aktuellen Stunde u. a. mit dem Wort „teuer“. Sie haben dann aber ausgeführt, dass es Ihnen gar nicht teuer genug sein kann, dass Sie u. a. mal eben locker Millionärskinder fördern wollen, wenn es um Lernmittel und dergleichen geht. Das kann nicht staatliche Aufgabe sein.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Johanne Modder [SPD]: Sie werden es nie verstehen! - Gegenruf von Ansgar-Bernhard Focke [CDU]: Hört doch mal auf mit der Sozialromantik! - Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Die Finanzierung der Bildungskosten, meine Damen und Herren, ist in der Tat Ländersache - diesen lange feststehenden Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aus dem Februar 2010 noch einmal bekräftigt -, nicht aber die Finanzierung der Sicherstellung des Existenzminimums - das ist eine klare Bundesaufgabe. Das ist dort noch einmal detailliert dargestellt worden. Dies wird man auch bei den Vorschlägen, die derzeit von der Bundesregierung unterbreitet werden, differenzieren müssen. Ich kenne im Gegensatz zu Herrn Schwarz ein Konzept für die Umsetzung des Urteils, das öffentlich zugänglich ist. Wer will, kann es auf den Seiten des Bundessozialministeriums einsehen.