Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

Zur Umsetzung muss gesagt werden: Natürlich ist es so, dass das Geld bei den Kindern ankommen muss. Eltern müssen wissen, wie sie dazu ihren Beitrag leisten können. Unsere Gesellschaft braucht jedes Kind, braucht jeden Erwachsenen, der sich einbringen will.

Fazit: Wir stellen Verfassungskonformität her. Wir investieren in zusätzliche Bildung. Sie reden - wir handeln. Sie drohen mit Blockade - wir denken an die Zukunft unserer Kinder. Sie reden von sozialer Gerechtigkeit - wir arbeiten daran.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb kann ich Sie nur auffordern: Kommen Sie aus Ihrer Ecke heraus, blicken Sie nach vorn, und lassen Sie uns endlich gemeinsam die Probleme lösen! Wenn Sie diese Gemeinsamkeit aus parteipolitischer Taktiererei heraus nicht hinkriegen, dann lassen Sie uns wenigstens unsere Arbeit machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, von der FDP-Fraktion hat sich der Kollege Riese zu Wort gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht in der Tat um die Fehler von RotGrün. Im Jahr 2004 wurde in einem Hauruckverfahren nach langen, langen Sitzungen mit dürftigem Ergebnis eine Rechtsregelung geschaffen,

die vom Bundesverfassungsgericht im Frühjahr dieses Jahres eingesammelt worden ist.

(Zuruf von Uwe Schwarz [SPD])

Wir müssen uns ein wenig mit Technik beschäftigen; denn die Eckregelsätze für Hartz-IV-Empfänger - sowohl für Erwachsene als auch für Kinder - werden, wie wir inzwischen alle gelernt haben, anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die alle fünf Jahre erhoben wird, berechnet. Die Wege, auf denen die Ausgaben statistisch ermittelt werden - von den 60 000 Menschen, die Haushaltsbücher führen, bis hin zu den Sätzen -, sind natürlich Gegenstand politischen Ermessens. Das kann gar nicht anders sein; denn auch aus 60 000 erhobenen Datensätzen ergibt sich natürlich nicht - das hat auch das Bundesverfassungsgericht sehr klar dargestellt -, wie viel Geld bzw. Sachleistungen jedem Menschen bzw. jeder Familie gegeben werden müssen.

In der aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe spielt die Abteilung 10, die die Ausgaben für das Bildungswesen regelt und die seinerzeit von Rot-Grün nicht herangezogen wurde, aber eine gar nicht so umfassende Rolle. Ich selbst war überrascht, als ich mir die Zahlen angeschaut habe. Dort sind durchschnittliche Ausgaben von nur 7,94 Euro für Einpersonenhaushalte und von maximal 17,92 Euro für Haushalte mit einem Elternpaar und einem Kind unter sechs Jahren vorgesehen. Für ältere Kinder sind dort sogar noch niedrigere Ausgaben angesetzt worden.

Seinerzeit hat der Gesetzgeber diese Ausgaben für das Bildungswesen ohne weitere Begründung nicht anerkannt. Gleiches gilt für Gebühren für Sport und Musikkurse. Das hat das Bundesverfassungsgericht gerügt. Dafür gibt es jetzt eine konstruktive und gute Antwort, die den Kindern, die den Menschen helfen wird.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Das Bildungspaket wird unmittelbar den Kindern zugute kommen. Dies hat es früher nicht gegeben und stellt jetzt insofern eine Neuerung dar. Denjenigen Kindern, die nachweislich Bedarf haben, wird eine Lernförderung gewährt. Es wird für Kultur und Sport, also für die soziokulturelle Teilhabe von Kindern, ein Budget geben, das nach Wahl der Kinder bei den Anbietern vor Ort ausgeben werden kann. Ferner gibt es, wie wir wissen, einen Zuschuss zu einem warmen Mittagessen, allerdings

nur dann, wenn ein solches Mittagessen in der Kita oder in der Schule auch angeboten wird.

Meine Damen und Herren, dieses Bildungspaket setzt 1 : 1 das um, was das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben hat.

Was verkündet nun, noch bevor der Gesetzentwurf im Bundestag beraten wird, aber die SPD, die sich dazu einlassen will? - Sie will ihn rundheraus ablehnen. Der Bundesvorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel - wir kennen ihn hier in diesem Hause -, nennt das Paket ein „Paketchen“, er nennt es eine „Scheinhilfe“. Gleichzeitig will er aber - man höre und staune - die Kindergelderhöhung, mit der in diesem Jahr viele Menschen durch die Bundesregierung entlastet worden sind, wieder einsammeln. Das Geld will er nicht den Menschen zur Verfügung stellen, wie es das Bundesverfassungsgericht eindeutig gefordert hat, sondern er will es in Einrichtungen stecken. In Beton soll investiert werden statt in Köpfe.

(Olaf Lies [SPD]: In Köpfe! Nicht in Beton!)

- Verehrter Herr Kollege Lies, Ihr Bundesvorsitzender will in Einrichtungen, nicht aber in die Menschen investieren. Das ist ganz eindeutig.

(Olaf Lies [SPD]: Das ist doch Un- sinn!)

- Ja, ich gebe Ihnen ja recht, Herr Lies, dass das Unsinn ist. Das sollte er nämlich nicht tun.

(Beifall bei der FDP)

Offenbar ist der SPD in Niedersachsen und im Bund ein Grundsatz aus dem Sozialgesetzbuch abhanden gekommen, in dem ja normiert ist, wofür die Leistungen gegeben werden sollen. Dieser Grundsatz aus § 1, in dem ja die wichtigen Dinge stehen, lautet folgendermaßen:

„Die soll die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken …“

Grundsicherung für Arbeitsuchende

Jetzt sagen Sie mir einmal: Wie wird die Eigenverantwortung gestärkt mit einem zusätzlichen Kindergarten? Wie wird die Eigenverantwortung gestärkt mit einer zusätzlichen Ganztagsschule? - Sie kann nur gestärkt werden, meine Damen und Herren, wenn Sie den Menschen Geld in die Hand geben, das sie sinnvoll ausgeben können.

(Zustimmung bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: Sie werden es nie ver- stehen! - Weitere Zurufe von der SPD)

Es gilt das Wort von Abraham Lincoln, das ich Ihnen hier einmal zitieren darf: „Ihr könnt Menschen nie auf Dauer helfen, wenn ihr für sie tut, was sie selber für sich tun sollten und könnten.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: Genau! Klas- se!)

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt Frau Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ja ein interessanter Konflikt, Herr Riese, den wir gerade zwischen Ihnen und Ihrem Koalitionspartner bezüglich der Infrastruktur gehört haben.

(Roland Riese [FDP]: Sie haben nicht zugehört!)

Ich bin gespannt, wie Sie das gelöst bekommen.

Aber, vor allen Dingen Frau Mundlos, um hier so eine Rede zu halten, wie Sie das eben getan haben, braucht man schon eine gehörige Portion Chuzpe. Denn Sie wollten uns weismachen, dass Sie jetzt die Regelsätze verbessert hätten, die RotGrün im Jahre 2003 zu gering festgelegt habe. Haben Sie eigentlich vergessen, wie das damals gewesen ist? Haben Sie eigentlich vergessen, dass Sie mit im Vermittlungsausschuss gesessen haben

(Christian Grascha [FDP]: Es geht überhaupt nicht um die Höhe!)

und dass Sie diejenigen waren, die möglichst niedrige Regelsätze wollten, die möglichst geringe Zuverdienstmöglichkeiten wollten, die wollten, dass die Leute möglichst wenig für die Altersvorsorge zurücklegen können? Es konnte Ihnen ja überhaupt gar nicht genug sein, und zwar nach unten. So ist das gewesen. Das ist die historische Wahrheit dieses Gesetzes.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dann, meine Damen und Herren, haben Sie wirklich jahrelang überhaupt nichts gemacht, als wir den Fehler bereits eingesehen hatten, als wir Ihnen immer gesagt haben, das ist zu wenig, davon kann man nicht menschenwürdig leben. Weder in der großen Koalition noch in der schwarz-gelben Koalition haben Sie einen einzigen Finger gerührt, sondern Sie haben gewartet, bis das Bundesverfassungsgericht Sie gezwungen hat, die Regelsätze neu zu berechnen.

Das war im Februar. Was ist seitdem passiert? Der Berg kreißte und gebar 5 Euro. Diese 5 Euro haben Sie politisch ausgehandelt. Sie können uns nichts von einem transparenten Verfahren erzählen, meine Damen und Herren, denn wir wissen doch, dass der Haushalt der Bundesarbeitsministerin schon aufgestellt war, ehe die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe überhaupt vorgelegen hat - erstens -, zweitens dass finanzpolitisch Herr Seehofer Ihnen gesagt hat, da muss null Euro herauskommen, dass Westerwelle gesagt hat, da muss so wenig wie möglich herauskommen, sonst droht spätrömische Dekadenz in diesem Lande.

Dann hat Frau Merkel Donnerstag mit den Ministerpräsidenten der Union zusammengesessen. Da hieß es 20 Euro, und drei Tage später, am Sonntag, waren es noch 5 Euro. Das haben Sie mit statistischen Tricks hingekriegt.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Beispiel haben Sie nicht mehr die unteren 20 % der Einkommensbezieher in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe genommen, sondern die unteren 15 %. Das ist doch eine ganz andere Referenzgruppe. Und Sie haben die Hartz-IVAufstocker drin gelassen. Das heißt, Sie haben sich an denen orientiert, die ohnehin ganz wenig haben, die von Hartz IV leben müssen. Die sind jetzt der Maßstab für Hartz IV. Das ist ein unzulässiger Zirkelschluss, den Sie da gemacht haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dann haben Sie noch lange hin und her gerechnet, bis es mit den 5 Euro gepasst hat. Meine Damen und Herren, das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber dieses Armutszeugnis passt ins Konzept dieser Bundesregierung, und das Konzept heißt: Umverteilung von unten nach oben. In der Bankenkrise gab es Milliarden für die Fehler der sogenannten Wirtschaftseliten. Die müssen jetzt im

Aufschwung zurückgezahlt werden. Und wo holen Sie sich das Geld? Sie machen das von unten nach oben! 5 Euro mehr für die Hartz-IV-Empfänger, und Sie verschweigen dabei geflissentlich, dass die Hartz-IV-Empfänger diese 5 Euro im Grunde auch noch selbst bezahlen. Sie streichen den Hartz-IV-Empfängern das Elterngeld, Sie zahlen dafür nicht mehr in die Rente ein, Sie streichen den Übergangszuschuss von ALG I auf ALG II. Das sind wesentliche Elemente Ihres Sparpakets. Die holen Sie sich bei den Ärmsten der Armen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich möchte mit Ihnen aber auch noch einmal darüber reden, dass wir in diesem Land viel zu viel schlechte Arbeit haben, zu viel Leiharbeit, zu viel Hungerlöhne. Immer mehr Arbeitgeber schicken ihre Leute zum Amt und sagen: Ich zahle euch 3,50 Euro die Stunde, den Rest könnt ihr euch vom Amt holen.

Sie müssen ja krampfhaft - das ist die perfide Logik Ihres Systems - das Existenzminimum für die ärmsten Menschen herunterrechnen, damit sie die Dumpinglöhne behalten können. Wenn Sie es anders herum machen würden, wenn Sie den Menschen Mindestlöhne geben würden, dann hätten wir einen ganz anderen Maßstab, um den Lohnabstand überhaupt festzumachen, und im Kampf gegen die Armut wäre wirklich etwas gewonnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)