Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

Besonders gilt es, dass sich Jungen und Mädchen in einer nicht der Geschlechterrolle typischen Berufswelt erproben können. Aber das geht nur, wenn sie sich nicht mit einem Jungen oder einem Mädchen, der oder das in dieser Welt zu Hause ist, bewegen und erproben können.

Also: Zukunftstag für Jungen und Mädchen, aber es muss gewährleistet sein, dass der Tag im Betrieb getrennt erlebt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Zukunftstag ist in Niedersachsen ein wichtiger Schritt, um Gleichstellung für beide Geschlechter zu erreichen. Aber dieser Zukunftstag ist noch nicht einmal von der Landesregierung evaluiert worden. Das ist Ihnen zu viel und vielleicht auch zu teuer.

Meine Damen und Herren, ich vertrete heute hier meine Kollegin Frau Reichwaldt. Es ist ihr vollkommen unverständlich, weshalb bei diesem wichtigen Thema noch nicht einmal der Lenkungskreis, der diese Arbeit um den Zukunftstag doch beglei

tend stützt und stützen soll, im Ausschuss angehört werden konnte. Das ist die große Frage.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch wieder einmal keine Zeit, um sich um die Zukunft von Jungen und Mädchen hier in Niedersachsen Gedanken zu machen!

Der Antrag der Grünen kommt zur rechten Zeit. Die Forderungen sind berechtigt, und meine Fraktion wird diesem Antrag zustimmen. Meine Fraktion ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Es gilt, Jungen und Mädchen zu fördern und das typische Rollenverhalten bei der Berufswahl zu durchbrechen. Nur so werden wir die Geschlechtergerechtigkeit und damit die Gleichstellung von Frau und Mann in der Berufswelt erreichen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Weddige-Degenhard.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten Graduierten sind weiblich, die meisten Schulabbrecher sind männlich. Im Bereich Gesundheit und Soziales liegt an den Hochschulen der Frauenanteil bei fast 75 %, im Ingenieur- und Bauwesen lediglich bei 18 %.

Der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Bildungserfolg hat sich in den letzten 50 Jahren deutlich verändert. Das ist eines der Ergebnisse der von der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft in Auftrag gegebenen europäischen Studie, die belegt, dass die Berufswahl von Männern und Frauen auch 2009 noch traditionellen Geschlechterrollen folgt.

Obwohl tradierte Rollenbilder heute nicht mehr die Wirklichkeit der jungen Menschen widerspiegeln, bleiben die klassischen Rollenvorstellungen in den Köpfen länger erhalten, als uns lieb ist.

Der ursprünglich als Girls’ Day auf Bundesebene konzipierte Tag zur Sensibilisierung von Mädchen zwischen 10 und 15 Jahren für naturwissenschaftliche und technische Berufe wurde in Niedersachsen 2005 gemeinsam mit allen Fraktionen im Landtag zu einem Zukunftstag für Mädchen und Jungen weiterentwickelt. Leider zeigt sich in der Praxis, dass dieser Tag vielfach zu einem allge

meinen Tag der Berufsorientierung geworden ist. Der geschlechtersensible Ansatz ging verloren.

(Zustimmung bei der LINKEN!)

Für eine allgemeine Berufsorientierung jedoch gibt es inzwischen Praktikumstage an allen Schulen. Angestoßen von der EU, hat die Bundesebene parallel zum Girls’ Day einen Boys’ Day entwickelt, der Jungen für soziale Berufe interessieren und zur Reflektion von Männlichkeitsvorstellungen anregen soll. Das Netzwerk „Neue Wege für Jungs“ koordiniert bundesweit Aktionen an diesem Tag.

Die Erfahrung auf Bundesebene zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Jungen großes Engagement zeigen, wenn sie dabei unter sich sind - eine Erfahrung, die für Mädchen im Umgang mit Technik gleichermaßen gilt. Ein Drittel der Schüler kann sich nach der Stippvisite in einer sozialen Einrichtung vorstellen, später einen erzieherischen oder pflegerischen Beruf zu ergreifen. Diese Aktionen lassen sich sicherlich auch auf Niedersachsen übertragen und könnten eine Anregung für den kommenden Girls’ and Boys’ Day sein.

Der Fachkräftemangel war heute Morgen schon Thema. Wir brauchen die gut ausgebildeten Frauen in den sogenannten Männerberufen und engagierte Männer in den sozialen und pädagogischen Berufen.

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur geschlechtergerechten Weiterentwicklung des Zukunftstages für Mädchen und Jungen beschreibt bestehende Probleme. Kultus- und Sozialausschuss sind sich darin einig, dass die Zielrichtung ihres Antrags richtig ist, aber er bietet keinerlei Lösung.

Die Probleme liegen nicht im Lenkungskreis, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern an den fehlenden zeitlichen und personellen Ressourcen in den Schulen. Diese haben einfach nicht genügend Zeit für eine ausreichende Vor- und Nachbereitung. Hier ist das Kultusministerium gefragt, Herr Dr. Althusmann. Wir werden uns deshalb enthalten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Vockert.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Zukunftstag für Mädchen und Jungen ist schon viel zu der Zielsetzung gesagt worden. Das ist alles richtig. Da gibt es überhaupt kein Vertun. Das brauche ich nicht alles zu wiederholen. Ich glaube auch, dass ich hinsichtlich der Zielsetzung dieses Zukunftstages für Mädchen und Jungen gar nichts zu wiederholen brauche. Auch da - das haben wir bei den Ausschussberatungen gesehen - sind wir uns völlig einig.

Jetzt stellt sich nur die Frage, ob wir tatsächlich sagen, der Antrag der Grünen ist sinnvoll; denn sie fordern mit diesem Antrag eine Weiterentwicklung des Zukunftstages. Man muss sich fragen, ob das wirklich so praktikabel ist.

Wie sieht der Zukunftstag in der Praxis aus? - Ich habe mehrere Schülerinnen, die mich begleiten: Schüler begleiten Abgeordnete, Praktikantinnen vor Ort, in den Schulen spreche ich auch immer wieder Schülerinnen und Schüler an. Was bekomme ich dann dort zu hören? - Erst einmal haben sie schon Probleme, Unternehmerinnen und Unternehmer zu finden, die sie im ersten Jahr vielleicht noch nehmen, im zweiten haben sie schon Probleme in männerspezifischen Berufen. Die Jungen können sich dann freuen, dass sie auf kommunaler Ebene noch einzelne Einrichtungen finden. Vor dem Hintergrund wird es aber immer problematischer. Häufig fragen einige auch die Eltern, weil das so wunderschön bequem ist. Es ist dann nicht von Bedeutung, ob die eigentliche Zielsetzung damit verbunden ist.

Wenn man die Schülerinnen und Schüler selbst fragt, wie sie diesen Tag erleben, dann stellen wir in den Gesprächen fest: Mit Begeisterung - jedenfalls zum Teil; es kommt darauf an, wo sie waren - erzählen sie, wie sie den Zukunftstag erlebt haben. Fragt man sie eine Woche später, ist es schon etwas verblasst, und ein Jahr später ist es völlig verblasst. Das heißt, die Zielsetzung, die dahinter steht, tatsächlich zu einer Entscheidungshilfe, zur Berufswahlorientierung möglicherweise in einen männertypischen Beruf für ein Mädchen zu kommen, wird mit einem Tag - da sind wir uns in unserer Fraktion einig - so nicht erreicht werden.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen ist die Zielsetzung sinnvoll, aber mit dem Zukunftstag und auch mit einer Evaluation, Frau Kollegin Twesten, nicht zu erreichen und einfach nicht umsetzbar.

Frau Kollegin Weddige-Degenhard hat eben gesagt, das liege an den Lehrern, die viel zu wenig Zeit hätten.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Das hat sie nicht gesagt! Sie hat gesagt, dass liegt an zu wenigen Ressourcen, nicht an den Lehrern!)

- Das liegt an zu wenig Ressourcen. Gut. Dann sagen wir ganz einfach: zu wenig Ressourcen für die Lehrkräfte.

Nun stellen Sie sich vor - ich war früher auch Lehrerin; hier sind viele Lehrer -: Wir haben einen einzigen Zukunftstag. Ich soll für 28 Schülerinnen und Schüler - es können von mir aus auch nur 20 sein - jeweils ein Unternehmen finden, mit diesem Unternehmen im Vorfeld ein Gespräch führen, ob es die Zielsetzung des Zukunftstags richtig umsetzen will. Dann gehen die Schülerinnen und Schüler alle in dieses Unternehmen oder in mehrere Unternehmen. Danach bereite ich das mit den Unternehmerinnen und Unternehmern entsprechend nach. - Das wäre die Ressourcenzurverfügungstellung, die Sie einfordern.

Da fragen wir uns nach der Aufwand-NutzenAnalyse. Ich spreche jetzt nicht von Kosten. Wenn Sie Lehrerressourcen einfordern, könnte ich auch sagen: Kosten-Nutzen-Analyse. Ist das eigentlich sinnvoll? - Dazu sagen wir definitiv: Es steht in keinem Verhältnis, an einem einzigen Tag im Jahr einen Perspektivwechsel bei den Schülerinnen und Schülern - bei Ihren Kindern, bei Ihren Enkelkindern, bei Ihren Nichten und Neffen; unterhalten Sie sich mit denen! - erreichen zu wollen. Das ist definitiv der falsche Ansatz.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir meinen, es muss mit Blick auf die Zielsetzung ein anderer Ansatz her.

Sie alle kennen das „Haus der kleinen Forscher“. Wir müssen - wie in vielen Bereichen - sehr früh anfangen, um zu einem Umdenkprozess zu kommen: Zum Beispiel fördert das „Haus der kleinen Forscher“ die Drei- bis Sechsjährigen in diesem Bereich; und in der Grundschule soll das Interesse für die MINT-Fächer geweckt werden. Wir haben immer gesagt, wir müssen die Grundschüler neugierig auf MINT-Themen machen.

(Zustimmung bei der CDU)

In der Sekundarstufe I müssen wir den Schülern Aufgabenfelder aus der Praxis zeigen; in den allgemeinbildenden Schulen müssen Angebote zur

Berufsorientierung gemacht werden; es muss intensiver über gewerblich-technische Berufe informiert werden. Es gibt so viele gute Kooperationsprojekte, die nicht nur einen Tag lang dauern, sondern über einen längeren Zeitraum laufen und verschiedene Inhalte vermitteln. Ich finde diesen Ansatz richtig und wichtig. Wir müssen bei den Kindern von klein auf anfangen und Möglichkeiten schaffen, damit in längerfristigen Projekten gearbeitet werden kann. Die Stiftung „NiedersachsenMetall“ bietet ein ganz tolles MINT-Kooperationsnetzwerk an. Aktivitäten in dieser Richtung sollten wir weiter forcieren.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

120 Unternehmen, 140 Schulen und 10 Hochschulen unterstützen das Projekt „Mein erstes Chemiepraktikum“ und den Wettbewerb Chemie und Schule. Das alles sind kleine Bausteine, die Denkprozesse bei den Schülerinnen und Schülern initiieren sollen - und zwar nicht nur einen Tag lang -, damit sie prüfen können: Liege ich eigentlich richtig? - Wir brauchen keine Evaluation, wir brauchen keinen aufgesetzten Tag, dessen Organisation den Lehrkräften - nach meinem Dafürhalten völlig überfrachtet - vom Schreibtisch aus zugemutet wird und der unter dem Strich keine nachhaltige Änderung herbeiführen wird.

Wir möchten eine andere Gewichtung vornehmen - das habe ich eben angesprochen. Es spricht nichts gegen den Zukunftstag; er bedeutet eine Abwechslung. Die letzte Schülerin, die mich am Zukunftstag begleitet hat, hat gesagt: Prima, wir sagen in der Schule immer: Toll, mal wieder einen Tag nicht zur Schule gehen!

Man muss auch sehen, wie das in der Praxis läuft. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist definitiv ein Antrag vom grünen Tisch und hat mit der Praxis nichts zu tun. Wir können ihn nur ablehnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es gibt zwei Wünsche auf Kurzinterventionen. Zunächst hat Frau Twesten von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und dann Frau Weddige-Degenhard von der SPDFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Vockert, man könnte den Eindruck gewinnen, dass

Sie bei den Ausschussberatungen nicht anwesend waren.

(Ursula Körtner [CDU]: Doch!)