Protokoll der Sitzung vom 07.12.2010

Wir sind wie bei vielen Fragen auf der Seite der Mehrheit. Auch wir sind nämlich skeptisch, weil Ihr gesamter Aufschwung darauf beruht - und das wissen Sie, wenn Sie ein bisschen genauer hingucken -, dass zwar die Beschäftigung zugenommen hat, vor allem aber die Beschäftigung in prekären Arbeitsverhältnissen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie müssen sich einmal die für die Zukunft entscheidende Kernzahl angucken, nämlich die Arbeitsplätze für Jugendliche, und sie auch zur Kenntnis nehmen. Inzwischen ist fast die Hälfte der Neueinstellungen befristet, bei Großbetrieben sind

es 60 %. Bei den Jüngeren - so sagt ver.di - ist die Lage so, dass 28 % der unter 35-Jährigen bisher ausschließlich befristete Beschäftigungen hatten. Auf dieser Seuche der Befristung von Beschäftigungsverhältnissen lässt sich doch keine Zukunft aufbauen, Herr Dürr.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deshalb ist das Kernergebnis: Ihre Haushaltspolitik ist kalt und unsozial, sie ist unsolide finanziert, sie ist, was die wirtschaftlichen Grundlagen dieser Politik anlangt, brüchig, und das wird sich in den nächsten Jahren herauskristallisieren. Zum Glück müssen wir uns dieses Elend nur noch bis 2013 angucken.

Schönen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der LINKEN und Beifall bei den GRÜ- NEN)

Danke schön. - Für die Landesregierung hat Herr Minister Möllring das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem vorher Gesagten einige Anmerkungen machen, insbesondere zum Letzteren.

Die Fraktion der Linken will die von ihr beantragten Mehrausgaben ja im Wesentlichen durch Steuererhöhungen und die Neueinführung von Steuern finanzieren. Sie wissen, dass sie das hier nicht steuern können, aber man kann es ja trotzdem versuchen. Ich erinnere allerdings daran, dass wir die höchsten Steuerausfälle aufgrund der Körperschaftsteuerreform im Jahre 2000 hatten. Damals war Herr Lafontaine Bundesfinanzminister, kurz bevor er Kommunist wurde.

(Zurufe von der CDU: Hört, hört! - La- chen bei der LINKEN)

Und weil er seine Arbeit offensichtlich so gut gemacht hat, haben die Linken ihn gleich, kaum war er bei ihnen angekommen, zum Bundesvorsitzenden gewählt. So sind also Taten und Reden unterschiedlich. Dort, wo man als Kommunist am Handeln ist, ist passiert, dass wir in große - - -

(Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE])

- Man kann nicht innerhalb eines Jahres plötzlich seine ganze Gesinnung ändern. Entweder hat man eine Gesinnung und steht dazu, oder man steht nicht dazu. Wenn Sie andere Erkenntnisse über Herrn Lafontaine haben, können Sie das ja nachher darstellen. Ich unterstelle das anderen Menschen nicht.

Die Folge war, dass wir in den Jahren 2001 und 2002 mehr Körperschaftsteuer an internationale Konzerne haben ausschütten müssen, als wir eingenommen haben. So viel zu Ihrer Finanzierung des Haushaltes!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich darf mich auch ganz herzlich bei Herrn Schostok und bei Herrn Wenzel bedanken; denn ich habe nicht gehofft und nicht geglaubt, dieses Glück noch erleben zu dürfen. Wir haben gerade darüber diskutiert, wie wir auf die Verfassungsbeschwerden antworten, die die SPD-Fraktion - es haben ja alle unterschrieben - und die Grünen beim Staatsgerichtshof in Bückeburg eingereicht haben. Wir haben uns mit Ihrer Argumentation natürlich auseinandergesetzt und auch schon einen Klageerwiderungsentwurf geschrieben, den wir demnächst, nachdem er noch einmal kurz überarbeitet worden ist, einreichen werden. Ich habe nicht gehofft, dass das passieren würde, was heute uns hier passiert.

(Björn Thümler [CDU]: Ein Geschenk!)

- Es ist ein Geschenk. Der Antrag ist am 6. Dezember unterschrieben worden. Es steht „Schostok“ und nicht „Nikolaus“ darunter, sodass ich davon ausgehen muss, dass er tatsächlich von der SPD-Fraktion stammt.

(Zustimmung bei der CDU)

Mit Blick auf den Normenkontrollantrag, mit dem die SPD-Fraktion - zu den Grünen komme ich anschließend - die Verfassungswidrigkeit des 3. Nachtragshaushaltes 2009 sowie des Haushaltes 2010 festgestellt wissen möchte, lohnt sich eine Auseinandersetzung mit den Anträgen der SPD-Fraktion zum Haushaltsplanentwurf 2011. Sie haben immerhin fast ein Dreivierteljahr gebraucht, um Ihre Klage zu begründen. Aber Sie haben sich in den letzten drei Monaten nicht mehr gemerkt, was Sie hineingeschrieben haben.

Ich fasse zu Beginn schon einmal zusammen: Es ist absurd.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber der Reihe nach.

Erstens. In der beim Staatsgerichtshof eingereichten Klageschrift wird die Behauptung aufgestellt, dass das Bilden und Einsetzen der allgemeinen Rücklage zum Zwecke der Haushaltsdeckung mit der Verfassung nicht in Einklang stünde. Formuliert hat das übrigens Herr Lemme; der war früher Staatssekretär im Niedersächsischen Finanzministerium. Damals waren Rücklagenbildung und Rücklagenentnahme normal. Aber vielleicht gilt für ihn das Gleiche wie für Herrn Lafontaine. Man kann ja seine Meinung ändern.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Sehr stil- voll, Herr Minister!)

Es heißt in der von Ihnen geschriebenen Klagebegründung - ich zitiere wörtlich -:

„Die Antragsteller machen geltend, dass der Rückgriff auf die Rücklage gegen den Haushaltsgrundsatz der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit verstößt, der Verfassungsrang hat.“

Ich zitiere weiter:

„Wenn dieser Praxis nicht Einhalt geboten wird, ist jeder Haushaltsgesetzgeber in der Lage, sich von Haushaltsbeschränkungen, insbesondere den Haushaltsgrundsätzen der Jährlichkeit und der Haushaltsklarheit und -wahrheit weitgehend freizuzeichnen.“

Vor diesem Hintergrund ist es doch mehr als erstaunlich, dass nach dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zwar alles Mögliche finanziert werden soll, aber eben nicht ein Ersetzen der Rücklagenfinanzierung. Würde der Änderungsantrag der SPD-Fraktion hier im Parlament also eine Mehrheit finden - was ja ausgeschlossen ist -, wäre ein Haushaltsplan beschlossen, der eine Rücklagenentnahme von 247 Millionen Euro vorsieht.

(Björn Thümler [CDU]: Unglaublich!)

Nach Lesart der beim Staatsgerichtshof eingereichten Klagebegründung, die bekanntlich sämtliche Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion unterschrieben haben, wäre damit ein verfassungswidriger Haushalt verabschiedet worden.

(Björn Thümler [CDU]: Unglaublich!)

Entweder ist nun der Änderungsantrag verfassungswidrig,

(Ansgar-Bernhard Focke [CDU]: Pein- lich!)

dann sollte er zurückgezogen werden, oder aber die SPD-Fraktion ist in den letzten drei Monaten zu einer anderen Rechtsauffassung gelangt, dann sollte der Normenkontrollantrag zurückgezogen werden.

(Björn Thümler [CDU]: So ist das!)

Wenn Sie aber zu beidem nicht die Kraft haben, Herr Schostok, dann sollten Sie wenigstens gegen Ihren eigenen Antrag stimmen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe es bisher immer so verstanden, dass man zum Staatsgerichtshof geht, um ein falsches Verhalten der Regierung und, ihr folgend, des Landtages zu korrigieren, was aber voraussetzt, dass man sich selber zumindest während des Klageverfahrens so verhält, wie man vom Staatsgerichtshof erwartet, dass er urteilt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zweitens. Im besagten Schriftsatz wird die angebliche Verfassungswidrigkeit des 3. Nachtrages 2009 sowie des Haushaltsgesetzes 2010 auch damit begründet, dass die Nichteinhaltung der Regelgrenze des Artikels 71 nicht hinreichend begründet ist. Hierzu heißt es wörtlich, ich zitiere - Herr Schostok, gucken Sie nicht so betreten! -:

„Unabdingbare Voraussetzung für eine erhöhte, den Kreditrahmen des Artikel 71 sprengende Kreditermächtigung ist die dezidierte Darstellung und Begründung im Gesetzgebungsverfahren, warum gerade der Weg über eine erhöhte Verschuldung gewählt wird, um mit der Wirtschaftskrise fertig zu werden.“

An anderer Stelle heißt es:

„Von besonderer Bedeutung sind jedoch die zusätzlichen Anforderungen an den Gesetzgeber bzw. das Gesetzgebungsverfahren, nämlich darzulegen, dass die zusätzliche Staatsverschuldung dazu geeignet und bestimmt ist, die Wirtschaftskrise aktiv zu bekämpfen.“

Zusätzliche Staatsverschuldung - genau das beantragt hier die SPD-Fraktion mit einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme um satte 433 Millionen Euro. Davon sind 353 Millionen Euro nicht für Investitionen vorgesehen, sodass im Ergebnis die bereits im Regierungsentwurf nicht eingehaltene Regelgrenze des Artikels 71 um diesen Betrag auch noch zusätzlich überschritten wird,

(Peinlich! bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der CDU: Beim Mit- arbeiterstab der SPD-Fraktion rollen schon die ersten Köpfe! - Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

nämlich auf 1 335 000 000 Euro. Aber wo bleibt die Begründung? Wo ist die Darlegung, wie mit diesem Geld die Krise wirksamer bekämpft werden kann? Wieso soll der Inhalt der Darlegung der Landesregierung zu den Haushalten 2009, 2010 und 2011 nicht der Verfassung entsprechen, wenn Sie nicht ein einziges Wort der Darlegung verlieren, mit dem Sie begründen wollten, dass eine noch höhere Neuverschuldung erforderlich sei? Wenn man keine Begründung vorlegt, ist das überhaupt kein Inhalt, und dann kann es überhaupt nicht der Verfassung entsprechen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)