Protocol of the Session on December 8, 2010

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Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 91. Sitzung im 30. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.

Tagesordnungspunkt 12: Mitteilungen des Präsidenten

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 13, der Aktuellen Stunde. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Auf die Behandlung der Eingaben - Tagesordnungspunkt 17 - folgt dann die Aussprache über die Einzelpläne Inneres und Sport, Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien, Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration sowie Kultus.

Die heutige Sitzung soll gegen 21 Uhr enden.

Bitte geben Sie Ihre Reden bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, an den Stenografischen Dienst zurück.

Es folgen jetzt geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Ministerpräsident Herr McAllister ab ca. 18.45 Uhr, Finanzminister Herr Möllring ab ca. 12.30 Uhr, von der Fraktion der CDU Herr Dr. Deneke-Jöhrens ab ca. 17 Uhr, von der Fraktion der SPD Herr Schwarz und Herr Siebels, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Klein und Herr Briese sowie das fraktionslose Mitglied des Hauses, Frau Wegner.

Vielen Dank. - Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 13 auf:

Aktuelle Stunde

Für diesen Tagesordnungspunkt sind mir fünf Themen benannt worden, deren Einzelheiten Sie

dem Nachtrag zur Tagesordnung entnehmen können.

Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf der Aktuellen Stunde geregelten Bestimmungen setze ich bei allen Beteiligten, auch bei der Landesregierung, als bekannt voraus.

Ich eröffne jetzt die Besprechung zu Tagesordnungspunkt 13 a:

Dumpinglöhne und Leiharbeit - zweifelhafte Arbeitsbedingungen im privaten Umfeld von Ministerin Grotelüschen? - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/3127

Dazu erteile ich der Kollegin Weisser-Roelle von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im privaten Umfeld von Ministerin Grotelüschen dominieren ganz offensichtlich Dumpinglöhne, Leiharbeit und zweifelhafte Arbeitsbedingungen. Lohndumping hat in Deutschland, vor allem seit den HartzGesetzen, Konjunktur. Die Zahl der Beschäftigten, die vom Lohn ihrer Arbeit nicht mehr leben können, ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Stundenlöhne von 5 Euro und noch weniger sind keine Seltenheit. Die Lohnstückkosten hingegen sind in den letzten zehn Jahren hierzulande gerade einmal um 7 % gestiegen, in allen anderen Ländern der Euro-Zone um knapp 30 %.

Lohndumping und Niedriglöhne sind gerade in der Fleischindustrie weit verbreitet. Dieser Industriezweig erlebt dadurch eine echte Wirtschaftswunderzeit, und diese Wirtschaftswunderzeit erlebt er auf Kosten der Beschäftigten. In ganz Europa werden Schlachthöfe dichtgemacht und zum Teil in die Bundesrepublik verlagert; denn Deutschland lockt mit Rahmenbedingungen, mit denen der Rest Europas nicht mehr mithalten kann.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die gesamte Branche ist nahezu gewerkschafts- und betriebsratsfrei - keine Tarifbindung, kein Mindestlohn und nur wenig öffentliche Kontrolle. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind der Ausbeutung schutzlos ausgeliefert, und das ist ein Skandal, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Christian Meyer [GRÜNE])

Unter diesen Rahmenbedingungen ist Niedersachsen zum Zentrum der europäischen Fleischindustrie geworden. Billigarbeiter aus Osteuropa schuften vielerorts in Tiermästereien, Zerlegebetrieben und Schlachthöfen bis zu 16 Stunden am Tag zu Hungerlöhnen unter 5 Euro. Die dänischen Gewerkschaften klagen, dass ihre Fleischindustrie zusammenbricht, weil Deutschland teilweise Löhne auf dem Niveau von Polen und Ungarn zahlt. Auch in Frankreich, Belgien und anderen Nachbarstaaten ist die Wut wegen des Lohndumpings groß. Dieser Zustand ist einem reichen Land wie Deutschland unwürdig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Christian Meyer [GRÜNE])

Von der Arbeit muss man leben können, und ein gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro, wie ihn die Linke fordert, kann dem Lohndumping eine Grenze setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen den Schlachtbetrieb Geestland Putenspezialitäten GmbH & Co. KG wegen des Verdachts der Beihilfe zur illegalen Arbeitnehmerüberlassung. Die Arbeitnehmer aus Bulgarien sollen nach NDRRecherchen unter unzumutbaren Arbeits- und Lebensbedingungen dort beschäftigt sein.

Der Familienbetrieb von Ministerin Grotelüschen ist an diesem Schlachthof als Gesellschafter und Kommanditist Zeitungsberichten zufolge mit 2 Millionen Euro beteiligt. Meine Damen und Herren, Familie Grotelüschen profitiert von den Gewinnen, die bei Geestland gemacht werden - von Gewinnen, die möglicherweise durch illegale Arbeitnehmerüberlassung und durch Lohndumping zulasten osteuropäischer Beschäftigter gemacht werden.

Meine Damen und Herren, das muss man sich einmal vorstellen. Auch das ist skandalös und für die Linke nicht mehr hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Frau Kollegin, das ist nicht in Ordnung, und das wissen Sie ganz genau! Das ist nicht in Ordnung!)

Ich gehe davon aus, dass die Ministerin weiß, was in der Fleisch verarbeitenden Industrie Niedersachsens und insbesondere im Betrieb Geestland vor sich geht. Und wenn dann Frau Ministerin Gro

telüschen in einem Fernsehinterview einen Lohn von 5 Euro durchaus für akzeptabel hält,

(Zurufe von der CDU)

wird Lohndumping von einem Mitglied der Landesregierung hoffähig gemacht, meine Damen und Herren. Das muss man sich einmal vorstellen!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Zwischen netto und brutto zu unterscheiden, ist für Sie schon ein Problem! - Jens Nacke [CDU]: Sie verfälschen Tatsachen!)

Frau Ministerin Grotelüschen, Sie sind nicht nur eine Lobbyistin für Massentierhaltung und daher ungeeignet als Tierschützerin. Sie dulden auch die zum Teil schlimmen Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne in der Fleischindustrie, darunter in Ihrem persönlichen Umfeld. Meine Damen und Herren, diese Vorgänge zeigen erneut, dass unsere Landwirtschaftsministerin nicht in der Lage ist, ihr Amt unabhängig und integer auszuüben.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Lobbyistin der industriellen Massentierhaltung, die Hungerlöhne für angemessen hält und Gewinnmaximierung zum Maßstab ihres Handelns erklärt, ist als Ministerin nicht tragbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Ministerin, wir erwarten von Ihnen heute, dass Sie zu der Akzeptanz von 5 Euro Stundenlohn Stellung beziehen. Herr McAllister ist leider nicht da, deshalb spreche ich Herrn Bode an. Herr Bode, distanzieren Sie sich als Landesregierung endlich von Ihrer Ministerin, und entlassen Sie diese!

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Das war ja unterirdisch! - Björn Thümler [CDU]: Schlimmer!)

Ich erteile dem Kollegen Meyer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Produktion von Billigfleisch zu Billiglöhnen in immer größer werdenden Schlachthöfen ist ein sozialer Skandal.

Diese Ausbeutung zu Dumpinglöhnen mit ausgelagerten Arbeitern, oft aus Osteuropa, ist kein Ein

zelfall, sondern hat System. Oft sind nur noch 20 % der Beschäftigten direkt beim Betreiber angestellt. Der Rest schlachtet mit Werkverträgen für 5 Euro bis zu 16 Stunden am Stück.

Für den Gewerkschafter Herrn Güster ist das - Zitat aus der Süddeutschen Zeitung vom 15. November 2010 - „ein System von Raubtierkapitalismus und Menschenverachtung“, und da hat er recht.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Niedersachsen wird zum Dumpinglohnstandort in Europa. Jetzt schon wandern Millionen Schweine aus Dänemark in unsere Billigstschlachthöfe und werden dann per Lkw zurückgeschickt. Das lohnt sich, weil es z. B. in Dänemark einen Einstiegslohn von 21 Euro und in Belgien und Frankreich feste Mindestlöhne gibt.

Und was sagt Ihre Ministerin Grotelüschen dazu? - Sie findet Stundenlöhne von 5 Euro akzeptabel.

(Zurufe von der LINKEN: Skandal!)

Diese Äußerung „sei ‚katastrophal’ gewesen“, schreibt die HAZ vom 3. Dezember 2010. „Alle in der (CDU-)Fraktion seien genervt, bis hin zum Ministerpräsidenten.“