Protokoll der Sitzung vom 18.02.2011

fig Auslöser für einen Suizid. Wir müssen daher dringend weg von der Tabuisierung und für eine Enttabuisierung dieses Themas sorgen. Nur ein verändertes gesellschaftliches Bewusstsein eröffnet überhaupt die Möglichkeit, Wege zu besserer Prävention und Versorgung suizidgefährdeter Menschen zu beschreiten.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Die SPD hat daher ein Landesprogramm zur Früherkennung und Prävention von Alterssuizid vorgeschlagen. Alle im Sozialausschuss angehörten Fachverbände haben den Antrag der SPD inhaltlich ausdrücklich begrüßt. Vor allem die evangelische Kirche, die katholische Kirche, der Niedersächsische Pflegerat sowie der nationale Suizidpräventionsrat haben unsere Vorschläge mit wichtigen Anregungen angereichert, die wir in den Ihnen vorliegenden Änderungsantrag aufgenommen haben.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Dazu gehören insbesondere der flächendeckende Aufbau wohnortnaher Netzwerke und Anlaufstellen für ältere Menschen, die Stärkung des Bewusstseins für dieses Hilfsangebot bei der älteren Bevölkerung, die Stärkung der zentralen Präventionsfunktion des Hausarztes, die Erweiterung der Aus- und Fortbildung sowie der Studiengänge von Hausärzten, Psychiatern und Psychotherapeuten - Suizidprävention muss Teil des Curriculums in der Pflege- und der medizinischen Ausbildung werden -, deutlich verbesserte Schlüssel im Pflegebereich, insbesondere hinsichtlich der Ausbildung, der Vergütung und der Fachlichkeit - die Diakonie hat darauf hingewiesen, dass der Pflegenotstand besonders in diesen Bereichen zwischenzeitlich spürbar ist -, die altersgerechte Ausgestaltung der Behandlung - z. B. im Hinblick auf die Packungsgrößen bei Medikamenten und die Nichtverordnung toxischer Medikamente -, eine endlich stärkere Ausrichtung der ambulanten psychiatrischen Versorgung auf die Gerontopsychiatrie - selbst in psychiatrischen Kliniken in Niedersachsen gibt es kaum alterspsychiatrische Abteilungen oder Institutsambulanzen; Frau Prüssner, was Sie zum Problembereich der Gerontopsychiatrie ausgeführt haben, teile ich, steht aber in Ihrer Beschlussempfehlung an keiner einzigen Stelle -, die Unterstützung und Förderung der Notfallseelsorge und der Auf- und Ausbau von Einrichtungen und Angeboten der akuten Krisenintervention.

Meine Damen und Herren, vor allem brauchen wir die Vergabe eines wissenschaftlichen Forschungsprojektes des Landes, um die psychischen, sozialen und ökonomischen Ursachen von Alterssuiziden sowie mögliche Handlungsnotwendigkeiten und -optionen umfassend zu ermitteln.

Niedersachsen hätte mit unserem Antrag die Chance gehabt, das Thema verstärkt in den öffentlichen Blickpunkt zu bringen und bundesweit eine Vorreiterrolle einzunehmen.

(Beifall bei der SPD sowie Zustimmung von Patrick-Marc Humke [LINKE] und Christel Wegner [fraktionslos])

Diese Chance wird mit der von CDU und FDP durchgesetzten Beschlussempfehlung leider vertan. Die Koalitionsfraktionen übernehmen die ersten vier Punkte der einleitenden Feststellungen von der SPD, streichen dann aber sämtliche Arbeitsaufträge an die Landesregierung.

Übrig bleibt die Bitte, „den Aufbau weiterer … Netzwerke zu begleiten“ - aber nur dann, wenn Dritte sie aufbauen, und wer sie dann begleitet, bleibt offen.

Übrig bleibt die Veröffentlichung von „Best-Practice-Beispielen“. - Ich finde schon den Begriff an dieser Stelle völlig deplatziert.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Miriam Staudte [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, es geht nicht um neue Broschüren, sondern um den Aufbau konkreter Hilfsangebote für die Menschen, für die die Selbsttötung offensichtlich der einzige Ausweg ist.

Übrig bleibt, dass über die Problematik informiert werden soll, und zwar dort, „wo Beratung für ältere Menschen stattfindet“. Meine Damen und Herren, es geht darum, die Betroffenen erstmals zur Annahme von Hilfsangeboten zu bewegen, und nicht darum, den Beratungsstellen zu erklären, wie ihre Beratung zu erfolgen hat.

(Zustimmung von Johanne Modder [SPD])

Wir sind nach den intensiven Beratungen im Fachausschuss - das will ich unumwunden zugestehen - über die von den Koalitionsfraktionen formulierte Beschlussempfehlung entsetzt.

(Glocke der Präsidentin)

Sie ist hinsichtlich der Probleme oberflächlich und inhaltlich völlig unangemessen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Ich hätte es übrigens nicht für möglich gehalten, dass wir bei diesem Thema im Plenum keine von allen Fraktionen getragene Beschlussempfehlung verabschieden würden.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

CDU und FDP hatten daran leider nicht ansatzweise Interesse.

(Glocke der Präsidentin)

Monatelang hat sich die Koalition mit einer Positionierung Zeit gelassen. Am 2. Februar wurde dann der vorliegende Entschließungstext vorgelegt, welcher kompromisslos durchgestimmt wurde, erkennbar auf Druck des Vertreters der FDP. - Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin.

Letzter Satz!

Bei einem solchen Thema geht es nicht um Regierung und Opposition. Hier sind Gemeinsamkeiten gefragt, damit das Selbstbestimmungsrecht von Menschen im Alter erhalten bleiben kann und sie nicht in den Freitod flüchten. Dass CDU und FDP zu dieser Gemeinsamkeit nicht in der Lage waren, ist bei diesem Thema völlig unangemessen, peinlich und beschämend. Es ist beschämend für das gesamte Parlament.

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung bei der LINKEN und von Chris- tel Wegner [fraktionslos])

Herzlichen Dank. - Zu einer Kurzintervention zu der Rede des Kollegen Schwarz erteile ich Herrn Kollegen Riese von der FDP-Fraktion für anderthalb Minuten das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier zu Protokoll geben, dass uns der Änderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion heute während der laufenden Debatte erreicht hat. Ich habe ihn erst bekommen, nachdem ich meinen Redebeitrag bereits gehalten hatte.

Herr Kollege Schwarz, Sie möchten antworten. Bitte, Sie haben anderthalb Minuten.

(Johanne Modder [SPD]: Jetzt mal zuhören, Herr Riese!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Riese, das hatte genau die Qualität Ihres Debattenbeitrages bei der Einbringung dieses Themas. Ich kann mich daran gut erinnern. Das ist bei mir sehr haften geblieben. Auch diesmal liegen Sie falsch. Der Änderungsantrag der SPD-Fraktion ist gestern Vormittag eingebracht worden. Wir haben vorhin gemerkt, dass er nicht verteilt worden ist. Das ist ein Versehen der Verwaltung. Dafür kann die SPD-Fraktion nichts.

(Professor Dr. Dr. Roland Zielke [FDP]: Das haben wir auch nicht behauptet!)

Ich unterstelle im Übrigen, dass das keine Absicht der Verwaltung war.

(Professor Dr. Dr. Roland Zielke [FDP]: Auch das haben wir nicht behauptet!)

- Das haben Sie nicht behauptet, aber der Kollege Riese, und das macht er nicht zum ersten Mal. Er versucht bei diesem Thema ständig, mit Ausfallschritten am Thema vorbei Polarisierungen herbeizuführen, die völlig unangemessen und falsch sind.

(Widerspruch bei der FDP - Gegenruf von Johanne Modder [SPD]: Selbst- verständlich ist das so!)

Diese Form der politischen Auseinandersetzung mit ihm ist kaum noch zu ertragen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN sowie Zustimmung von Christel Wegner [fraktionslos] - Christian Dürr [FDP]: Sie sind kaum zu ertragen!)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Schwarz. - Ich möchte mich für die Landtagsverwaltung entschuldigen, die den Änderungsantrag versehentlich an die Fraktionen verteilt hat und nicht hier. Aber ich denke, dass das jetzt geklärt ist.

(Johanne Modder [SPD]: Herr Riese könnte sich mal entschuldigen!)

Für die Landesregierung hat sich Frau Ministerin Özkan zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zahlen zum Suizid im Alter müssen uns alle in der Tat beunruhigen. Diese Entwicklung muss jede und jeden von uns umtreiben. Bei diesem sensiblen Thema - wenn wir jetzt zur Sache zurückkommen, nachdem die Formalien geklärt sind - gibt es jedoch keine patentierten Lösungsansätze, um Suizide künftig vollständig verhindern zu können. Ich habe sie heute jedenfalls noch nicht gehört, und auch im Ausschuss haben wir lange darüber diskutiert.

Wir wollen deshalb auf Landesebene da ansetzen, wo wir wahrscheinlich am ehesten dazu beitragen können, Betroffene aus ihrer Isolation zu holen. Es gilt gerade in Zeiten, in denen oft nicht mehr alle Generationen einer Familie unter einem Dach wohnen, den manches Mal auftretenden Teufelskreis der Vereinsamung zu durchbrechen, und zwar mit ehrenamtlichen Formen des Miteinanders - das sollten wir nicht unterschätzen -, mit Besuchsdiensten, mit generationenübergreifenden Begegnungen, mit Beratungsangeboten und mit der großartigen Arbeit der Sozialverbände, z. B. in den Sozialstationen vor Ort. Sie leisten eine hervorragende Arbeit.

(Zustimmung bei der CDU und von Gabriela König [FDP])

Aber darüber hinaus unterstützen wir auch neue Wohnformen, wie das sogenannte generationenübergreifende Wohnen, das hier überhaupt nicht erwähnt worden ist. Wenn wir Menschen aus der Isolation befreien wollen - Isolation ist oft die Ursache für Depressionen und vielleicht für Suizide -, dann müssen wir auch dort ansetzen.

Gesund bleiben, meine Damen und Herren, wird von älteren und alten Menschen immer als eines der wichtigsten Lebensziele genannt. Dennoch - das müssen wir deutlich sagen - lassen sich Funktionseinbußen bei der Mobilität, beim Gleichgewicht, bei der Koordination, beim Hören und Sehen im Alter nicht immer vermeiden. Im Alter häufen sich daher depressive Störungen, bedingt durch die mit dem Älterwerden einhergehenden Verlusterlebnisse. Gerade Depressionen gehen immer mit einem erhöhten Risiko einher, den Ausweg in einem Suizid zu suchen; auch das haben wir in den Ausschussberatungen gehört. Das Erkennen und die Behandlung von Depressionen ist daher ein zentraler Baustein in der Prävention von Altersuizid.

Die Anhörung im Ausschuss hat gezeigt, dass es in Niedersachsen bereits ein ganzes Bündel an Hilfs- und Unterstützungsangeboten gibt. Herr Schwarz, ich möchte daran erinnern, dass Professor Spengler, Vorsitzender des PsychKG-Ausschusses, gesagt hat, dass es sehr viele Ansätze gibt und dass der Ansatz sein sollte, die bestehenden Maßnahmen und Präventionsmöglichkeiten stärker zu vernetzen.

(Zustimmung von Heidemarie Mundlos [CDU])

Hier wollen wir ansetzen. Das Beispiel Hannover/Ostfriesland ist genannt worden. Wir wollen die vorhandenen Angebote weiter vernetzen. Dabei spielen auch unsere Seniorenservicebüros eine sehr große und besondere Rolle. Mehr Gemeinsinn und mehr Aufklärungsarbeit sind dabei die wichtigsten Grundlagen; dabei bleiben wir. Wo sich Menschen umeinander kümmern, da werden Warnsignale seltener ungehört verhallen.

Vielen Dank.