Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zu diesem Tagesordnungspunkt liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Deswegen können wir die erste Beratung abschließen.
Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen, federführend den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, Medien und Regionalentwicklung und mitberatend den Ausschuss für Umwelt, Energie und Klimaschutz mit dem Antrag zu befassen. Wer das unterstützt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist nach der Geschäftsordnung ausreichend unterstützt. So wird verfahren.
Tagesordnungspunkt 33: Erste (und abschließende) Beratung: Fortführung des Förderprogramms und Weiterentwicklung der Projekte zur Verhinderung von
sexuellem Kindesmissbrauch - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/1116
Die Einbringung übernimmt für die antragstellenden Fraktionen die Abgeordnete Frau Dr. Thela Wernstedt, der ich das Wort erteile.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Jahren hat das Thema sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen eine große öffentliche Aufmerksamkeit erlangt. Wir haben erfahren, in welchem Umfang in Internaten und anderen Einrichtungen sexueller Missbrauch wie selbstverständlich stattfand. Die dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen waren oft in besonderer Weise schutzbedürftig, weil sie keine stabilen Elternhäuser oder andere Bezugspersonen hatten.
Heute staunen wir, was für Gründe in den 50erJahren ausgereicht haben, um einen Jugendlichen in einem Heim für Schwererziehbare unterzubringen, und haben mit Entsetzen feststellen müssen, welche sogenannten Erziehungsmethoden und Strafen angewendet wurden und eben auch welcher sexuelle Missbrauch betrieben wurde.
Auch heute noch ist das Thema präsent, verschärft durch die Verfügbarkeit von Bildern im Internet. Kinder und Jugendliche werden durch sexuellen Missbrauch traumatisiert und haben ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen. Unsere Gesellschaft verurteilt heute sexuelle Übergriffe auf Kinder und Jugendliche und sieht nicht mehr weg. Wer in der Kindheit und Jugend solches hat erleben müssen - dass sie bedroht werden, dass sie unter Druck gesetzt werden, dass sich an ihren Körpern vergriffen wird -, erfährt eine Hilflosigkeit, die absolut ist, wenn keine Vertrauensperson da ist oder Vertrauenspersonen wegsehen und weghören.
Umso wichtiger ist, dass nicht nur einzelne Personen wachsam und hilfreich sind, sondern dass die Gesellschaft auch in Form von Steuer- und Beitragszahlern Verantwortung übernimmt. Besser noch, als Straftäter nach der Straftat zu verurteilen und zu bestrafen, ist es, die Taten zu verhindern.
Die Medizinische Hochschule Hannover und die Universitätsmedizin Göttingen haben sich mit etwas unterschiedlichen Schwerpunkten auf den
Weg gemacht, Männern, die bereits mit sexuellem Missbrauch straffällig geworden waren, oder solchen, die das Verlangen in sich haben und nicht straffällig werden wollen, ein Therapie- und Präventionsangebot zu machen. Das Land Niedersachsen finanziert die Projekte seit drei Jahren.
Die Angebote werden gut wahrgenommen, wie wir inzwischen wissen. Die Universität Göttingen berichtet z. B. von 87 Personen, die in das Projekt aufgenommen wurden. Von diesen haben nur etwa fünf das Projekt wieder verlassen. Alle anderen blieben dabei und haben viel Aufwand, wie z. B. lange Fahrtwege, auf sich genommen, um weiter daran teilzunehmen.
Zu den Faktoren, die offensichtlich eine Pädophilie begünstigen, zählen sexueller Missbrauch in der eigenen Kindheit und emotionale Vernachlässigung. Begleitende Symptome einer Pädophilie sind Depressivität, Ängstlichkeit und ein hohes Ausmaß kognitiver Verzerrungen, indem das eigene Tun bagatellisiert wird. Auch der Konsum von Internetpornografie wird häufig beobachtet. Da es zur Erstellung von Bildern und Filmen, die Kinderpornografie zum Inhalt haben, wiederum zu Straftaten an Kindern und Jugendlichen kommt, die es zu verhindern gilt, ist es wichtig, das Konsumverhalten zu reduzieren, auch wenn es nur wenig Auswirkungen auf diesem grausamen internationalen Markt haben mag.
Um Ihnen einen kleinen Einblick in die Art der Therapien zu geben, sei hier erwähnt, dass als therapeutischer Ansatz oft die kognitive Verhaltenstherapie gewählt wird, um zukünftige Straftaten zu verhindern. Die Teilnehmer sollen lernen, sich mit dem Risikoverhalten zu identifizieren, dafür Verantwortung zu übernehmen und ihre Einstellungen zu korrigieren, die der Rechtfertigung solcher Taten dienen.
Ein sehr wichtiger Teil der Therapie ist die Stärkung der Selbstkontrolle für zukünftige Situationen und die Möglichkeit einer Krisenintervention, wenn ein Verlangen übermächtig wird. In diesem Sinne ist die Behandlung und Begleitung von pädophilen Männern eine längerfristige Aufgabe, die nicht nach drei Jahren endet. Es geht möglicherweise um eine lebenslange Begleitung, fast im Sinne einer chronischen Erkrankung.
Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, diese wichtigen Projekte um drei weitere Jahre zu verlängern, damit die wissenschaftliche Auswertung erfolgen kann und die Begleitung der betroffenen Männer ohne Unterbrechung weiter
geht. Wir erwarten in dieser Zeit von den Projektnehmern, ein Weiterbildungskonzept zu entwickeln, damit Allgemeinärzte, Kinderärzte, Psychotherapeuten und andere lernen, auf Symptome von Kindesmissbrauch stärker zu achten, einschließlich des Konsums von Internetpornografie. Sie sollen Wissen darüber erwerben, welche Behandlungsmöglichkeiten es für Männer gibt, die bereits Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht haben oder in Gefahr sind, dieses zu tun.
Es ist unrealistisch, anzunehmen, dass wir in Niedersachsen das Versorgungsgebiet so weit ausdehnen können, dass alle Männer, bevor sie Täter werden, ein wohnortnahes Präventionsangebot bekommen. Es wird sich vermutlich auch zukünftig auf Hannover und Göttingen und vielleicht noch ein oder zwei weitere Städte beschränken. Aber das Wissen darum, dass es Möglichkeiten der Begleitung für Pädophile gibt, bevor Übergriffe passieren - oder auch danach -, sollte in der medizinischen Versorgungslandschaft bekannt sein. Wir erwarten daher auch mehr Öffentlichkeitsarbeit der Projektnehmer.
Die dritte wichtige Erwartung besteht darin, die Diagnostik und Therapieangebote der Projekte wissenschaftlich fundiert zu begründen. Es war und ist richtig, dass das Land Niedersachsen in einem Feld, in dem schwere Straftaten mit furchtbaren Auswirkungen auf die Lebenswege junger Menschen geschehen, für die Erstellung von Diagnostik, Therapie und Prävention gesorgt hat. Die Krankenkassen ihrerseits brauchen zu Recht feste Diagnosen und wissenschaftliche, evidenzbasierte Begründungen der Therapien, wenn sie solidarisch eingezahlte Beiträge ausgeben. Dieses neben einem sofort zur Verfügung stehenden Behandlungsangebot zu schaffen, war und ist Aufgabe der beiden aus Landesmitteln finanzierten Projekte. Am Ende der Projektlaufzeiten muss es aber gelungen sein, die Behandlungsangebote in die Regelfinanzierung zu überführen.
Die überregionale Vernetzung mit anderen therapeutischen Abteilungen, wie z. B. der Charité, zählt auch zu den Aufgaben. Je mehr Pädophile in die Projekte aufgenommen werden, umso weniger Übergriffe und umso mehr Erkenntnisse über die wirkungsvollsten Behandlungs- und Begleitungsmethoden wird es geben.
Bereits in der letzten Wahlperiode wurde dieses Thema fraktionsübergreifend einvernehmlich diskutiert, nachdem von der damaligen Opposition ein Entschließungsantrag auf Projektförderung gestellt
worden war. Ich denke, dass wir das auch in dieser Wahlperiode tun werden. Die Erörterungen nach den Anhörungen mit den Fachleuten aus Hannover und Göttingen lassen dies erwarten.
Wir hoffen, dass die Zahl der sexuellen Übergriffe auf Kinder und Jugendlich reduziert wird. Wir alle müssen uns an dieser Stelle mit einem stillen Erfolg bescheiden, weil wir nicht sehen werden, wann und wo eine Tat verhindert wird. Hier zeigen die Fraktionen des Niedersächsischen Landtages, dass sie Verantwortung für Kinder und Jugendliche übernehmen, auch ohne den üblichen Politklamauk.
Vielen Dank, Frau Dr. Wernstedt. - Für die CDUFraktion erteile ich dem Abgeordneten Volker Meyer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Ihrem Antrag „Fortführung des Förderprogramms und Weiterentwicklung der Projekte zur Verhinderung von sexuellem Kindesmissbrauch“ sprechen Sie, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, ein hoch sensibles Thema an, das, wie Frau Dr. Wernstedt es eben auch sagte, bereits in der vergangenen Legislaturperiode in diesem Hause mehrfach diskutiert wurde.
Wenn wir uns noch einmal die Fallzahlen vor Augen führen, nämlich dass rund 15 000 Fälle von sexuellem Missbrauch in Deutschland jährlich angezeigt werden, wobei Dunkelfeldschätzungen weit darüber hinaus gehen, sodass man davon ausgehen kann, dass jährlich rund 70 000 Kinder Opfer von sexuellen Übergriffen werden, wovon etwa drei Viertel - das ist besonders erschreckend - im eigenen Familien- und Bekanntenkreis begangen werden, ist uns allen klar, dass es nicht nur um Opferschutz gehen kann, sondern dass der Präventionsarbeit in diesem Bereich eine besondere Bedeutung zukommt.
Özkan sehr dankbar, dass sie im Jahre 2011 zwei Projekte zur Prävention von Pädophilie in Niedersachsen implementiert hat: zum einen das Präventionsprojekt Pädophilie Dunkelfeld an der Medizinischen Hochschule Hannover, das gezielt Personen anspricht, die sich zu Kindern und Jugendlichen hingezogen fühlen, aber bisher nicht straffällig geworden sind, und zum anderen das Präventionsprojekt sexueller Missbrauch an der Universitätsmedizin Göttingen, das sich neben den Dunkelfeldtätern unter bestimmten Voraussetzungen auch an Personen richtet, die bereits straffällig geworden sind.
Weiterhin wurde in den vergangenen Jahren sehr viel für einen umfassenden Kinderschutz in Niedersachsen getan, u. a mit dem Modellvorhaben der Koordinierungszentren Kinderschutz und dem Ausbau der frühen Hilfen wie beispielsweise den Familienhebammen. Auch mit den spezifischen Fortbildungsangeboten wie etwa der Qualifizierung von Kinderschutzfachkräften wurden große Schritte gemacht, mit denen der Schutz von Kindern stetig erhöht wurde. Hierfür noch einmal ein herzliches Dankeschön!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man den Schätzungen von Professor Dr. Beier folgt, dass 1 % aller Männer zwischen 18 und 75 Jahren auf Kinder gerichtete sexuelle Neigungen verspüren - in der Unterrichtung des Ausschusses sprach man sogar von 1 bis 3 % der männlichen Bevölkerung, die die diagnostischen Kriterien einer Pädophilie erfüllen -, dann wird hieran deutlich, wie wichtig die Präventionsprojekte für das Land Niedersachsen sind. Denn jeder verhinderte Missbrauch ist ein großer Erfolg und rechtfertigt die Fortführung dieser Präventionsprojekte.
Die Klienten suchen diese Hilfsangebote freiwillig auf und nehmen dabei sehr häufig hohe Hürden wie Entfernung und Kosten in Kauf. Es zeigt aber auch, dass die Klienten sehr motiviert in die Therapie gehen, was dazu führt, dass sie sowohl die Therapie wie auch die anschließende Nachbehandlung zu einem sehr hohen Prozentsatz - es wurde von Ihnen erwähnt, Frau Dr. Wernstedt - zu Ende führen und es erfolgreich zu einer Veränderung ihrer Verhaltensweisen bei pädophilen Impulsen kommt oder diese entsprechend medikamentös unterdrückt werden können.
Daher sollten wir den Projektträgern, liebe Kolleginnen und Kollegen, die erforderliche Zeit geben, um die Erfolge evaluieren zu können, und auch die Möglichkeit eröffnen, diese Projekte weiterzuentwickeln.
Zu Ihrem Antrag möchte ich gerne noch anmerken, dass wir ihn in großen Teilen teilen, z. B. bei der Finanzierung dieser Therapien durch die Krankenkassen, wir uns aber auch, denke ich, mit einigen Punkten kritisch auseinandersetzen müssen, wenn man sich z. B. überlegt, wie die Finanzierung der Therapien durch die Krankenkassen erfolgen soll, aber gleichzeitig die Anonymität der Klienten gewahrt werden kann. Zum Thema Öffentlichkeitsarbeit - wir haben es in der Anhörung gehört - gibt es sicherlich auch ein bisschen unterschiedliche Auffassungen.
Nichtsdestotrotz denke ich aber, dass wir uns hierbei in einem Themenbereich befinden, bei dem wir eigentlich alle die gleiche Meinung haben. Ich glaube, daher sollten wir überlegen, ob es nicht möglich wäre, dass wir über diesen Antrag sofort abstimmen und diesen beschließen können. Wir würden das sehr befürworten. Leider können wir es nicht beantragen. Aber vielleicht kommt es gleich noch. In diesem Sinne noch eine gute Beratung und ein schönes Wochenende!
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Miriam Staudte von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es ist wirklich ein sehr wichtiges und sehr ernsthaftes Thema, das wir heute als letzten Tagesordnungspunkt beraten.
Ich bin sehr froh, dass wir bei diesem Punkt sehr große Einigkeit haben. Das hatten wir in der vergangenen Wahlperiode schon. Es zeichnet sich auch jetzt hier ab.
Ich möchte betonen: Diese Projekte, die wir heute unterstützen wollen, sind natürlich nur ein Baustein im Gesamtkonzept gegen sexuellen Missbrauch von Kindern. Aber ich glaube, es sind sehr wichtige. Ich freue mich, dass letztendlich auch eine Initiative aus der vorletzten Wahlperiode von unserem sehr geschätzten, leider inzwischen verstorbenen Kollegen Ralf Briese hier aufgegriffen worden ist. Er hat damals schon mit einer Anfrage versucht, dieses Projekt, das ursprünglich aus Berlin kommt, hier in Niedersachsen zu installieren.