Ich glaube - das wird Sie überraschen, Frau Kollegin Polat -, dass dieser Antrag letztendlich auf einen Bedeutungs- und Autoritätsverlust der Kommission hinauslaufen wird. Das ist schade. Warum bin ich zu dieser Auffassung gelangt? - Es gibt unterschiedliche Änderungen der Rechtslage für diese Kommission. Einige sind nicht so von Belang. Diese Kommission soll zukünftig 19 Mitglieder haben; nur 4 davon - in der Vergangenheit waren es 5 von 16 - aus dem Parlament, also pro Fraktion eines. Das bedeutet, dass die Kommission zukünftig gegen die Mehrheit der Parlamentarier - so ist es auch gewollt -, im Grunde genommen also gegen die Auffassung des gesamten Parlaments, in jedem Fall aber auch gegen die Auffassung auch der Regierungsfraktionen - das ist das, was Sie gerade auch angesprochen haben -, Beschlüsse herbeiführen kann. Damit ist das ein Unikum. Das gibt es so kein zweites Mal. Das gilt für keinen Ausschuss. Das gilt für keine Kommission. Bei allen anderen Ausschüssen gilt das Spiegelbildprinzip - hier nicht.
Mit der bisherigen, von Ihnen schon häufig auch öffentlich beanstandeten und auch von den anderen Mitgliedern der Kommission ab und an kritisierten Regelung des Einstimmigkeitsprinzips war das natürlich kein Problem; denn letzten Endes konnten die Regierungsfraktionen immer dann, wenn über kostenrelevante Themen diskutiert wurde, und natürlich auch das Parlament in Gänze die Möglichkeit nutzen, eine Entscheidung dieser Kommission in ihrem Sinne zu beeinflussen. Damit waren auch die gewählten Vertreter entsprechend repräsentiert.
Jetzt ist eine andere Entscheidung möglich. Die Frage ist: Was bedeutet das? Steigt dadurch die Bedeutung von Beschlüssen dieser Kommission, oder wird sie eher reduziert? - Ich sage Ihnen voraus: Dadurch werden Entscheidungen und Debatten in dieser Kommission letzten Endes, wie ich meine, auf ganz normale Stellungnahmen, auf das Prinzip Anhörung zurückgeführt. Das finde ich schade. Ich finde, wir sollten noch einmal darüber nachdenken, ob das so bleiben soll.
Im Übrigen muss man auch der Regierung sagen, dass dies kaum in ihrem Interesse sein wird. Häufig finden Anträge hier im Parlament, aus welchen Gründen auch immer, keine Mehrheit. Häufig sind es Kostengründe. Das wissen Sie selbst. Es ist das Wesen von Verbandstätigkeit, Dinge zu for
dern und anzuregen. Häufig sind es Dinge, die weit über das hinausgehen, was wir als Parlament machen können, was eine Regierung mittragen kann. Gleichwohl wird aber eine Forderung in den Raum gestellt in der Hoffnung, dass man die Regierung in eine bestimmte Richtung beeinflussen kann. Das wird jetzt nicht mehr möglich sein.
Das Zweite ist die Frage, ob es ein Initiativrecht geben soll. Das ist unklar. Wenn man in dieser Art und Weise eine Mehrheit von Gruppierungen schafft, die ja von Verbänden geschickt und nicht von der Bevölkerung gewählt sind, müssen diese aus ihrer Systematik heraus dort auch Verbandsinteressen vertreten.
Ein dritter Punkt ist die Frage: Wie ist es mit dem Zitierrecht? Bekommt die Kommission, wie es die anderen Ausschüsse ja haben, ein Zitierrecht nach Artikel 23 der Niedersächsischen Verfassung? Kann also die Anwesenheit von Mitgliedern der Regierung verlangt werden? Bislang ist dies ein Privileg gewählter Parlamentarier. Mit Ihrer Änderung, die so klein wirkt, würden Sie einer Kommission mit einem bestimmten Thema dieses Sonderrecht einräumen. Wir müssen zumindest darüber diskutieren, ob das so sein soll.
Viertens stellen sich auch ziemlich schwierige rechtliche Fragen. Deswegen haben wir der sofortigen Abstimmung an dieser Stelle nicht zugestimmt, Herr Kollege Tonne. Ich schlage deshalb vor, dass sich auch der Rechtsausschuss mit dieser Frage befasst - ich ziehe das an dieser Stelle vor -, weil ich auch die Frage beantwortet haben möchte, ob verfassungsrechtlich Probleme entstehen können. Ich will das hier gar nicht in den Raum stellen. Ich möchte das aber durch den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst geprüft wissen. Deshalb mein Vorschlag, dass sich der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen mit dieser Frage beschäftigt.
Nicht eingegangen sind Sie auf die Aufgabenänderung. Bislang heißt es ja in unserer Geschäftsordnung: „Zur regelmäßigen Erörterung aller Fragen der Teilhabe …“ Das ist knapp gefasst, aber gleichwohl ist damit ein umfassendes Betätigungsfeld gegeben. Sie haben das jetzt spezialisiert, indem die Aufgabe wie folgt geändert werden soll: „Zur regelmäßigen Erörterung aller Fragen, die sich aus der kulturellen, weltanschaulichen und religiösen Vielfalt sowie aus der besonderen Situation der Migrationsgesellschaft Niedersachsens ergeben, und die deren Teilhabe und Partizipation betreffen …“ Meines Erachtens ist das sprachlich
nicht richtig, da sich das Wort „deren“ auf die Gesellschaft bezieht, aber meines Erachtens auf Einzelpersonen beziehen muss. Das muss noch umformuliert werden. Das ist aber relativ unproblematisch.
Die Formulierung „religiöse Vielfalt“ - ich nenne nur dieses eine Beispiel; ich könnte auch den Bereich der Kultur nehmen - bezieht sich nicht auf ausländerspezifische oder integrationsspezifische bzw. migrationsspezifische Fragestellungen. Sie steht gesetzessystematisch allein und drückt aus: Dieser Ausschuss soll sich mit der religiösen Vielfalt im Lande beschäftigen. - Wie das ohne Vertreter der christlichen Kirchen, der jüdischen Glaubensgemeinschaft und anderer Glaubensgruppen möglich sein soll, ist mir ein Rätsel. Das kann nicht funktionieren.
Nach dem Vorschlag, den Sie uns unterbreitet haben, sind mit DITIB und dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen ausschließlich muslimische Glaubensgemeinschaften vertreten. Das ist nachvollziehbar; denn die haben besondere Fragen bei der Integration und Migration. Aber wenn es um die Erörterung der religiösen Vielfalt geht, ist an dieser Stelle zumindest unklar, wie das wird.
Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass die Wohlfahrtsverbände einen festen Vertreter haben sollen. Ich vermute, dass dies ein Zugeständnis an die Integrationsministerin ist, die ja vor ihrer Tätigkeit als Ministerin den Wohlfahrtsverbänden besonders zugetan war. Es ist auch nachvollziehbar, dass die Wohlfahrtsverbände hier möglicherweise dabei sein wollen, weil sie der größte Anbieter von Beratung in diesem Bereich sind. Es gibt aber auch andere, beispielsweise die Volkshochschulen, die ausdrücklich in diesem Kontext nicht umfasst sind. Ob es wirklich klug und sinnvoll ist, in eine solche Kommission nur einen Anbieter von vielen, auch staatlichen Angeboten für Integration und Teilhabe an den Tisch zu holen und damit andere auszugrenzen, stelle ich infrage. Ich erinnere nur an die Zusammensetzung des Integrationsbeirats.
In diesem Zusammenhang haben wir genau diese Frage sehr intensiv diskutiert. Sie sind da, glaube ich, noch Vorsitzende. Ich weiß aber nicht genau, ob gestern schon mit entschieden worden ist, dass das geändert werden soll. In der Zeitung stand ja, dass Frau Schröder-Köpf zukünftig den Vorsitz dort übernehmen soll. Man ist dort letzten Endes
auf 60 Personen gekommen, um alle Interessen zu berücksichtigen. Bei dem jetzt vorliegenden Vorschlag für die Kommission soll es genau anders sein. Das ist eine schwierige Frage.
Ich komme darauf zurück: Das ist gut gemeint, aber nach dem jetzigen Stand - wir können darüber sprechen; ich will auch nicht von vornherein sagen, dass wir das ablehnen - noch nicht gut gemacht. Das kriegen wir vielleicht hin, aber nur unter Beteiligung - das beantrage ich hiermit, damit wir es gleich entscheiden - des Rechtsausschusses und des Sozialausschusses als zuständige Fachausschüsse.
Das müssen wir deshalb hier entscheiden, weil sich ansonsten der Ältestenrat damit beschäftigt. Dann wären wir auf jeden Fall beim übernächsten Plenum; denn er tagt vorher nicht noch einmal. Das ist mein Vorschlag, damit wir die Chance haben, diese schwierigen rechtlichen Fragestellungen zu erörtern. Vielleicht haben wir dann eine Chance, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. So können wir dem Antrag jedenfalls nicht zustimmen.
Vielen Dank, Herr Kollege Nacke. Über die Anträge auf Mitberatung werden wir gemäß der Geschäftsordnung eine Meinungsbildung des Hauses herbeiführen.
Ich darf jetzt im Rahmen der Beratung zunächst Herrn Kollegen Tonne für die SPD-Fraktion das Wort erteilen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir legen Ihnen heute eine dringend notwendige Änderung der Geschäftsordnung vor, damit die Kommission für Migration und Teilhabe ihre Arbeit aufnehmen kann - das ist für uns das Wesentliche; so können Einschätzungen auch auseinanderfallen - und damit sie eine moderne und der gesellschaftlichen Entwicklung angepasste Arbeitsgrundlage hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Teilhabe und Partizipation für alle sind die Grundlagen, auf denen die Kommission arbeiten soll. Niedersachsen ist ganz unstreitig ein Einwanderungsland. Daher wollen wir die Trennung in „wir“ und „ihr“ aufheben. Zugehörigkeit kann nur in einem wechselseitigen Prozess stattfinden: durch eine Öffnung der aufnehmenden Gesellschaft und durch einen Integrationswillen der Zuwanderer. Dieses Grundverständnis soll sich auch in der neuen Kommission für Migration und Teilhabe widerspiegeln. Dafür ist es z. B. auch wichtig, dass wir vermeintliche Kleinigkeiten wie den Titel und den mit falschen Annahmen verbundenen Begriff der Integration durch „Migration und Teilhabe“ ersetzen. Damit ist die Ausrichtung der Kommission eine komplett andere als noch unter der Vorgängerregierung. Diese Kehrtwende ist in unseren Augen dringend nötig. Wir werden sie daher auch vollziehen.
Im Rahmen der Zusammensetzung der Kommission war und ist es für uns wichtig, dass die Betroffenen umfänglich die Möglichkeit haben, zu Wort zu kommen. Dazu gehören dann die landesweit tätigen Verbände der Migrantenarbeit, die Freie Wohlfahrtspflege, kommunale Integrationsbeauftragte, Wissenschaft und Forschung, damit diese als Experten in eigener Sache zu Wort kommen, die Landespolitik beraten und Empfehlungen geben können. Zu Recht sollen auch die Sinti und Roma ausdrücklich einen Vertreter bzw. eine Vertreterin benennen. Damit werden wir ihrem Stellenwert gerecht.
Meine Damen und Herren, ganz bewusst können Empfehlungen nun mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Das, was eigentlich so selbstverständlich klingt, war es bisher nicht. Es mussten einstimmige Beschlüsse gefasst werden. Damit haben auch CDU und FDP in der Vergangenheit Sperrminoritäten genutzt, um unliebsame Kritik aus der Kommission an der eigenen Politik zu unterbinden. Wir haben das nicht nötig und haben auch keine Angst davor. Deswegen lassen wir einfache Mehrheiten in dieser Kommission zu.
Meine Damen und Herren, wir setzen auf den Dialog. Wir nehmen die Stimmen der Betroffenen durch diese Änderung ernst. So sieht dann auch
eine wirklich demokratische Beschlussfassung aus. Damit setzen wir eine strukturelle Veränderung um, wozu die Vorgängerregierung zehn Jahre lang weder willens noch in der Lage war.
In diesem Zusammenhang gratulieren wir ganz herzlich unserer Kollegin Doris Schröder-Köpf zu ihrem neuen Amt als Beauftragte für Migration und Teilhabe.
Das ist einer von etlichen Schritten - die zugesagt sind und die auch richtig und gut sind - in Richtung einer neuen Willkommenskultur für zugewanderte Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir freuen uns darüber.
(Norbert Böhlke [CDU]: Wir mussten auch lange genug darauf warten, Herr Kollege! - Gegenrufe von der SPD: Zehn Jahre!)
- Wer zehn Jahre regiert hat, kann doch nicht nach zwei Monaten einen solchen Zwischenruf machen, Herr Kollege! Wir können zig Beispiele aufführen, wo Sie wesentlich schneller hätten sein können, aber nicht konnten und nicht wollten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Verankerung der Migrationsbeauftragten in der Staatskanzlei, die Vernetzung von Härtefallkommission, Integrationsbeirat, Kommission und Kabinettssitzungen durch die neue Landesbeauftragte - das alles macht deutlich, dass Rot-Grün Teilhabe und Partizipation nicht nur als Querschnittsaufgabe für alle Landesressorts ansieht, sondern auch entsprechend handelt. Das ist nämlich der Unterschied dabei.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Querschnittspolitik gerade für Sie von der CDU offensichtlich etwas Neues ist, hat man in den letzten Tagen an Ihren Reaktionen sehr deutlich gemerkt.
Deswegen sage ich in Anspielung auf das, was gestern veröffentlicht worden ist: Das Chaos in der Integrationspolitik, sehr geehrte Frau Eilers, haben wir der Vorgängerregierung zu verdanken. Wir sind es, die die dringend notwendige Ordnung gerade wiederherstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen auch sehr viel Wert darauf, dass die Kommission ihre Sitzungen öffentlich durchführt. Das ist eine völlige Umkehrung des bisherigen Selbstverständnisses. Für die Vorgängerregierung war die gesamte Integrationskommission eigentlich ein Hindernis. Man hat sie zu einem Unterrichtungsgremium verkommen lassen. Die Beteiligung stand zwar auf dem Papier, wurde aber nie ernsthaft praktiziert. Logischerweise sollte also auch die Arbeit im Verborgenen stattfinden, ohne ernst zu nehmende Mitwirkungsrechte.
Wir hingegen wollen einen transparenten Ablauf. Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich frühzeitig über den Stand der Diskussionen und die Positionen der Fraktionen informieren können. Die Migrationspolitik muss aus der hintersten Ecke eines Sitzungszimmers heraus und mitten hinein in die Gesellschaft - wo sie auch hingehört.