Protokoll der Sitzung vom 17.04.2013

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Wahlausgang, nach der Lektüre des Koalitionsvertrages und nachdem ich mir die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten angehört habe, habe ich mir in der Tat immer wieder die Frage gestellt: Wie wollen die eigentlich das Absenken der Zügigkeiten von Gesamtschulen ohne neuerliche Schulstrukturdebatte in Niedersachsen machen?

Ich muss Ihnen wirklich sagen: Das ist Ihnen mit diesem Gesamtschulerrichtungsgesetz tatsächlich gelungen. Das ist Ihnen aber nicht gelungen, weil Sie das Gesetz so gut gemacht haben. Sie lassen die Debatte gar nicht erst zu, indem Sie auf schriftliche Anhörungen im Kultusausschuss setzen und Veränderungen der Verordnung zur Schulorganisation der Verlängerung der Schulzeit an den Gesamtschulen unterjubeln, was kein normales Verfahren ist.

Wenn die Veränderungen der Schulstruktur laut Ihrem Gesetzentwurf erst ab dem 1. August 2014 greifen sollen: Warum kommt jetzt dieses überstürzte Verfahren mit Artikel 2 in diesem Gesetzentwurf?

(Zuruf von der SPD: Das hat er doch gerade erklärt? Haben Sie das nicht gehört?)

- Dann informiere ich einmal die rote und die grüne Fraktion: Wenn man die Verlängerung der Schulzeit bis zum Abitur an den Gesamtschulen von 12 auf 13 Jahre haben möchte, ist die Schulgesetzänderung tatsächlich zum 1. August 2013 nötig. Wenn wir den Inhalt weglassen, ist da Eile geboten.

Keine Eile ist aber bei der Veränderung der Verordnung zur Schulorganisation geboten. Dabei geht es um das Absenken der Zügigkeiten, die sowieso erst zum 1. August 2014 greifen sollen. Da ist keine Eile geboten. Sie sind nur zu feige für die öffentliche Diskussion. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie wollen keine Schulstrukturdebatte, weil Sie sich scheuen, weil Sie nicht mit offenem Visier gegen die Gymnasien in diesem Land kämpfen

wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren, und weil Sie das Thema vor der Bundestagswahl zügig abräumen wollen. Die wahren Auswirkungen werden den Menschen erst nach der Bundestagswahl bewusst. Dieses Gesamtschulerrichtungsgesetz ist der erste Schritt, aus Niedersachsen ein Einheitsschulland zu machen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es ist keinesfalls so, dass dieses Gesetz nur Ausnahmen für die Dreizügigkeit vorsieht. Schauen wir uns das einmal an. Die erste Ausnahme ist: Alle bis zum 1. August 2013 gegründeten Gesamtschulen dürfen dreizügig werden. Das heißt, an einem Standort, an dem es zwei fünfzügige Gesamtschulen gibt, reduzieren Sie diese einfach auf zwei dreizügige, und schon können Sie eine neue vierzügige Gesamtschule gründen. Dort, wo Sie eine fünfzügige Gesamtschule haben, aber wissen, dass es maximal für sieben Parallelklassen an einer Gesamtschule - und nach dem Gesetz nicht für die Neugründung einer Gesamtschule - ausreicht, reduzieren Sie die Zügigkeit der bestehenden Gesamtschule, um dann für die Errichtung einer neuen Gesamtschule genügend Zügigkeiten zu haben.

Das ist sozusagen das Wünsch-Dir-Was, Hauptsache, das Ergebnis stimmt, nämlich so viele Gesamtschulen wie möglich in diesem Land. Das ist Ihr Ziel.

Herr Försterling, es liegt eine Bitte auf eine Frage vor. Lassen Sie die Frage von Frau Korter zu?

Bitte, Frau Korter.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Försterling, können Sie dem Parlament erklären, ob zu Verordnungen sonst mündliche Anhörungen üblich sind? Nach meiner Kenntnis gibt es dazu sonst nur schriftliche Anhörungen.

Frau Korter, das mache ich sehr gerne, weil nämlich auch wir einmal die Verordnung zur Schulorganisation in einem Gesetzgebungsverfahren ver

ändert haben und weil Schwarz-Gelb damals eine öffentliche Anhörung aller Bildungsverbände in Niedersachsen zugelassen hat. Dabei gab es eine kontroverse Diskussion; aber wir haben die Auseinandersetzung nicht gescheut. Wir haben nicht von Transparenz und Dialog geredet, sondern Transparenz und Dialog gepflegt, liebe Frau Korter. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Kommen wir zu Punkt 2 der angeblichen Ausnahmeregelungen zur Dreizügigkeit von Gesamtschulen. Eine Gesamtschule soll unter zumutbaren Bedingungen erreichbar sein. Ich frage Sie: Soll eigentlich künftig auch für andere Schulformen gelten, dass sie unter zumutbaren Bedingungen erreichbar sein sollen? Soll das gelten, wenn Sie im nächsten Schritt, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, vorhaben, dass die Gesamtschulen ersetzend eingeführt werden können?

Was machen eigentlich die Eltern in der Landeshauptstadt Hannover, die sich vielleicht für eine Hauptschule, eine Realschule oder eine Oberschule entscheiden? - Heute kam die Drucksache der Landeshauptstadt Hannover, in der steht, dass alle bestehenden Haupt- und Realschulen zu Gesamtschulen umgewandelt werden sollen. Wie sollen die Schülerinnen und Schüler denn dann unter zumutbaren Bedingungen Hauptschulen und Realschulen erreichen? - Das ist Ihnen egal, Hauptsache die Kinder kommen zur nächstgelegenen Einheitsschule. Das ist Ihre Bildungspolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die dritte Ausnahmeregelung ist wirklich der Regelfall der Anwendung der Dreizügigkeit. Mit dieser Ausnahmeregelung können Sie an jedem Schulstandort in Niedersachsen bei Vorliegen einer Dreizügigkeit eine Gesamtschule errichten. Das kann dann auch die einzige Schulform am Schulstandort sein. So, wie ich Sie kenne, werden Sie durchaus auch bei zweizügigen Haupt- und Realschulen oder bei zweizügigen Oberschulen einfach sagen: Da kommen wahrscheinlich noch einige Gymnasiasten dazu, dann werden wir die Dreizügigkeit schon haben. Also errichten wir die Schule erst einmal. - Spätestens an diesem Punkt lässt sich die Auswirkung auf die Gymnasien nicht mehr leugnen. Auch deswegen scheuen Sie sich vor der öffentlichen Diskussion.

Ich kann Ihnen heute sagen: Wenn der Staatssekretär öffentlich feststellt, dass es in Kreisen, wo es

bisher drei Gymnasien gibt, dann möglicherweise nur noch ein Gymnasium geben wird, dann bedeutet das nichts anderes, als dass Sie bereit sind, zwei von drei Gymnasien in Niedersachsen - das sind mehr als 150 Gymnasien - Ihrer bildungspolitischen Ideologie zu opfern. Das ist die Wahrheit dieses Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir haben vor der Landtagswahl davor gewarnt, dass Rot-Grün die Axt an das Gymnasium anlegen wird. Ich muss mich korrigieren: Sie legen nicht die Axt an das Gymnasium - das, was Sie hier machen, ist Brandrodung!

(Starker Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu einer Kurzintervention auf den Kollegen Försterling hat sich Claus Peter Poppe gemeldet. Bitte, Sie haben anderthalb Minuten!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Försterling, ich will nicht in diesem Stil antworten. Wischen Sie sich erst einmal den Schaum vom Mund!

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU und bei der FDP)

Gerade Ihr Abschluss zeigt: Sie wollen den Schulkampf. - Wir wollen den Schulkonsens.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU und bei der FDP - Unruhe - Glocke der Präsidentin)

- Doch, das ist so. Wenn Sie nur lesen könnten!

(Ulf Thiele [CDU]: Konsens ist, wenn wir uns Ihrer Meinung anschließen, ohne sie zu prüfen! - Reinhold Hilbers [CDU]: Das Gesetz ist ungeeignet für einen Konsens! Das wissen Sie ge- nau! - Unruhe - Glocke der Präsiden- tin)

Der Gesetzentwurf sieht eine kleine Änderung vor. Ein Verordnungsentwurf wird in aller Regel nicht zu einer öffentlichen Anhörung führen. Das ist bei keiner Verordnung so. Sie sollten das wissen, Sie sollten das kennen. Allein die Tatsache, dass wir die Verordnungsänderung gemeinsam mit der Gesetzesänderung hierher ziehen und uns der

öffentlichen Debatte stellen, macht deutlich, dass wir keine Debatte scheuen, sondern dass wir das mit Ihnen zusammen diskutieren wollen.

(Jens Nacke [CDU]: Sie schämen sich zu Recht!)

Alles andere wie die Unterstellungen zur Zweizügigkeit und das, was Sie über Hannover gesagt haben, ist reiner Unsinn. In Hannover gibt es keine Oberschulen. In Hannover wählen seit Jahren weniger als 10 % der Schüler die Hauptschulen an. Hier besteht jederzeit die Möglichkeit, dass Gesamtschulen die ausreichende Größe erreichen. Wir haben hierbei vor allen Dingen an die Möglichkeit zur Vierzügigkeit im ländlichen Raum gedacht.

Sie sollten sich einfach mal die Möglichkeiten dieses Gesetzes ansehen und nicht ständig auf Kampfrhetorik schalten!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die FDP-Fraktion möchte antworten. Herr Försterling, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Poppe, ja, in Hannover gibt es keine Oberschule, weil Rot-Grün das verhindert hat,

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

obwohl ein Schulstandort gewünscht hatte, Oberschule zu werden. Wenn man sich die Drucksache anschaut, die die Landeshauptstadt Hannover heute auf den Weg gebracht hat, dann wird es künftig auch keine Hauptschule und keine Realschule mehr in Hannover geben. Das ist der Unterschied. Das ist der Grund, warum ich gelegentlich etwas emotional werde, Herr Poppe.

Sie reden vom Schulkampf. Mir geht es nur um den Wettbewerb der verschiedenen Schulformen.

(Lachen bei der SPD)

Den kann man aus meiner Sicht gut bestreiten. Ich weiß, dass das gegliederte Schulwesen bei gleichen Rahmenbedingungen gegen die Gesamtschulen locker gewinnen wird.

(Claus Peter Poppe [SPD]: Das haben Sie zehn Jahre lang geglaubt!)

Das, was Sie unter Schulkonsens verstehen, ist nichts anderes als eine Einheitsschule für alle Kinder - für Einheitskinder - und als Einfalt. Konsens ist das ist nicht. Das ist Gleichmacherei, Herr Poppe.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Detlef Tanke [SPD]: Das glaubt Ihnen kein Mensch!)