Protokoll der Sitzung vom 18.03.2015

(Jens Nacke [CDU] spricht mit Minis- ter Boris Pistorius)

- Herr Kollege Nacke, Herr Minister Pistorius, Sie können die Debatte vielleicht außerhalb des Plenarsaals fortführen.

Bitte, Herr Kollege!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir den betroffenen Zeit- und Werkvertragsarbeitnehmern wirksam helfen wollen, die Missstände bei den Arbeitsbedingungen, der Unterbringung und der Bezahlung zu beenden, dann bedarf es nicht des Verschweigens, des Wegsehens und des nicht Wahrnehmens. Im Gegenteil: Wir müssen uns aktiv einmischen. Das machen diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, nur so können wir verändern und verbessern. Wir wollen Niedersachsen aus dem Ruf des Billiglohnlandes, der prekären Beschäftigung, der beruflichen Benachteiligung von Zeit- und Werkvertragsarbeitnehmern und der beruflichen Benachteiligung von Frauen herausführen. Gute Arbeit soll für alle Arbeitnehmer gelten - das muss Markenzeichen für Niedersachsen werden, und daran arbeitet diese Landesregierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 13. Juli 2013 starben zwei rumänische Arbeiter, die mit einem Werkvertrag auf der Meyer Werft eingesetzt waren, bei einem Brand in ihrer Unterkunft. Der tragische Tod der 32 und 45 Jahre alten Männer machte deutlich, unter welch unwürdigen Bedingungen sie und viele ihrer Kollegen gelebt und gearbeitet haben. Seitdem ist in Papenburg einiges passiert, auch dank der mit den Kommunen abgestimmten Regelungen für eine menschenwürdige Unterbringung

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

und dank des bundesweit ersten Tarifvertrages zu Werkverträgen, in dem die Gewerkschaft, der Betriebsrat und die Geschäftsführung Mindeststandards für eine angemessene Unterbringung und einen Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde festgeschrieben haben.

Meine Damen und Herren, zu Niedersachsen gehört allerdings auch die Branche der Fleischverarbeitung. Hier berichteten Insider im November 2014 in der NOZ, dass der tarifliche Mindestlohn von lediglich 7,75 Euro nur erreicht werde, weil die Arbeitszeit auf dem Papier reduziert wird. Effektiv arbeiteten Werkvertragsbeschäftigte aber genauso lange wie vorher. Außerdem arbeiteten viele bei rumänischen Subunternehmen nach dem Sozialrecht des Heimatlandes, sodass für die Schlachthöfe und die Zerlegebetriebe kaum Lohnnebenkosten anfallen. Das ist Risiko- und Kostenminimierung zulasten der Beschäftigten. Faire Arbeit mit fairer Entlohnung - also gute Arbeit - sieht anders aus.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz der vielen mühseligen betrieblichen Einzelerfolge bedarf es einer Offensive für gute Arbeit. Nachdem am 1. Ja

nuar 2015 der gesetzliche Mindestlohn eingeführt worden ist, bedarf es nun einer Kontrolle der Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns. Er darf nicht - wie in Supermärkten schon geschehen - unterlaufen werden, indem schnell Werkverträge mit Subunternehmen geschlossen werden. Es bedarf auch einer intensiveren Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften bei Werkverträgen. Ein Missbrauch von Werkverträgen darf nicht folgenlos sein. Es kann nicht sein, dass derjenige, der dabei erwischt wird, mit einer Bescheinigung einfach den Hebel auf Arbeitnehmerüberlassung umlegt und damit durchkommt. Es bedarf einer klaren gesetzlichen Abgrenzung der arbeitnehmerrechtlichen Instrumente Leiharbeit, Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträge.

Meine Damen und Herren, die Bundesratsinitiative, die vom Land Niedersachsen unterstützt wird, ist von Bedeutung. Darin setzt sich die Landesregierung für weitere gesetzgeberische Maßnahmen im Arbeitnehmerüberlassungs- und Betriebsverfassungsgesetz ein. Unter anderem wird die Bundesregierung aufgefordert, Beratungsstellen für mobile Beschäftigte, wie wir sie in Niedersachsen bereits eingerichtet haben, bundesweit zu etablieren. Wir brauchen ein Gesetz für mehr Transparenz und gegen Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen, damit klassische und rechtlich sauber angewandte Werkverträge endlich zu ihrem Recht kommen.

Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition in Berlin heißt es u. a.: „Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden.“ Meine Damen und Herren, bei der Umsetzung dieses Vertragsteils wollen wir die Bundesregierung im Sinne guter Arbeit gern unterstützen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Will. - Für die CDUFraktion hat nun der Kollege Toepffer das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Will, vielen Dank für Ihren engagierten Vortrag in bewährter Weise. Nicht ganz klar geworden ist mir allerdings, warum dieses Thema, auch wenn es sehr wichtig ist, heute in der Aktuellen Stunde be

handelt wird. Das ist ja eher ein Dauerbrenner bei uns in Niedersachsen.

(Johanne Modder [SPD]: Genau! Deswegen muss es immer wieder auf die Tagesordnung!)

Vielleicht ging es eigentlich darum, Herrn Minister Lies wieder einmal einen Auftritt zu verschaffen. Wir wissen ja, dass er bei diesem Thema immer zu rhetorischer Höchstleistung aufläuft. Bei anderen Themen erleben wir das nicht so; wir würden uns wünschen, er würde dabei auch so engagiert streiten.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: Herr Lies ist immer in rhetorischer Höchst- leistung! - Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Aber Sie reduzieren ihn nun auf sein Lieblingsthema - sei’s drum. Sie haben recht: Das Thema Werkverträge und Werkvertragsarbeiter ist ein Dauerthema in Niedersachsen. Wir haben in der 16. Wahlperiode hier unzählige Male über dieses Thema diskutiert.

Dann kam die 17. Wahlperiode, und der wortgewaltige Mahner Olaf Lies hatte endlich das Ruder selbst in der Hand.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Sie nehmen das Thema gar nicht ernst, oder?)

So war es auch kein Zufall, dass wir gleich im ersten Tagungsabschnitt, am 14. März 2013, Aussagen zum Thema Dumpinglohn von diesem Minister hörten. Ich zitiere aus dem Sitzungsprotokoll:

„Jetzt sind die, die die guten Argumente haben, in der Lage, sie umzusetzen und den Menschen zu helfen.“

Meine Damen und Herren, welch wortgewaltiger Satz! Wir fragten uns, was denn nun als Nächstes passieren würde.

Zunächst einmal passierte gar nichts. Sechs Monate nach der Wahl - so lange hat es gedauert - begab sich dann der Ministerpräsident höchstpersönlich in die betroffene Region, um das Gespräch zu suchen - schon damals ohne konkrete Lösungsvorschläge. Da hatten wir erste Zweifel, ob er denn wüsste, wie er das Problem lösen will. Und nicht nur wir fragten uns, warum er denn so lange gebraucht hat, bis er in die Region gefahren ist. Ich zitiere aus der NWZ Online vom 15. August 2013:

„Auf die Frage, warum denn erst jetzt ein solches Gespräch zustande komme, konnte Weil während der anschließenden Pressekonferenz nicht so recht eine Antwort servieren.“

Immerhin: Er ist da gewesen und hat die von Ihnen zu Recht beschriebenen Zustände gesehen. Er hat Unterkünfte von Werkarbeitern, u. a. in Badbergen, besucht und beklagt, wie die Menschen dort untergebracht sind.

(Gerd Ludwig Will [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Wie ich sehe, möchte Herr Will eine Zwischenfrage stellen.

Genau, Herr Kollege Toepffer. Lassen Sie die Frage zu?

Selbstverständlich gerne, immer.

Bitte, Herr Kollege Will!

Herr Toepffer, haben Sie außer der Chronik der Arbeit in Niedersachsen auch eigene Vorstellungen?

Herr Will, genau dazu komme ich jetzt. Diese Frage war punktgenau gestellt. Ich hatte mir eigentlich eine andere Zwischenfrage von Ihnen erhofft. Aber auch diese kann ich beantworten. Die Uhr kann weiterlaufen; ich fahre in meiner Rede fort.

In der Tat kam der Ministerpräsident zurück und erklärte uns, dass die Unterbringung der Werkarbeiter, wie er sie dort gesehen hat, ohne Zweifel so nicht geht. Und was haben wir gemacht? - Wir haben angeboten - das war der konkrete Vorschlag, Herr Will -, die künftige Unterbringung dieser Menschen dort landeseinheitlich durch Gesetz zu regeln, um diese Missstände zu beenden. Dieses Angebot haben Sie abgelehnt; Sie haben unsere Hand zurückgewiesen. Sie haben weiter Ankündigungspolitik gemacht und nichts konkret verändert.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Thomas Schremmer [GRÜNE]: Das wollten doch Ihre Kommunen gar nicht!)

Dann stellt man sich die Frage, was sich nun tatsächlich verändert hat. Die NOZ hat ein Jahr nach dem Besuch Ihres Ministerpräsidenten diese Unterkunft von Werkvertragsmitarbeitern noch einmal besucht. Nachzulesen ist das in der NOZ Online vom 18. August 2014:

„Was hat sich getan ein Jahr nach dem Besuch von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in einer schimmeligen Unterkunft für Werkvertragsschlachter in Badbergen? Nicht viel, wie ein erneuter Besuch unserer Zeitung deutlich machte.“

Das sind deutliche Worte. Aber jemand war noch deutlicher. Prälat Kossen, der sich seit Jahren für die Werkvertragsarbeiter dort einsetzt, ist gefragt worden, ob sich seit dem Besuch des Ministerpräsidenten etwas zum Guten entwickelt habe. Er sagte daraufhin: „Dem würde ich deutlich widersprechen“.

Das, lieber Herr Will, ist die traurige Wahrheit. Trotz all Ihrer vollmundigen Reden, trotz all der Brachialrhetorik, trotz aller Beschimpfungen politischer Gegner, trotz Ihres Heiligenscheins - mit Ausnahme der Beratungsstellen hat dieser Minister nichts auf die Reihe gekriegt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Es geht weiter wie in der Opposition: Sie ziehen durch die betroffene Region, halten launige Reden, zeigen Betroffenheit und drücken sich vor der Verantwortung, die Sie jetzt haben.

Dazu passt auch der Besuch Ihres Bundesparteivorsitzenden, der als Bundeswirtschaftsminister genauso in der Verantwortung ist wie die Bundesarbeitsministerin. Die hat ja nun einen Gesetzentwurf angekündigt. Wir wissen leider nicht, was drinsteht; das wissen Sie vielleicht besser. Ich hätte heute jedenfalls lieber mit Ihnen über den Inhalt dieses uns unbekannten Gesetzentwurfs diskutiert, statt zu diesem Thema eine weitere Fensterrede eines Ministers zu hören, der sich gerne als Gutmensch präsentiert, der den Menschen sicherlich auch wirklich helfen will, der aber dazu offensichtlich nicht in der Lage ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Herr Schremmer, jetzt haben Sie für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der illegale Werkvertrag lebt leider immer noch. Geschätzter Kollege Toepffer, von Ihnen kam kein einziger Vorschlag, wie es bei dem Thema, das Sie gerade als „Dauerbrenner“ beschrieben haben, zu Verbesserungen oder Veränderungen kommen kann.

Leider können auch die niedrige Arbeitslosenquote in Niedersachsen und der stetige Anstieg sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung nicht darüber hinwegtäuschen, dass es weiterhin diese Auswüchse auf dem Arbeitsmarkt gibt. Ich finde - und dazu hätte ich von Ihnen ein paar Vorschläge erwartet -, dass wir das als Politikerinnen und Politiker nicht akzeptieren können.