Protokoll der Sitzung vom 15.07.2015

Sie wollen eine Haftungsbefreiung der Generalunternehmer für Verstöße der Nachunternehmer. Auch hierfür wird es keine Zustimmung von uns geben. Wir brauchen nämlich die Durchgriffshaftung, und die Generalunternehmer lernen sehr schnell, sich darauf einzustellen. In der Baubranche gibt es das schon lange; da ist das schon die Regel. Warum soll man das nicht in andere Branchen übernehmen?

Herr Toepffer, Sie sprechen in Ihrem Antrag von der verschuldensunabhängigen Auftraggeberhaftung und erklären in Ziffer 2, was darunter zu verstehen ist. Hätten Sie dieselbe Zeit, die Sie zur Ausformulierung des CDU-Antrags benötigt haben, dafür aufgewendet, für die Unternehmen eine vernünftige Mustererklärung auszuarbeiten, die dem Subunternehmer zur Unterzeichnung vorgelegt werden kann - so wie im Baugewerbe; ich sprach davon -, um die Risiken für die Auftraggeber zu

minimieren, dann hätten Sie einen echt guten Beitrag geleistet. Solche Erklärungen gibt es in der Baubranche schon lange. Dort ist die Aufregung weg, weil Mustererklärungen von cleveren Leuten Ihres Berufsstandes ausgearbeitet worden sind. Das will ich Ihnen an der Stelle einmal erzählen.

Meine Damen und Herren, auch Öffnungsklauseln für geltende tarifliche Arbeitszeitmodelle wollen wir nicht, weil wir geltendes Tarifrecht und die Tarifautonomie der Gewerkschaften nicht ad absurdum führen wollen. Dabei bleibt es.

Anlassbezogene Kontrollen durch den Zoll reichen nicht aus, Herr Toepffer. Die Hauptzollämter können das gar nicht alleine leisten. Die Leute von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit sind mit der Aufarbeitung festgestellter Verstöße mehr als ausgelastet. Da geht nichts mehr.

Meine Damen und Herren, die Zuständigkeit beim Mindestlohngesetz liegt beim Bund; denn es geht um die Ausführung von Bundesrecht. Darum sind wir landespolitisch gar nicht mehr in der Lage, die gesetzlichen Bestimmungen zu verändern. Es gibt bei jedem Gesetz eine Phase, in der die Auswirkungen in der Praxis sehr konkret beobachtet und natürlich auch ausgewertet werden. Ich weiß - das hat man auch lesen können -: Es gibt in Berlin bereits jetzt Ansätze, an einigen wenigen Stellen nachzujustieren. Arbeitsministerin Andrea Nahles hat z. B. angekündigt, die Verdienstschwelle, die zurzeit mit 2 958 Euro festgesetzt ist, in der Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung anzupassen.

(Christian Grascha [FDP]: Das haben Sie letztes Mal noch abgelehnt!)

Auch die CDU fordert das in ihrem Antrag. Weitere Lockerungen bei den Dokumentationspflichten sind ebenfalls angekündigt, z. B. bei der Beschäftigung von Familienangehörigen, aber eben auch in Handwerksbereichen.

Wir evaluieren also das Mindestlohngesetz in Berlin, und damit wird es praxistauglicher. Das bescheinigt uns übrigens inzwischen sogar die CSU. Aber wir werden nicht der Argumentation der CDU auf den Leim gehen, wenn sie mit den Vokabeln „Datenschutz“ und „Vorratsdatenspeicherung“ argumentiert und Stimmungen erzeugen will. Ohne Aufzeichnung und Datenerfassung ist kein Mindestlohn überprüfbar. Viele Unternehmen haben die Vorgänge inzwischen automatisiert und dadurch eine Zeitersparnis erzielt.

(Christian Grascha [FDP]: Keine Ah- nung!)

Herr Toepffer, Ihre Feststellung im letzten Plenum, das sei ein Konjunkturprogramm für Rechtsanwälte und Gerichte, ist darum genauso falsch und völlig übertrieben wie die Mär von der Massenarbeitslosigkeit, die von CDU und FDP lange prognostiziert wurde.

Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Der flächendeckende Mindestlohn ist ein Meilenstein für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ein echtes Erfolgsmodell. Der Antrag der FDP ist hingegen eine echte Zumutung, und der von der CDU ist leider überwiegend auch nicht das Gelbe vom Ei. Deswegen lehnen wir das ab.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schminke. - Auf Sie gibt es eine Kurzintervention des Kollegen Toepffer. Bitte!

Herr Schminke, ich will das ganz sachlich aufnehmen. Es gibt einen Punkt, an dem wir beide einfach nicht zueinanderkommen.

(Christian Grascha [FDP]: Mehrere!)

- Das ist aber ein, wie ich finde, wesentlicher Punkt.

Das ist nämlich die Frage: Kann ein solches Mindestlohngesetz nur funktionieren, kann der Mindestlohn nur gezahlt werden, wenn es eine Aufzeichnungspflicht gibt, die vom Zoll kontrolliert wird? - Sie sagen, das geht schlichtweg nicht, unterstellen damit erst einmal, dass es flächendeckenden Missbrauch gibt, wenn man es nicht macht.

Erklären Sie mir bitte, warum das bei anderen Gesetzen funktioniert, was beim Mindestlohn nicht funktionieren soll! Ich nenne Ihnen konkret das Bundesurlaubsgesetz. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Urlaub, der Arbeitgeber könnte ohne Weiteres an diesem Anspruch herumfummeln und ihm nicht den Urlaub geben, der ihm eigentlich zusteht, er muss aber nicht aufzeichnen, wie viel Urlaub er gegeben hat, obwohl das bei vielen Mitarbeitern unterschiedlich ist. Es wird von niemandem in diesem Lande kontrolliert. Da trauen wir vielmehr den Mitarbeitern zu, dass sie, wenn sie

feststellen, dass sie in ihren Rechten beeinträchtigt sind, zum Arbeitsgericht gehen und sich wehren. Warum funktioniert es hier, und warum soll es dort nicht funktionieren? Erklären Sie mir das, bitte!

(Beifall bei der CDU - Ulf Thiele [CDU]: Bring mich nicht auf dumme Gedanken!)

Vielen Dank, Herr Toepffer. - Herr Kollege Schminke antwortet Ihnen. Bitte, Herr Schminke!

Herr Toepffer, ich hatte Ihnen ja gesagt, dass dieses Gesetz vermeidbar gewesen wäre, wenn alle anderen Dinge geklappt hätten. Die Tarifvertragsparteien können ja normalerweise den Mindestlohn tariflich aushandeln. Das funktioniert aber nicht, weil es eben diese Verwerfungen am Arbeitsmarkt gibt. Diese sind massiv. Das konnten Sie doch überall nachlesen. Das ist nicht nur in der Fleischindustrie so. Sprechen Sie doch auch einmal mit dem Zoll! Dort wird man Ihnen das sagen, was man auch uns gesagt hat: Im Gaststättengewerbe, im Taxigewerbe, überall gibt es regelrechte Verfehlungen. Taxifahrer erzählen uns heute noch, wie getrickst werden soll und getrickst wird, um diesen Mindestlohn zu umgehen, welche Regelungen man findet, dass sie zwischendurch stehen müssen, Standzeiten aber nicht bezahlt werden. Da wird getrickst, das glauben Sie gar nicht. Deshalb ist es zwingend erforderlich, das aufzuschreiben.

Ich habe Ihnen eben noch einmal unsere Erfahrungen mitgeteilt. Wir waren jetzt auch mit der Bäckerinnung zusammen. Natürlich gibt es massive Klagen im Handwerk. Das ist uns doch nicht verborgen geblieben.

(Jens Nacke [CDU]: Immerhin!)

Darum muss man sich auch kümmern. Aber eines steht auch fest: Sie haben uns auch gesagt: Natürlich lernen wir, damit immer besser umzugehen, weil man jetzt Dinge automatisiert hat, Dinge in den Computer eingegeben hat, die sich wiederholen. Somit kommt man damit auch besser zurecht. Das ist auch ein Lerneffekt. Deshalb sage ich an der Stelle: Man muss dem Ganzen auch etwas Zeit geben, um eventuell Dinge nicht mehr lösen zu müssen, die sich von alleine erledigen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Schminke. - Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Bode das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Schminke, ich habe Ihre letzte Aussage so aufgenommen, dass das Mindestlohngesetz für Sie ein großes Erziehungsgesetz für Unternehmer, Handwerker und kleine Betriebe ist, die einfach lernen müssen, dass man Computer einsetzt, und damit dann klarkommen müssen.

(Jörg Hillmer [CDU]: So ist das!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für mich ist ein Unternehmer, ein Handwerker in der Frage, welche Technologie er einsetzt, ob er vielleicht tatsächlich Zettel und Stift nimmt, zunächst ganz alleine verantwortlich. Es ist seine eigene Entscheidung. Die kann er auch von den Betriebsabläufen her - so, wie es für seinen Betrieb am besten ist - treffen. Der Gesetzgeber, insbesondere der Bundesgesetzgeber, sollte sich komplett heraushalten und ihm nicht derartige Vorschriften machen, um ihn hinterher noch, so, wie Herr Schminke es gesagt hat, zu erziehen, wie er sein eigenes Unternehmen technologisch und in den Betriebsabläufen aufbaut. Das ist ein massiver Eingriff in die Grundfesten der sozialen Marktwirtschaft, den Sie hier formuliert haben, Herr Schminke, und darüber sollten Sie tatsächlich noch einmal nachdenken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Schminke, Sie können froh sein, dass wir dabei sind. Sonst könnten Sie sich den ganzen Tag nicht aufregen. Wenn Sie sich so über unseren Antrag aufregen, dann muss er verdammt gut sein.

(Zustimmung von Christian Grascha [FDP] - Lachen bei der SPD)

Eines will ich Ihnen aber gern mit auf den Weg geben, weil Sie das bei den Beratungen anscheinend komplett verdrängen: Die Anrechenbarkeit von Sachleistung, von der wir gesagt haben, man sollte sie aus dem Mindestlohngesetz streichen, ist faktisch durch Ihren Wirtschaftsminister aufgehoben worden. - Jeder, der weiter anrechnen möchte, hat von Minister Lies eine Handreichung dazu bekommen, wie es geht, nämlich nicht mehr durch Anrechnung, sondern durch zwei Verträge mit automatischer Verrechnung. Das ist das Gleiche, was tatsächlich passiert. Deshalb ist die Regelung im Gesetz nur eine für „Dumme“, und wer die Ant

worten von Minister Lies lesen kann, weiß, wie man heute das gleiche System anwendet, das man früher hatte.

Herr Schminke, insoweit sollten Sie vielleicht noch einmal mit der Landesregierung reden. Wenn Sie schon die andere Frage der EU-Förderung und bezüglich Herrn Tölles für den Ministerpräsident gelöst haben, frage ich mich, wann Sie sich des Themas Madsack einmal annehmen, damit auch dieses gelöst werden kann.

(Zurufe von der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn die Große Koalition in Berlin zu der Überzeugung kommt, dass man einen Mindestlohn einführen möchte, dann ist das ihr demokratisch gegebenes Recht und ist auch insgesamt in der Gesellschaft zu akzeptieren.

Wenn man allerdings - was die Große Koalition nach meiner festen Überzeugung nicht wollte - dabei ein Bürokratieungetüm loslässt, Unternehmer nicht nur durch den Mindestlohn, sondern auch durch Arbeitsaufwand belastet und durch Kontrollen den Betriebsablauf stört, dann muss man sich die Frage stellen, ob das wirklich gewollt war und ob man das dann nicht tatsächlich ändern muss.

Herr Schminke, inzwischen ist sogar die Bundesarbeitsministerin, Frau Nahles, zu der Erkenntnis gekommen, dass man da wohl ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen ist. Ich sage Ihnen: Man ist deutlicher über das Ziel hinausgeschossen, als Frau Nahles bis jetzt zugeben will und als Sie hier erklärt haben.

Deshalb war es richtig und wichtig, dass CDU und FDP mit ihren Anträgen Ihnen Hinweise gegeben haben, wo man etwas ändern kann. Der Kollege Toepffer hat sehr gut dargestellt, was durch dieses Gesetz und alle anderen Gesetze, die in dem Zusammenhang entstanden sind, passiert. Wir erleben die Bürokratisierung des einzelnen Unternehmers und des einzelnen Mitarbeiters. Immer mehr Bürokratie wird in die Betriebe geholt - durch Aufzeichnungen, durch Nachweispflichten etc. -, ohne dass dadurch ein Mehrwert sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Unternehmer geschaffen wird. Der Schutz des Einzelnen wird dadurch nämlich nur pseudoerhöht, aber nicht tatsächlich erhöht.

Ich meine, Herr Minister Lies, dass man sich angesichts des Beispiels der Arbeitszeitverordnung und der Regelungen von 1938, das der Kollege Toepf

fer hier angeführt hat, des Ganzen einmal ehrlich annehmen müsste und es sich anschauen müsste. Das war ein wichtiges Beispiel. Das sind Regelungen aus der Vergangenheit, die mit dem heutigen Lebens- und Arbeitsalltag oft nichts zu tun haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen: Koalitionsverhandlungen zur Großen Koalition, als Ihr Mitarbeiter gegen dieses Arbeitszeitgesetz verstoßen hat. Er hat sich im Internet bei Twitter darüber beschwert. Durch die Antwort, die Sie gegeben haben, haben Sie den Verstoß nicht geheilt; auch wenn er im Nachhinein freiwillig darauf verzichtet hatte, diese Zeit als Arbeitszeit angerechnet zu bekommen. Denn darauf kann er nicht verzichten. Sie wären in der Pflicht gewesen, ihn in Berlin nicht weiterarbeiten zu lassen. Ich wette, dass auch Ministerpräsident Weil die Mitarbeiter aus der Staatskanzlei, die er dabei hatte, gegen das Arbeitszeitgesetz hat verstoßen lassen.

(Glocke der Präsidentin)

Genau das, was Ihnen passiert ist, passiert allen Bäckern etc. in Niedersachsen und in ganz Deutschland. Deshalb wäre es wichtig, dass wir uns diese Gesetze einmal ehrlich anschauen und sie, ohne Schnappatmung zu bekommen, Herr Schminke,

(Heiterkeit bei der FDP)

an die Arbeitsrealität der heutigen Zeit anpassen, damit weder der Arbeitnehmer noch der Unternehmer nachher von Herrn Meyers Kontrolleuren Bußgelder aufgedrückt bekommt.

Herzlichen Dank.