Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

Diese Menschen missbrauchen nicht das Asylrecht. Sie tun, meine Damen und Herren, das, was jeder von uns in der vergleichbaren Situation auch täte, nämlich einen Ausweg zu suchen.

Das ändert nichts daran, wie wir damit umgehen müssen. Aber wir sollten diese Menschen nicht stigmatisieren oder gar kriminalisieren oder, wie Seehofer es getan hat, von rigorosen Maßnahmen sprechen, die jetzt ergriffen werden müssten. Ich unterstelle ihm damit ausdrücklich keine böse Absicht, aber schlichte Gemüter in Freital und anderswo in der Republik verstehen unter dem Begriff „rigorose Maßnahmen“ womöglich etwas anderes als Herr Seehofer.

Deswegen ist Sprache auch an diesem Punkt so extrem wichtig, dass wir sehr vorsichtig formulieren. Denn wir reden über Menschen, die auf der Flucht sind, vor was auch immer, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister.

Ich schließe die Besprechung zu Punkt c, wir kommen zu Punkt d: Flüchtlingspolitik: Ist die rotgrüne Landesregierung handlungsfähig? - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 17/4237.

Zur Einbringung hat Herr Kollege Dürr von der FDP-Fraktion das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Da die Anträge zur Aktuellen Stunde durchaus ein Block sind, wie vorhin gesagt wurde, kann ich im Prinzip an das anknüpfen, was der Innenminister vorhin gesagt hat. Herr Pistorius, ich teile das, was Sie gerade gesagt haben, insbesondere Ihre Einschätzung zu den verschiedenen Rechtskreisen. Ich teile das ausdrücklich und würde mich freuen, wenn wir gerade beim Thema Einwanderungsgesetz deutlich nach vorne kommen würden.

Zur Wahrheit gehört aber - ich glaube, das haben Sie auch damit gemeint -, dass wir das Asylsystem mit der Situation, vor der wir zurzeit stehen, überfordern. Aber um das Asylsystem nicht zu überfordern, muss das, was Recht und Gesetz im Asylsystem ist, am Ende auch durchgeführt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Da stellt sich ausdrücklich auch die Frage - ich würde mich freuen, wenn Sie später etwas dazu sagen - nach der Handlungsfähigkeit und Einigkeit dieser rot-grünen Landesregierung, meine Damen und Herren.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wie steht es denn nun endlich mit dem Rückführungserlass? - Ich will einmal die Titelzeilen von Zeitungen des heutigen Tages, vom 16. September, vorlesen. In der Nordwest-Zeitung: „Heftiger Streit um Abschiebung - Rot/Grün uneinig“. In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: „Streit um Abschiebungen aus Niedersachsen“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe den Eindruck, Sie haben in Ihrer Politik durchaus die Unterstützung der Sozialdemokraten. Sie haben in der Politik, die Sie hier skizziert haben, gerade bei dem Thema die Unterstützung der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion. Ihnen fehlt aber der eigene Koalitionspartner, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich will es deutlich sagen: Den müssen Sie an dieser Stelle auch endlich auf Spur bringen! Auch das gehört zur Wahrheit dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Oh Mann, oh Mann!)

Gerade die Uneinigkeit in der rot-grünen Landesregierung führt auch dazu,

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

dass wir uns an der Stelle zurzeit - wie Stefan Birkner das vorhin zu Recht sagte - nach wie vor im Krisenmodus befinden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wir müssen es doch endlich schaffen, nicht mehr nur auf Sicht zu fahren, sondern auch als Landespolitik vorausschauend an dieser Stelle zu agieren.

Was ist denn mit den Sprach- und Integrationskursen, meine Damen und Herren? - Nach wie vor fehlen die Mittel dafür. Für das Haushaltsjahr 2016 sind bisher in keinem Fall ausreichende Mittel veranschlagt. Das hätte man längst tun können.

Herr Weil sagt öffentlich, 3 Milliarden Euro Bundeshilfe reichten nicht aus. Aber wie können dann 300 Millionen Euro Landeshilfe an dieser Stelle ausreichen? - Auch an dieser Stelle haben wir von Ihnen überhaupt nichts gehört.

(Zustimmung von Christian Grascha [FDP])

Ich will eines noch einmal unterstreichen, weil ich ja durchaus die Hoffnung habe, dass wir auf der europäischen Ebene zumindest mittelfristig irgendwann Einigkeit bekommen, weil wir alle der Auffassung sind, dass es ohne die europäische Ebene nicht gelingen kann. Aber wenn wir Europa bewegen wollen, meine Damen und Herren - da komme ich auch auf die Landesebene zurück -, dann setzt das Einigkeit in der Politik, insbesondere auch in Deutschland und in Niedersachsen voraus.

Auch wenn wir es heute schon öfter angesprochen haben - ich stelle mir die Frage: Was ist mit der Einordnung „sicherer Herkunftsstaat“? Wie stehen Sie in der Landesregierung zur Visumspflicht für die Länder des Westbalkans? Herr Weil, haben Sie das in Berlin angesprochen?

Herr Dr. Trips hat heute im rundblick noch einmal sehr ausführlich beschrieben, wie wichtig es ist, dass wir jetzt auch für diese Staaten endlich wieder die Visumspflicht bekommen, und zwar genau aus dem Gedankengang heraus, wie es Herr Pistorius vorhin gesagt hat, um dort die Dinge vernünftig voneinander zu trennen, nämlich Einwanderung auf der einen Seite und Asyl auf der anderen Seite, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Die Frage der Aktuellen Stunde ist: Spricht die Landesregierung an dieser Stelle mit einer Stimme? - Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und Herren. Sie können sich nicht einmal untereinander auf die zentralen Punkte in der Asyl- und Einwanderungspolitik einigen, meine Damen und Herren.

Herr Kollege Onay - ich sage das, weil Sie sich vorhin auch zu diesem Thema zu Wort gemeldet haben -, ich will das wiederholen: Das heutige Recht, wie wir es vorfinden, führt dazu, dass Menschen aus Syrien, die vor Krieg und Verfolgung durch den Islamischen Staat flüchten und hier zu 99 % Asyl erhalten, keine Chance haben, legal in die Europäische Union einzuwandern und hier dann auch entsprechend einen Asylantrag zu stel

len. Sie werden daher gezwungen, Leib und Leben zu riskieren und - wie uns die schrecklichen Bilder klargemacht haben - dabei ihr Leben zu verlieren, um hier bei uns in Sicherheit zu kommen, während gleichzeitig diejenigen - das müssen sich die Grünen hier auch vorhalten lassen, und das müssen Sie an dieser Stelle erklären -, die vom Westbalkan aus mehr als verständlichen Gründen zu uns kommen, durch die Visafreiheit für diese Staaten lediglich den Reisepass zur Einreise benötigen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Ich frage mich: Was hat das dann mit Willkommenskultur zu tun, wenn 99 % - ich wiederhole es - dieser Menschen keine Chance haben, in einem rechtlich gesicherten Status zu bleiben, meine Damen und Herren?

Diese Familien bleiben auch aufgrund der mangelnden Abschiebepraxis dieser Landesregierung jahrelang in Niedersachsen ohne einen aufgeklärten Status. Das ist auch unfair gegenüber diesen Menschen, die vom Westbalkan zu uns gekommen sind, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der FDP)

Ich habe es vorhin gesagt: Wenn wir es wollen, dass wir zu einer gerechteren Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union kommen, dann müssen wir gerade auch in den Ländern handlungsfähig sein. Die spannende Frage ist: Findet das, was Sie, Herr Ministerpräsident, gestern in Berlin verhandelt und zugesagt haben, nämlich eine Verteilungsquote auf europäischer Ebene - wir sind uns hier jedenfalls in der Rhetorik alle einig, dass das durchaus eine Lösung sein kann -, dieser Verteilungsschlüssel auf der europäischen Ebene die Zustimmung Ihres Koalitionspartners? - Bisher kann ich mich daran an dieser Stelle nicht erinnern. Daran wird auf Dauer - das ist das Problem, das Sie, Herr Weil, lösen müssen - die Asyl- und Flüchtlingspolitik dieser Landesregierung kranken, nämlich an der Uneinigkeit zwischen Rot und Grün an dieser Stelle. Die einen sind für die wohlfeile Rhetorik zuständig, und die anderen sollen angeblich die Arbeit machen. Diese Arbeitsteilung wird Rot-Grün in Niedersachsen auf Dauer nicht gelingen!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dürr. - Für die CDU-Fraktion hat Frau Lorberg das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir konnten in der letzten Woche, aber auch gerade wieder erleben, dass uns diese Landesregierung davon überzeugen will, dass die Flüchtlingsströme, die ansteigenden Flüchtlingszahlen so quasi über Nacht, so ganz und gar überraschend gekommen sind.

(Johanne Modder [SPD]: Nein, die haben sich drei Monate vorher ange- meldet!)

Aber, Herr Minister, so überraschend, wie Sie es uns hier weismachen wollen, kam diese Herausforderung gar nicht auf uns zu. Wie sollte man sich sonst erklären, dass sich andere Länder viel, viel früher um diese Herausforderungen gekümmert und auf diesen Strom von Flüchtlingen vorbereitet haben?

Nehmen wir beispielsweise Bayern. Dort wurde bereits im April 2015 angefragt, ob Platz in fünf Kasernen sei. Das wurde vom Land über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben angefragt. Die Niedersächsische Landesregierung hingegen hat zu diesem Zeitpunkt keine Kaserne angefragt. Allenfalls Oldenburg und Lüneburg haben als Kommunen die Nutzung von zwei kleineren Kasernenteilen abgefragt, um dort die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge unterzubringen.

Warum finden wir neben den zahlreichen Bundesländern zu diesem Zeitpunkt nicht auch Niedersachsen auf dieser Liste, Herr Minister?

Bayern hat am 18. August 2015 in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass das bayerische Innenministerium 2 651 pensionierte Beamte um Unterstützung bei der Bewältigung des Zustroms von Asylbewerbern gebeten hat. In dem Schreiben heißt - ich zitiere -:

„Die Regierungen benötigen für die Ersterfassung der Flüchtlinge dringend verwaltungserfahrenes Personal aus unserem gesamten Geschäftsbereich.“

Meine Damen und Herren, diese und weitere Informationen über das Handeln der Bundesländer finden Sie im Internet. Sie brauchen gar nicht groß zu suchen. Aber wenn Sie Informationen aus Nie

dersachsen haben wollen, dann müssen Sie suchen, suchen, suchen - aber Sie finden keine.

Man muss auch sehen, dass die Informationen, die wir beispielsweise aus Bayern, Thüringen, BadenWürttemberg und dem Saarland bekommen, ganz deutlich machen, dass diese Länder viel früher begonnen haben, sich auf diesen Flüchtlingsstrom vorzubereiten. - Und Niedersachsen? Wann haben wir solche Maßnahmen ergriffen, Herr Minister?

Ich glaube, die Bevölkerung hat auch ein Recht darauf, hierauf eine Antwort zu bekommen. Gibt es hier einen Informationsstopp? Warum steht nichts im Internet? Warum bekommt die Presse kaum Informationen? - Das interessiert die Menschen. Wo bleibt Ihre Transparenz, und wo bleibt Ihre Dialogfreudigkeit, die Sie immer so gepriesen haben?

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Christian Dürr [FDP])

Wahrscheinlich werden Sie nun sagen: Ja, wir handeln, anstatt uns öffentlich zu erklären. - Nein, das tun Sie nämlich nicht. Schon eine knappe Woche, nachdem Sie die Maßnahmen, die wir Ihnen in die Wiege gelegt haben, dann auf den Weg gebracht haben, rufen Sie ja schon wieder nach dem Bund.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Die Dimen- sion haben Sie aber auch noch nicht begriffen!)

Herr Weil, Sie forderten am 15. September - dies u. a. in der Neuen Presse - einen Plan B. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen, Herr Ministerpräsident.

(Zurufe von der SPD)