- Sie unterschreiben das doch nicht! Die dezentrale Unterbringung würde ich mir auch wünschen, wenn die Erstaufnahmeeinrichtungen bzw. die Notunterkünfte verlassen werden, weil ich sie für geboten halte. Ich würde mir wünschen, dass die Aufenthaltsdauer in diesen Einrichtungen möglichst kurz ist und dass die Asylanträge möglichst schnell abgegeben werden können.
An die Adresse des Kollegen Nacke sage ich einfach: Er soll heute Abend in den Spiegel gucken und sich mal fragen, welche Vorwürfe er hier schon erhoben hat. Gelegentlich ist er ja derjenige, der es am schlimmsten treibt und immer die anderen angreift. Es bleibt aber dabei: Er entzieht sich,
Das Novum der Abgeordnetenbefragung ist jetzt mit der Kurzintervention beendet. Wir fahren nun in der ordnungsgemäßen Beratung fort. Das Wort hat nun der Vorsitzende der FDP-Fraktion, der Herr Kollege Christian Dürr. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Watermann, Sie haben ja gerade versucht, sich für das Wort, das Sie hier in den Raum gestellt haben und das ich jetzt nicht wiederholen will, zu entschuldigen. Wissen Sie, was ich mir gewünscht hätte? - Nachdem ich in den letzten Wochen und Monaten die Reden von Frau Tiemann, von Frau Modder, Frau Piel und anderen gehört habe, die den Helfern und insbesondere den niedersächsischen Kommunen gedankt haben, hätte ich mir gewünscht, dass Sie sich nach Ihren desaströsen Ausführungen über die niedersächsischen Kommunen, die zurzeit bei uns im Land für Sie, für Ihre Landesregierung, die Kohlen aus dem Feuer holen, bei den niedersächsischen Kommunen entschuldigen. Es war unanständig, dass Sie, Herr Watermann, dazu nicht die Größe hatten und dies nicht getan haben.
Frau Kollegin Polat, ich möchte auch auf Ihre Rede eingehen. Sie haben von schnellen Verfahren gesprochen. Ich werde gleich noch ganz konkrete Vorschläge dazu machen. Dann aber haben Sie gesagt, die Verfahren müssten schnell durchgeführt werden, damit klar ist, wer eine Bleibeperspektive in Deutschland hat, und damit auch diejenigen Klarheit haben, die in Deutschland keine Bleibeperspektive haben. Den nächsten Schritt haben Sie aber nicht gemacht. Aber auch der gehört zur rechtsstaatlichen Wahrheit dazu, meine sehr verehrte Frau Polat.
Wissen Sie, welchen Eindruck ich so langsam, aber sicher bekomme? - Es geht den Grünen nicht um die Flüchtlinge. Es geht den Grünen auch nicht um die menschlichen Schicksale, die Sie gerade
beschrieben haben. In Wahrheit ging es Ihnen in den vergangenen vier Wochen um den Landesparteitag am vergangenen Wochenende, meine Damen und Herren. Das war die Motivation für Ihre Politik, das waren aber nicht die Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen. Diese Zweizüngigkeit bei den Grünen muss hier einmal angesprochen werden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: Sie unter- bieten Ihr eigenes Niveau!)
Herr Pistorius, ich habe in der Fragestunde Ihre Antworten und Hinweise sehr aufmerksam verfolgt. Dort, wo Sie zuständig sind, haben Sie es an die Kommunen abgedrückt. Dort, wo Sie zuständig sein und wirklich Hilfe leisten könnten, sagen Sie aber, dass zunächst einmal der Bund vorlegen müsse, bevor wir irgendetwas machen.
Das Motto in der jetzigen Zeit muss doch lauten: Agieren statt Reagieren. - Das müsste im Moment das Prinzip guten Handelns sein, meine Damen und Herren. Nach Ihren Ausführungen von heute Morgen, Herr Innenminister, habe ich den Eindruck, dass der Wille, das Bundesland Niedersachsen zu regieren, die Sache in den Griff zu bekommen und das Chaos endlich wieder in geleitete Bahnen zu überführen, bei dieser Landesregierung nicht vorhanden ist. Es ist unerträglich, dass Sie hier die Mehrheit haben.
Am Ende war das leider - das sage ich auch in Richtung der beiden Regierungsfraktionen - eine Fortsetzung dessen, was wir hier im SeptemberPlenum erlebt haben, meine Damen und Herren. Der Kollege Nacke hat natürlich völlig recht: Die Debatten, die wir hier führen und angesichts deren sich die Öffentlichkeit fragen muss, ob sich die Abgeordneten eigentlich nur mit sich selbst beschäftigen, nicht aber mit den Problemen der Helfer vor Ort oder den Problemen der Kommunen, sind eine Fortsetzung dessen, was wir im September hier erlebt haben. Diese Landesregierung - auch die Regierung auf Bundesebene - ist nicht nur uneinig, sondern sie ist komplett zerstritten. Sie ist handlungsunfähig.
Vor zwei Wochen habe ich in Berlin mit einem Journalisten gesprochen, den ich gefragt habe, wann er mal wieder nach Niedersachsen kommt.
Er hat mir gesagt: Die Bedeutung des Landes Niedersachsen im Bundesranking ist auf Platz 16 angelangt. - Das ist das Ergebnis der Tätigkeit dieser Landesregierung, um auch das einmal sehr deutlich zu sagen.
Ich will jetzt auf die vorliegenden Anträge zu sprechen kommen. Das, was wir zurzeit erleben, und das, was die Landräte und die Bürgermeister und insbesondere die Helfer vor Ort aufregt, ist eine Kapitulation des Rechtsstaates. Sie selbst, Herr Pistorius, mussten in der Antwort auf eine Anfrage Anfang November einräumen, dass die Praxis, Flüchtlinge auf Kommunen zu verteilen, ohne dass sie bislang einen Asylantrag gestellt haben, in Niedersachsen bereits seit dem dritten Quartal 2014 zur Anwendung kommt. Das Problem ist nicht über den Sommer entstanden, um auch einmal mit diesem Märchen aufzuhören. Das ist ein Problem, das wir seit langer Zeit haben.
Die reale Situation bei der Amtshilfe sieht doch wie folgt aus: Die meisten ländlichen Landkreise in Niedersachsen haben ein Riesenproblem. Wenn in den Kommunen 100 Flüchtlinge ankommen, sind zwei Tage später vielleicht noch 20 da. Das stellt die Kommunen und die Helfer vor Ort vor riesige Probleme, meine Damen und Herren.
Ein Landrat hat mir gegenüber vor Kurzem einen ganz pragmatischen Vorschlag gemacht. Vor dem Hintergrund, dass wir die Menschen in den Kommunen nicht zwangsweise festhalten wollen, hat er zu mir gesagt: Warum fragt das Land die Flüchtlinge nicht einfach danach, wohin sie wollen und welches Ziel sie haben? - Das wäre ein pragmatisches Vorgehen, um zu mehr Ordnung zu kommen, meine Damen und Herren.
Ich möchte Ihnen, Herr Pistorius, ein weiteres Beispiel nennen. Es gibt Kommunen, die sich in Eigenregie darum kümmern, dass Flüchtlinge vom BAMF erfasst werden, indem die mobilen Teams von den Kommunen in die Notunterkünfte gelotst werden. Die Antwort auf die Frage der niedersächsischen Kommunen bzw. Landkreise an das niedersächsische Innenministerium, ob diejenigen Flüchtlinge, die aus Ländern mit einer guten Bleibeperspektive kommen und vor Ort bleiben wollen - also diejenigen Flüchtlinge, die beim BAMF bereits registriert sind -, auf das Kontingent der Kommunen angerechnet werden können, lautet - zunächst blieben diese Anfragen ja tagelang un
beantwortet, wie wir es von dieser Landesregierung kennen -: Das geht nicht. Schließlich müssen die noch einmal von der LAB NI registriert werden, meine Damen und Herren. Das ist die Realität in den niedersächsischen Kommunen. Das erleben die Bürgermeister und Landräte zurzeit aufgrund Ihrer Politik.
Wissen Sie: Sie erwarten von den Kommunen Flexibilität. Wir erwarten gemeinsam mit den Kommunen von der Niedersächsischen Landesregierung Flexibilität. Die Flexibilität, die Sie derzeit im Rahmen der Amtshilfe von den Kommunen verlangen, ist bei der Landesregierung zurzeit null, um auch das einmal deutlich zu sagen.
Man fragt sich: Was machen eigentlich die obersten Landesbehörden? Was machen die Landesministerien? - Ich mache den Beamten in den Häusern keinen Vorwurf, um das deutlich zu sagen. Mein Eindruck aber ist, dass in den zehn niedersächsischen Landesministerien zurzeit Business as usual gemacht wird, als ob vor Ort gar nichts passiert, meine Damen und Herren. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, mit welchem Bild man Ihre Politik beschreiben kann.
Wissen Sie - das geht jetzt in Richtung der Grünen -: Als ich am Umweltministerium von Stefan Wenzel vorbeigegangen bin, wurde mir eines klar. Dort prangt ein großes Banner - ich weiß nicht, wer es gesehen hat - mit der Aufschrift „Refugees welcome“.
Und wissen Sie, was direkt davor steht? - Ein zweieinhalb Meter hoher Bauzaun, meine Damen und Herren. Das beschreibt perfekt die Art und Weise, in der Sie Flüchtlingspolitik machen. Das ist Fensterpolitik. Sie schreien „Refugees welcome“, in Wahrheit aber kümmern Sie sich null um die Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen. Das muss deutlich gesagt werden. Und ich halte das für unmenschlich.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Johanne Modder [SPD]: Das ist doch unverschämt! Das ist unverschämt!)
Aber ich will mich hier nicht auf das Kritisieren beschränken. Das zentrale Problem - darin sind sich zum Glück alle vier Fraktionen einig - ist die
Dauer der Verfahren. Wir haben unregistrierte Flüchtlinge. Beispielhaft erwähnen möchte ich einen Syrer, der einen BAMF-Termin in Friedland für Mai nächsten Jahres zugewiesen bekommen hat, aber nicht, um sein Verfahren abzuschließen, sondern um zunächst einmal einen Asylantrag zu stellen.
Wir werden zum Ende dieses Jahres mindestens eine Million Flüchtlinge bei uns haben, von denen sich ein Großteil im Schwebezustand befindet. Sie alle hängen im Bottleneck eines Systems, das für sie und vor allem für diese große Anzahl von Menschen nicht gedacht ist, meine Damen und Herren. Man muss es ganz klar sagen: In der Situation, in der wir uns befinden, ist unser Asylsystem schlichtweg überfordert. - Wer von sich behauptet, er oder sie hätte die eine Lösung für alle Facetten der aktuellen Herausforderungen, sagt natürlich die Unwahrheit. Kein Zweifel. Deshalb brauchen wir jetzt eines: pragmatische, umsetzbare Schritte, die konkret und sofort wirken. - Ein Zustand, bei dem der Eindruck entsteht, der Staat ist nicht mehr Herr des Verfahrens oder gar der Lage, meine Damen und Herren, ist nicht akzeptabel.
Der Hinweis, dass wir die großen Herausforderungen nicht ohne den Bund schaffen können, ist natürlich nicht grundsätzlich falsch. - Das gebe ich gerne zu, Herr Pistorius. Aber eines müssen wir feststellen: Was Deutschland zurzeit erlebt, ist ein Massenzustrom an Flüchtlingen, meine Damen und Herren. Ich will deshalb auf den Entschließungsantrag hinweisen, der hier zur Abstimmung steht, leider aber wahrscheinlich von Rot-Grün abgelehnt werden wird, und auf den Vorschlag für einen Gesetzentwurf, den meine Fraktion für Freitag auf die Tagesordnung hat setzen lassen.
Was wir jetzt brauchen, ist neben dem Asylsystem ein System, das funktioniert. Wir schlagen einen vorübergehenden humanitären Schutz für Flüchtlinge vor, meine Damen und Herren. Wir müssen es jetzt schaffen, die Lage wieder in den Griff zu bekommen; denn wir drohen uns - das haben wir an der heutigen Debatte gemerkt - im Klein-Klein zu verlieren.
Ich will das mit aller Deutlichkeit sagen: Das ist nicht nur ein ernst gemeinter, sondern das ist auch ein ernsthafter Vorschlag meiner Fraktion. Ich habe mich sehr gefreut, als ich am vorvergangenen Montag gelesen habe, dass die niedersächsische Justizministerin gegenüber der HAZ gesagt hat - Sie ist heute leider nicht da, weil sie, glaube ich, auf der Justizministerkonferenz ist -:
„Ich halte die Entscheidung, ausschließlich den Weg über das Asylrecht zu eröffnen, für verengt. Als Alternative sollte - nach Klärung der Identität - eine unbürokratische Verleihung des Status eines Bürgerkriegsflüchtlings geprüft werden. … Flüchtlinge, die hierbleiben werden, hätten schnell einen Status, der es ihnen und der Gesellschaft ermöglichen würde, die Integration rasch zu beginnen.“
Meine Damen und Herren, das ist der entscheidende Punkt. Ein vorübergehender humanitärer Schutz, wie von uns vorgeschlagen, führt dazu, dass der Asylantrag für die Dauer ruht. Er gilt für all diejenigen, die bereits hier sind, und für diejenigen, die in den nächsten Monaten noch kommen werden. Spätestens dann, wenn der Massenzustrom beendet ist, kann das Asylverfahren natürlich wieder aufleben.
Wir haben deutlich gesagt, dass wir denjenigen Flüchtlingen, die es in Deutschland in der Zeit schaffen, auf eigenen Beinen zu stehen, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen, meine Damen und Herren, natürlich eine Bleibeperspektive geben wollen, auch im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes; denn wir wollen die Fehler der 90er-Jahre - das ist uns allen bewusst - an dieser Stelle nicht wiederholen.
Ich komme zum Schluss. Die Debatte war mehr als hitzig. Ich bitte Sie um eines: Lassen Sie uns jetzt aus den Schützengräben herauskommen, meine Damen und Herren!
Der Vorschlag, den wir machen, ist nicht schwarz, er ist nicht rot oder grün, und er ist auch nicht blaugelb. Er soll konstruktiv sein. Das ist er auch, und er ist vor allen Dingen ernst gemeint. Ich möchte nicht als Landespolitiker einer Generation in die Geschichte eingehen, die an dieser Aufgabe gescheitert ist.
Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. - Es hat jetzt für die Landesregierung Herr Innenminister Pistorius das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schließe bei dem an, was Herr Dürr zum Schluss gesagt hat, nämlich dass wir versuchen sollten, aus den Schützengräben herauszukommen.
Herr Nacke hat heute zu Beginn dieser Debatte zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Menschen Sorgen machen über das Erscheinungsbild des Staates, über das Erscheinungsbild der politisch Verantwortlichen und darüber, wie die Politik bzw. die Verwaltungen mit dem Problem umzugehen scheinen. Auch wenn nicht jeder Eindruck zutrifft, der an der Basis entsteht, müssen wir doch konstatieren, dass das bedeutet, dass wir uns umso verantwortungsvoller verhalten müssen, auch in den Debatten.