Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung: Empfehlungen der Enquetekommission „Verrat an der Freiheit - Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“ umsetzen - Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP - Drs. 18/354
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit einem Symposium anlässlich des 25. Jahrestages der Deutschen Einheit mit dem damaligen Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, sowie mit dem Leiter der Zentralen Erfassungsstelle, Dr. Hans
Jürgen Grasemann, der leider schon während der Arbeit der Enquetekommission verstorben ist, haben wir als Ergebnis einen Antrag zur Einsetzung einer Enquetekommission „Verrat an der Freiheit - Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“ eingebracht. Dieser Antrag wurde dann von allen in der 17. Wahlperiode im Landtag vertretenen Fraktionen einstimmig beschlossen.
Mit der Einrichtung dieser Enquetekommission wurde die Aufarbeitung von Machenschaften der Stasi als gesamtdeutsche Aufgabe anerkannt. Dies fand bundesweit eine hohe Anerkennung. Die Mitglieder der Enquetekommission haben als Arbeitsergebnis ein kommentiertes Findbuch zur Dokumentation der archivarischen Bestände zu den Themenfeldern des Einsetzungsauftrages, einen Tagungsband des wissenschaftlichen Symposiums aus dem April 2016 und eine Dokumentation der Gespräche mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vorgelegt.
Einen besonderen Dank möchte ich in diesem Zusammenhang gerne Herrn Hartmut Büttner aussprechen, der hier heute anwesend ist und uns mit seinem Fachwissen, seinen umfangreichen Kenntnissen und seinem unglaublichen Netzwerk nicht nur beeindruckt, sondern auch zum Erfolg der Enquetekommission beigetragen hat. Dafür ein ganz herzliches Dankeschön!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Enquetekommission hat eine ganze Reihe von Empfehlungen einstimmig in den Abschlussbericht eingearbeitet. Sie finden sie heute auch in dem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen wieder. Hierfür möchte ich mich auch bei den Fraktionen von SPD, Grünen und FDP ganz herzlich bedanken. Die Empfehlungen widmen sich u. a. der jungen Generation, die die Teilung unseres Landes selbst nicht miterlebt hat. Dabei geht es um Erinnerungskultur sowie um die Vermittlung von Erfahrungen in Bezug darauf, was es bedeutet, in einem geteilten Land unter einem totalitären Regime zu leben. Das Wissen um die Auswirkungen einer Diktatur auf den Einzelnen muss vor allem der jüngeren Generation nahegebracht werden.
Außerdem richten sich die Empfehlungen des Abschlussberichtes an die Menschen, welche die zweite Diktatur auf deutschem Boden noch selbst erlebt haben und Opfer dieses totalitären Regimes wurden. Alle Mitglieder der Enquetekommission wissen um die erfolgreiche Arbeit der Opferberatungsstelle für SED-Opfer im Niedersächsischen
Innenministerium. Daher wurde empfohlen, diese Opferberatungsstelle so lange weiterzuführen, wie hierfür Nachfrage besteht.
Die meisten Opfer haben verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden davongetragen. Bei der Anerkennung dieser Gesundheitsschäden gibt es bedauerlicherweise, bedingt durch die Unterschiedlichkeit der 16 Bundesländer, die das entsprechende Bundesgesetz umsetzen müssen, gerade im Bereich der Begutachtung erhebliche Unterschiede und auch Ungerechtigkeiten. Hier sind Bundesregierung und der Bundestag aufgefordert, diese zu beseitigen.
Leistungen in Form einer bescheidenen Opferrente von monatlich maximal 300 Euro erhalten nur SED-Opfer, die heute sozial bedürftig sind. In der Anhörung der Zeitzeugen ist noch einmal deutlich geworden, dass es den meisten Betroffenen in erster Linie nicht um einen finanziellen Ausgleich von sozialen Notlagen geht, sondern vielmehr um die Anerkennung des wiedervereinten Deutschlands für ihren Einsatz für Demokratie und persönliche Freiheit, wofür wir ihnen heute noch sehr dankbar sein müssen.
Daher sollte aus unserer Sicht die Bewilligung der Opferrente nur noch an die Mindesthaftdauer von 180 Tagen gebunden werden.
Weitere Empfehlungen geben u. a. Hinweise zu den Stasi-Unterlagen als nationales Kulturgut und zu Untersuchungen zu den Verbindungen der Stasi zu Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich empfinde Hochachtung vor denen, die der DDR die Stirn geboten und für Freiheit gekämpft haben - nicht nur für ihre Freiheit, sondern für unser aller Freiheit.
Ich hoffe, dass wir gemeinsam möglichst viele der Empfehlungen der Enquetekommission schnell umsetzen können. Denn viele Opfer können aufgrund ihres Alters nicht mehr lange auf diese Umsetzung warten. Vor allem aber hoffe ich, dass unsere Kinder und Enkel von totalitären Systemen verschont bleiben. Wenn diese Enquetekommissi
on dazu vielleicht einen kleinen Beitrag geleistet hat, haben wir, glaube ich, insgesamt gemeinsam sehr viel erreicht.
Vielen Dank, Herr Kollege Meyer. - Für die SPDFraktion hat sich jetzt Frau Dr. Silke Lesemann zu Wort gemeldet.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Seit fast drei Jahrzehnten existiert die DDR als Staat nicht mehr. Aber selbst wenn ein Staat verschwunden ist: Die Menschen und ihre Schicksale bleiben. Das gilt auch für Menschen, die in das Visier der Staatssicherheit der DDR geraten waren.
Zur DDR zwischen Mythos und Wirklichkeit gehört vor allem auch die Geschichte ihres Überwachungsapparates. Trotz Mauern und umfangreicher Grenzanlagen sollte man sich keiner Illusion hingeben. Der lange Arm der Stasi reichte auch bis weit nach Westdeutschland hinein und damit auch nach Niedersachsen. Man kann sogar sagen, dass die sogenannte West-Arbeit der Stasi vorwiegend dem Zweck der Unterwanderung diente.
In der vergangenen Wahlperiode hat der Niedersächsische Landtag mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen und FDP eine Enquetekommission zur Aufarbeitung der Stasi-Machenschaften in Niedersachsen eingesetzt. Dies ist bisher für die westdeutschen Bundesländer einmalig gewesen; denn weder für sie noch für die anderen Bundesländer gab es eine systematische Aufarbeitung zum Wirken der Staatssicherheitsorgane der ExDDR.
Mehr noch: Mit der Einrichtung der Enquetekommission wurde die Aufarbeitung der Machenschaften der Stasi in Niedersachsen als gesamtdeutsche Aufgabe anerkannt. Als auch der breiteren Öffentlichkeit zugängliche Ergebnisse ihrer Arbeit hat die Kommission im vergangenen Herbst - im Oktober - eine dreibändige Publikation vorgelegt. Überdies wurde eine Reihe von bundesweit als vorbildhaft erachteten Empfehlungen beschlossen, die nun umgesetzt werden sollen.
Meine Damen und meine Herren, in den Mittelpunkt muss aber auch immer wieder gerückt werden, warum wir uns mit unserer Geschichte auseinandersetzen. Das soll ja schließlich kein Selbstzweck zur Anhäufung von Wissen sein. Die deutsche Teilung wirkt in vielfacher Weise nach. Gerade die nachwachsende Generation ohne eigene Erfahrungen mit der DDR soll durch die historischpolitische Bildungsarbeit vor einer Beschönigung dieser Diktatur bewahrt werden.
Wir wissen: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss immer wieder aufs Neue erkämpft werden.
Dazu gehört es auch, sich über Mechanismen, Methoden und Ausmaß staatlicher Unterdrückung auszukennen und das aufzuarbeiten. Dies ist ein Beitrag dazu, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Zukunft zu stärken.
Geschichte kann aber nicht nur durch Fachwissenschaft und entsprechende Literatur aufgearbeitet werden. Zahlen und Fakten sind lediglich ein Gerüst, in dem sich das Leben abgespielt hat. Das Gefühl, in einem geteilten Land zu leben - ich muss nach oben schauen, denn auf der Tribüne sitzt eine Schülergruppe -, kennen Sie nicht. Sie können ganz froh darüber sein, dass Sie dieses Gefühl nicht kennen. Aber mit fortschreitendem zeitlichen Abstand wird es immer schwieriger, dies zu vermitteln.
Damit eine Erinnerungskultur entwickelt wird, die besonders auch die nachwachsenden Generationen interessiert und beteiligt, sind kreative und erfahrungsorientierte Ansätze notwendig. Hierzu gehören beispielsweise der Besuch von Gedenkstätten, Ausstellungen und ähnlichen Angeboten, aber auch das Gespräch mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, solange es sie noch gibt.
Meine Damen, meine Herren, damit bin ich bei einem weiteren Punkt. In der Enquetekommission sind Opfer von Stasi-Aktivitäten ausführlich zu Wort gekommen. Der Respekt vor denjenigen, die durch Bespitzelung, Unterdrückung und unmenschliche Drangsal Opfer der Staatssicherheit geworden sind, gebietet es, dass eine Bundesratsinitiative unternommen wird, die in verschiedener Weise zu Verbesserungen ihrer Situation führt; mein Vorredner hat das schon angekündigt.
Hierzu gehören beispielsweise eine vereinheitlichte und verbesserte Begutachtung von Stasi-Opfern, Kriterien bei der Opferrente zur Erweiterung des Bezieherkreises sowie die Entfristung der Ende 2019 auslaufenden Möglichkeiten zur Rehabilitierung von SED- und Stasi-Opfern. Außerdem ist es notwendig und gut, dass es die Beratungsstellen für SED-Opfer im Innenministerium gibt und ihre Arbeit auch weiterhin gewährleistet bleibt.
Meine Damen, meine Herren, das Wirken der Stasi muss als gesamtdeutsches und auch als spezifisch westdeutsches Problem begriffen werden. Aber immer noch fehlen fundierte Kenntnisse. Immer noch steht die Erforschung dieses Abschnitts unserer jüngsten Geschichte am Anfang. Deshalb hat die Kommission empfohlen, ein wissenschaftliches Verbundprojekt „Stasi in Niedersachsen“ in Erwägung zu ziehen. Das gilt auch für mögliche Verbindungen von Abgeordneten und ihren Mitarbeitern zum Ministerium für Staatssicherheit. Die Enquetekommission hat auch hierzu relevante Quellenbestände zusammengetragen. Diese können für das Vorhaben hervorragend genutzt werden.
Eines ist nach dem Ende der Enquetekommission klar geworden: Es braucht noch einiges mehr an Engagement auch des Niedersächsischen Landtags, dieses Thema weiter aufzuarbeiten. Das wollen wir mit unserem gemeinsamen Antrag von SPD, CDU, Grünen und FDP tun.
Vielen Dank, Frau Dr. Lesemann. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Herr Helge Limburg zu Wort gemeldet.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal schließe ich mich im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und auch im Namen der Kollegin Regina Asendorf, die der Enquetekommission angehört hat, jetzt aber dem Landtag nicht mehr angehört - deswegen rede ich hier gern als stellvertretendes Mitglied der Enquetekommission -, dem Dank an alle Mitglieder der Enquetekommission und insbesondere den nicht dem Landtag angehörenden Mitglieder, z. B. Herrn Büttner, ausdrücklich an: Sie haben sehr wertvolle Arbeit geleistet und leisten diese in der Tat auch noch heute.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon gesagt worden: Der Unterdrückungsapparat der Staatssicherheit hat in der DDR und für die Menschen in der DDR Furchtbares und Schreckliches bewirkt. Er hat sie viele Jahrzehnte an der legitimen Ausübung der Grundrechte gehindert.
Er hat darüber hinaus in ganz Europa und vor allem in Westdeutschland gewirkt. Dieses Wirken, dieses Agieren der DDR in der Bundesrepublik Deutschland und in den Ländern wie in Niedersachsen, verdient es, mehr und weiter untersucht sowie dokumentiert und aufgearbeitet zu werden. Das Wissen darum soll an die jüngere Generation vermittelt werden - aber auch an Personen jeden Alters. Das fordert dieser Entschließungsantrag. Das ist in der Tat ein sehr wichtiger Punkt.
Die DDR-Opferrente wurde bereits angesprochen. Mit Blick darauf finde ich es wichtig, dass wir im Laufe der Ausschussberatungen neben dem wichtigen Punkt der einheitlichen Begutachtung und der Loslösung von dem Merkmal der Bedürftigkeit auch noch eine andere Fragestellung überprüfen. Der Bezug der Opferrente ist, wie es auch im Antrag heißt, an eine Mindesthaftdauer von 180 Tagen gekoppelt. In der Praxis führt das aber zu einigen skurrilen Fällen, die sich für die betroffenen Personen als dramatisch herausstellen. In der DDR war es Praxis, dass Personen, selbst wenn sie zu 180 Tagen Haft verurteilt worden sind, bereits an einem Freitag entlassen wurden, wenn das Strafende auf ein Wochenende fiel. Das führte dazu, dass Personen wegen einem Tag oder wegen zwei Tagen fehlender Haft die Opferrente verweigert wird. Wir meinen: Das kann weder richtig noch gerecht sein. Hierzu muss bundesweit eine kulantere Regelung gefunden werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ein weiterer Aspekt sollte aus unserer Sicht betrachtet werden: Sehr gut ist, dass die Enquetekommission empfohlen hat, die Verbindung von Abgeordneten und deren Mitarbeitern zur DDRStaatssicherheit zu untersuchen. Aber über die genaue Konstruktion sollten wir uns im Ausschuss noch unterhalten.
Wir hatten in der Vergangenheit eine Untersuchung von Verbindungen von Abgeordneten zum NS-Regime. Diese Untersuchung der NSVergangenheit wurde unter der Hoheit des Land
tagspräsidenten durchgeführt. Wir sollten, finde ich, gemeinsam darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, dass wir die Landtagspräsidentin bitten, so etwas federführend in Auftrag zu geben