Protokoll der Sitzung vom 19.04.2018

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es wäre für die Lage in der Welt und in Syrien hilfreicher, wenn sich die AfD in Niedersachsen aus der Außenpolitik heraushielte.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP - Wiard Siebels [SPD]: Ja, das wäre nicht schlecht!)

Frau Kollegin Piel, ich teile viele Sorgen, die Sie angesprochen haben, bezüglich der Lage in Syrien. Dennoch führt der Titel dieses Antrages zur Aktuellen Stunde aus meiner Sicht ein wenig in die Irre. Er suggeriert nämlich, dass es Familiennachzug faktisch nicht oder nur in Ausnahmefällen gibt.

Das Gegenteil ist der Fall: In 2016 wurden 105 000 Visa zum Familiennachzug erteilt. Das sind rund 30 000 mehr als im Vorjahr, und das ist deutlich der höchste Wert der letzten zwei Jahrzehnte. Für 2017 schätzt das Auswärtige Amt die Zahl der erteilten Nachzugsvisa auf rund 118 000, also noch einmal eine Steigerung. Ein Großteil dieser Visa ging an Syrer und Iraker, die seit Januar 2015 auf diesem Weg rund 102 000 Einreiseerlaubnisse erhielten, die Hälfte davon allein im letzten Jahr.

Allein auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention hielten sich Ende 2017 rund 600 000 Flüchtlinge in der Bundesrepublik auf, davon 124 000 Personen, die diese Rechtsstellung erst 2017 erhielten. Auch sie alle haben ein Recht auf Familiennachzug.

Frau Kollegin Piel, diese Zahlen zeigen: Die Christlich Demokratische Union als staatstragende und die Bundesregierung tragende Partei braucht keine Nachhilfe in Humanität.

(Beifall bei der CDU)

Die Christlich Demokratische Union braucht keine Nachhilfe in humanitärer Flüchtlingspolitik, meine Damen und Herren. Denn wie keine andere Partei in Deutschland steht die Union für eine humanitäre Flüchtlingspolitik, die Hunderttausenden allein in den letzten zweieinhalb Jahren einen sicheren Aufenthalt in der Bundesrepublik ermöglichte.

(Beifall bei der CDU)

Dies geschieht aus einer auf unseren christlichen Grundwerten fußenden Überzeugung, dass wir Mitteleuropäer, wir Deutsche, wir in Stabilität und relativer Prosperität lebenden Menschen denjenigen Menschen helfen müssen, die an Leib und Leben bedroht sind. Diese Überzeugung kostet sichtbar Kraft - der gesamten Gesellschaft, dem Parteiensystem innerhalb von Koalitionen und auch innerparteilich. Ich bin der Überzeugung, dass wir diese Kraft weiterhin aufbringen werden.

Ich bin aber gleichfalls der Überzeugung, dass es dazu gehören wird, Recht und Gesetz auch im Bereich des Aufenthaltsrechtes zu bewahren, insbesondere dann, wenn der Grund für einen Aufenthalt entfallen ist oder verwirkt wurde, dass wir uns nicht an lautsprecherischen Diskussionen beteiligen sollten, weder von rechts noch von links, und dass wir Vertrauen in der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit unseres Staates auch in der Flüchtlingspolitik wiedergewinnen müssen.

Und ich glaube, es ist wichtig, zu betonen, dass es bereits seit Juni 2016 ein durch die Bundesregierung und die deutschen Botschaften unterstütztes Sonderverfahren für den erleichterten Familiennachzug aus Syrien gibt. Es ist wichtig, zu betonen, dass sich die inländische Diskussion über Familiennachzug tatsächlich auf jene Flüchtlinge beschränkt, die keine anerkannten Asylbewerber sind, die keinen Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, die keiner Härtefallregelung unterliegen und die nicht nach der Dublin-II-Verordnung ihre Familien zusammenführen können, sondern eben jene Flüchtlinge umfasst, die einen subsidiären Schutz besitzen.

Es ist auch wichtig, zu betonen, dass für diese Gruppe ein Familiennachzug erst seit dem 1. August 2015 durch die schwarz-rote Bundesregierung rechtlich verankert wurde, auch wenn er zwischenzeitlich ausgesetzt wurde. Zuvor gab es ihn nicht. Und es gab ihn tatsächlich auch nicht zu Zeiten grüner Beteiligung im Bund, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Die Koalition in Berlin hat sich darauf verständigt, auch den Familiennachzug für diese Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz wieder aufleben zu lassen. Sie wird es tun, und sie wird es mit den Schwerpunkten tun, die im Koalitionsvertrag des Bundes niedergelegt sind und die sich darauf gründen, dass subsidiär Schutzberechtigte tatsächlich einen subsidiären Schutz genießen.

Sie wird es mit den Schwerpunkten und mit dem Wissen tun, dass jede humanitäre Flüchtlingspolitik der Union nur dann auf Dauer angelegt sein kann, wenn wir darüber den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht verlieren. Denn wirksam, dauerhaft und nachhaltig kann tatsächlich nur derjenige helfen, der in sich gefestigt ist.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Calderone. - Es folgt für die FDP-Fraktion Herr Kollege Oetjen.

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema des Familiennachzuges - und der Flüchtlingspolitik insgesamt - war eines der großen Diskussionsthemen bei der Bildung der Bundesregierung. Es war zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP ein Streitthema, bei dem es keine Ergebnisse oder keine Kompromisse gab, genauso wie es ein Streitthema zwischen CDU/CSU und SPD bei der Bildung der Bundesregierung gewesen ist.

Man hat sich bei dem Thema Familiennachzug auf den Formelkompromiss, den der Kollege Pantazis hier geschildert hat, geeinigt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es zumindest bedenklich, dass man an dieser Stelle ein Kontingent vorgesehen hat, wie das hier dargestellt wurde, um den Forderungen der CSU zu genügen und irgendwo eine solche Begrenzung festzuhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Freie Demokraten hätten uns gewünscht, dass nicht ein solches Kontingent festgehalten würde, sondern dass ein Familiennachzug anhand von klaren Kriterien ermöglicht würde. Das wäre besser gewesen; denn Humanität lässt sich an dieser Stelle nicht kontingentieren.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Zu Recht ist hier gerade schon gesagt worden, dass Familiennachzug für diejenigen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention geschützt sind, möglich ist. Das ist auch richtig. Ich sage das hier sehr klar. Diese Menschen werden vermutlich dauerhaft in Deutschland bleiben. Es ist richtig, dass dann zumindest die Kernfamilie - also die Geschwister von Minderjährigen und die Eltern - in Deutschland eine Familienzusammenführung haben kann; denn das stützt die Integration, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

Die Frage der Grünen, wie es sich mit den subsidiär Schutzbedürftigen verhält, ist natürlich richtig. Ehrlicherweise muss man feststellen, dass diejenigen, die früher mit einer bestimmten Vita angekommen sind, den Status als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekommen haben und einige Monate später mit der gleichen Vita nur noch den Schutzstatus als subsidiär Schutzbedürf

tige. Hier nachzufragen, warum das so ist, ist genau das Richtige, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Der Flüchtlingsrat schildert beispielsweise, dass unbegleitete Minderjährige natürlich den Anspruch auf Familiennachzug haben, dass der Familiennachzug aber nur für die Eltern genehmigt wird, für die minderjährigen Geschwister aber nicht. Dann wird klar, dass ein solcher Familiennachzug zwar formal auf dem Papier existiert, aber ins Leere läuft, weil eine Familie natürlich kein minderjähriges Kind in einem anderen Land zurücklassen wird. Das würden Sie ja auch nicht tun - und

(Der Abgeordnete wendet seinen Blick zur Fraktion der AfD)

ich gehe davon aus, auch Sie nicht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zu- ruf von der AfD)

- Ich gehe davon aus, auch Sie nicht.

Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist das natürlich nur ein hohles Gebilde, das aber mit Leben gefüllt werden muss. Deswegen möchte auch ich mich der Forderung anschließen, dass wir den Familiennachzug am Ende auch für die Kinder ermöglichen müssen.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Ich würde gerne noch auf dieses Thema eingehen: Seit dem 1. August 2015 hat die Große Koalition den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige geregelt. Ja, das stimmt. Dazu wurden Sie allerdings vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ordentlich gedrängt. Auch das muss an dieser Stelle gesagt werden. Das ist weder vom Himmel gefallen, noch war das die Großzügigkeit der Großen Koalition, sondern das hat rechtliche Hintergründe.

Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit darauf verwenden, noch einmal das Thema der europäischen Verteilung anzusprechen. Wir wissen, die Dublin-Verordnung funktioniert an dieser Stelle nicht mehr so, wie es ursprünglich einmal gedacht gewesen ist, und schiebt die Lasten an die Außengrenzen der Europäischen Union ab.

Wir haben vor zwei Tagen von Emmanuel Macron im Europäischen Parlament einen Vorschlag gehört, der aus meiner Sicht durchaus einen Ausweg

darstellen könnte. Er hat nämlich vorgeschlagen, dass vonseiten der Europäischen Union Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen und unterstützen, finanziell unterstützt werden könnten, um so nicht nur in Deutschland, wo wir ein ähnliches System schon haben, sondern in der ganzen Europäischen Union dafür zu werben, dass Flüchtlinge aufgenommen werden.

Denn es muss unser gemeinsames Ziel sein, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ungleichverteilung, die es in Europa gibt, zu beenden.

In diesem Sinne vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Das Wort hat nun für die Landesregierung Herr Innenminister Pistorius. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die entsetzlichen Bilder, die wir seit nunmehr sieben Jahren vom Bürgerkrieg aus Syrien sehen, erschüttern mich und, ich glaube, uns alle - nein; ich muss sagen: fast alle - immer wieder aufs Neue.

Auch die jüngsten völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Giftgasangriffe haben unvorstellbares Leid verursacht. Sie haben zudem zu einer neuen Eskalation des Konflikts in der internationalen Gemeinschaft geführt. Die Bilder aus Duma bzw. Ost-Ghuta zeigen deutlich, wie groß die Not der Menschen dort immer noch ist - trotz fragwürdiger Delegationsreisen, die das Gegenteil glaubhaft machen wollen.

Die Not der Menschen, die sich auf den Weg nach Europa machen, um hier Zuflucht zu finden, ist groß. Sie nehmen dabei einen beschwerlichen und gefährlichen Weg auf sich. Schlepper nutzen die Not der Menschen aus und verdienen mit dem Schicksal der Flüchtlinge eine Menge Geld.

Herr Ahrends, ich nehme an, Sie sind genauso wie ich in diesem Land aufgewachsen. Ich weiß nicht, woher Ihre Eltern kommen. Meine waren Flüchtlinge. Sie waren dankbar für die Aufnahme, Hilfsbereitschaft und Unterstützung. Herr Ahrends, Sie sind in dem gleichen freien Land aufgewachsen wie ich, in dem man sicher leben und in dem jeder sein Glück machen kann. Ich frage mich allen

Ernstes, welch furchtbare Ereignisse auf Ihrem Lebensweg aus Ihnen einen so furchtbaren Zyniker haben werden lassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie in Ihrem Leben niemals in die Situation kommen, Zuflucht vor irgendjemandem suchen zu müssen und dann niemanden zu finden, der Ihnen Zuflucht gewährt.

(Zuruf von der AfD: Er geht zum UNHCR!)