Protokoll der Sitzung vom 19.04.2018

(Zuruf von der AfD: Er geht zum UNHCR!)

- Ja, und wo wird der Sie unterbringen? Auf einer erdnahen Umlaufbahn, oder wo? - Auch Sie werden dann in irgendeinem Land ankommen müssen!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Maßnahmen wie ein gesteuerter Familiennachzug können dazu beitragen, dass sich weniger Flüchtlinge auf diesen gefährlichen Weg über das Mittelmeer begeben. Er entzieht gleichzeitig den kriminellen Schleppernetzen die Grundlagen ihres menschenverachtenden Geschäfts.

Das hätten wir auch schon 2013 haben können, meine Damen und Herren. Ich will daran erinnern. Ich habe damals als Vorsitzender der Innenministerkonferenz mit meinen Kollegen dafür geworben, die Aufnahmekontingente für syrische Flüchtlinge höher auszugestalten, als das damals mit der Bundesregierung möglich war. Es wäre gut gewesen, das zu tun, weil wir dann nämlich syrische Familien im Familienverband hätten holen können, ohne sie erst in die Not zu bringen, auf der Balkanroute oder über das Mittelmeer nach Deutschland zu kommen. Damals hätten wir einen Teil der Probleme, die wir heute mit Familien haben, die auseinandergerissen sind, lösen können, wenn es einen politischen Konsens gegeben hätte. - Ich will das nur noch einmal zur Wahrheit und Redlichkeit ausführen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich bleibe dabei: Es ist und bleibt eine humanitäre Pflicht, Menschen zusammenzuführen, die auf der Flucht oder vor der Flucht zerrissen wurden. Dazu gehört auch, den hier bereits aufgenommenen Flüchtlingen einen Nachzug ihrer Angehörigen

eben auch für das Ziel einer gelingenden Integration zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, ich will darauf hinweisen: Es ist nun einmal geregelt worden, dass subsidiär Schutzberechtigte hier weniger Ansprüche als andere haben. Ich will nur auch hier der Wahrheit die Ehre geben und sagen: Bei allem, was man hätte verhandeln und erreichen können - wahr ist auch: Wir wissen nicht, was passiert, wenn der Krieg in Syrien noch fünf Jahre dauert. Dann leben auch subsidiär Geschützte immer noch hier und ihre Familien im Zweifel immer noch nicht. Das sind Situationen, die wir uns alle gemeinsam, glaube ich, nicht vorstellen wollen. Von daher ist jetzt mit allen Entscheidungen, die bisher getroffen worden sind, das Problem im Zweifel am Ende - das befürchte ich - noch nicht gelöst.

Meine Damen und Herren, ja, wir haben in Berlin verhandelt. Ich sage: Wir hätten mehr erreichen wollen, und wir haben uns mehr gewünscht. Aber jetzt gibt es eine Kontingentlösung mit 1 000 Menschen, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland zu ihren Familien nachreisen können. Ich weiß - die Grünen haben es angesprochen -, man könnte auch Aufnahmeprogramme durchführen. Aber dazu will ich der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, dass wir in Niedersachsen im Jahr 2013 ein gemeinsames großes Programm umgesetzt haben. Wir haben übrigens im Verhältnis zu unserer Verpflichtung nach dem Königsteiner Schlüssel weit mehr gemacht als fast alle anderen Bundesländer; übrigens auch weit mehr als alle diejenigen, deren Programme immer noch laufen.

Aber, meine Damen und Herren, jetzt zu glauben, wir könnten das 1 : 1 übertragen, das funktioniert nicht. Damals hat leider das Heimatland des heutigen Bundesinnenministers als einziges Bundesland kein Aufnahmeprogramm aufgelegt. Aber das Programm jetzt 1 : 1 zu übertragen, ist eben nicht möglich, weil die Rahmenbedingungen andere sind. Erstens kriegen wir mit dem Bund kein Einvernehmen mehr hin, das wir aber immer noch bräuchten, und zweitens haben wir heute schlicht und ergreifend auch in den Kommunen eine andere Situation.

Deswegen bleibt uns leider nichts anderes übrig, als jetzt abzuwarten und zu sehen, wie der Gesetzentwurf auf der Grundlage des Koalitionsvertrages in Berlin im Konkreten aussieht. Wir werden uns natürlich getreu den Ergebnissen des Koalitionsvertrags für eine möglichst humanitäre Rege

lung einsetzen. Das versteht sich von selbst. Aber Koalitionsverträge - das wissen alle hier im Raum - sind wie alle anderen Verträge auch geschlossen, um gehalten zu werden.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, sodass ich die Aktuelle Stunde der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schließen kann.

Ich eröffne die Besprechung zu der Aktuellen Stunde

b) Niedersachsenplan: Mehr Fachkräfte für die Kita! - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 18/679

Dieser Punkt der Aktuellen Stunde wird von dem Kollegen Politze eingebracht.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern eine sehr umfangreiche Debatte über frühkindliche Bildung geführt, bei der es um ein Riesenentlastungsprogramm für die Familien in Niedersachsen ging. Die Qualitätsdebatte, die gestern geführt worden ist, ist eine richtige und eine wichtige Debatte, weil sie deutlich macht, welche Schwerpunkte diese Regierung setzt, nämlich die Bildung in Niedersachsen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Wir haben aber nur am Rande - obwohl wir dazu einen Antrag hatten - über die gesprochen, die dafür verantwortlich sind, dass die Kinder in den Bildungseinrichtungen - Kitas und Krippen - auf einen guten Weg kommen, nämlich über die Erzieherinnen und Erzieher. Deswegen ist es gut, dass wir auch weiterhin über diese Thematik reden, um Qualität zu verstetigen.

Aber wenn wir über Fachkräfte im frühkindlichen Bereich sprechen, ist das leider immer eine sehr defizitorientierte Debatte. Die positiven Aspekte kommen dabei leider nicht zur Sprache. Man könnte den Eindruck gewinnen, es gäbe gar keine Er

zieherinnen und Erzieher mehr in Niedersachsen. Das ist aber nicht der Fall. Die entsprechenden Schulen sind voll, meine sehr geehrten Damen und Herren. Der Beruf scheint also immer noch attraktiv zu sein.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

In der Debatte wird nicht berücksichtigt, dass wir in der Erzieherausbildung eine sehr hohe Qualität haben. Wir erfüllen die Bedingungen des DQRRahmens 6. Die Absolventen haben danach die Möglichkeit, eine Fachhochschule zu besuchen. Das ist nicht überall so. Es ist gut, dass das in Niedersachsen so ist. Dies ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Erzieherausbildung in Niedersachsen.

Die Ausbildungskapazitäten in dem Bereich sind deutlich gesteigert worden. Auch da könnte man den Eindruck haben, als würde abgebaut und nicht ausgebaut. Wir hatten im Jahr 2013 rund 11 000 und im Jahr 2018 über 14 000 Abgänger. Die Zahl der ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher in Niedersachsen ist also deutlich gestiegen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben - das beschreibt ein bisschen den Mangel, über den wir reden - die dritte Kraft in der Krippe als Fachkraft eingeführt, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Auch das darf man in der Debatte nicht vergessen. Außerdem haben wir den Einstieg bezüglich einer dritten Kraft in der Kita gewagt. Die 60 Millionen Euro an Bundesmitteln, die wir für Kitas in besonderen Lagen bekommen haben, stellen einen Einstieg in die dritte Kraft für Kitas dar. Diese Mittel sind in der Mittelfristplanung verstetigt worden, sodass wir auch da einen deutlichen Qualitätszuwachs haben. Wir haben dort aber auch einen Kräftebedarf, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Des Weiteren sind die Ganztagsangebote in Kitas deutlich ausgebaut worden. 1992 hatten wir noch zum überwiegenden Teil Halbtagsplätze ohne Essen. Heute haben wir in Niedersachsen zum überwiegenden Teil Ganztags- und Zweidrittelplätze. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass wir für diesen Bereich genügend Fachkräfte brauchen. Deswegen ist es wichtig, dass wir gut ausbilden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Trotz dieser hohen Zahlen haben wir offensichtlich nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher in den Einrichtungen. Das hat mehrere Hintergründe. Ich kann Ihnen dazu zwei Lebensbeispiele erzählen:

Es handelt sich dabei einmal um eine Erzieherin mit Abitur, die als Sozialassistentin ausgebildet wurde. Danach arbeitete sie zwei Jahre als Erzieherin. Dann wurde sie schwanger. Von einem Tag zum anderen musste sie wegen des Infektionsschutzes die Kita verlassen. Sie konnte also nicht mehr mit Kindern arbeiten. Der Träger hatte dann keine Verwendungsmöglichkeit mehr für sie. Sie war quasi mit dem Tag des Beginns der Schwangerschaft für die Einrichtung nicht mehr verfügbar. Sie musste also zehn Monate früher aus dem System herausgehen und war dann nicht mehr für die Kinder vor Ort da. Es ist schön, dass diese jungen Frauen Familien gründen und dazu beitragen, dass wir weiteren Bedarf in den Kitas haben.

Bei dem zweiten Beispiel handelt es sich um eine junge Erzieherin, die erst Sozialassistentin war. Dann arbeitete sie als Erzieherin ein Jahr in einer Einrichtung. Während dieser Zeit reifte bei ihr die Erkenntnis: Ich möchte etwas anderes machen, ich studiere Sozialpädagogik. - Auch diese Kraft ist dem System verloren gegangen und nicht mehr verfügbar, weil sie einen anderen Weg in der Kette gewählt hat. Das macht deutlich: Die Planung mit den Plätzen kann noch so gut sein, die Lebenswege der Menschen sind aber etwas anderes.

Bei den beiden Beispielen handelt es sich übrigens um meine Töchter, die diese Ausbildung gewählt haben. Von daher konnte ich sehr lebensnah daran teilhaben und sehen, dass der Lebensweg auch anders verlaufen kann, obwohl es eine gute Planung auf dem Ausbildungsweg gibt.

Deswegen ist es richtig, dass die Landesregierung einen Niedersachsen-Plan auf den Weg bringt. Es ist richtig, dass wir in andere Ausbildungsfelder einsteigen, dass wir den Praxisanteil in der Ausbildung steigern, dass wir das das Schulgeld wegfallen lassen und in Praxiszeiten eine Vergütung vornehmen. Insbesondere ist es richtig, dass wir die Zugangsvoraussetzungen für ausländische Kräfte verbessern und die Anerkennung in diesem Beruf deutlich entbürokratisieren und dass wir dualisierende Bestandteile in Teilzeitausbildung wählen, die auch Bestandteil der Erzieherausbildung werden sollen, damit wir am Ende genügend Fachkräfte für diesen wichtigen Bereich zu Beginn der Bildungskette haben.

Da sind wir auf einem guten Weg. Den wollen wir fortsetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Viehoff das Wort. Bitte!

Der Kollege Politze hat gerade ein tolles Bild über die Situation der Erzieherinnen und Fachkräfte gezeichnet, die wir schon in unseren Einrichtungen in Niedersachsen haben.

(Unruhe)

Einen Moment, Frau Kollegin Viehoff! Ich habe die Zeit im Blick. Sie wird Ihnen nicht angerechnet. - Hier im Hause ist eine sehr große Unruhe. Ich bitte daher noch einmal um Ruhe. - Frau Viehoff, die Zeit steht still. Es gibt von daher kein Problem.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das haben schon viele versucht, Frau Präsiden- tin, und vielen ist es gelungen!)

- Herr Kollege Birkner, es gibt eben Unterschiede zwischen denen, die es versuchen und scheitern, und denjenigen, die es versuchen und denen es gelingt.

(Heiterkeit)

Wir fahren jetzt fort, wenn Ruhe eingekehrt ist. Bitte, Frau Viehoff!

Meine Damen und Herren, ich muss leider konstatieren, dass der Fachkräftemangel vor Ort deutlich sichtbar ist. Das ist vor allem im ländlichen Raum der Fall. Die dpa hat vor ein paar Tagen eine Meldung veröffentlicht, in der steht, dass in Niedersachsen mindestens 1 500 Stellen für Erzieherinnen und Erzieher fehlen. Also, so rosig sieht es in unseren Einrichtungen nicht aus.

Jetzt kommt auch noch die Beitragsfreiheit. Sie alle, die Gespräche mit den kommunalen Trägern geführt haben, wissen, dass das dazu führt, dass der Fachkräftebedarf deutlich erhöht wird, weil auch längere Betreuungszeiten angefragt werden.

Also schon heute ist klar: Wir werden mehr Erzieherinnen und Erzieher benötigen, wenn Eltern, die einen Kitaplatz wünschen, dieser auch angeboten werden soll.

(Beifall bei den GRÜNEN)