Vielen Dank, Herr Kollege Ahrends. - Jetzt spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kollege Christian Meyer. Bitte sehr! Ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Die Gedanken sind unfrei“ titelte die Süddeutsche Zeitung zum bayerischen Polizeigesetz, das sich die CDU Niedersachsen anscheinend zum Vorbild nehmen will.
Dort gibt es eine ganze Reihe von rechtsstaatlichen Bedenken, weil die Polizei auf einmal in die Verantwortung kommt zu prognostizieren, ob jemand eine Tat begehen könnte - was natürlich auch im Hinblick auf die Gewaltenteilung, also den Richtervorbehalt, höchst fraglich ist. Es muss also untersucht werden, ob kriminelle Absichten möglicherweise erst am Keimen sind. Dann käme dieses harte Mittel des Freiheitsentzuges. Also nicht wegen einer Tat, sondern weil man eine Tat begehen könnte. Und das ist - da hat der Kollege Birkner recht - natürlich nur unter allerengsten Ausnahmen zu machen.
Ich weiß nun nicht, wie Herr Schünemann Liebesbriefe schreibt. Aber das, was er in der Neuen Osnabrücker Zeitung Herrn Pistorius während dessen Japanreise geschrieben hat, geht natürlich weit darüber hinaus. Es geht auch weit über das hinaus, was Herr Pistorius im Innenausschuss dazu erklärt hat, wie er den Koalitionsvertrag dieser Großen Koalition versteht.
Ich zitiere dazu aus dem Protokoll. Herr Innenminister Pistorius wurde erstens gefragt, wie man eigentlich auf die 74 Tage gekommen ist. Dazu hat er gesagt: Wir sind mit 10 Tagen reingegangen,
der Koalitionspartner mit 18 Monaten, und rausgegangen sind wir mit 74 Tagen. - Das ist schon sehr willkürlich. Allerdings muss ich zugeben, dass die CDU anscheinend verloren hat; denn 74 sind mathematisch die Mitte zwischen zwei Jahren und zehn Tagen. Jedenfalls wirkt die Regelung sehr willkürlich und abstrakt.
Dann war die Frage, für wen das gelten soll. Gilt das für terroristische Gefährder oder, wie Herr Schünemann in seinem „Liebesbrief“ schreibt, für alle Kriminellen? - Ich zitiere aus der NOZ: Herr Schünemann möchte Onlineuntersuchungen, Telekommunikationsüberwachung und Präventivhaft nicht nur auf Terrorverdächtige, sondern auf alle erheblichen Straftaten ausweiten. Also auch der mögliche Bankräuber oder der Fußballhooligan - auch die Organisierte Kriminalität wurde im Interview genannt - sollen auch für nicht begangene Taten, sondern weil sie eine Tat begehen könnten, für 74 Tage inhaftiert werden können.
Wenn es also nach Herrn Schünemann geht, muss die Polizei beurteilen, ob der entlassene Bankräuber wieder einen Bankraub begehen könnte, und je nachdem muss der Bankräuber dann möglicherweise für 74 Tage in Präventivhaft genommen werden. - Das ist natürlich Willkür und rechtsstaatlich zweifelhaft.
Ich hoffe, dass das gilt, was die Landesregierung im Ausschuss erklärt hat. Ich zitiere auch dazu aus dem Protokoll der öffentlichen Ausschusssitzung. Herr Innenminister Pistorius sagt:
„Natürlich richten wir uns dabei an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus. Da gibt es entsprechende Urteile. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Präventivhaft nicht für irgendwelche Gefährder - z. B. Fußballgefährder -, sondern ausschließlich für terroristische Gefährder gilt. Das ist nicht ausdrücklich so formuliert,“
„aber das ist der Geist der Vereinbarung. Von daher wird das weiteren Einfluss bei der Formulierung der gesetzlichen Regelungen finden.“
Die CDU will also einen immer stärkeren Überwachungsstaat, einen Polizeistaat. Sie will die Onlineuntersuchungen rechtsstaatswidrig ausweiten, und sie will auch die Videoüberwachung auf öffent
lichen Plätzen. Das wird eine Totalüberwachung von Bürgerinnen und Bürgern. Dagegen hat die Datenschutzbeauftragte - die der CDU angehört - in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erhebliche Bedenken erhoben.
Eine Onlineuntersuchung durch einen Trojaner im Computer eines möglichen Verdächtigen ist natürlich auch etwas anderes als das grundrechtlich nur unter bestimmten Ausnahmen geschützte Gut einer Hausdurchsuchung - denn danach weiß man wenigstens, dass die Polizei etwas durchsucht hat, während Computer einfach so untersucht werden sollen.
Im Koalitionsvertrag ist auch angekündigt worden, dass man den Kommunen Möglichkeiten zu umfassenden Alkoholverboten geben soll. Die Probleme der Alkoholikerszene und Trinkerszene müsste man aber eigentlich mit Sozialarbeitern lösen. - Wir merken, die Polizei bekommt immer mehr Aufgaben.
Ich teile das, was der Kollege Birkner gesagt hat. Es muss darum gehen, das geltende Recht umzusetzen. Im Hinblick darauf weise ich darauf hin, dass der Kollege Schünemann in seiner Zeit nicht nur das Weihnachtsgeld gestrichen, sondern mit dem A11er-Erlass auch einen Beförderungsstopp erlassen und Stellen bei der Polizei gestrichen hat. Rot-Grün hat den A11er-Erlass dann aufgehoben und zusätzliche Stellen bei der Polizei geschaffen.
Denn es geht darum, das geltende Recht umzusetzen, und nicht darum, Aktionismus zu betreiben, wie es in Bayern geschieht.
Abschließend: Wir haben heute in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gelesen, was die Bürgerinnen und Bürger dazu sagen. Es gibt eine repräsentative Umfrage, wonach mehr als 60 % sogar der Bayern sagen, sie wollten keine Verschärfung im Polizeigesetz. Dem schließen wir uns als Grüne gerne an.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Meyer. - Es folgt jetzt für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Karsten Becker. Bitte sehr, Herr Becker!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Herr Dr. Birkner, der Antrag, den Sie zu dieser Aktuellen Stunde eingebracht haben - ein Antrag, der eigentlich nur aus seiner Überschrift besteht -, gefällt mir deutlich besser als das, was Sie gerade dazu ausgeführt haben.
Ich habe den Eindruck, dass Ihnen angesichts der außergewöhnlich guten Kriminalitätsbelastungszahlen in Niedersachsen so langsam die sachlichen Kritikpunkte ausgehen. Das, was Sie hier vorgetragen haben, war jedenfalls keine ernstzunehmende Ergebniskritik, sondern waren lediglich ein paar kritische Anmerkungen zu Verfahrensabläufen. Ich finde, wenn so von der Opposition vorgetragen wird, dann ist das eigentlich ein großartiges Kompliment für die Arbeit dieser Landesregierung und für die Arbeit dieses Innenministers.
(Beifall bei der SPD - Dr. Stefan Birk- ner [FDP]: „74 Tage“ sind keine Ver- fahrensfrage! Aber wenn Sie das so sehen, ist das Ihr Denken darüber!)
Aber ich will auch etwas Lobendes formulieren. Ihr Antrag zur Aktuellen Stunde war wirklich klasse. „Schwarz-Rote ‚Liebesbriefe‘“ - was für eine wunderbare Beschreibung! Wikipedia bezeichnet Liebesbriefe als Schriftstücke, die Liebe oder Zuneigung ausdrücken sollen. Noch treffender, meine Damen und Herren von der FDP, hätte man das Verhältnis der Koalitionäre überhaupt nicht beschreiben können.
Liebesbrief als Synonym für das empathische Werben der Koalitionäre um die Erwiderung der jeweils entgegengebrachten Wertschätzung und Zuneigung. - Also, das ist wirklich eine hervorragende Überschrift! Denn genau in diesem Sinne, meine Damen und Herren von der FDP, stimmen wir uns in der Koalition auch über die Frage des Gefahrenabwehrgesetzes ab.
Meine Damen und Herren, die innere Sicherheit steht natürlich im Mittelpunkt der Politik der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden unsere Sicherheitsbehörden insbesondere vor dem Hintergrund der neuen terroristischen Bedrohung in die Lage versetzen, Personen, bei denen die konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie
eine terroristische Straftat begehen, effektiv zu überwachen und an ihren Aktivitäten zu hindern, und insbesondere im Gefahrenabwehrrecht mit Aufenthaltsbeschränkungen, Kontaktverboten, Meldeauflagen oder durch die sogenannte elektronische Fußfessel.
Dass der Kollege Schünemann vielleicht noch etwas begeisterter als ich über die Möglichkeiten zur Erweiterung der Gewahrsamsdauer ist, mag sein, aber wir werden die Option zur stufenweisen Verlängerung der Gewahrsamsdauer insgesamt in drei Stufen auf bis zu 72 Stunden mit insgesamt drei Richtervorbehalten belegen. Sie dürfen mit Sicherheit davon ausgehen, Herr Dr. Birkner, dass eine solche Maßnahme nur als Ultima Ratio zur Anwendung kommt; und eben nur dann - das ist uns wesentlich -, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt, um schwerste terroristische Bedrohungen gegen Leib oder Leben abzuwehren. Dann müssten Sie auch, wenn Sie bei dieser letzten Möglichkeit sagen: „Das wollen wir nicht“,
Was die Einführung neuer Möglichkeiten der technischen Videoüberwachung anbelangt, werden wir uns sehr genau ansehen, was die Technik genau leisten kann und was nicht. Eine bloße Einführung aus Technikbegeisterung oder aufgrund der bloßen Ahnung, dass das etwas Positives bewirken könne, kann es jedenfalls nicht geben.
Meine Damen und Herren, der Koalitionsvertrag bildet den Rahmen für die Novellierung des Gefahrenabwehrgesetzes. Wenn es neue Ideen gibt, die über das Vereinbarte hinausgehen, dann müssen diese diskutiert werden. Dabei stehen die qualitativen Aspekte vorne an, und die Zeit, die man für die Klärung dieser Fragen benötigt, werden wir uns dann auch nehmen. Denn, meine Damen und Herren, Bürgerrechte und Sicherheit sind für uns kein Widerspruch.
Also, meine Damen und Herren von der FDP, Ihre Sorgen sind unbegründet. Die Sicherheit in Niedersachsen ist bei der rot-schwarzen Koalition in besten Händen.
Vielen Dank, Herr Becker. - Schließlich spricht für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Schünemann. Ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Dr. Birkner, die Überschrift reizt ja schon dazu, über den Begriff Liebesbriefe zu philosophieren, wie es der Herr Kollege Becker auch getan hat. Darauf kann ich mich durchaus beziehen. Aber worum geht es eigentlich? - Es geht darum, die Bürgerinnen und Bürger bestmöglich vor Verbrechen zu schützen. Deshalb ist eines ganz besonders wichtig: entschlossen zu handeln. Dazu kann ich nach den ersten Monaten dieser Großen Koalition nur sagen: In diesem Bereich handelt diese Große Koalition entschlossen, um die Bürgerinnen und Bürger vor Verbrechen zu schützen, meine Damen und Herren.
Dabei geht es erstens um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - in einer angemessenen Anzahl. Meine Damen und Herren, bereits mit dem Nachtragshaushalt hat diese Große Koalition 500 zusätzliche Anwärterstellen geschaffen, 250 Möglichkeiten bei Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern. Das ist genau die richtige Antwort, um hier so schnell wie möglich mehr Polizei auf die Straße zu bringen und für mehr Sicherheit in unserem Land zu sorgen.
Meine Damen und Herren, ich möchte das aufgreifen, was eben gerade schon dargestellt worden ist. Herr Kollege Lechner und ich sind gestern Mittag bei den Bundespolizisten gewesen, die am Wochenende am Bahnhof Übergriffen, die man sich kaum vorstellen kann, ausgesetzt waren. Eine Botschaft fand ich übrigens in dem Zusammenhang sehr interessant.
Die Botschaft war: Es geht natürlich darum, mehr Polizisten einzustellen, aber genauso wichtig ist es, diese Straftäter so schnell wie möglich zu verurteilen. Deshalb gehört zur Inneren Sicherheit auch, dass wir mehr Polizisten einstellen, aber auch mehr bei den Staatsanwälten und Richtern tun müssen. Das haben wir bereits im Nachtragshaushalt berücksichtigt. Darauf werden wir in dieser Legislaturperiode einen ganz großen Schwerpunkt setzen.