Protokoll der Sitzung vom 22.11.2017

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Parlamentarismus in Niedersachsen steht seit der letzten Landtagswahl vor einer besonderen Herausforderung. Wir haben hier jetzt eine übergroße Mehrheit von SPD und CDU. Ihr steht eine relativ kleine Opposition von drei Fraktionen gegenüber. Auch deswegen - aus unserer Sicht - haben die Parteivorsitzenden von SPD und CDU bei ihrem ersten Treffen die Stärkung der parlamentarischen Minderheitenrechte thematisiert. Das hat uns gefreut. Aber heute, mit Blick auf die Diskussion über die Anzahl der Vizepräsidenten, müssen wir feststellen, dass das offensichtlich nur Lippenbekenntnisse waren.

(Beifall bei der FDP und bei der AfD)

Die Präsidentin und die Vizepräsidenten leiten ja nicht nur die Sitzungen hier, sondern sie repräsentieren uns alle, also den Niedersächsischen Landtag, auch im Land. Diese Repräsentanz des Landtags muss tatsächlich auch die Vielfalt, die wir hier haben, entsprechend abbilden. Schon häufig wurde hier in diesem Haus diese Diskussion geführt.

Ich erinnere an eine Diskussion in der konstituierenden Sitzung des 16. Niedersächsischen Landtags am 26. Februar 2008. Damals ging es darum, die Anzahl der Vizepräsidenten von vier auf drei zu reduzieren.

Der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, ein gewisser Bernd Althusmann, warf der SPD damals in der Debatte Folgendes vor - ich zitiere -:

„Interessant und völlig konträr ist in diesem Zusammenhang die Haltung einer anderen Fraktion“

- der SPD -,

„die selbst für den Fall, dass wir bei der alten Regelung blieben, den Oppositionsfraktionen zwei Vizepräsidenten zuzugestehen, unter keinen Umständen bereit gewesen wäre, einen dieser Posten, unserem Beispiel folgend, demokratisch und fair z. B. an die Grünen abzutreten.“

„Demokratisch und fair“ - liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Ansprüche scheinen bei der CDULandtagsfraktion mittlerweile unter die Räder gekommen zu sein.

(Zuruf von der SPD: Nicht bei uns!)

Wenn man sich den Koalitionsvertrag ansieht, kann man die Vergesslichkeit ein Stück weit verstehen. Auch da sind frühere Standpunkte in Vergessenheit geraten.

(Beifall bei der FDP und bei der AfD)

Das ist bedauerlich, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Aber glauben Sie uns: Wir halten das aus. Denn wenn es uns um Posten gehen würden, dann hätten wir nach der Landtagswahl viel mehr bekommen können.

(Zuruf von der SPD: Oh!)

Wir halten diesen Weg für schädlich und für falsch. Deswegen lehnen wir diesen Vorschlag ab.

Sehr geehrter Herr Kollege Siebels, ist es falsch, zu sagen: Nur weil es in der Vergangenheit so war, müssen wir es in der Zukunft auch so machen. -

Wir haben jetzt halt eine neue Konstellation hier im Landtag.

(Wiard Siebels [SPD]: Nehmen Sie doch den Schriftführerposten an!)

Deswegen wäre es tatsächlich notwendig gewesen, auch in dieser Frage einen Neustart zu machen. Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt. Wir orientieren uns bei unserer Regelungen an den Regelungen des Deutschen Bundestages.

(Wiard Siebels [SPD]: Hier ist aber der Landtag!)

Jetzt könnte der Einwand kommen: Wir wollen die AfD bei der Repräsentanz des Landtages nicht dabei haben. - Meine Damen und Herren, auch wir wollen das nicht, und wir werden in dieser Legislaturperiode alles dafür tun, dass die AfD dem Niedersächsischen Landtag der nächsten Legislaturperiode nicht wieder angehört. Aber die AfD ist nun einmal Realität. Deswegen müssen wir uns damit auseinandersetzen, und deswegen würden wir es auch verkraften, wenn die AfD tatsächlich einen Vizepräsidenten stellen würde. Wir würden es aushalten, wir müssen es aushalten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der AfD)

Wir werben hier, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, für unseren Vorschlag. Die Vielfalt der Opposition muss sich unserer Ansicht nach auch in der Vertretung des Landtages widerspiegeln. Wer die Minderheitenrechte stärken will, der muss auch das im Blick haben, und wer das nicht im Blick hat, bei dem sind das - das müssen wir leider feststellen - offensichtlich nur Lippenbekenntnisse.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Grascha. - Für die AfDFraktion hat nun Herr Kollege Wichmann das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beschlussempfehlung zur Änderung der Geschäftsordnung sieht im Kern eine Erweiterung von bislang drei Stellvertretern des Landtagspräsidenten auf nunmehr vier vor. Wie man der Presse entnehmen konnte, beabsichtigen die Fraktionen der Großen Koalition - es wurde auch eben gerade wieder erzählt - damit eine Stär

kung der Oppositionsrechte. Angesichts der Übermacht der Großen Koalition in diesem Haus vernimmt man das gerne.

Nun also vier Stellvertreter! Die Landtagspräsidentin gehört bekanntlich der SPD an. Dann könnte man ja sagen: je einen Stellvertreter für die CDU, für die Grünen, für die FDP und für die AfD.

Aber warum glaube ich das nicht? Und warum stellt die FDP einen solchen Änderungsantrag? - Weil es, wie wir alle wissen, überhaupt nicht um die Stärkung der Opposition geht. Wer in diesem Saal glaubt wirklich, dass es darum geht? Was Sie vorhaben, ist im Grunde das Belohnen alter Weggefährten unter dem Deckmantel demokratischer Teilhabe.

(Beifall bei der AfD)

Dabei sollte Ihnen eines klar sein: Sie können sich die Opposition nicht aussuchen. Es gibt keine Opposition erster und zweiter Klasse. Über die Opposition entscheidet der Wähler - und nicht Sie!

(Beifall bei der AfD)

Sie können das auch nicht durch die Hintertür wieder ändern.

Da können Sie fragen: Wieso, Herr Wichmann? Das machen wir doch gerade! Was glauben Sie denn?

Na klar, Sie haben die Mehrheit in diesem Hause, und Sie gewinnen jede Abstimmung. Das ist sicher. Aber Sie können das moralisch nicht tun. Denn es gibt wirklich keine Opposition erster und zweiter Klasse. Opposition ist Opposition. Sie ist gleich zu behandeln.

Dass Sie gerne eine Zweiklassenopposition hätten, das sah man bereits bei der Sitzordnung. Sie haben mit Ihrer Stimmenmehrheit entschieden, dass die AfD-Fraktion als einzige in der ersten Reihe nur einen Platz hat. Damit setzen Sie unsere Fraktionsvorsitzende in Isolationshaft.

(Lachen bei der SPD und bei der CDU)

- Ja, ja! Immerhin hören Sie zu. Das ist gut.

(Beifall bei der AfD)

Sie nehmen ihr damit die Möglichkeit der schnellen Rücksprache mit ihrem Vorstand in einer Debatte. Sie wissen ganz genau: Das ist eine erhebliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit unserer Fraktion.

Und nun kommen Sie auch noch mit diesem Märchen von der Stärkung der Opposition! Des Kaisers neue Kleider, neu erzählt von Herrn Weil und Herrn Althusmann! Irgendwie glauben wir nicht so ganz daran, dass Ihre Vorschläge - wenn Sie sie nachher bei der Abstimmung annehmen - wirklich die Opposition stärken. Dann werden wirklich alle sehen, dass Sie hier bloß Märchen erzählen.

Aber vielleicht setzen Sie auch einfach darauf, dass der Bürger draußen sagt: Na gut, ein Stellvertreter mehr oder weniger, das ist ja nicht so tragisch. Die Landtagspräsidentin wird ja nicht dauernd krank sein. - Aber so ist es eben nicht - die FDP hat es bereits angedeutet -: Der Landtagspräsident und die Stellvertreter wechseln sich ab, und wer da oben sitzt, der hat das Sagen.

Es macht einen Riesenunterschied, ob ich weiß, wenn ich hier oben unfair werde, dann kriege ich das wieder, und zwar wenn die anderen oben sitzen, oder ob ich überhaupt keine Reaktion befürchten muss. Das ist ein Riesenunterschied.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Es macht einen Unterschied, ob Sie hier jedes Spiel gewinnen können -

(Glocke der Präsidentin)

und das werden Sie; Sie werden mit Ihrer Mehrheit jeden Antrag durchbekommen - oder ob Sie die Spielregeln so ändern, dass ein Mitspielen mehr und mehr unmöglich wird. Aber irgendwann müssen Sie sich dann die Frage gefallen lassen: Was hat das noch mit Demokratie zu tun?

Meine Damen und Herren, wenn Sie so hehre Beweggründe für Ihre Beschlussempfehlung haben, wenn Sie die Opposition stärken wollen, warum verzichten Sie dann nicht wenigstens auf den Stellvertreterposten für die SPD? Die Landtagspräsidentin ist doch bereits von der SPD. Und warum soll die CDU wie bisher zwei Stellvertreter stellen? Jeder dieser zusätzlichen Stellvertreter verursacht Mehrkosten von über 32 000 Euro im Jahr. Fragen Sie einmal eine Krankenschwester im Land, in Gifhorn oder Peine, wie lange die dafür arbeiten muss! Das ist nicht mehr nachzuvollziehen.

Frau Andretta hat in ihrer Rede in der konstituierenden Sitzung gesagt, dass das Ansehen der Politiker sinkt und sinkt und sinkt.

(Zuruf von Frank Oesterhelweg [CDU])