Protokoll der Sitzung vom 22.06.2018

16-jährige Mitfahrerin, die schwer verletzt überlebt, sowie fassungslose Familien und Freunde.

„Abgefahren - wie krass ist das denn?“ So klingt nicht der Ausruf eines Gaffers oder eines SocialMedia-Kommentators, sondern die Antwort auf Geschehnisse wie dieses in Dissen. Es handelt sich dabei um eine Kampagne der Polizei. Sie wurde initiiert, um Unfälle wie den von mir geschilderten zu verhindern.

Zwei Jahre nach diesem schweren Unfall in Dissen erlebte ich in Melle die erste Präsentation dieses Präventivprojektes im Osnabrücker Land. Dabei habe ich erlebt, dass die direkte Konfrontation mit Polizisten, mit Rettungssanitätern, mit Feuerwehrleuten und mit Angehörigen den teilnehmenden jungen Menschen sichtlich unter die Haut ging. Denn auch die Mutter eines der jungen Männer, die in Dissen ihr Leben ließen, spricht dort über ihren Schmerz, ihre Trauer, ihren Umgang mit dem Tod ihres Sohnes und über ihr Anliegen, junge Menschen aufzurütteln. Den meisten Zuhörerinnen und Zuhörern - sie waren so 16 und 17 Jahre alt - wird schlagartig klar, wie wichtig Geschwindigkeitsbegrenzungen oder die Gurtpflicht im Straßenverkehr sind, dass es ohne diese Regeln und ohne eine umsichtige Fahrweise nicht geht.

Initiativen wie diese haben alle ein Ziel, nämlich die Zahl der Verkehrsunfälle bei der Risikogruppe der Fahranfänger zu reduzieren. Dieses Ziel verfolgt z. B. auch das Kooperationsprojekt der Meller Polizei mit mehreren Fahrschulen. Die Unterstützung solcher Projekte ist wichtig, doch wir als Politik müssen ehrgeiziger sein. Wir können mehr tun, und wir wollen auch mehr tun. Dafür soll der vorliegende Antrag die Rahmenbedingungen schaffen.

In Niedersachsen sollen Jugendliche bald schon mit 16 Jahren hinter dem Steuer sitzen, begleitet von Personen mit ausreichender Fahrpraxis. So haben sie ein Jahr länger Zeit als bislang, um Fahrpraxis zu sammeln, ein Jahr länger, um sich über das eigene Tun und die Gefahren im Straßenverkehr bewusst zu werden, ein Jahr länger, um nicht nur Kraftstoff zu tanken, sondern auch Sicherheit im Führen eines Fahrzeugs; denn ein Mehr an Erfahrung bedeutet ein Mehr an Selbstvertrauen, bedeutet ein Mehr an Sicherheit sowohl für die Fahranfänger als auch für alle anderen Verkehrsteilnehmer.

Der Hauptgrund für das begleitete Fahren mit 16 ist der Erfolg des begleiteten Fahrens mit 17. Dieses Modell ist in Niedersachsen im Jahr 2004 von einer CDU-geführten Landesregierung als Modellprojekt gestartet worden, als Erstes seiner Art in ganz Deutschland. Keine vier Jahr später war es bundesweit eingeführt. Das Modell war ein Erfolg. In Deutschland ist das Unfallrisiko von Fahranfängern um beachtliche 20 % gesunken.

An diese Erfolgsgeschichte wollen wir mit unserem Antrag heute anknüpfen. Wir wollen, dass Niedersachsen hier erneut die Vorreiterrolle einnimmt; denn es sterben immer noch zu viele Fahranfänger auf unseren Straßen. Die niedersächsische Verkehrsunfallstatistik weist für 2017 rund 400 Todesopfer aus. 50 von ihnen waren im Alter von 18 bis einschließlich 24 Jahren, 37 davon steuerten ein Kraftfahrzeug, die meisten ein Auto. Dass wir mit unserem Antrag auf dem richtigen Weg sind, zeigt die breite Unterstützung, die wir erfahren, z. B. durch den Fahrlehrerverband, den Deutschen Verkehrssicherheitsrat und auch die Automobilklubs.

Um voranzukommen, muss die EU-Führerscheinrichtlinie angepasst werden. Hierzu brauchen wir den Bund. Nach Äußerungen der Europäischen Kommission wird der Vorschlag Niedersachsens im Zuge der Evaluierung der Führerscheinrichtlinie mit erörtert. Deshalb sind erste Schritte schon in 2018 erwartbar. Mit dieser Änderung würde ein großer Schritt zur Sicherheit von Fahranfängern gemacht. Darüber hinaus kann begleitetes Fahren auch unter finanziellen Gesichtspunkten für junge Menschen attraktiv sein. Hierzu sind Gespräche mit der Versicherungswirtschaft sinnvoll.

Meine Damen und Herren, vereinte Kräfte sind notwendig. So sollte auch dieses Parlament den von uns eingebrachten Antrag beraten. Dabei blicke ich nicht nur den Beratungen im Verkehrsausschuss positiv entgegen. Auch der Kultusausschuss sollte diesen Antrag mitberaten; denn mit 16 begleitet zu fahren, ist nicht nur eine verkehrstechnische Neuerung, sondern auch ein pädagogisches Instrument auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Deshalb würde ich in den Debatten gern auch die Stimmen der Fachpolitiker hören.

Nicht mehr hören können wir die Stimmen der vier jungen Männer, die an jenem Septemberabend in Dissen ihr Leben ließen. Jedoch spricht ihr Schicksal, wie das von zahlreichen anderen Fahranfängern, die im Straßenverkehr ums Leben kamen, eine deutliche Sprache. Lassen Sie uns gemeinsam diese Schicksale zum Anlass nehmen, weite

re Anstrengungen zu unternehmen, damit nicht weitere Zukunftshoffnungen auf Niedersachsens Straßen ein jähes Ende finden!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke, Frau Kollegin Hövel. - Jetzt hat sich zu Wort gemeldet Herr Abgeordneter Detlev SchulzHendel für Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gesagt worden: In Niedersachsen nahm das begleitete Autofahren für die unter 18-jährigen Fahranfängerinnen und Fahranfänger seinen Anfang. Mittlerweile gilt das begleitete Fahren mit 17 bundesweit als Erfolg.

Unter Rot-Grün traten wir für die weitere Absenkung des Fahralters auf 16 Jahre ein. Die Unfallstatistiken überzeugen uns: Um fast ein Drittel sind die Unfälle in der Altersgruppe der unter 18- bis 25-Jährigen nach der Einführung des begleiteten Fahrens mit 17 gesunken. Das gibt Hoffnung, dass eine weitere Herabsetzung des Fahralters für noch mehr Sicherheit und Unversehrtheit der jungen Leute sorgen wird.

Bis zu diesem Punkt sind wir uns auch einig. Unklar ist für mich aber der Forderungspunkt 3 in Ihrem Antrag. Die Versicherungen brauchen nicht den politischen Beschluss des Landtages, um ihre Produkte an neue Entwicklungen anzupassen. Schon jetzt ist die Branche auf das begleitete Fahren mit 17 eingestellt, und verschiedene Versicherungsgesellschaften bieten Rabatte an. Das wird sich dann beim begleiteten Fahren mit 16 nicht anders verhalten.

Und was heißt denn überhaupt, dass die Landesregierung gemeinsam mit der Versicherungsbranche Anreize für eine höhere Beteiligung von Fahranfängerinnen und Fahranfängern am begleiteten Fahren sorgen soll? Wollen Sie mit Steuergeldern Versicherungsgesellschaften subventionieren? - Ich glaube, das begleitete Fahren mit 16 sollte kein Instrument sein, durch die Hintertür den Autokauf anzukurbeln und die Versicherungsbranche zu subventionieren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ob und wann junge Menschen den Führerschein machen und sich ein Auto kaufen, hängt ohnehin von ganz anderen Faktoren als Versicherungsrabatten ab. Der Anteil der Pkw-Besitzerinnen und -besitzer unter den 18- bis 25-Jährigen ist von 2011 bis 2016 von 56 % auf 40 % gesunken. „Zu teuer, zu schmutzig, einfach überflüssig“, beschrieb Spiegel Online über jugendliche Automuffel.

Jugendliche wollen immer weniger einen Führerschein machen oder sich gar ein eigenes Auto kaufen. Besonders in den Städten setzen junge Leute lieber auf das Fahrrad, auf den ÖPNV und - wenn sie denn eine Fahrerlaubnis haben - auf Carsharing, wenn es denn nötig ist. Und das, meine Damen und Herren, ist auch gut so.

Für uns ist es kein Defizit, wenn nicht alle Jugendlichen sofort mit 17 oder bald mit 16 ihren Führerschein machen. Die jungen Leute übernehmen mit ihrem Verhalten aktiv Verantwortung für eine umweltfreundliche und gesunde Mobilität. Dafür verdienen sie aus unserer Sicht an dieser Stelle viel Anerkennung und Wertschätzung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gleichwohl sinnvoll, dass die Jugendlichen, die einen Führerschein machen wollen, möglichst früh einen Zugang zum begleiteten Fahren bekommen - weil sie sich dann deutlich sicherer im Verkehr bewegen und weniger junge Menschen Opfer von Unfällen werden.

Wenn Sie den Forderungspunkt 3 in Ihrem Antrag streichen würden, dann werden wir uns sicherlich in den Ausschussberatungen aufeinander zubewegen.

Zu guter Letzt noch ein Wunsch in Richtung CDU: Wenn Sie sich bei der nächsten Gelegenheit mit ebenso viel Herzblut für die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre einsetzen würden, wie jetzt beim begleiteten Fahren mit 16, dann wäre das eine ganz wunderbare Sache.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Denn, meine Damen und Herren: Wem wir vertrauen, mit 16 mit dem Auto fahren zu können, dem sollten wir auch genügend Vertrauen schenken, eine gute Wahlentscheidung zu treffen.

(Anja Piel [GRÜNE]: Absolut! - Zurufe von der CDU)

Wir erinnern Sie bei Gelegenheit gern daran.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke, Herr Schulz-Hendel. - Jetzt hat für die AfDFraktion Herr Stefan Henze das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das begleitete Fahren mit 16 in einem Modellversuch zu erlauben, ist sicherlich nicht falsch. Ob im Rahmen eines solchen Versuchs tatsächlich mehr Fahranfänger davon Gebrauch machen werden, bleibt abzuwarten. Denn schon bei der Altersklasse der 17-Jährigen blieben die tatsächlichen Nutzungen dieser Regelung weit hinter den Erwartungen zurück. Wenn man sich die damaligen Presseberichte noch einmal durchguckt, dann sieht man, dass dort Zahlen erwartet wurden, die wir leider nicht erreicht haben. Im Gespräch mit Fahrlehrern, die täglich jungen Menschen zum Führerschein verhelfen, werden aber auch Bedenken geäußert.

Voraussetzung ist vor allem aber erst einmal, dass die EU-Kommission das Mindestalter von bisher 17 Jahren herabsetzt, damit wir hier diesen Modellversuch umsetzen können.

Wir freuen uns auf intensive Beratungen im Ausschuss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Danke, Herr Henze. - Nun ist schon Herr Jörg Bode für die FDP-Fraktion dran.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat war es 2004 der damalige Wirtschafts- und Verkehrsminister Walter Hirche, der sich persönlich für das begleitete Fahren mit 17 Jahren eingesetzt hat. Trotz vieler Bedenken, ja sogar Anfeindungen

(Christian Grascha [FDP]: So ist es!)

- es wurde gesagt, dass er mit diesem Versuch junge Menschen gefährden würde; diese Bedenken kamen nicht nur aus Niedersachsen, sondern das wurde bundesweit kritisch gesehen -, hat er in gewisser Weise sogar seine Karriere als Wirt

schafts- und Verkehrsminister des Landes Niedersachsen aufs Spiel gesetzt und gesagt: Wenn alle anderen Fachleute - z. B. der ADAC - sagen, dass das die Verkehrssicherheit erhöht, dann möchte ich diesen Schritt gehen. Und somit hat er mutig diesen Modellversuch umgesetzt.

(Zustimmung bei der FDP)

Der Erfolg, meine sehr geehrten Damen und Herren, war relativ schnell sichtbar. Die Verkehrssicherheit nahm gerade bei den Fahranfängern, bei denen das Unfallrisiko statistisch gesehen immer besonders hoch war, deutlich zu. Das war sowohl für die Fahranfänger als auch für alle anderen Verkehrsteilnehmer natürlich eine sehr gute Nachricht. Alle anderen Bundesländer haben sich dem dann auch angeschlossen - mit zum Teil etwas überraschenden Ergebnissen -, und das begleitete Fahren mit 17 Jahren konnte bundesweit eingeführt werden. Die Zahlen, die in Niedersachsen festgestellt wurden, sind auch bundesweit eingetreten.

Von daher ist es richtig und wichtig, dass jetzt darüber nachgedacht wird, den zweiten Schritt zu machen und die Zeit von zwei Jahren vor dem 18. Lebensjahr zu nutzen, um die Fahrerfahrung für junge Menschen zu verbessern.

Ich bin der festen Überzeugung, dass das Erlebnis, mit einem Erziehungsberechtigten, einem Verwandten oder einem Bekannten - Vater, Mutter oder sonst jemandem aus dem persönlichen Umfeld - gemeinsam Auto zu fahren und dann, wenn man mal einen Fehler macht, einen Anschiss zu kriegen - Entschuldigung, Frau Präsidentin! -, die Fahrtüchtigkeit, die Sicherheit und auch die Vorsicht von jungen Menschen deutlich mehr erhöht, als das ein Fahrlehrer, der mit seinen Fahrschülern vielleicht auch etwas anders sprechen muss, in ein paar Stunden leisten kann.

(Zuruf von Wiard Siebels [SPD])

Gerade dieses persönliche Verhältnis und auch die dauerhafte, permanente Ansprache in den zwei Jahren wird wahrscheinlich bei dem einen oder anderen zu einer deutlich besseren und sichereren Fahrweise führen, als es auf anderem Weg möglich ist. Von daher ist es konsequent, diesen Schritt jetzt weiterzugehen.

Dieser Schritt - das muss ich jetzt an die Große Koalition sagen - ist aber auch nicht neu. Schon im letzten Jahr hat dies meine Fraktion gefordert. Auch der damalige Verkehrsminister Olaf Lies hatte sich dafür eingesetzt, dass die europäischen

Regeln - über die wir nämlich reden müssen, damit das überhaupt geht - geändert werden.