Protokoll der Sitzung vom 24.08.2018

Wir kommen zur Besprechung. Nach § 45 unserer Geschäftsordnung wird zu Beginn der Besprechung einem der Fragestellerinnen oder einem der Fragesteller das Wort erteilt. Danach erhält die Landesregierung das Wort.

Für die Fraktion, die die Anfrage gestellt hat, liegt mir die Wortmeldung des Abgeordneten Christian Meyer vor. Bitte, Herr Meyer!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wenn die Biene stirbt, hat der Mensch noch vier Jahre zum Überleben.“ Auch wenn es überhaupt keine Belege gibt, dass Einstein dies jemals gesagt hat, ist der Zusammenhang doch klar. Mehr als 80 % aller Nutz- und Wildpflanzen sind auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. Ohne Bienen, Hummeln und Schmetterlinge hätten wir weniger zu essen. Ohne Bestäuber würden die Ernten von Obst und Gemüse teilweise um bis zu 90 % Prozent einbrechen. Bei der Birne wären es 90 % weniger Ertrag, bei

der Möhre wären es ebenfalls 90 % weniger Ertrag, wenn wir keine Bienen, Wespen und Hummeln hätten. Wir würden verhungern. Unser Biosystem würde zusammenbrechen.

Der volkswirtschaftliche Nutzen der Wild- und Nutzbienen wird auf 190 bis 300 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Das ist nicht der Honigertrag, sondern das müssten wir bezahlen, wenn wir sozusagen Leute, die Mindestlohn erhalten, mit einem Pinsel ins Alte Land schicken würden, um die Obstbäume zu bestäuben. Das ist der Nutzen, den die Natur, die Insekten, die Bestäuber unserer Wirtschaft kostenlos bringen.

Die Landesregierung betont in ihrer Antwort auch die hohe Bedeutung von Insekten für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und für die Humusbildung. Das funktioniert nämlich auch nicht ohne Insekten. Von daher sind Insekten auch als Klima- und Bodenschützer unverzichtbarer Teil unseres Ökosystems.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Verschiedene Studien zeigen einen dramatischen Rückgang der Insektenbiomasse in Deutschland um bis zu 80 %. 1 432 Insektenarten sind in Niedersachsen als ausgestorben oder gefährdet eingestuft.

Bei den insektenfressenden Vögeln sind mehr als die Hälfte der 212 niedersächsischen Brutvogelarten vom Erlöschen bedroht oder stark gefährdet. Am stärksten betroffen sind gerade Arten der Agrarlandschaft, frühere Allerweltsarten wie der Star. Auch der Vogel des Jahres 2018 lebt von Insekten, und auch er ist bedroht. Deshalb heißt unsere Kampagne: „Ich bin ein Star - holt mich zurück!“ Denn wir brauchen diese Vögel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wo ist nun der Zusammenhang? - Die Landesregierung schreibt in ihrer Antwort lapidar:

„Die Vermutung liegt nahe, dass ein Insektenrückgang ein wesentlicher Grund sein könnte, weshalb viele insektenfressende Vogelarten deutliche Bestandsrückgänge aufweisen.“

Auch wenn das Land kein eigenes Monitoring betreibt, sondern erst ankündigt, sagt die Landesregierung zu Recht, dass ihr das Verschwinden von Insekten und Vögeln große Sorgen macht: „… schon die heutige Erkenntnislage über den Insektenrückgang zwingt auch ohne abschließende Ursachenermittlung zum sofortigen Handeln.“

Doch wenn wir nach Maßnahmen fragen, etwa nach neuen Maßnahmen zum Insektenschutz, kommt Fehlanzeige. Das Agrarministerium sagt auf eine Anfrage der Presse, ob etwas zum Schutz von Bienen und Wildinsekten geplant sei: Nein!

Man ruht sich auf Erfolgen von Rot-Grün aus, etwa der Verdopplung der Blühstreifen. Rot-Grün hat ja die Förderung verdoppelt sowie als erstes Bundesland einen Imkerbonus eingeführt und so eine Verdopplung der Fläche erreicht. Das ist übrigens ein sehr spannendes Projekt. Ich bin dem Landvolk, den Bauern sehr dankbar, dass sie so viele Blühstreifen in Niedersachsen gemacht haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das zeigt, dass viele Landwirte mehr machen wollen. Deshalb ist es gut, dass wir die Förderung verdoppelt haben.

Trotzdem bleibt die Wende in der Landwirtschaftspolitik existenziell. Man darf nicht einfach ein „Weiter so!“ propagieren, wie es CDU und SPD leider tun.

Landwirte, die etwas für den Bienenschutz tun wollen, werden zurzeit bestraft. Das ist gestern angesprochen worden: Wenn ein Landwirt eine Hecke pflanzt, wenn er einen Baum stehen lässt, wenn er ein paar Meter am Waldrand nicht bewirtschaftet, wenn er ein wenig Fläche am Gewässer der Natur überlässt, dann kommt die EU und sagt: Das ist keine landwirtschaftliche Nutzfläche! Dafür besteht kein Zahlungsanspruch! Ich ziehe dir das von deinen Subventionen ab!

Ich verstehe, was der Landwirt dann mit dem Baum, mit der Hecke, mit dem Randstreifen macht. Deshalb müssen wir ein System schaffen, in dem der Landwirt belohnt wird, wenn er etwas für die Natur tut, wenn er - so wie bei den Blühstreifen - Platz macht, wenn er sich für den Bienenschutz einsetzt - und nicht wenn er Hecken, Wegeränder und Brachen zerstört.

An der Hauswand des Umweltministeriums - ich bin dort vorhin noch einmal vorbeigegangen - hängt ein großes Plakat:

„Flower-Power für Wildbiene, Hummel und Co. - Insekten brauchen Blumenwiesen!“

Es fordert also mehr Blühflächen.

Gleichzeitig - das hat der Herr Umweltminister Lies eben auch angekündigt - erlaubt das Agrarministerium jetzt, diese Brachen, die zu den wenigen Rückzugsräumen von Insekten zählen, abzumä

hen. Ob dieses Heu überhaupt noch als Tierfutter nutzbar ist, wage ich zu bezweifeln. Aber auch Insekten geht es zurzeit bei der Klimakatastrophe, bei der Dürre sehr schlecht. Brachen sind die letzten Refugien, in denen Wildinsekten überleben können. Deshalb sind sie ganz wichtig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb wollen wir Rettungsinseln für Wildinsekten und nicht vorgezogene Mahdtermine für Insektenrückzugsräume.

Auch das Zerstören dieser Bienenflächen zeigt, dass es einen tiefen Graben zwischen Umwelt- und Agrarministerium gibt. Einige Medienvertreter nennen die Straße zwischen den beiden Häusern schon den Calenberger Graben, weil die Agrarministerin alle Ansätze des Umweltministers einreißt.

Bezeichnend ist die Antwort auf eine unserer Fragen zur Stoffgruppe der Neonicotinoide, die die EU jetzt aus wissenschaftlichen Gründen verboten hat. Wir fragten die Landesregierung, ob sie eine Gefahr für die Bienen sieht. Antwort der Landesregierung: Das MU sieht eine Gefahr für die Bienen.

Es ist schon sehr ungewöhnlich, dass in einer Antwort der gesamten Landesregierung ein einzelnes Ministerium herausgehoben wird. Wenn man extra betont, dass - nur - das Umweltministerium bei den Neonicotinoiden skeptisch ist, lese ich daraus, dass die Agrarministerin die wissenschaftliche Bewertung der EU nicht teilt und keine Gefahr sieht, die von diesem Nervengift auf Bienen ausgeht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielleicht können Sie sich dazu einmal erklären.

Überhaupt leugnet die CDU-Agrarministerin das ganze Problem. Da kommt am 2. Juli eine Pressemitteilung aus dem Agrarministerium mit der Überschrift: „Vom Bienensterben weit entfernt“. - Frau Ministerin, das ist zynisch. Nur weil es dank der Erfolge auch unserer rot-grünen Politik deutlich mehr Imkerinnen und Imker und deshalb mehr Nutzbienen gibt, können Sie nicht einfach sagen, den Bienen gehe es gut, und so tun, als lebten wir in einer heilen Welt. Sie müssen sich z. B. fragen, warum - wie der Antwort auf die Anfrage zu entnehmen ist - die Honigerträge der Nutzbienen in den letzten Jahren um mehr als die Hälfte eingebrochen sind: z. B. weil sie in der Agrarlandschaft immer weniger Nahrung finden.

Es geht den Wildbienen und Hummeln nicht gut. Meine Damen und Herren, auch Wildbienen und Hummeln sind Bienenarten. Deshalb sollte man das Bienensterben nicht leugnen, wie es die CDU hier getan hat. Ich dachte, das Leugnen des Bienensterbens ist Sache der AfD und nicht einer Agrarministerin. Denn schauen Sie sich Ihre eigene Antwort der Landesregierung an: In Niedersachsen sind von bislang 341 Wildbienenarten - so viele gibt es - 46 Arten ausgestorben oder verschollen. Das ist reales Bienensterben.

Meine Damen und Herren, deshalb brauchen wir reale Taten statt beschönigender Worte. Wir brauchen ein umfassendes Verbot von Bienengiften in der Landwirtschaft. Wir brauchen eine Pestizidabgabe, wie es Robert Habeck als schleswig-holsteinischer Minister vorgeschlagen hat. Auch Pflanzengifte wie Glyphosat, von dem immer noch viele Tonnen eingesetzt werden, müssen sich vom Acker machen. Wir brauchen mehr Anreize für den Bienenschutz in der Agrarförderung anstatt eines „Weiter so!“. Denn Imkerinnen und Imker kriegen momentan - ich würde sie als Teil der Landwirtschaft sehen - 0 Euro Subventionen, weil die Flächen, die die Bienen bestäuben, in anderer Hand sind. Deshalb müssen wir auch gerade den Naturschutz und die Leistungen von Imkerinnen und Imkern deutlich höher honorieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich habe gestern eine Antwort zum Thema Glyphosat gekriegt. Es ist fatal, dass diese Landesregierung dieses Jahr schon 412 Ausnahmegenehmigungen erteilt hat, auf nichtlandwirtschaftlichen Flächen in Niedersachsen Glyphosat auszubringen, sei es auf Schienenstrecken und für die Säuberung von Wegen in den Kommunen.

Herr Lies, deshalb müssen Sie auch die anderen Ministerien in die Pflicht nehmen! Das Verkehrsministerium muss seine Straßenseitenränder bienenfreundlicher gestalten. Weniger mähen! Es reicht nicht als Antwort, wenn Sie einen Appell machen, man solle nicht so viel mähen. Das Raumordnungsministerium muss den Flächenfraß und die Betonflut stoppen. Das Finanzministerium muss mehr Geld für den Insektenschutz herausrücken.

(Minister Reinhold Hilbers: Was?)

Meine Damen und Herren, eine Weideprämie, für die sich der Umweltminister noch einmal ausgesprochen hat, hilft auch den Insekten. Gucken Sie sich bitte mal einen Kuhfladen an, wie viele Insekten da sind! Aber die Agrarministerin ignoriert ja

die Versprechen des Ministerpräsidenten, es werde eine Weideprämie geben. Sie hat das ja damit begründet - ich zitiere die Ostfriesen-Zeitung -, dass es in einem geschlossenen Stall deutlich weniger Fliegen gibt. Deshalb braucht man keine Weideprämie, weil Kühe draußen von Insekten belästigt würden. - Das ist aus meiner Sicht fatal.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns jetzt diesem Problem wirklich stellen. Es ist ein dramatisches Problem für die Biodiversität, aber auch für den Menschen und für die Landwirtschaft. Deshalb brauchen wir jetzt konkrete Maßnahmen. Denn die Menschen wollen Flower-Power, Bienen-Power und Summen und Brummen, aber keinen stummen toten Frühling, in dem wir keine Vögel und Insekten mehr haben. Deshalb müssen wir das Thema baldig angehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Meyer. - Für die Landesregierung erteile ich nunmehr Herrn Minister Lies das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir können uns auf einen Punkt ganz schnell verständigen. Im Thema und in der Notwendigkeit des Handelns sehen, glaube ich, wir alle überhaupt keinen Widerspruch, sondern im Gegenteil: Es gibt dringenden Handlungsbedarf. Ich bitte dabei aber darum, dass wir nicht schon zu Beginn eines Prozesses - der übrigens auch viel mit der Frage von wissenschaftlichen Untersuchungen zu tun hat - versuchen, die Verantwortlichkeit auszumachen und zu sagen: „Das ist die Verantwortlichkeit; wenn wir das lösen, ist das Problem beseitigt!“ Dann haben wir aber möglicherweise den einen oder anderen Aspekt links und rechts davon außer Acht gelassen haben.

Deswegen, finde ich, ist das Ansinnen, das wir als Länder - das darf ich, glaube ich, für die anderen Kolleginnen und Kollegen nach der letzten Umweltministerkonferenz auch sagen - und der Bund gemeinsam angehen, richtig. Man muss einen doppelten Weg gehen. Man muss den einen Weg gehen und zügig handeln. Das kann auf keinen Fall schaden. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Man muss aber auch den zweiten Weg mit genauen wissenschaftlichen Untersuchungen und begleitenden Analysen gehen, um eben nicht nur

festzustellen, was wir wissen, dass wir einen großen Teil der Biomasse der Insekten verloren haben, aber keine Antwort darauf geben können, welche Arten davon betroffen sind. Über die Frage, welche Arten betroffen sind, müssen wir auch Ursachenforschung betreiben können. Wir brauchen also beides.

Deswegen bin ich erst einmal sehr froh, dass es bei diesem Thema eine hohe Sensibilität gibt. Ich danke Ihnen für die Anfrage, weil die Große Anfrage mir und dem Haus noch einmal Gelegenheit gibt, ausführlich über das Thema Rückgang der Biodiversität - das haben wir eindeutig; das ist festgestellt - und insbesondere über den teils dramatischen Insektenrückgang in unseren Landschaften zu berichten und schon Antworten zu geben. Aber ich glaube, es sind noch Fragen offen geblieben, weil tatsächlich noch Ergebnisse fehlen.

Mein Eindruck ist, dass dies nicht nur hier bei uns im Landtag, sondern inzwischen ein sich sehr schnell entwickelndes gesellschaftliches Thema ist. Das ist gut so. Es ist gelungen, dass sich viele an ganz vielen Stellen in den Städten, Gemeinden und Regionen mit der Frage auseinandersetzen: Was kann ich tun? Ich glaube, symbolisch steht dafür die Biene. Alle identifizieren sich damit und unterscheiden möglicherweise nicht mehr - Dirk Adomat wird das sicherlich noch einmal sagen -, ob es sich um die Honigbiene oder die Wildbiene handelt. Aber das ist auch egal. Wenn wir Leute dafür gewinnen können, etwas zu tun, dann müssen wir sie ja nicht gleich aufklären und sagen, für was sie arbeiten. Das, was sie tun, ist auf jeden Fall richtig; das merkt man.

Deswegen will ich zu Beginn Folgendes sagen, weil wir über ganz viele reden, die betroffen sind: Alle in der Gesellschaft können ihren Teil zur Artenvielfalt, zur Insektenvielfalt, gegen das Insektensterben und damit zum Erhalt der Biomasse beitragen. Ich hoffe, dass der Diskurs mit dieser Großen Anfrage nicht beendet ist, sondern die Intensität der öffentlichen Diskussion und auch der Diskussion unter uns anhält und wir auch Maßnahmen ergreifen.

Die Beantwortung der Großen Anfrage zum Thema Insektenschutz in Niedersachsen ist eine gute Möglichkeit, Ihnen darzustellen, dass die Landesregierung das Thema Insektensterben sehr ernst nimmt und mit Akribie und großem Verantwortungsbewusstsein in die Ursachenermittlung eingestiegen ist.