Die Beantwortung der Großen Anfrage zum Thema Insektenschutz in Niedersachsen ist eine gute Möglichkeit, Ihnen darzustellen, dass die Landesregierung das Thema Insektensterben sehr ernst nimmt und mit Akribie und großem Verantwortungsbewusstsein in die Ursachenermittlung eingestiegen ist.
- Die ganze Landesregierung. Ich spreche für die Landesregierung, und zwar aus dem Kopf und nicht aus dem Bauch heraus - um das an der Stelle noch einmal zu betonen.
Da es entscheidend ist, dass wir keine Zeit verlieren dürfen, habe ich auch veranlasst, innerhalb von zwölf Monaten - es bedarf einer gewissen Zeit - ein Aktionsprogramm gegen das Insektensterben zu erarbeiten.
Nun kann man sagen, all das hätte längst fertig sein müssen. Dazu muss man aber auch sagen: Das Insektensterben ist nicht in wenigen Monaten eingetreten. Wir alle wissen, dass wir etwas tun müssen, und wir alle wissen, dass bestimmte Forschungsergebnisse nachhaltig dazu beitragen, dass auch agiert wird. Das Haus hat damit die Gelegenheit, intensive Dinge auf den Weg zu bringen. Innerhalb von zwölf Monaten soll ein Aktionsprogramm gegen das Insektensterben erarbeitet werden, mit dem wir uns dann auch in einer guten Abstimmung zwischen dem Bund und den anderen Bundesländern befinden und die richtigen Maßnahmen und Programme entwickeln können. Das macht ja nicht ein Land anders als das andere. Daher sollten wir zusehen, dass wir alle gemeinsam mit dem Bund und auch mit der Unterstützung des Bundes agieren; denn wir tragen nicht die alleinige Verantwortung. Die können wir auch teilen, und der Bund soll sich natürlich an der Lösung beteiligen.
Wir brauchen also Maßnahmen und Programme, um effektiv und nachhaltig gegen das Insektensterben vorzugehen, und kein Alibi nach dem Motto: Jetzt haben wir etwas gemacht, und das war’s! - Denn die Verantwortung tragen wir nicht nur für heute, sondern auch für die zukünftigen Generationen. Damit wollen und müssen wir für den Erhalt und vor allen Dingen für die Verbesserung der biologischen Vielfalt - denn das muss das Ziel sein - in all unseren Landschaften sorgen.
Der Verlust der biologischen Vielfalt ist global und übrigens auch in Deutschland inzwischen die größte Herausforderung im Naturschutz. Die Geschwindigkeit der Zunahme der Aussterberate von Arten und die Lebensraumzerstörung sind - das muss man deutlich sagen - in den allermeisten Teilen menschengemacht und nicht von der Natur vorgegeben.
Meine Damen und Herren, nun ein paar Worte zum Hintergrund und zur Bedeutung. Wir haben in der Rede gerade schon einiges gehört, und Sie sehen es natürlich auch in den Antworten.
Verschiedene Studien belegen den deutlichen Rückgang der biologischen Vielfalt sowie die dramatische Abnahme der Biomasse von Insekten. In Deutschland gibt es ungefähr 33 000 Insektenarten. Das macht mehr als 70 % der biologischen Vielfalt aus.
Insekten sind von zentraler Bedeutung für unser Ökosystem - wir haben es gehört -, für die Bestäubung von mehr als 80 % der Wildpflanzen, für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, die Humusbildung und sind auch fundamentale Nahrungsbasis für Vogel- und Fledermausarten.
Wir haben vor allen Dingen eine Studie, die uns auch wegen ihrer Dramatik nachdenklich gemacht hat. Das basiert aber nicht nur auf dieser einen Studie, sondern es gibt auch andere Studien, die oft eher spezifisch sind. Wenn wir ganz ehrlich sind, ist es schon erstaunlich, dass wir heute anhand einer 30-jährigen Studie feststellen, was eigentlich passiert ist. Das ist ja ein schleichender Prozess und nicht schlagartig passiert. Das ist keine Frage von wenigen Jahren - das müssen wir uns insgesamt zum Vorwurf machen -, sondern die Begleitung ist nicht intensiv genug erfolgt. Angesichts dessen, was wir in der gesellschaftlichen Entwicklung wissenschaftlich begleiten, ist es erstaunlich, wie viele Fragen offen sind.
- Das ist völlig richtig. Das kommt noch dazu. Das ist ein absolut richtiger Hinweis. Das Ganze wurde nicht einmal staatlich organisiert und durchgeführt, sondern auf ehrenamtlicher Basis wurden uns mit großem Engagement die Impulse geliefert, wo Notwendigkeiten zum Handeln bestehen. Das ist völlig richtig. Das muss man auch noch einmal sagen. An dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Dank an alle diejenigen, die das über Jahrzehnte gemacht haben, weil sie dazu beigetragen haben, dass wir die Diskussion heute führen.
Aber es bleibt dabei: Erstaunlich ist, dass wir den Rest nicht haben. Da müssen wir uns zumindest fragen, warum es so weit gekommen ist.
Was ist die Ursache dafür? - Sie haben an den Antworten auf die Anfrage gesehen, dass es etwas schwierig ist, alles zu erklären, und man muss auch aufpassen. Deswegen bitte ich bei den Antworten immer um Verständnis. Aufgabe der Landesregierung kann es nicht sein, Mutmaßungen zu verbreiten, sondern die Antwort der Landesregierung muss eine Grundlage haben. Möglicherweise muss man diese Grundlage auch näher untersuchen; das soll ja auch gerade das Ziel sein.
Der Verlust an Lebensräumen durch Flächenversiegelung und Nutzungsänderungen ist, glaube ich, unbestritten. Es führt auch kein Weg daran vorbei, deutlich zu machen, dass das so ist: die quantitative Verschlechterung der Lebensräume wie auch die qualitative Verschlechterung der Lebensbedingungen - die veränderten Bedingungen in der Arbeit, die veränderten Bedingungen in der Landwirtschaft, die Luftverschmutzung. Viele Dinge tragen dazu bei. Wir werden auch untersuchen müssen, inwieweit klimatische Veränderungen - Stichwort „Klimawandel“ - dazu beitragen, dass sich die Artenvielfalt verändert.
Ich will aber, weil wir ansonsten immer sehr gern auf die Landwirtschaft schauen und sagen, sie müsse es ja gewesen sein, fragen, ob wir nicht insgesamt in der Verantwortung stehen. Man muss auch nach der eigenen Verantwortung fragen. Ich habe es schon einmal gesagt: Mit der großen Begeisterung eines Ingenieurs kann ich einem Mähroboter viel abgewinnen. Mit der Verantwortung für Umwelt und Natur - ich wohne übrigens nicht so - kann ich einem Mähroboter gar nichts abgewinnen. Das heißt, die Kritik, die wir immer an Teilen der Landwirtschaft üben, müssen wir auch an uns üben. - Hat hier jemand einen Mähroboter?
Die Verantwortung, die wir Teilen der Gesellschaft zuschreiben - das kann man ja machen -, müssen wir dann aber auch explizit auf uns beziehen. Nun sind wir uns wohl relativ schnell einig, dass ein Mähroboter wenig zur Artenvielfalt beiträgt - trotz der Tatsache, dass es eine kluge technische Entwicklung ist; das will ich nicht infrage stellen.
Aber es geht ja noch weiter. Bei den vielen Initiativen in den Regionen, in den Kommunen zeigt sich auch, dass auch das Kiesbeet im Vorgarten nicht der richtige Weg ist, um Artenvielfalt zu erzielen. - Für die Steinartenvielfalt vielleicht, aber mit Si
cherheit nicht die Artenvielfalt, die wir meinen. Es geht auch um die Frage, wie Gartengestaltung aussehen sollte.
(Jens Nacke [CDU]: Ich habe den Eindruck, die Präsidentin hat auch ei- nen Mähroboter! - Heiterkeit bei der CDU und bei der SPD)
Ich glaube, wir tauschen uns hinterher über Höhenverstellbarkeit und Wildblumenwiesen inmitten eines Rasens aus. Da hätte ich schon meinen Beitrag dazu zu leisten.
Ich glaube, auch die Gartengestaltung macht eine Menge aus. Eigentlich ist es doch eine gesellschaftliche Frage. Wir erleben doch alle - zumindest, wenn man sich in der nahen Nachbarschaft umschaut -: Der gepflegte Garten zeichnet sich nicht durch Artenvielfalt und Artenreichtum aus. Er zeichnet sich in der Regel durch andere Formen des Pflegezustands aus. Vielleicht muss auch ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden. Mein Wunsch ist: Nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen - da schaue ich noch einmal zu meiner Kollegen Bärbel Otte-Kinast -, nicht nur auf die Landwirtschaft zeigen, sondern auch überlegen, was man selbst tun kann. Aber natürlich trägt auch die Landwirtschaft Verantwortung. Das nehmen wir sehr ernst und passt auch zu den Themen, die wir gerade diskutiert haben.
Die Aktivitäten von Land und Bund sind dabei natürlich entscheidend. Bund und Länder müssen zusammenarbeiten - Niedersachsen muss dabei mitwirken -, um, wie vorhin dargelegt, die immense Wissens- und Datenlücke zu Populationsveränderungen bei Insekten zu schließen. Es kann nicht sein, dass wir so wenig darüber wissen. Wir brauchen also den Aufbau eines bundeseinheitlichen Insektenmonitorings. Das ist ab 2019 auch geplant. Dann können wir in den Ländern auch agieren und haben nicht länderspezifisch nur in Niedersachsen die eine Untersuchung durchgeführt.
Das ist ja ein bisschen das Problem bei der Krefelder Untersuchung, dass man die Ergebnisse statistisch nicht verifizieren kann, weil an anderer Stelle
keine Untersuchungen durchgeführt worden sind. Das macht es ein bisschen schwierig. Wir müssen überall einheitlich, mit den gleichen wissenschaftlichen Methoden arbeiten, damit wir eine breite Datenbasis haben, um auch verlässlich und substantiiert Aussagen daraus treffen und im Monitoring auch einen Rückschluss auf die Ursachen des Insektenrückgangs definieren zu können. Mit den gewonnenen Erkenntnissen - wir beginnen schon jetzt und warten nicht etwa zehn Jahre ab - haben wir auch andere Möglichkeiten, gezielt effektive Maßnahmen zur Förderung der Insekten-, der Artenvielfalt zu initiieren.
Meine Damen und Herren, die heutige Erkenntnislage zwingt uns - wie bereits angedeutet - auch zum sofortigen Handeln; denn die nachgewiesenen Rückgänge sind derart groß, dass wir nicht einfach abwarten und sagen können: Wir untersuchen erst einmal. - Deswegen starten wir ein Aktionsprogramm für den Erhalt und die Förderung der Insektenvielfalt. Ziel ist, das Ergebnis im Mai 2019 vorzulegen.
Nun kann man immer sagen: Die reden und das dauert! - Alle, die politische Erfahrung haben, wissen, dass es einfach auch dauert, bis so etwas substanziell ausgearbeitet worden ist. Ich bitte immer um Verständnis dafür, dass man nicht irgendetwas aufschreibt, herausgibt und dann sagt „Guck mal, es ist fertig!“ und es dann ins Regal legt. Wenn man etwas macht, muss es Substanz haben und umgesetzt werden. Daher bitte ich darum, auch die notwendige Zeit dafür einzuräumen, es gründlich zu machen.
Derzeit läuft eine an Kommunen gerichtete Kampagne zur Sicherung, Rückgewinnung und Gestaltung öffentlicher Flächen im Sinne des Insektenschutzes. Gerade die Wegraine, die Wegeseitenränder, bilden ein enormes Flächenpotenzial. Wenn man sich einmal ansieht, was tatsächlich in der Vielfalt zusammenkommt, ist das ein guter Weg. Er schafft Lebens- und Rückzugsräume, und er schafft auch Verbindungselemente zur Vernetzung von Biotopen.
Da kommt den Städten, Gemeinden und dem Land logischerweise neben der Landwirtschaft eine ganz besondere Rolle zu. Wir sind gerade dabei, Best-Practice-Beispiele zusammenzustellen. Es passiert nämlich eine ganze Menge. - Da ich gerade Herrn Bode sehe: „Celle blüht auf“ ist ja ein gutes Beispiel dafür. In vielen Städten und Gemeinden wird ganz viel gemacht. Lasst uns das doch bündeln - - -
Auf jeden Fall ist das ein gutes Beispiel dafür, was schon gemacht wird. Man muss ja nicht überall das Rad neu erfinden. Das kann Modellcharakter haben, um es auszuweiten und an anderen Stellen ähnlich vorzugehen, d. h. genau den Weg der Best-Practice-Beispiele zu gehen, eine positive Gestaltung insektenfreundlicher öffentlicher Flächen vorzunehmen und zur Nachahmung anzuregen.
Ich habe mir vor Kurzem ein Projekt im Landkreis Lüneburg angesehen, bei dem es direkt um die Frage der Wegraine an den Verkehrsstraßen geht. Ehrlicherweise würden wir zwei Dinge erreichen: Wir würden, wenn wir es mit den Wegrainen richtig machen, also wenn wir mit dem richtigen Saatgut an der richtigen Stelle arbeiten, etwas für die Artenvielfalt tun, und wenn wir es klug machen, hätten wir weniger Arbeit beim Mähen der Wegeseitenränder. Es ist also nicht nur eine Investition in ökologische Vielfalt, es kann auch ökonomischer Nutzen sein, den wir damit erzielen. Ich glaube, dass wir an einer Stelle sind, wo man das klug machen muss. Wir untersuchen das dort sehr intensiv.
Noch einmal: Für jede Region, für jede Art von Bodenverhältnissen ist das Ziel, das wir erreichen wollen, anders. Aber es ist ein einfacher Weg, der eben nicht bedeutet, nur Geld in die Hand zu nehmen, und der in der Fläche, die wir haben, eine ganze Menge bewirken kann. Und Sie haben völlig recht: Das ist eine Aufgabe der gesamten Landesregierung, weil jeder in seinem Ressortbereich unterschiedliche Möglichkeiten hat anzusetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung nimmt das Thema Rückgang der Biodiversität, der Artenvielfalt, eben gerade den Insektenrückgang sehr ernst. Sie wird sich auf der Basis der genannten Themen bundesweit eines einheitlichen Monitorings an der Ursachenforschung zum Insektenrückgang beteiligen.
Darüber hinaus ist es das erklärte Ziel, den Insektenrückgang nicht nur aufzuhalten, sondern Artenvielfalt - und gerade Insektenvielfalt - auch in Niedersachsen mit kurz-, aber auch mit langfristig wirkenden Maßnahmen - etwa bei der Program
Ich hoffe, aber ich bin auch fest davon überzeugt, dass dieses Thema nicht nur ein Thema des Jahres 2018 war, in dem eine Studie für hohe Sensibilität gesorgt hat, sondern dass es uns gelingt, dieses Thema auch gesellschaftlich über die nächsten Jahre weiterzutragen und gemeinsam daran zu arbeiten, dass sich die Insekten- und Artenvielfalt in unserem Land wieder verbessert.
Vielen Dank, Herr Umweltminister Lies. - Jetzt kommen wir zu den weiteren Wortmeldungen. Aus der FDP-Fraktion der Abgeordnete Hermann Grupe. Bitte schön!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Physiklehrer hat uns in der Schule einmal gesagt: Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass Sie nichts sehen. - Wenn man diese Antwort auf die Große Anfrage studiert hat, dann kann man nur sagen: Wir wissen, dass wir fast nichts wissen.
Dort wird ausgeführt, dass die Zahl der vorkommenden Arten nicht bekannt ist, und auch Aussagen zur Gesamtmasse der Insektenbestände sind nicht möglich. Auch auf die Frage zu den Bienen und Hummeln wird geantwortet, es gebe nur nichtsystematische Erkenntnisse. Der Expertenkreis beklagt also insgesamt eine völlig unzureichende Datenlage, stellt aber den dramatischen Insektenrückgang nicht infrage.