Gerade deswegen, lieber Herr Toepffer, ist es sehr, sehr wichtig, dass wir uns an all das erinnern. Ich bedankte mich dafür, dass Sie hier gesagt haben, dass der Bückeberg als 16. Gedenkstätte auf den Weg gebracht werden sollte. Wir als Freie Demokraten unterstützen dieses Anliegen.
Wir unterstützen auch und gerade das Signal, dass wir für das Grenzlandmuseum eine Landesunterstützung auf den Weg bringen. Wir haben uns mit der Stasi-Enquetekommission in der vergangenen Legislaturperiode sehr, sehr intensiv mit unserer Geschichte, mit der zweiten Diktatur auf deutschem Boden, mit der DDR beschäftigt. Einer der Ausflüsse dieser Enquetekommission - in der nächsten Plenarwoche wird der Entschließungsantrag hierzu, der gemeinsam schon auf den Weg gebracht wurde, wahrscheinlich abschließend beraten, und zwar möglichst einstimmig, verehrte Kolleginnen und Kollegen - sollte sein, dass wir das Grenzlandmuseum unterstützen und so einen weiteren Ort der Erinnerung auf den Weg bringen.
Zum Schluss möchte ich Sie alle gemeinsam dazu aufrufen: Versuchen Sie, sich in die Situation der Menschen zu versetzen, die hier bei uns ihre zweite Heimat gefunden haben und die vor dem Hintergrund der Demonstrationen in Chemnitz Angst haben, diese Heimat wieder zu verlieren! Versetzen Sie sich aber auch in die Menschen, die Abstiegsängste haben, die Verlustängste haben und die aus anderen Gründen Angst haben, ihre Heimat zu verlieren, wobei diese Angst niemals - das will ich hier ergänzen - Grund sein darf, um aggressiv zu werden, um gewalttätig zu werden oder um andere Menschen zu diskriminieren.
Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Für die AfDFraktion hat nun die Fraktionsvorsitzende Frau Abgeordnete Guth das Wort. Bitte!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Tag der Heimat 2018. „Heimat“ ist ein unglaublich dehnbarer Begriff geworden, wie ich eben gerade festgestellt habe. Aus „Heimat“ macht sich jeder, was ihm gerade gut passt.
Aber der Tag der Heimat, um den es hier heute eigentlich gehen sollte, steht in engem Bezug zur Unterzeichnung der Charta der Heimatvertriebenen am 5. August 1950. In dieser Charta verzichten die Heimatvertriebenen und Entrechteten auf
Rache und Vergeltung - fürwahr ein starkes Zeichen, unmittelbar nach dem entsetzlichen Unrecht, das ihnen kurz zuvor angetan worden ist.
Wir sprechen über weit mehr als 12 Millionen Deutsche, die vor allem vor den herannahenden Soldaten der Roten Armee flüchten mussten oder im Nachgang der deutschen Kapitulation brutal vertrieben worden sind. Schlesien, Ostpreußen oder das Banat sind für diese Menschen auf immer als Heimat verloren gegangen. Mindestens 2 Millionen Deutsche wurden dabei getötet. Es gab Tieffliegerangriffe auf Flüchtlingstrecks, die „Wilhelm Gustloff“ mit Tausenden Flüchtlingen an Bord wurde versenkt, und Dresden wurde bombardiert - eine Stadt, die voller Flüchtlinge war. Ereignisse, die nicht vergessen werden dürfen!
Diejenigen, die dieses Martyrium überlebten und ihre Heimat verloren hatten, verzichteten nicht nur auf Rache, sondern setzten sich aktiv für die Aussöhnung in Europa ein und bekräftigten ihren Willen, am Wiederaufbau mitzuwirken. Und genau dies haben sie auch getan. Hier kamen echte Fachkräfte - Handwerker, Ingenieure, Wissenschaftler -, die einen enormen Anteil am Aufbau ihres Vaterlandes direkt nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges geleistet haben. Etliche von ihnen mussten weit unter ihrer Qualifikation arbeiten, und für sie war es trotzdem eine Selbstverständlichkeit, die Ärmel hochzukrempeln und beim Aufbau mit anzupacken.
Allerdings dürfen wir auch nicht vergessen, dass viele Flüchtlinge und Vertriebene nicht mit offenen Armen empfangen wurden. Die Not der Menschen nach dem Krieg war so groß, dass viele Sorgen hatten, sich selbst und ihre Familien überhaupt ausreichend versorgen zu können.
Die Deutschen, die durch Flucht und Vertreibung hierher kamen, fanden sich zu Recht nicht mit dem Verlust ihrer Heimat ab. Die hier im Landtag schon länger sitzenden Altparteien CDU, SPD und FDP machten ihnen in der damaligen Zeit allerlei Versprechungen. Bis in die 50er- und 60er-Jahre hieß es: „Verzicht ist Verrat!“, „Das ganze Deutschland soll es sein!“, „Niemals Oder-Neiße-Linie!“ etc.
Später stellte sich dann heraus, dass dies nur Versprechungen waren. Man wollte die Wählergruppe der Vertriebenen an sich binden und setzte dann doch nichts davon um. Auch das Angebot der russischen Regierung nach dem Fall der Sowjetunion, das Königsberger Gebiet gegen eine Kompensationszahlung zurückzuerhalten, wurde ausgeschlagen. Das in den 50er-Jahren erlassene Lasten
ausgleichsgesetz konnte nur einen äußerst geringen Teil der Vermögensverluste, die die Ostdeutschen erlitten hatten, ausgleichen.
Was vielen heute gar nicht mehr bewusst ist, ist die Tatsache, dass auch viele unserer Landsleute in ihrer Heimat verbleiben mussten. Sie wurden schlicht als Arbeitskräfte und Fachleute gebraucht. Wiederum viele andere - darunter Frauen und Kinder - wurden in Internierungslagern gequält oder ermordet oder in andere weiter entfernte Lager verschleppt. Auch dies sind historische Tatsachen, an die wir erinnern müssen. Eine Aussöhnung kann nur so erfolgreich sein: keine gegenseitige Aufrechnung, aber eine Anerkennung erlittenen Leides!
Diejenigen, die dies überlebt hatten und in den Ostgebieten verbleiben konnten, wurden systematisch ihrer Kultur und Sprache beraubt. Es war ihnen bei Strafe verboten, deutsch zu sprechen oder zu schreiben. Man versuchte, sie - so beispielsweise in der Volksrepublik Polen - zwangsweise zu polonisieren. Auch das stellt ein Verbrechen dar, das nicht vergessen werden darf. Nur so können echte Versöhnung und ein gutes, gedeihliches, nachbarschaftliches Miteinander gelingen. In gleicher Weise müssen die sogenannten BenešDekrete scharf kritisiert werden sowie andere ähnlich gelagerte Unrechtsverdikte.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch an die verdienstvolle Arbeit der AGMO e. V., der Gesellschaft zur Unterstützung der Deutschen in Schlesien, Ostbrandenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen, erinnern. Die AGMO hat über Jahrzehnte hinweg die in ihrer Heimat verbliebenen Landsleute finanziell und materiell unterstützt - zunächst verdeckt zuzeiten der Volksrepublik, dann offen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus.
Ein besonderes Anliegen war es ihr immer, flächendeckend deutschsprachige Vor- und Grundschulen in Polen zu errichten. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Hartmut Koschyk in seiner Funktion als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten versicherte im Oktober 2014, dass dies ein Kernanliegen der Bundesregierung in den Konsultationen mit der polnischen Regierung sei. - Und passiert ist bis heute mal wieder so gut wie nichts, obwohl die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren zu ihren dementsprechenden Verpflichtungen gegenüber der polnischen Minderheit in Deutschland steht, was auch absolut begrüßenswert ist.
Ohne Sprache stirbt die Kultur, ohne Kultur verlieren wir unsere Identität und hören auf zu existieren. Es ist erschreckend, dass jetzt und hier und immer wieder das Leid dieser Menschen, von Deutschen, die vertrieben wurden und nach Hause gekommen sind, in Vergleich gesetzt wird mit Asylforderern, die in dieses Land kommen und die nur in wenigen Prozentzahlen tatsächlich das Recht auf Asyl erhalten können. Von daher ist dieser Vergleich absolut unangebracht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Guth, mir war gar nicht bewusst, dass Sie in Hessen zur Schule gegangen sind und offensichtlich Geschichtsunterricht bei Herrn Höcke hatten.
Anders ist Ihr geschichtsklitterndes Bild, das Sie hier heute wieder abgeliefert haben, kaum zu erklären.
Erschütternd ist eine weitere Erkenntnis: Sie haben in zwei, drei Nebensätzen indirekt Kritik daran geübt, dass man auf die Ostgebiete verzichtet und die Oder-Neiße-Grenze anerkannt habe. Das haben Sie sehr verhalten gemacht - ich bitte nur alle Kolleginnen und Kollegen, für die Zukunft in Erinnerung zu behalten, wann auch in diesem Punkt die nächste Grenze überschritten wird. Ich glaube nach den Erfahrungen der letzten Wochen und Monate, das ist nur eine Frage der Zeit.
Meine Damen und Herren, der Begriff „Heimat“ und seine Konnotation ist immer wieder Gegenstand von kontroversen Debatten innerhalb unserer Gesellschaft. Über seine unterschiedlichen Bedeutungsebenen und seine Verwendung ließe sich ohne Zweifel ein wissenschaftliches Symposium abhalten. Heimat kann der Ort sein, in dem jemand geboren wurde, in dem er aufgewachsen ist, in dem er immer noch zu Hause ist. Heimat
kann aber auch ein Ort sein, von dem man fliehen musste und zu dem es jahrelang kein Zurück mehr gab oder auch nie wieder gibt. „Heimat“ steht für verschiedenste Orte, für persönliche Beziehungen, für Identität, Kultur, Sprache, Sozialisierung, Umgebung. In erster Linie aber - das dürfen wir bei der ganzen Debatte, glaube ich, nicht vergessen - steht „Heimat“ für ein ganz subjektives Gefühl. Jeder hat eine individuelle, ganz persönliche Beziehung zu diesem Begriff.
Im politischen Raum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Art Kampf um die Deutungshoheit des Wortes „Heimat“ entwickelt. Eines steht dabei aber nach meiner Überzeugung fest: „Heimat“ ist ein zutiefst verbindender Begriff.
Insbesondere Rechtspopulisten und Rechtsextreme versuchen allerdings nicht erst seit gestern, ihn für ihre eigenen fremdenfeindlichen Zwecke zu missbrauchen. Er dient ihnen als Instrument zur Abgrenzung gegen alle diejenigen, die in unserem Land vermeintlich fremd sind und die nach ihrer - nicht selten rassistischen - Weltanschauung kein Recht haben oder haben sollten, hier zu sein.
Meine Damen und Herren, wir dürfen denen die Deutungshoheit über den Begriff nicht überlassen! Es gilt hier wie überall, diesen Begriff nicht zu überhöhen, aber ihn auch nicht zu tabuisieren und kleinzureden. „Heimat“ ist - ich wiederhole mich - ein positiver Begriff. Und ob man ihn mag oder nicht: Er hat für zahlreiche Menschen eine hohe Bedeutung. Das gilt eben auch für viele Vertriebene und vor allem für viele Vertriebene und Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind - übrigens ganz gleich, wann und aus welchem Grund.
Meine Damen und Herren, der Bund der Vertriebenen hat vor diesem Hintergrund vor 61 Jahren den Tag der Heimat ins Leben gerufen, um den es in dieser Aktuellen Stunde geht. In diesem Jahr steht er unter dem Motto: „Unrechtsdekrete beseitigen - Europa zusammenführen“.
Mit großem Einsatz setzte und setzt sich der BdV für das Wohl der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler ein. Niedersachsen hat von den vielen Frauen und Männern, die nach dem Zweiten Weltkrieg - bis heute - zu uns gekommen und ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft geworden sind, unglaublich profitiert. Grob geschätzt hat jeder dritte in Niedersachsen schlesische Wurzeln - ich auch, wie Sie wissen. Meine Großmutter stammt aus Breslau. Daher habe ich eine ganz besondere Beziehung, auch zu den Themen „Vertreibung“ und „Heimat“. „Heimat“ bedeutet für mich
persönlich, sich geborgen zu fühlen, in einem Umfeld zu leben, das mir vertraut ist, die Menschen und Orte zu kennen, um mich sicher zu fühlen. „Heimat“ bedeutet für mich, Menschen um mich zu haben, die mir wichtig sind.
Die Menschen, die nach 1945 zu uns kamen, konnten sich die Gesellschaft, ja den Ort, wo sie leben wollten, nicht aussuchen. Sie haben dennoch ihren Teil zum Wiederaufbau Niedersachsens beigetragen. Sie haben unsere Gesellschaft geprägt und vorangebracht. Dafür gebührt ihnen unser Dank und unsere Anerkennung.
Deswegen unterstützt das Land die Anliegen der Vertriebenen auf vielfältige Art und Weise. Der „Kulturpreis Schlesien“ des Landes Niedersachsen ist ein Beispiel dafür. Er wird in diesem Jahr zum 42. Mal verliehen, in Liegnitz. Die Preisträger, die entweder aus Schlesien stammen oder Werke mit einem engen Bezug zu Schlesien und der dortigen Kultur geschaffen haben, leisten einen wichtigen Beitrag zur deutsch-polnischen Freundschaft.
Auch die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland fördern wir bereits seit Jahren. Viele Russlanddeutsche sind Anfang der 1990er-Jahre zu uns gekommen und haben hier eine Heimat gefunden. Der allergrößte Teil von ihnen hat sich seitdem vorbildlich integriert. Die Landsmannschaft organisiert zahlreiche Veranstaltungen wie die jährliche Gedenkfeier unter dem Motto: „Zukunft braucht Vergangenheit.“ Ihr Anliegen ist es, ihr kulturelles Erbe zu bewahren und gleichzeitig den Blick in die Zukunft zu richten. Die Landsmannschaft setzt sich aktiv für ein friedliches und solidarisches Miteinander in Europa ein. Das unterstützen wir als Landesregierung ausdrücklich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das kulturelle Erbe unseres Landes verpflichtet uns, mit dem Begriff „Heimat“ sorgfältig umzugehen. Was können wir also getreu der Überschrift dieser Aktuellen Stunde aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen? - Hätte Deutschland seinerzeit Mauern errichtet oder Grenzzäune gebaut, dann wären viele der Menschen, die heute in Niedersachsen leben und die Sie kennen, womöglich nicht hier.
Es gibt niemanden, der uns diktieren darf und kann, was Heimat ist und wer hier seine Heimat finden darf. Wir dürfen niemandem die Deutungshoheit über den Begriff „Heimat“ überlassen - schon gar nicht denen, die ihn ausgrenzend verstehen. Der Begriff „Heimat“ darf nicht zur Aus
Schließlich, meine Damen und Herren, dürfen wir festhalten: Auch der Rahmen und die Werte unseres Grundgesetzes, unserer Verfassung, machen einen wesentlichen Teil des realen wie emotionalen Raumes, in dem wir leben, aus. Das kulturelle Erbe der Heimat über Generationen aufrechtzuerhalten und fortzuleben, sich jedoch gleichzeitig zu integrieren und ein Teil von hier zu werden - das war und das ist kein Widerspruch.
Zum Abschluss, meine Damen und Herren: Migration ist sicher nicht die Mutter aller Probleme. Die Vergangenheit zeigt vielmehr deutlich, dass die zu uns kommenden Menschen eine Bereicherung für unsere Gesellschaft sein können und es in der Vergangenheit auch fast immer waren.
Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Besprechung zur Aktuellen Stunde der CDU-Fraktion schließen kann.
- Herr Kollege Wichmann, wir haben die Besprechung zum Tagesordnungspunkt 2 a beendet. Sie hätten theoretisch die Möglichkeit gehabt, wenn Sie sich rechtzeitig gemeldet hätten.