Ich stelle fest, dass die Regierungserklärung 20 Minuten gedauert hat. Für die nun folgende Aussprache erhalten, wie vereinbart, die beiden großen Fraktionen ebenso viel Redezeit, wie die Landesregierung verbraucht hat, also ebenfalls je 20 Minuten. Die drei Oppositionsfraktionen erhalten in der Summe so viel Redezeit wie die beiden Regierungsfraktionen zusammen. Für jede der drei kleinen Fraktionen ergibt sich danach eine Redezeit von 14 Minuten.
Wir beginnen mit der Aussprache. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Fraktionsvorsitzende Frau Piel das Wort. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt so Tage, da geht alles schief. Da wacht jemand an irgendeinem Montag im November schweißgebadet auf, und ihm fällt ein: Oh meine Güte, morgen ist unser Hochzeitstag! - Dass sich die Beziehung schon jetzt eher wie eine Vernunftehe anfühlt, spielt an solchen Tagen wohl keine Rolle. Da wetzt man schnell los, kauft Geschenke und Blumen, bereitet alles vor, inszeniert alles, alles ist passabel. Alles noch mal gut gegangen, denkt man sich. Da steht man also vor seinem Partner mit den Blumen, wenn auch ein bisschen widerwillig. Und dann lacht der Partner und sagt: Ach, Schatz, du hast dich im Datum geirrt! Das verflixte erste Jahr haben wir doch erst nächste Woche rum.
Herr Ministerpräsident, wir haben immer noch nicht klären können, wozu jetzt so kurzfristig diese Regierungserklärung stattfinden musste. Uns bleibt auch immer noch verborgen, was Ihnen gestern Morgen beim Aufstehen eingefallen ist, dass Sie uns über Nacht eine so zweifelhafte Freude gemacht haben.
Herr Siebels, Sie haben ja völlig recht: Uns fällt es überhaupt nicht schwer, über die Versäumnisse dieser Großen Koalition zu sprechen. Wir werden auch von anderen Menschen darauf angesprochen. Insofern war es für uns alle nicht schwierig, etwas zu schreiben.
(Wiard Siebels [SPD]: Warum dann der GO-Antrag? - Gegenruf von Dr. Stefan Birkner [FDP]: Weil es schlechter Stil ist!)
Die Frage, die uns allerdings beschäftigt, lautet, warum das ausgerechnet heute passieren muss. Der Dezember hätte immer noch ausgereicht.
Meine Damen und Herren, aber dieses Verfahren passt ja zu dem neuen Regierungsstil im Hause. Man weiß bei Ihnen selten, warum Sie was wann machen. Steckt hinter den Entscheidungen irgendein Knatsch? Hat irgendwer irgendeine Panik vor einer anderen Geschichte, die gerade am Kochen ist? Gibt es ein uneingelöstes Versprechen, das auf irgendeinem Wahlplakat stand, das einem am Morgen plötzlich einfällt und von dem man meint, dass man es vielleicht doch noch einlösen müsste?
Ganz im Ernst: Die Ankündigung dieser Regierungserklärung von einem Tag auf den anderen steht doch sinnbildlich für Ihren Umgang mit dem Parlament. Das ist wahrlich kein guter Stil!
Herr Ministerpräsident, ich finde noch eine Sache sehr spannend. Sie verpassen keine Gelegenheit - man wird ja immer wieder darauf angesprochen, wie Ihre Pläne eigentlich aussehen -, Ihre eigene Große Koalition hier in Hannover von der Großen Koalition in Berlin abzugrenzen. Aber mal ehrlich: Was machen Sie denn eigentlich besser?
Ich will auf die Gebührenfreiheit für den Kindergartenbesuch zu sprechen kommen. Sie haben dargestellt, wie viele Familien Sie im ganzen Land mit mehr Geld glücklich gemacht haben. Natürlich haben Sie vergessen, dass es auch Familien gibt, die aufgrund des starken Zulaufs entweder gar keinen Platz bekommen oder für deren Kinder die Sprachförderung ein Jahr lang ausgesetzt wird, weil das alles in diesem Chaos untergegangen ist.
Jahrelang haben Sie - auch Sie - ver.di und den Erzieherinnen und Erziehern immer wieder erzählt: Die Qualität der Bildung hängt davon ab, dass das Geld aus Berlin fließt. Für die verbindliche dritte Kraft braucht es eine Zusage aus Berlin. - Die Erzieherinnen und Erzieher haben uns gefragt, ob sie endlich mehr Zeit für individuelle Förderung bekommen, ob sie mehr Zeit bekommen, um einen Elternabend vernünftig vorzubereiten und um sich um einzelne Kinder zu kümmern. - Gab es nie!
Jetzt endlich kommt das Geld des Bundes, und was machen Sie damit? - Sie hatten es ja schon auf all Ihren Wahlplakaten verplant! Nichts gegen die Beitragsfreiheit!
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP - Wiard Siebels [SPD] und Jörg Hillmer [CDU]: Sie waren dagegen!)
Für Qualitätsverbesserungen, Herr Siebels, haben die Leute damals hier vor dem Landtag gestanden, dafür sind sie jahrelang auf die Straße gegangen. Dazu sagen Sie kein Wort mehr!
Wen schert es, dass die Kommunen ihre liebe Not haben? SPD-Bürgermeister, CDU-Bürgermeister kommen auf uns als Grüne zu und fragen: Warum hätte man das nicht in einem vernünftigen Zeitraum - über zwei oder drei Jahre - machen können, sodass man Zeit für die Investitionen hat?
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP - Jörg Hillmer [CDU]: Warum habt ihr nichts gemacht? - Wiard Sie- bels [SPD]: Sie waren ja dagegen!)
Aber was scheren euch die eigenen Bürgermeister? Und was schert es den Ministerpräsidenten, ob in irgendeinem Erzieherinnenteam „Land unter“ herrscht? Darum geht es ja nicht! Es geht um schöne Bilder, um Erklärvideos für Kinder! Herr Santjer hat das ja ganz wunderbar gemacht. Haben Sie eigentlich auch ein solches Video für die Erzieherinnen und Erzieher in den Kindergärten gemacht und ihnen gesagt: Ihr habt noch immer keine Zeit?
Es war eine Fehlentscheidung, nicht ordentlich in die Qualität der Kindergärten zu investieren. Diese Fehlentscheidung wird Sie einholen. Mit diesem Versprechen haben Sie die Wahl einmal gewonnen. Beim nächsten Mal müssen Sie den Erzieherinnen und Erziehern erklären, wie Sie ihnen helfen wollen!
Zum Polizeigesetz! Ich finde es erstaunlich, dass dieser Ministerpräsident, der eigentlich ein kluger Jurist ist, die Debatte schon für beendet erklärt, bevor sie eigentlich richtig angefangen hat. Wir haben hier Genossen im Haus, die sich mit stolzgeschwellter Brust darauf berufen, die Sozialdemokratie habe 150 Jahre lang für Bürgerrechte und Demokratie gekämpft. Dennoch sage ich Ihnen: Es geht hier nicht anders zu als im Bund; denn wenn es drauf ankommt, lässt sich die SPD von ihrem Koalitionspartner über den Tisch ziehen,
und die schöne rote Nelke im Knopfloch sieht ziemlich schlapp aus, weil sie lange nicht gegossen worden ist. Man sieht das doch! Herr Pistorius, dass Sie sich neuerdings an der Innenpolitik der Großen Koalition im Bund orientieren - ist das echt Ihr Ernst? Ist das wirklich Ihr Ernst? Der Innenminister dort ist das Schlimmste, was dieser Republik derzeit passiert ist! Seine „Erfolgsstory“ können Sie doch nicht zum Vorbild für dieses Polizeigesetz nehmen!
Was reitet eigentlich einen einstmals besonnenen Innenminister, völlig unverhältnismäßige und verfassungswidrige Mittel durchzuwinken? Bis zu 74 Tage Präventivhaft, Fußfesseln und Telefonüberwachung allein aufgrund eines Verdachtes? -
Dieses Gesetz verhöhnt all die Menschen, die glauben, dass das Recht dazu da ist, die Freiheit des Einzelnen zu wahren. Und das von einem SPD-Mitglied! Von der CDU hätte ich nichts anderes erwartet. Aber von Ihnen, Herr Pistorius, bin ich enttäuscht.
Spannend finde ich: Haben Sie wirklich angenommen, dass das keiner merkt? Haben Sie gedacht, dass Sie das einfach mal so mit der CDU hinter verschlossenen Türen klarmachen können? Schünemann diktiert, Pistorius schreibt ab, und die Leute sagen: „Ja, klasse, das ist das Polizeigesetz, auf das die Welt gewartet hat.“?
15 000 Menschen waren in Hannover gegen dieses Gesetz auf der Straße, übrigens auch die Gewerkschaften. Auch Detlef Ahting von ver.di hat mit seinen Leuten damals auf der Straße gestanden. Am 8. Dezember werden übrigens Tausende von Menschen erneut demonstrieren. Juristen stellen diese Sachen übrigens infrage. Das sind nicht alles Grüne, will ich nur mal sagen. Journalisten wundern sich über die Zugriffsrechte, die Sie der Polizei geben wollen. Was machen Sie besser als die Leute im Bund? - Das kann ich an dieser Stelle wirklich nicht erkennen.
Zum Dieselskandal! Wir haben eben wundervolle Worte über die Pläne zur Mobilität und über Arbeitsplätze gehört. Man muss sich mal vorstellen, was sich Autokäuferinnen und -käufer sowie Autofahrerinnen und -fahrer in den letzten Jahren an Frechheit und Arroganz von den Autobauern haben anhören müssen. Ich finde es immer wieder ganz begnadet, wenn dieser Ministerpräsident erzählt, die Grünen würden nicht auf die Arbeitsplätze gucken, sondern nur auf die Ökologie. Einzelne Leute, mit denen wir früher wirklich nett zusammengearbeitet haben, sagen plötzlich, wir seien die Ideologen, die gegen den Individualverkehr seien.
Die Konzerne haben jetzt drei Jahre lang Zeit gehabt, schlechte Wagen zurückzunehmen und gute zu verkaufen. Damit haben sie richtig viel Geld verdient. Das ist ja auch legitim. Das schafft ja auch Arbeitsplätze. Aber was ist mit all den Menschen, die sich keine neuen Autos leisten können? Fragen Sie doch mal Ihren Handwerker, der kommt, um Ihre Waschmaschine zu reparieren! Oder fragen Sie mal den Fernsehmechaniker, der bei Ihnen vor der Tür steht, ob er sich alle zwei Jahre ein neues Auto im Rahmen dieser großzügigen Umtauschaktionen leisten kann!
Niedersachsen ist das einzige Bundesland, in dem zwei Spitzenpolitiker im Aufsichtsrat eines Autobauers sitzen. Was für eine Chance wäre es gewesen, wenn man sie genutzt hätte! Was für ein Signal hätte von Niedersachsen an die Verbraucherinnen und Verbraucher ausgehen können, um das Vertrauen der Menschen in die Industrie und in die Politik wiederherzustellen? Die Chance haben Sie beide gemeinsam verspielt! „Stabilität und Fortschritt“ kann ich da nicht erkennen.