Protokoll der Sitzung vom 15.11.2018

Vielen Dank, Frau Kollegin Janssen-Kucz. - Ich rufe jetzt für die Fraktion der FDP die Abgeordnete Sylvia Bruns auf. Frau Bruns, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in vielen meiner Reden auch im Ausschuss immer wieder betont - das haben wir eigentlich alle parallel getan -, dass viele grundlegende Fragen der medizinischen Versorgung bearbeitet werden müssen. Da haben Sie uns immer an Ihrer Seite. Wie Meta Janssen-Kucz schon gesagt hat, haben wir viele Anträge auch gemeinsam auf den Weg gebracht.

Sie haben für die Einrichtung der Enquetekommission einen großen Fragenkatalog aufgestellt, in dem Sie grundsätzlich viele Bereiche dargestellt haben. Dazu gehört auch das uns bewegende Thema - es bewegt uns schon seit Jahren; ich bin zwar erst seit sechs Jahren hier dabei, das scheint aber schon länger zu bewegen - der ambulanten und stationären Versorgung, also der sektorenübergreifenden Versorgung. Das sind ganz dicke Bretter, die gebohrt werden müssen.

Zugegeben: Vieles davon ist im Bund geregelt. Das ist auch schon angesprochen worden. Wir stoßen immer wieder an Grenzen der landesrechtlichen Gesetzgebung. Es muss aber unsere Aufgabe sein, diese Themen für Niedersachsen zu bearbeiten. Die Niedersachsen können auch von uns erwarten, dass wir das tun.

Ich möchte an dieser Stelle gerne auf einige Punkte eingehen und mit den Medizinstudienplätzen beginnen. Dieses Thema hatten wir gerade erst im Zusammenhang mit der hausärztlichen Versorgung. Es muss auch dringend geklärt werden, wie wir da weiter vorgehen. Was ist mit Braunschweig und den anderen Studienorten?

Zur Delegation von ärztlichen Leistungen an Nichtärzte: Mir ist wieder aufgefallen, dass alle diese Projekte Frauennamen tragen: „MoNi“ und „VERAH“. Vielleicht reagiere ich im Moment ein bisschen übersensibel darauf. Aber das wundert mich schon. Unabhängig davon sind das beispielhaft erfolgreiche Modelle. Ich glaube aber, dass man da noch viel weiter gehen kann. Schließlich gibt es auch den pflegerischen Bereich. Das ist ja

gegen ganz große Widerstände durchgesetzt worden. Nachher haben aber alle Beteiligten gemerkt, dass man durchaus Erfolg damit haben kann und dass es die Arbeit erleichtert.

Zum Thema Krankenhaus: Hier würde ich gerne auf die Niederlande verweisen. Ich finde es ganz spannend, wie sie ihr Projekt neu aufstellen. Wir müssen dringend über unsere Krankenhausstruktur reden. Auch für die Patienten und die Patientensicherheit ist das wichtig. Dazu stellen sich auch die Fragen der Qualitätsanforderungen: Welche geforderten Mindestmengen gibt es für die Krankenhäuser? Welche Auswirkungen hat das in diesem Bereich?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass man den Menschen auch vielleicht unbequeme Wahrheiten sagen und erklären kann. Daran werden wir selbstverständlich mitarbeiten. Denn bis jetzt scheiterte dieses Thema ständig daran, dass man mit Krankenhäusern Wahlen gewinnt und Wahlen verliert. Deswegen finde ich es gut, dass jetzt konkret daran gearbeitet werden soll. Ich möchte aber auch konkrete Ergebnisse sehen, die dann zügig umgesetzt werden.

Als letztes Thema nenne ich die Notfallversorgung. Wie wir alle wissen, sind die Notaufnahmen der Krankenhäuser voll. Anfänglich habe ich mich immer mit der Frage beschäftigt, wie man dafür sorgen kann, dass die Menschen nicht mehr die Notaufnahmen aufsuchen, sondern tatsächlich unsere anderen Systeme nutzen. Vielleicht muss man aber ganz neue Wege gehen und einfach anerkennen, dass das die Versorgung ist, die sich der Mensch wünscht, und eventuell nicht über Portalpraxen gehen, sondern vorne Sortierungsmöglichkeiten schaffen, die Ambulanzen zusammenlegen usw. Ich glaube, dass es da ganz viele kreative neue Ideen gibt, die wir auch gemeinsam erarbeiten können. Ich bin gespannt. Ich möchte aber auch konkrete Ergebnisse sehen.

Das, was zum Bereich Pflege gesagt worden ist, habe ich mir auch notiert. Dazu hätte ich auch noch eine Rückfrage. Volker Meyer sagte: Parallel zu der Enquetekommission erarbeiten wir Vorschläge mit der Pflege. - Ich meine, wenn wir schon eine Enquetekommission haben, die so umfassend alles bearbeiten soll, dann können wir dort auch die Pflege mit hineinnehmen. Oder ist sie mit dabei, und parallel wird noch etwas gemacht? - Das hielte ich, ehrlich gesagt, für unsinnig.

Wir freuen uns tatsächlich auf die Beratungen und werden beobachten, ob wir auch konkrete Ergeb

nisse haben, die dann bitte auch umgesetzt werden sollten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der SPD)

Wir danken auch, Frau Bruns.

(Unruhe)

- Es müsste noch ein bisschen mehr Ruhe einkehren.

(Jens Nacke [CDU]: Noch mehr Ruhe geht doch fast nicht!)

Jetzt folgt für die Fraktion der AfD Kollege Stephan Bothe. Bitte!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kollegen! Wir als AfDFraktion begrüßen die Einrichtung dieser Enquetekommission ausdrücklich. Dennoch bin ich hier bei meinem Kollegen Herrn Meyer, der richtigerweise im Rundblick feststellte, dass das Land kein Erkenntnis-, sondern vielmehr ein dringendes Handlungsproblem hat.

(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Das war ich! Aber egal! - Jens Nacke [CDU]: Unser Herr Meyer!)

- Ich meinte natürlich den anderen Kollegen Meyer.

Statt Kommission um Kommission zu bilden, wäre es schön, daraus ein konkretes politisches Handeln zu entwickeln. Lassen Sie uns deshalb einen kurzen Blick auf die angedachten Schwerpunkte der Kommission werfen.

Der Fokus Ihres Antrags widmet sich fast ausschließlich der Ärzteversorgung als Problembereich. Das ist durchaus nachvollziehbar. Aus den gesundheitspolitischen Debatten der letzten Monate sollte uns dabei aber in Erinnerung geblieben sein, dass es primär nicht um den Ärztemangel, sondern um eine grundlegende Neustrukturierung des bestehenden Systems und eine Neuaufstellung der medizinischen Infrastruktur gehen sollte. Deshalb sagen wir: Lassen Sie uns nach Lösungen suchen! - Da bin ich bei meinen Vorrednern.

Ich möchte aber auch den Kritikpunkt meiner Vorredner aufgreifen. Es ist nicht verständlich, dass

die Pflege hierbei vernachlässigt wird. Ich glaube auch nicht, dass wir diese Themen getrennt voneinander betrachten und bearbeiten können. Der Pflegenotstand ist in vielen Teilen unseres Landes bereits Realität. Die Politik muss jetzt handeln. Kein Wort in Ihrem Antrag zur mangelnden Versorgung in den Alten- und Pflegeheimen! Kein Wort zur angespannten Personalsituation in den ambulanten Pflegediensten gerade im ländlichen Raum! Denn - und das wird immer wieder vergessen - zu einer guten medizinischen Versorgung für die Bevölkerung gehören die ambulanten Pflegedienste sowie die stationären Pflegeheime nun einmal dazu. Daher kann ich nur an Sie appellieren, dass wir dieses wichtige Element der Pflege mit in die Beratungen aufnehmen.

Werte Kollegen, ebenso muss darüber diskutiert werden, wie wir gemeinsam den Pflegenotstand meistern. Der Pflegenotstand und der Kollaps des Gesundheitssystems müssen verhindert werden. Auch das neue Pflegestärkungsgesetz ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Abhilfe ist damit noch lange nicht getan.

Die vertrackte Situation mit dem Pflegenotstand wird in einem Fall ganz konkret: Ohne eine ambulante Versorgung quellen die einzelnen Krankenhäuser förmlich über. Die Betten sind vollends belegt. Währenddessen fehlt an anderen Krankenhäusern, wie jüngst in der MHH, das Pflegepersonal, um überhaupt Patienten aufnehmen zu können. Die Folge in diesem Fall: leere Krankenhausbetten! - Diese zwei Fälle zeigen beispielsweise die mannigfaltigen Probleme rund um den Pflegenotstand in Niedersachsen.

Verehrte Kollegen, wenn wir diese Enquetekommission auf den Weg bringen, dann lassen Sie uns echte, nachhaltige Lösungen schaffen! Es nützt niemandem etwas, einen neuen Papiertiger ins Gefecht zu schicken, der außer schönen Worten nichts zustande bringt.

Deshalb sage ich: Lassen Sie uns über Parteigrenzen hinweg fachlich und sachlich diskutieren! Ohne Denkverbote, Parteienpopanz und vor allem ohne Lobbypolitik kommen wir hier am weitesten. Unser aller Ziel muss es sein, den Gesundheits-, Pflege- und Medizinstandort Niedersachsen sturmfest für die Herausforderungen der Zukunft zu machen. Ich freue mich auf diese Enquetekommission.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bothe. - Jetzt ist für die SPD-Fraktion Kollege Uwe Schwarz dran. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von uns beantragte Enquetekommission soll sich mit der Sicherstellung der ambulanten und stationären Versorgung beschäftigen. Dabei sollen auch die gegenwärtige Situation der Notfallversorgung und zukünftige Möglichkeiten durch die Digitalisierung mit einbezogen werden. Außerdem soll geprüft werden, ob und wie die Erreichbarkeit unserer medizinischen Einrichtungen vor allem in der Fläche gegeben ist. Es nützt nämlich relativ wenig - falls wir genügend Ärzte hätten -, wenn diese nicht mit dem ÖPNV erreichbar sind.

Als wir Sozialpolitiker von CDU und FDP über die Sinnhaftigkeit einer solchen Enquetekommission geredet haben, kam häufig die Frage: Was wollt ihr denn damit? Wir haben doch kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit. - Das stimmt. Aber die Frage ist: Haben wir auch die richtigen Lösungen? - Offensichtlich nicht; denn die Probleme werden dringender und größer.

Das lässt sich übrigens auch zunehmend an den Aktivitäten unseres Landtages ablesen. Gab es in der 16. Wahlperiode insgesamt 35 parlamentarische Initiativen, die sich mit der ärztlichen Versorgung oder Krankenhäusern beschäftigten, waren es in der vergangenen Legislaturperiode schon doppelt so viele, und aktuell wäre es hochgerechnet bis zum Ende der Legislaturperiode nahezu eine Verdreifachung. Die Hälfte davon beschäftigt sich übrigens mit der Situation einzelner Krankenhäuser vor Ort.

Wir alle, egal ob Opposition oder Regierungsfraktionen, werden mehr oder weniger regelmäßig von den Bürgerinnen und Bürgern gefragt: Wie geht es weiter, wenn der alte Hausarzt demnächst in Rente geht? Warum gibt es bei uns im Ort keinen HNO-, Augen-, Frauen- oder Kinderarzt mehr? Warum wurde die Geburtshilfestation geschlossen? Warum werden selbst kleine Operationen in unserem Krankenhaus nicht mehr durchgeführt? - Ich prophezeie Ihnen: Demnächst kommen bei dieser Fragestellung die fehlenden Praxen von Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden hinzu.

Wir können diese Fragen zwar in der Regel beantworten, aber beruhigen können wir die Menschen nicht. Eine Enquetekommission ist eine vom Parlament eingesetzte interfraktionelle Arbeitsgruppe, die umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe lösen soll, in denen unterschiedliche rechtliche, wirtschaftliche und soziale Aspekte abgewogen werden müssen - so die Begriffsbestimmung.

Der Niedersächsische Landtag ist mit dem Instrument von Enquetekommissionen in seiner bisherigen Geschichte ausgesprochen sparsam umgegangen. In dieser Parlamentsgeschichte gab es ganze vier Enquetekommissionen. Wo, meine Damen und Herren, wäre es sinnvoller, wenn nicht beim Thema der Gesundheitsvorsorge mit allen seinen Facetten, unterschiedlichen Zuständigkeiten und - ich füge ausdrücklich hinzu - auch nicht kleinen Fallstricken? Welche Rolle spielen eigentlich im drittteuersten Gesundheitswesen der Welt noch die Patientinnen und Patienten? Stehen sie tatsächlich noch im Vordergrund, oder geht es in unserem Gesundheitswesen nur noch um Ökonomisierung und Gewinnmaximierung?

Gerade im Krankenhaussektor, dem originären Zuständigkeitsbereich des Landes, haben sowohl der medizinische Fortschritt als auch ein zunehmend harter Wettbewerb zu erheblichen Strukturveränderungen geführt. Auf der einen Seite können heute sehr, sehr viele Operationen ambulant durchgeführt werden, die noch vor wenigen Jahren einen längeren Krankenhausaufenthalt erforderten; das ist ohne Frage gut für die Patienten. Auf der anderen Seite bedeutet das zwangsläufig, dass nicht mehr so viele Krankenhausbetten gebraucht werden.

Kleine, solitär geführte Krankenhäuser haben in Wirklichkeit keinerlei Chance gegen große Krankenhauskonzerne, die nach dem Aldi-Prinzip arbeiten. Kommunale und gemeinnützige Krankenhäuser haben zwar im Kern die gleichen gesetzlichen Vorgaben, aber sie haben deutlich längere Entscheidungswege und im Übrigen auch keinen Cashpool, der Defizite, wenn nötig, über Jahre ausgleicht. Über die Unterschiede in der Bezahlung und über die Personalausstattung will ich hier gar nicht reden.

Es bleibt festzustellen, dass wir zwar die Trägervielfalt bei unseren Krankenhäusern wollen, es aber schon längst keine fairen Wettbewerbsbedingungen zwischen privaten und freigemeinnützigen bzw. öffentlichen Krankenhäusern mehr gibt. Unter

dem Strich hat das zu Schließungen von Krankenhäusern und zu einer massiven Privatisierungswelle geführt. Das erleben wir alle vor Ort. Ich prophezeie Ihnen: Diese Entwicklung ist noch nicht zu Ende.

Ein Arzt am Krankenhaus ist für viele Menschen ein Sicherheitsaspekt. Wie die medizinische Versorgung aussieht, spielt teilweise auch bei der Frage eine Rolle, wo man sich niederlässt.

Wenn sich Krankenhausstrukturen verändern, müssen wir über wohnortnahe Alternativen nachdenken. Wenn der Arztberuf immer weiblicher wird und wenn immer weniger Ärzte als Freiberufler, sondern vielmehr in Praxisgemeinschaften oder als Angestellte arbeiten wollen, dann müssen wir auch hier über Alternativen nachdenken. Da gibt es z. B. den Orthopäden, der sich vor Ort nicht mehr niederlassen will, der aber am gleichen Ort in der Rehaklinik vorhanden ist und der nicht an der ambulanten medizinischen Versorgung teilnehmen darf. Ich halte das für einen Treppenwitz, meine Damen und Herren.

Die strikte Trennung zwischen „ambulant“ und „stationär“ und im Übrigen auch das Standesdenken und - Entschuldigung, wenn ich das hinzufüge - auch der Standesdünkel müssen in einigen Bereichen endlich überwunden werden. Das wird uns nicht nur Freude bereiten.

Ich will, weil es hier dreimal angesprochen wurde, ausdrücklich sagen: Natürlich spielt das Thema Pflege dabei auch eine Rolle. Das Thema spielt schon im Krankenhaus eine Rolle. Das spielt schon bei der Frage von Substitution und Delegationsprinzip eine Rolle. Aber - da hat der Kollege Meyer recht -: Wir haben uns mit dem Thema Pflege sehr, sehr häufig sehr intensiv - übrigens meistens unter der Überschrift „Altenpflege“ - beschäftigt. Wir können die Themenstellung einer solchen Enquete unendlich ausweiten. Das ist im Gesundheitswesen überhaupt kein Problem. Wir können dann anderthalb Legislaturperioden tagen. Aber genau das wollen wir nicht. Wir wollen uns auf den Kernbereich der medizinischen Versorgung - auch unter Einbezug der Pflege - beschränken, weil es da überall lichterloh brennt, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Volker Meyer [CDU])

Im Vordergrund dieser zeitlich eng begrenzten Enquete darf im Übrigen nicht das übliche Gejammere über die schwierige Situation und die fehlenden Zuständigkeiten stehen. Wir müssen und wol

len in dieser Enquete ganzheitlich denken, die Spielräume des Landes ausreizen und neue Lösungsansätze erarbeiten.