Protokoll der Sitzung vom 10.12.2018

Manchmal ist der Tenor: Früher war alles besser; in den 50er-, 60er-Jahren waren die Rechtschreib- und Lesekompetenzen viel besser ausgeprägt. - Man erwischt sich auch manchmal selber dabei, dass man denkt: Früher hatten wir noch keine Handys, keine Smartphones; da gab es die Digitalisierung noch nicht. Damals waren noch ganze Sätze erforderlich, wenn man z. B. einer Mitschülerin oder einem Mitschüler seine Zuneigung in Form eines Liebesbriefs mitteilen wollte. Da musste man noch ganze Sätze schreiben, um zum Erfolg zu kommen. Heute reichen ein paar Emojis oder Abkürzungen bei WhatsApp - da kann man schon etwas neidisch drauf gucken.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU - Jens Nacke [CDU]: Das stimmt nicht! „Willst du mit mir gehen? Ja, Nein, Vielleicht?“ Das waren keine ganzen Sätze!)

- Na ja, wenn „Willst du mit mir gehen?“ falsch geschrieben war, hat das die Erfolgsaussichten deutlich gemindert, möchte ich mal sagen.

(Heiterkeit)

Und Abkürzungen dafür sind mir damals nicht eingefallen.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, um wieder ernst zu werden: In manchen dieser Artikel, die ich gerade angesprochen habe, wird die einzige Ursache für die schwindende Lese- und Rechtschreibkompetenz in der Methode „Lesen durch Schreiben“ oder auch „Schreiben nach Gehör“ gesehen. Herr Kollege Försterling hat das gerade angesprochen.

Der Hauptkritikpunkt ist, dass die Kinder zunächst einmal schreiben dürfen, wie sie wollen, und sich dadurch falsches Schreiben bzw. Fehler beim Schreiben verfestigen. Ich glaube, es greift zu kurz, eine Methode als einzige Ursache des Problems zu sehen. Denn diese Methode war ursprünglich keine Rechtschreibmethode, sondern eine Lesemethode. Und gutes Lesen ist die Grundvoraussetzung für richtiges und gutes Schreiben.

Die Entwicklung der Lesefähigkeit ist natürlich ohnehin von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Und man muss ganz klar sagen, dass hierbei nicht nur unsere Schulen eine Rolle spielen sollten - die natürlich auch -, sondern vor allem auch das Elternhaus. Als Vater einer neunjährigen Tochter, die in die dritte Klasse geht, kann ich allen niedersächsischen Eltern nur sagen: Lesen Sie mit Ihren Kindern! Lesen Sie Ihren Kindern etwas vor! Lassen Sie Ihre Kinder lesen, und lassen Sie sich vor allem auch etwas von Ihren Kindern vorlesen! Das fördert die Wertschätzung, und das fördert das Leseverständnis.

Es ist aber klar, dass wir die Verantwortung für gutes Lese- und Rechtschreibverständnis nicht allein bei den Elternhäusern abladen dürfen. Hier sind unsere Schulen gefragt. Klar ist: Guter Rechtschreibunterricht muss gut ausgestattet sein. Und Rechtschreibenlernen ist ein Prozess, der über die Grundschule hinausgeht.

Wir begrüßen deshalb die Einführung des Programms „Lesen macht stark“ genauso wie die Durchführung von Schülerwettbewerben, die mit Spaß und Leistungsgedanken das Lese- und Rechtschreibverständnis auf spielerische Art und Weise fördern. Und wir begrüßen die Erarbeitung und Bereitstellung von Konzepten und Materialien wie den neuen Materialband „Orthografie - Materialien für einen kompetenzorientierten Unterricht im Sekundarbereich I“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend festhalten: Gute Rechtschreibung und gutes Leseverständnis sind nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Man lernt sie aber nicht einfach im Vorbeigehen. Dazu brau

chen Kinder guten Unterricht sowie Zeit für Übung und Verfestigung. Wenn allgemein ein Verfall der Rechtschreibkenntnisse beklagt wird, dann dürfen wir nicht einseitig Lehrkräfte oder einzelne Lehrmethoden dafür verantwortlich machen.

(Zustimmung bei der SPD)

Gerade die Grundschullehrkräfte müssen heute erheblich mehr Themen vermitteln, als es noch vor 40 oder 50 Jahren der Fall war. Ich erinnere daran, dass heute Englisch Bestandteil der Lehrpläne in Grundschulen ist. Soziales Lernen, sogar Informatik im Bereich Digitalisierung, kulturelles Lernen usw. - all das ist dazugekommen, und all das lässt den Grundschulalltag heute ganz anders aussehen, als es noch in den 50er-, 60er- und 70erJahren der Fall war. Das sei insbesondere denen gesagt, meine sehr verehrten Damen und Herren, die immer mehr Lerninhalte implementieren und immer neue Bildungsstandards definieren wollen. Sie sollten sich bewusst sein, dass sich ein Schulalltag nun einmal nicht beliebig erweitern lässt.

(Zuruf von der SPD: So ist das!)

Eines ist, wie schon gesagt, ganz wichtig: Kinder brauchen Übung und Verfestigung. Sie brauchen Zeit und eine gute Atmosphäre zum Lernen sowie einen ganzen Mix an Methoden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank. - Nun hat Frau Kollegin Hamburg, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Ich darf um Ihre Aufmerksamkeit bitten.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Försterling, hätten Sie die Kurve früher gekriegt und sich das Eingangsgeplänkel gespart, wir wären hier einer Meinung gewesen; denn die IQBStudie lehrt meiner Meinung nach vor allen Dingen eines: Die Schulen müssen stärker entlastet und unterstützt werden. - Die Analyse der Kultusministerkonferenz zu der Frage, was die Ursachen für dieses Ergebnis der IQB-Studie sind, brachte vor allen Dingen zwei Antworten, die sich auf die heterogene Zusammensetzung der Schülerschaft fokussierten. Sowohl durch die Inklusion als auch durch den erhöhten Sprachförderbedarf vieler Kinder, die an die Schule kommen, sind einfach die

Herausforderungen in den Schulklassen gestiegen. Dem muss die Politik begegnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das sind dann für Politikerinnen und Politiker nicht immer die einfachsten Antworten, gehen sie doch mit dem Bedarf einher, umfangreiche Ressourcen bereitzustellen. Aber das wären die Antworten, die das Problem tatsächlich an seiner Wurzel anpacken und deswegen diesen Trend beenden könnten. Hier reden wir über eine Stärkung der Grundschulen und vor allen Dingen über eine Entlastung der Lehrkräfte an Grundschulen, damit sie die Klassen überhaupt fördern können, individuelle Förderungen vorbereiten können, Elterngespräche führen können. All diese Fragen! Und welche Antwort gibt unser Kultusminister? - Er sagt schon heute, dass er nicht vorhat, Grundschullehrkräfte um eine Stunde zu entlasten und die Unterrichtsverpflichtung zu senken. Das wäre eine gute Maßnahme, um hier deutlich voranzukommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber auch darüber hinaus braucht es an Schulen mehr Zeit für Schulentwicklung, für die Entwicklung von mehr Qualität im Unterricht, für Teamarbeit. All diese Themen würden Schulen voranbringen und einen deutlichen Trend dagegen setzen. Aber auch die Inklusion in Niedersachsen braucht eine deutliche Richtung; denn solange wir nicht wissen, wohin die Inklusion steuert, solange die Schulen nicht wissen, mit welchen Rahmenbedingungen sie hier arbeiten, sind sie auch nicht in der Lage, Schülerinnen und Schüler vernünftig zu fördern. Eine gut ausgestattete inklusive Schule würde den Trend dieser IQB-Studie durchbrechen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nicht zuletzt würden ein gutes Ganztagsangebot, aber auch der konsequente Aufbau multiprofessioneller Teams die Schulen deutlich entlasten und eine Kehrtwende herbeiführen.

Aber was machen wir hier und heute? - Wir führen vorrangig eine Scheindebatte. Wir diskutieren über das von Ihnen so genannte Schreiben nach Gehör, was eigentlich „Lesen durch Schreiben“ bedeutet. „Lesen durch Schreiben“ sagt schon eines aus: Es geht nämlich gar nicht um Orthografie. Es geht um einen Leseerwerb. Es geht darum, dass Schülerinnen und Schüler leichter Lesen lernen, wenn sie auch anfangen, Wörter zu schreiben, und ein Empfinden dafür aufbauen. Außerdem gibt es Studien, die belegen, dass hierdurch auch die Freude am

Verfassen von Texten sowie die Eigenwahrnehmung der Sprache deutlich gesteigert wurden und die Schülerinnen und Schüler hierdurch massiv an Kompetenzen gewonnen haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Hier also so zu tun, als habe die Abschaffung dieser Methode irgendetwas damit zu tun, dass die Orthografie an Schulen irgendwie besser wird, ist wirklich eine Geisterdebatte! Anders kann ich es nicht nennen.

(Zustimmung von Frauke Heiligen- stadt [SPD])

Kein Kind wird besser schreiben, nur weil man diese Methode abschafft, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich kann Sie ja wirklich verstehen. Ich verstehe, warum Sie lieber nach einer Methode schreien und versuchen, populäre Maßnahmen umzusetzen. Ich bitte Sie aber: Widerstehen Sie diesem Populismus, und lassen Sie den Schulen hierbei ihre Autonomie und ihre eigene Entscheidung, was für die Kinder am besten ist! Unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker ist, die Probleme zu lösen, Ressourcen zur Verfügung zu stellen sowie gut ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen und auf den Markt zu bringen und diese dann in Eigenverantwortung ihre Arbeit machen zu lassen und sie nicht mit Einzelmaßnahmen und Methoden zu bevormunden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hamburg. - Nun hat das Wort für die AfD-Fraktion Herr Rykena.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Jahren hört und liest man Klagen, dass die Leseleistungen der Schüler in Deutschland immer schlechter werden. Insbesondere nach dem PISA-Schock wurde lang und breit darüber diskutiert. Immer wieder machte man die Gründe dafür am gegliederten Schulsystem fest und empfahl längeres gemeinsames Lernen.

Aber wo werden diese Fertigkeiten eigentlich gelehrt? - Antwort: An der Grundschule! - Also reden wir über die Grundschule! Früher sollten hier die Grundlagen für alles weitere Lernen in der Schule und für das tägliche Leben gelegt werden. Umgangssprachlich ausgedrückt, waren das Lesen, Schreiben und Rechnen. Aber das war früher, bevor umfangreiche Reformen durchgeführt worden waren, die alles besser machen sollten. Viele Aufgaben kamen hinzu: gesunde Ernährung, Demokratieerziehung, Inklusion, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Gesundheits- und Bewegungserziehung und -förderung, interkulturelle Bildung, Medienerziehung, Englisch

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

und ganz allgemein: Ersatz der Erziehung, die eigentlich zu Hause erfolgen müsste.

All das sollen die Kinder jetzt gemeinsam und vor allem voneinander erlernen. So können wir festhalten: Die Grundschule ist eine Gemeinschaftsschule, und sie versagt bei ihren Kernaufgaben. So berichtet der NDR über die Übergabe der Petition zur Leseförderung. Diese bezieht sich ausdrücklich auf die IGLU-Studie von 2017, nach der knapp 20 % aller Viertklässler nicht so lesen können, dass sie den Inhalt verstehen.

Schuld daran sind keinesfalls die Lehrer. Schuld sind die Umstände, unter denen Kinder heute aufwachsen. Schuld ist auch der hohe Anteil an Migranten, auch wenn das von allen Seiten immer wieder empört zurückgewiesen wird. Und schuld sind die Vorschriften, die Kerncurricula. Denn auch an den Grundschulen wurde eines durchgesetzt: Kompetenzen statt Wissen.

Doch bevor man lesen kann, bevor man etwas schreiben kann, muss man wissen, wie die einzelnen Buchstaben klingen. Man muss wissen, wie sie sich zu Silben zusammenfügen. Und man muss auch die Fähigkeit erworben haben, dieser Aneinanderreihung von Wörtern einen Inhalt zu entnehmen. All das muss man trainieren, nämlich durch Üben und durch Wiederholung. Doch das ist heute nicht mehr gefragt. Alles soll projektorientiert und fächerübergreifend im schülerorientierten, binnendifferenzierten und sprachsensiblen Unterricht vermittelt werden, und zwar zu einem großen Teil von den Kindern selbst, die sich gegenseitig in einem offenen Unterricht unterstützen. Das alles hört sich toll an. In der Praxis scheitert es aber immer wieder und immer mehr, wie man den zunehmenden Schreckensmeldungen über funktio

nale Analphabeten entnehmen kann, die unsere Grundschulen verlassen.

Wie aber kann das sein? Wir investieren doch jedes Jahr mehr Geld in unsere Schulen! Alle Parteien sind sich einig, dass Bildung das wichtigste Gut ist, das wir in Deutschland haben. Immer mehr Personengruppen werden herangezogen, und immer mehr Hilfsangebote werden gemacht und auch bezahlt. Und trotzdem werden die gemessenen Leistungen immer schlechter. In den Zeitungen liest man davon. Die Opposition beklagt dies - zumindest wir. Eltern bemerken, dass die Kinder weniger können als sie selbst früher im gleichen Alter. Aber an den Regierungsparteien - den aktuellen wie denen der vorhergehenden Legislaturperioden - prallt das ab. Man hat ja so viel für die Schulen getan!

Mich erinnert das an die DDR: Planwirtschaft! - Der Vorwurf, die Kinder könnten immer weniger, wird so gekontert: Das kann doch gar nicht sein! Sie können doch sogar mehr; denn das steht doch in den Kerncurricula. - Aber wir wissen ja: Papier ist geduldig, das wirkliche Leben leider weniger.

Es bleibt die Frage, warum die FDP das Thema in die Aktuelle Stunde einbringt. Nur, weil es jetzt gerade diesen Bericht des NDR gab? Denn neu ist das Thema ja nun nicht, im Gegenteil! Die bedenkliche Entwicklung gibt es bereits seit vielen Jahren. Trotzdem ist es schön, dass wir darüber mal wieder geredet haben. Vielleicht können wir demnächst - von der SPD habe ich gerade schon Ansätze dazu gehört - mal wieder - oder endlich! - darüber reden, wie wir die Grundschule entlasten und sie wieder auf ihre Kernaufgaben zurückführen, nämlich auf die verlässliche Vermittlung der Grundlagen, und das sind nun einmal Lesen, Schreiben und Rechnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)