Die EU riskiert nach aktuellem Stand mit dem Abkommen europäische Umwelt- und Sozialstandards und ermöglicht de facto Rosinenpickerei seitens Großbritanniens. Die EU muss, wenn es zu weiteren Verhandlungen kommt, klare rote Linien - nein, am besten grüne Linien - definieren, um die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Unternehmen zu schützen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss meiner Rede. Ich rufe Sie alle in diesem Hause auf, sich für Europa und für Niedersachsen einzusetzen und weiterhin demokratisch für Europa zu kämpfen. Es lohnt sich.
Herzlichen Dank, Herr Pancescu. - Wir kommen jetzt zu dem Beitrag für die FDP. Das Wort hat der Kollege Jan-Christoph Oetjen.
Frau Präsidentin! Ladies and gentlemen! It’s a mess. Es ist ein großes Chaos, das in Großbritannien entstanden ist. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Chaos ist darauf zurückzuführen, dass verantwortungslose Politiker ihr Volk mit Populismus und Fake News an der Nase herumgeführt und es dazu gebracht haben, einem Brexit zuzustimmen, dessen Folgen unabsehbar sind - eine Versündigung insbesondere an der jungen Generation in Großbritannien. Das muss man an dieser Stelle einmal sagen.
Sehr geehrter Herr Kollege Wirtz, dass die europäischen Institutionen klar sagen, dass es keine Nachverhandlungen über den Backstop geben darf, dass die Institutionen an dieser Stelle im Sinne der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union handeln und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, insbesondere der Iren, verteidigen, das erfüllt mich mit Freude und auch Stolz. Michel Barnier für die Kommission und Guy Verhofstadt für das Parlament haben hier wirklich gute Arbeit gemacht. Das möchte ich an dieser Stelle unterstreichen.
Dabei geht es nicht darum, dass die Europäische Union einen Fuß in der Tür behält, so wie Sie das gerade hier gesagt haben. Vielmehr geht es darum, dass das historische Karfreitagsabkommen, das jahrzehntelanges Blutvergießen auf der irischen Insel und in Großbritannien beendet hat, nicht beschädigt werden darf. Das sind wir den Menschen schuldig. Die Europäische Union hat an dieser Stelle eine historische Verantwortung: Das Karfreitagsabkommen darf nicht beschädigt werden. Das ist sehr wichtig.
Der Kollege Siemer hat hier gerade gesagt: Die Landesregierung ist super vorbereitet. - Das klang so ähnlich wie beim Kollegen Pantazis in der Aktuellen Stunde vor einiger Zeit, die wir angemeldet hatten.
Wenn man sich allerdings die Fragen, die wir gestellt haben, und die Antworten, die die Landesregierung darauf gegeben hat, anschaut, muss man klar sagen: Wenn die Briten die Europäische Union mit „no deal“ verlassen, dann sind für die Agrar- und Ernährungswirtschaft, für die Logistikwirtschaft, für die Forschungseinrichtungen, für die Studierenden in Niedersachsen viele Fragen offen, auf die auch diese Landesregierung keine konkreten Antworten geben kann.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf den Brexit kann man gar nicht ordentlich präpariert sein. Das gilt auch für diese Landesregierung. Es geht an dieser Stelle nur darum, das Schlimmste zu verhindern. Das muss man ganz klar sagen.
Wenn man sich allerdings die Internetseite des zuständigen Ministeriums anguckt, dann sieht man, dass die Informationen zum Brexit auf dem Stand vom 1. Dezember sind. Liebe Frau Ministerin, seit dem 1. Dezember ist eine Menge passiert. Ich finde, Sie sind es - insbesondere in einem neuen Ministerium mit vielen zusätzlichen Mitarbeitern - den Menschen in Niedersachsen schuldig, dass Sie dort aktuelle Informationen liefern, dass Sie Ansprechpartner für diejenigen nennen, die vom Brexit betroffen sind.
Diese Landesregierung hat keine Kommunikationsstrategie, mit der sie die Institutionen, die Unternehmen in Niedersachsen ordentlich auf den Brexit vorbereiten könnte.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wissen nicht, welche Auswirkungen der Brexit am Ende haben wird. Ich kann nur für die junge Generation in Großbritannien und in Europa insgesamt hoffen, dass die zuständigen Politiker in Großbritannien zur Räson kommen, dass sie sehen, was sie mit einem Austritt des Vereinigten Königreichs ohne Abkommen anrichten würden.
Am Ende wird es im Unterhaus wahrscheinlich keine Mehrheit für den May-Deal geben. Aber es wird auch keine Mehrheit für „no deal“ geben. Ich hoffe, dass die Bevölkerung in Großbritannien noch einmal gefragt wird. Die Bevölkerung sollte ihr eigenes Votum korrigieren. Die Bevölkerung sollte ihren Politikern sagen: Ihr habt uns an der Nase herumgeführt. Es ist nicht so gekommen, wie ihr es uns versprochen habt. Es kann nicht so kommen, wie ihr es versprochen habt. Wir wollen noch einmal das Wort haben. - Deswegen ist es gut, dass Tausende und Zehntausende von Menschen in Großbritannien auf die Straße gehen, um für ein zweites „people’s vote“ zu kämpfen und zu werben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal danke ich der Frau Ministerin für die Berichterstattung, für die Beantwortung unserer Fragen. Ich gebe unumwunden zu, dass wir uns vor Einbringung der Anfrage eine eindeutige Entwicklung im Vereinigten Königreich vorgestellt haben.
Man hat sich hier beschwert: harte Fragen, weiche Fragen. Eine Fraktion hat gar keine Fragen gestellt. Das muss sie auch nicht. Denn wenn man Meinungen nicht durch Fakten ersetzen möchte, dann braucht man keine Fragen zu stellen.
Vor drei Tagen wurde der Gesetzentwurf für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der EU eingebracht. Die Situation im Vereinigten Königreich hat sich seit Montag nicht signifikant verändert, obwohl wir das erwartet hatten.
Die Diskussion in London wirkt auf uns spannend, aber auch chaotisch. Das Chaos - der Kollege hat es eben angesprochen - haben Populisten mit Lügen - „Fake News“ heißt es ja - und einer dubiosen Finanzierung verursacht. Diese Populisten haben sich, als sie den Schaden angerichtet hatten, aus dem Staub gemacht und die britische Regierung letztlich alleingelassen.
Es wundert mich nicht, wenn jetzt einige hier versuchen, sich auf diese Ebene herabzubegeben, genau das Gleiche in Deutschland anzurichten und letztlich die Demokratie zu gefährden, was gerade auch im Vereinigten Königreich geschieht. Die AfD hat gerade versucht, sich auf diese Stufe zu stellen. Ich befürchte nur, dass sich einige britische Populisten beleidigt fühlen könnten.
Dieses Chaos führt jetzt gerade dazu, dass Frau May mehr mit ihren eigenen Leuten diskutieren und sich mehr mit ihrem eigenen Land beschäftigen muss, als in Brüssel mit den EU-Partnern vernünftig über den Ausstieg zu verhandeln. Ihre Bemühungen, das Karfreitagsabkommen und letztlich den Frieden zu wahren, sind in höchstem Maße zu loben.
Wenn ich jetzt das Vorgehen unserer Landesregierung sehe, so kann ich tatsächlich sagen: Hier herrschen geordnete Verhältnisse, hier ist man darauf vorbereitet. Das Thema der Bürgerrechte - die Situation der britischen Staatsbürger, sie nicht in Ungewissheit zu lassen - wurde angesprochen, ebenso der Bereich der Wirtschaft. Es gibt klare Vorstellungen, wie wir mit dem Vereinigten Königreich, unserem drittwichtigsten Exportland, umgehen. Wir sind auch in den Fragen der inneren Sicherheit und auf dem Gebiet der Zusammenarbeit
der Justiz klar positioniert. Die Sozialversicherung wurde ebenfalls angesprochen. Ich denke, dass man darüber, zumindest beim geregelten Brexit, sehr klare Vorstellungen hat. Das ist auch gut so.
Wir haben heute erkannt - das ist vielleicht auch der Sinn der Fragestunde gewesen -, dass sehr strukturiert vorgegangen wird und dass sich durch den Brexit eines bestätigt: Das Ministerium für Europaangelegenheiten und seine Ministerin sind sehr gut aufgestellt. Es hat sich bewährt, hier eine Europaministerin zu installieren.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Oetjen, ich möchte Sie direkt ansprechen. Sie haben mit dem, was Sie gesagt haben, in Teilen recht gehabt und in Teilen, wie ich finde, nicht völlig recht gehabt. Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen, wir sind bestmöglich vorbereitet. Man kann auf einen solchen Fall nicht zu 110 % vorbereitet sein. Ich glaube, hierüber sind wir der gleichen Auffassung.
Sowohl die EU als auch der Bund und die Länder haben ein umfangreiches Screening durchgeführt. Wir haben versucht, alle Eventualitäten zu beleuchten. Ich denke, insofern haben wir alles getan - und tun es noch -, was notwendig ist, was wir tun können. Aber der ungeregelte Brexit stellt uns alle vor Herausforderungen, und wir können vor Überraschungen nicht sicher sein. Das muss man so deutlich sagen.
Wir haben also getan, was wir tun können. Dazu gehört eben auch, dass wir seit Monaten durch das Land fahren, dass wir in allen Regionen Niedersachsens - übrigens zusammen mit der IHK - Informationsveranstaltungen anbieten. Die Ämter für regionale Landesentwicklung machen das. Wir führen viele Einzelgespräche. Wir haben einen runden Tisch mit den betroffenen gesellschaftlichen Kräften eingerichtet. Wir haben einen runden
Tisch mit den Ressorts. Wir sind sowohl in Berlin als auch in Brüssel unterwegs. Ich hatte gerade kürzlich mit den großen Unternehmen, die in Brüssel ansässig sind und in Niedersachsen ihren Hauptsitz haben, ein Gespräch zum Brexit. Wir sind also umfangreich unterwegs.
Zu Ihrer Bemerkung, wir seien im Internet nicht up to date: Man darf nicht nur bei den Pressemitteilungen schauen. Wir haben eine eigene Rubrik zu den Folgen des Brexits. Ich habe eben hineingeschaut. Sie ist sehr aktuell. Auch Meldungen von gestern sind dort zu finden. Wir sind also sehr aktuell unterwegs und sind dafür übrigens auch schon von Bürgerinnen und Bürgern sehr gelobt worden. - Mir geht es gar nicht um das Lob. Das will ich sagen. Mir geht es darum, dass wir wirklich das tun, was wir als Landesregierung tun können, um umfangreich zu informieren, und die Fragen, die wir beantworten können, auch beantworten.
Ein Letztes zur AfD. Ich habe überlegt, ob ich überhaupt noch etwas zu ihr sage, aber ich tue es jetzt. Die Folgen für die britischen Bürger und Bürgerinnen sind noch gar nicht absehbar. Ich will nur auf einen Punkt hinweisen: Sie erinnern sich an dieses furchtbare Symbol, an diesen Bus, der durch die Gegend gefahren ist: 350 Millionen Pfund zahlen wir jede Woche an die EU,
und dieses Geld wollen wir lieber für das Gesundheitssystem nehmen. - Was ist die Wahrheit? Erstens stimmt der Betrag nicht. Es ist weniger als die Hälfte. Aber zweitens und vor allen Dingen ist seit dem Brexit-Referendum die Zahl der Krankenschwestern aus der Europäischen Union um 90 % gefallen, und das bei einer Versorgungslücke - insgesamt sind 40 000 Stellen unbesetzt -, und ein Fünftel der Ärzte aus europäischen Mitgliedstaaten plant, das Vereinigte Königreich zu verlassen. Wie das für die britischen Bürger und Bürgerinnen werden soll, muss die britische Regierung erklären.
Mit diesem kleinen Beispiel will ich sagen: Die Konsequenzen für das britische Volk sind ungleich schlimmer als für uns, und für uns sind sie schon schlimm genug.