Protokoll der Sitzung vom 27.03.2019

entscheiden. Ich bin froh, dass dieser Grundsatz in Niedersachsen schon zu den Wahlen am 26. Mai Wirklichkeit wird.

(Beifall bei der FDP sowie Zustim- mung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Wir sind uns hier im Hause alle einig darüber: Dass diese pauschalen Wahlrechtsausschlüsse abgeschafft werden, ist ein gutes Signal. Ich möchte mich bei allen Fraktionen sehr herzlich bedanken, dass sie das schnelle Verfahren, das jetzt umgesetzt wurde, mitgetragen haben.

Erstaunt bin ich ein wenig darüber, dass die Kolleginnen und Kollegen der CDU und der SPD sagen, die Große Koalition habe das auf den Weg gebracht. Wenn ich die Pressemitteilungen der Häuser lese, dann lese ich kein bisschen von eigenem Hinterfragen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eines ist doch klar: Wir könnten das heute nicht beschließen, wenn die Fraktion der Grünen nicht einen Gesetzentwurf im Verfahren gehabt hätte. Deswegen geht an dieser Stelle mein Dank dafür, dass sie das auf den Weg gebracht hat, an die Fraktion der Grünen.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und bei den GRÜNEN - Belit Onay [GRÜ- NE]: Danke, Jan-Christoph!)

Die Zeitspanne war sehr kurz. Am 21. Februar hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt. Ich bin froh, dass wir es hier nicht so machen wie im Bund, wo man die Fristen verpasst. In Niedersachsen ist der 14. April der Stichtag für die angesprochenen Wahlen am 26. Mai. Insofern war ein anderer Weg gar nicht möglich, aber es ist auch gut, dass er jetzt so gegangen wird. Ich habe - das sage ich ganz deutlich - überhaupt kein Verständnis dafür, dass das im Bund anders gemacht wird.

Die Landeswahlleiterin hat bei den Beratungen im Ausschuss betont, wir müssten uns beeilen; denn wir hätten einen verfassungsgerichtlichen Auftrag. Insofern ist das Erreichte gut. Wir als Freie Demokraten begrüßen es.

An die Adresse der Kollegen von der CDU muss ich aber leider daran erinnern, dass Frau Kollegin Pieper in der ersten Debatte hier im Plenum gesagt hat, man müsse die Bedenken zumindest mit in die Debatte einfließen lassen. Sie vermittelte einen Eindruck nach dem Motto: Halb zog es sie, halb sanken sie hin. Aber am Ende ist es egal. Die pauschalen Wahlrechtsausschlüsse werden jetzt abgeschafft. Der Richter wird in einer Einzelent

scheidung mitentscheiden. Insofern ist dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Rechnung getragen.

Uns Freie Demokraten freut es, dass Menschen mit Behinderung jetzt mitmachen und mitentscheiden können.

(Lebhafter Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn der Hinweis stimmt, den ich bekommen habe, hat sich Frau Kollegin Pieper noch während Ihrer Redezeit zu einer Zwischenfrage gemeldet. Herr Kollege Oetjen?

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Tut mir leid! Nein!)

- Er will nicht. Wir hätten gewollt.

Es folgt jetzt für die AfD-Fraktion Herr Kollege Christopher Emden. Bitte sehr!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann mich noch lebhaft an die erste Lesung des Gesetzentwurfs erinnern. Es war im Dezember 2017. Ich muss sagen, gewisse Parallelen zu den damaligen Ereignissen, die mich doch ein wenig verstört hatten, sehe ich in der heutigen Debatte durchaus,

(Zuruf von der SPD: Ich auch! - Anja Piel [GRÜNE]: Sie haben die Chance, heute damit zu brechen!)

musste ich doch feststellen, dass es bei sehr vielen in diesem Hause schlicht an der Kenntnis darüber mangelt, worüber wir eigentlich sprechen.

(Ulrich Watermann [SPD] lacht - Zuruf von Belit Onay [GRÜNE])

Dass Sie damals jemanden, der Ihnen weiterhelfen und es, so wie ich aus eigener Erfahrung als Betreuungsrichter, ein bisschen erklären könnte, niedergebuht und ihm empört zugerufen haben, ist ein bedauerlicher Umstand. Bisher ist es noch ruhig. Ich hoffe, Sie hören mir jetzt genauer zu; denn es ist einmal mehr die Aufgabe der AfD, ideologischer Verblendung mit Sachverstand und Sachkenntnis zu begegnen. Genau das möchte ich hier tun.

(Beifall bei der AfD - Ulrich Water- mann [SPD] lacht - Helge Limburg [GRÜNE]: Sagen Sie das mal Ihrer eigenen Partei! Da haben Sie genug zu tun!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gehe mit dem Verfassungsgericht konform: So wie der Wahlrechtsausschluss bisher war, ist er falsch. Das ist gar keine Frage. Denn - das klang vorhin schon einmal an - es gibt den Erforderlichkeitsgrundsatz. Er bedeutet, dass nur dann ein Betreuer bestellt wird, wenn nicht im Verwandtschaftsbereich jemand bereit ist, die Betreuung eines Betroffenen zu übernehmen. Nur dann stellt sich die Frage, ob eine Vollbetreuung eingerichtet wird, und nur dann läuft dieser Prüfungsmechanismus ab, bei dem das Gesundheitsamt beteiligt wird, die Betreuungsstelle beteiligt wird, der Betreuungsrichter eine Anhörung durchführen muss und erst danach der Beschluss ergeht, ob jemand eine Vollbetreuung braucht.

Dies geschieht in den seltensten Fällen. Es passiert eben nicht, wenn man ein Mensch mit einer Behinderung ist. Das wird hier immer gleichgesetzt. So klingt es im Antrag der Grünen, und so haben wir es auch in mehreren Reden hier gehört. Aber das ist völlig falsch. Das betrifft Ausnahmefälle. Jeder Betreuungsrichter macht sich das nicht leicht, und es gibt den eben skizzierten Mechanismus, und es wird eben nicht gerade einmal so am Schreibtisch über eine Vollbetreuung entschieden. Viele Stufen sind vorgeschaltet, und in eine Vollbetreuung kommt nur jemand, der wirklich nicht mehr in der Lage ist, seinen eigenen Willen zu bilden und seine eigenen Geschäfte zu führen. Ansonsten - daran ist man gehalten - gibt es eine Betreuung nur für bestimmte Angelegenheiten.

Wer ist also derjenige, der eine Vollbetreuung bekommt? Das ist jemand, der z. B. nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu bewegen, der nicht mehr in der Lage ist, einen Gedanken zu fassen, geschweige denn an einer Wahl teilnehmen zu wollen, überhaupt noch zu wissen, was das ist.

Ich frage Sie: Wenn Personen, die einer solchen Einschränkung unterliegen, jetzt an der Wahl teilnehmen dürfen, wer wählt denn dann? Wie wollen Sie denn dann die Grundsätze der Demokratie, dass wir eine freie und eine geheime Wahl haben, sicherstellen? Das ist in der Praxis nicht möglich. Da kann es auch keinen Wahlassistenten geben; denn wir müssten einer Person die Hand führen, die gar nicht mehr äußern kann, für welche Partei sie ihre Stimme abgeben will. Wie soll das in der Praxis gehen? Es funktioniert nicht!

(Beifall bei der AfD - Zuruf von Sebas- tian Lechner [CDU])

Der bisherige Wahlrechtsausschluss ist gleichheitswidrig. Das ist völlig richtig, das sehe ich genauso. Aber ihn einfach aufzuheben und zu sagen, damit sei alles gut, funktioniert auch nicht. Das ist genauso verfassungswidrig, weil es sich, wie gesagt, nicht vermeiden lässt, dass die Grundsätze der geheimen Wahl eklatant verletzt werden.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lynack zu?

Herr Kollege Lynack, bitte!

Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen. Damit beschreiben Sie quasi, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht richtig gefällt worden ist. Wenn ich Ihren Rechtsgedanken folge, heißt das, dass das alles nicht richtig ist?

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank für die Zwischenfrage. Das erlaubt mir, etwas ganz kurz klarzustellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

- Sie brauchen gar nicht zu klatschen. Sie werden gleich merken, wie ich es meine.

(Bernd Lynack [SPD]: Jetzt bin ich gespannt! - Unruhe - Weitere Zurufe)

Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich - - - Ich habe das Urteil extra mit. Hier sind die Leitsätze, und in Leitsatz Nr. 3 heißt es:

„Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein...“

Genau deshalb sprechen wir ja auch über den Richtervorbehalt - in den Fällen, in denen der Richter im Rahmen einer Betreuungsbestellung nach der neuen Gesetzeslage sagen soll: Da kann jemand eventuell nicht mehr an der Wahl teilnehmen.

Weiter führt das Bundesverfassungsgericht aus:

„... wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht.“

Das heißt also: Anders als mehrere Vorredner gesagt haben, hat das Bundesverfassungsgericht den Wahlrechtsausschluss nicht per se vom Tisch gefegt. Nein, das Bundesverfassungsgericht hat ganz deutlich gesagt, dass weiterhin eine Notwendigkeit für Wahlrechtsausschlüsse bestehen kann.

Insofern ist das Verfassungsgerichtsurteil richtig, weil es einerseits sagt - so muss man es rechtlich betrachten -,

(Helge Limburg [GRÜNE]: Großzügig, dass Sie dem Verfassungsgericht be- scheinigen, etwas richtig zu machen! - Gegenruf von Bernd Lynack [SPD]: Danke, Helge!)

dass der Gleichheitsgrundsatz verletzt ist.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Beruhi- gend! - Lachen bei den GRÜNEN)

- Hören Sie mir bitte einmal zu!

Das Bundesverfassungsgericht sagt, der Gleichheitsgrundsatz ist verletzt. Das ist auch völlig richtig.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Wir brau- chen Sie nicht zur Erläuterung von Entscheidungen aus Karlsruhe!)

Herr Kollege, einen Moment! - Meine Bitte gilt vor allem der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Ich bitte um Aufmerksamkeit! Hier gibt es nichts zu lachen.