Protokoll der Sitzung vom 15.05.2019

Tagesordnungspunkt 18: Dringliche Anfrage

Es liegen drei Dringliche Anfragen vor. Wie im Ältestenrat beschlossen, behandeln wir die Dringliche Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen morgen als Tagesordnungspunkt 29, sodass wir heute nur zwei Dringliche Anfragen behandeln.

Die für die Behandlung Dringlicher Anfragen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen setze ich als allgemein bekannt voraus. Ich weise, wie üblich, besonders darauf hin, dass einleitende Bemerkungen zu Zusatzfragen nicht zulässig sind.

Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, sich schriftlich zu Wort zu melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.

Ich rufe die erste Dringliche Anfrage auf:

a) „So viel wie eine Kugel Eis“ - Wer zahlt die Energiewende? - Anfrage der Fraktion der AfD - Drs. 18/3720

Die Einbringung erfolgt durch den Abgeordneten Peer Lilienthal. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich trage unsere Dringliche Anfrage vor:

„‚So viel wie eine Kugel Eis‘ - Wer zahlt die Energiewende?“

Nach einer Pressemitteilung des Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz vom 2. Mai 2019 spricht sich Minister Olaf Lies für eine „CO2-Bepreisung“ aus. Der Minister möchte diese CO-Bepreisung jedoch „sozialverträglich ausgestalten und soziale Härten durch gezielte Entlastungen vermeiden“. Außerdem passe „das bestehende System, das besonders Strom künstlich verteuert, … schon lange nicht mehr zur Energiewende“.

Kohlenstoffdioxid entsteht auch bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie beispielsweise Kohle, Erdgas und Erdöl. Nach Auskunft des Umweltbundesamtes wird in Deutschland über die Hälfte des Stroms aus fossilen Energieträgern ge

wonnen (Steinkohle 16 %, Braunkohle 22 % und Erdgas 13 %). Endverbraucher zahlen in Deutschland im europäischen Vergleich den höchsten Preis je Kilowattstunde Strom.

Nach der Jahresbilanz des Kraftfahrtbundesamtes auf den 1. Januar 2019 sind in Deutschland 57,3 Millionen Kraftfahrzeuge zugelassen, davon über 47 Millionen Personenkraftwagen. Von diesen Personenkraftwagen waren 65,9 % mit Benzin, 32,2 % mit Diesel, 0,8 % mit Flüssiggas und 0,2 % mit Erdgas betrieben. Personenkraftwagen mit anderen Antriebsformen machten unter 1 % aller in Deutschland zugelassenen Personenkraftwagen aus. Die höchste Steigerungsrate bei den Neuzulassungen wies das Segment der SUVs mit plus 19,9 % aus, gefolgt von den Wohnmobilen mit plus 9,4 % und den Geländewagen mit plus 8,6 %.

Nach einer Aussage des vormaligen Bundesumweltministers Jürgen Trittin aus 2004 sollte die Förderung der erneuerbaren Energien einen durchschnittlichen Haushalt nicht mehr als eine Kugel Eis kosten. In der Innenstadt von Hannover kostet eine große Kugel Eis 1,30 Euro - Stand 2. Mai 2019.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Teilt die Landesregierung die in der Pressemitteilung vom 2. Mai 2019 durch Minister Lies geäußerte Auffassung, dass über eine CO2-Bepreisung in allen Sektoren diskutiert werden müsse?

2. Wie und in welchem Umfang sollen nach Auffassung der Landesregierung die sozialen Härten durch gezielte Entlastungen vermieden werden?

3. Wie viele Kugeln Eis kostet einen durchschnittlichen niedersächsischen Haushalt die Umlage nach dem EEG pro Monat?

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung antwortet Umweltminister Olaf Lies. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der im Oktober 2018 veröffentlichte Sonderbericht des IPCC hat, wie ich glaube, sehr deutlich gemacht, dass der Kipppunkt für das irreversible Abschmelzen der Arktis bereits bei zwischen 1,5

und 2 °C globaler Erwärmung liegt. Dies hätte weltweit einen Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern über die nächsten Jahrhunderte zur Folge. Allein dies zeigt bereits, dass wir die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C, möglichst auf 1,5 °C, begrenzen müssen. Nur so lassen sich die Auswirkungen des Klimawandels in einem beherrschbaren Rahmen halten.

Die wissenschaftlichen Forderungen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C sind eindeutig: eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030 und netto Null bis 2050, wobei klar ist, dass das Ganze ein Budget ist: Je zügiger wir in der Lage sind zu reduzieren, umso gleichmäßiger wären wir in der Lage, Emissionen im Rahmen des Budgets zu emittieren.

Der Klimawandel ist auch in Niedersachsen längst Realität. Die durchschnittlichen Temperaturen in Niedersachsen sind seit Beginn der Industrialisierung um 1,5 °C gestiegen. Bei den Niederschlägen steigt die Intensität, vor allem aber verändert sich die jahreszeitliche Verteilung. Projektionen zufolge werden sich diese Trends in Zukunft weiter verstärken. Extremwetterereignisse wie Hitzewellen oder auch Starkregen werden aller Voraussicht nach weiter zunehmen. - Sie haben das in den Jahren 2017 und 2018 intensiv erlebt. Wer sich die Erwärmung in Niedersachsen über die letzten 150 Jahre vor Augen führt, wird feststellen, dass eine deutliche Intensivierung stattgefunden hat und, damit zusammenhängend, auch die Extremwetterereignisse zugenommen haben.

Die künftig beschleunigte Entwicklung des Meeresspiegelanstiegs wird uns gerade in Niedersachsen vor enorme Herausforderungen stellen. Bei den Planungen des Küstenschutzes orientiert sich das Land, wie die übrigen Küstenländer übrigens auch, an den Aussagen des IPCC-Reports. Bei den gegenwärtigen Entwicklungen der Treibhausgasemissionen wird der Meeresspiegel aber deutlich weiter ansteigen. Folgen wie Hitze, wie Dürre, wie Starkregenereignisse und Überschwemmungen haben wir in den letzten Jahren erlebt. Diese Extremwetterlagen werden bei weiterer Erderwärmung immer häufiger auftreten. Das wurde gemeinsam von uns mit dem Deutschen Wetterdienst im Juni 2018 in dem veröffentlichten Klimareport Niedersachsen dargestellt und bestätigt. Dieser Bericht beschreibt auf der Basis aktuellster Berechnungen detailliert das Klimageschehen in Niedersachsen.

Der Klimawandel bleibt nicht ohne Folgen für unsere Ökosysteme - wir haben vorhin über das Artensterben gesprochen -, aber auch für Wirtschaft und Gesellschaft. Der Klimawandel beeinflusst dabei nicht nur die Lebensgrundlage der heutigen, sondern - das ist das Dramatische - er beschränkt auch die Entwicklungschancen zukünftiger Generationen. Das sollte uns allen spätestens in den Zeiten von Fridays for Future bewusst geworden seien. Ich glaube, wir haben intensiv zugehört und hören auch noch intensiv zu.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, uns mit den entscheidenden Fragen zu beschäftigen. Insofern bin ich etwas erstaunt, dass sich die AfD-Fraktion intensiv mit einer Marktanalyse und der Frage des durchschnittlichen Eiskugelpreises in der Innenstadt von Hannover beschäftigt hat. Aber auch das soll Ihnen möglich sein.

Die Fragen, die wir diskutieren, sind ganz andere. Die Fragen, die wir diskutieren, liegen auf der Hand. Was kostet uns der Klimawandel? Das ist die entscheidende Frage. Wie können wir uns gegen die Klimawandelfolgen wappnen? Haben wir überhaupt die Voraussetzungen dafür? Wie können wir einen Beitrag leisten, um den Klimawandel zu begrenzen? Damit kommen wir schon zu der Frage, wie wir es schaffen, die CO2Emissionen zu reduzieren. Wie können wir Anreize dafür setzen, dass wir unsere Klimaziele kosteneffizient und sozialverträglich umsetzen?

Bei der Suche nach Antworten müssen wir deshalb selbstverständlich auch die Möglichkeiten einer CO2-Bepreisung einbeziehen. Denk- und Diskussionsverbote werden uns an dieser Stelle nicht weiterbringen.

Natürlich: Der Klimaschutz ist eine globale Aufgabe. Das ist auch immer die Antwort, die wir auf die Frage hören, was eigentlich die andern machen. Aber das ist beileibe keine Entschuldigung dafür, nichts zu tun. Die Landesregierung wird sich nicht am Geleitzugprinzip orientieren, wonach der Langsamste das Tempo bestimmt, sondern wir werden vorangehen, gerade wir in Niedersachsen als Küsten- und Industrieland sowie als Land für erneuerbare Energien. Denn wir haben das Wissen und die Technologien. Wir haben die besten Voraussetzungen, um zu zeigen, dass wir als Energie- und Industrieland die Klimaschutzziele erfolgreich umsetzen können. Wir können, glaube ich, deutlich machen, dass Klimaschutz eben nicht Verzicht, sondern Innovation bedeutet, und wir können deut

lich machen, dass Klimaschutz eine echte Chance ist.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt.

Zu Frage 1: Der Bedarf an einer ergebnisoffenen Diskussion wird gesehen.

Zu Frage 2: Diese Frage kann nicht losgelöst von der konkreten Ausgestaltung einer CO2-Bepreisung beantwortet werden. Das Bundesumweltministerium hat angekündigt, in Kürze ein konkretes Modell vorzulegen. Die Landesregierung wird sich in den weiteren Diskussionsprozess aktiv einbringen mit dem Ziel, dass eine sozialverträgliche Ausgestaltung dieses Lenkungsinstrumentes sichergestellt wird.

Die Etablierung einer CO2-Bepreisung bedingt aus Sicht der Landesregierung im Sinnbild von kommunizierenden Röhren auch einen ständigen Abgleich mit Entlastungen, die an anderer Stelle erfolgen müssen. Das kann man an dem Beispiel dessen festmachen, was jetzt von E.ON gesagt worden ist. E.ON sagt, auf der einen Seite kommt eine CO2-Bepreisung mit 35 Euro pro Tonne, aber auf der anderen Seite sinkt der Strompreis um 6,5 Cent - weil es eine Gesamtkompensation der EEG-Umlage ist.

Man kann es aber auch beispielhaft an dem Modell sehen, das die Schweiz praktiziert. Die Schweiz erhebt - übrigens seit 2008, also seit über zehn Jahren - eine Lenkungsabgabe auf fossile Brennstoffe wie Heizöl, Erdgas und Kohle. Die eingenommenen Gelder werden zu einem Drittel für Klimaschutzmaßnahmen verwendet und zu zwei Dritteln wieder an die Bürger ausgeschüttet. Von der Rückerstattung profitieren vor allen Dingen die sozial schwächeren Haushalte, weil bei ihnen der Anteil am verfügbaren Einkommen grundsätzlich höher ist.

Es gibt also Lösungen, die andere uns seit vielen Jahren vormachen. Das Problem wird nicht sein, ob wir das auch sozialverträglich umsetzen können, sondern darzustellen, welches Ziel wir damit verfolgen. Gelingt es uns, für die Erneuerbaren eine Attraktivität zu schaffen, und gelingt es uns, damit perspektivisch die Bevorzugung, die die Fossilen haben, abzubauen?

Zu Frage 3: Gemäß einer amtlichen Statistik - dem Statistischen Bericht Niedersachsen für 2018 - beträgt die durchschnittliche Haushaltsgröße in Niedersachsen 2,0 Personen. Der Jahresstromverbrauch eines Zwei-Personen-Haushalts liegt im

Bundesdurchschnitt bei 3 200 Kilowattstunden. Bezogen auf die EEG-Umlage, die 2019 für nicht privilegierte Letztverbraucher in Höhe von 4,6 Cent anfällt, ergibt sich somit eine Belastung von 17,17 Euro monatlich - für den besagten bundesdurchschnittlichen Zwei-Personen-Haushalt. Uns liegen keine Erkenntnisse vor, inwieweit der Jahresstromverbrauch eines bundesdurchschnittlichen Zwei-Personen-Haushalts als repräsentativ für unseren niedersächsischen Zwei-Personen-Haushalt anzusehen ist, aber wir gehen davon aus, dass das eine entsprechende Näherung ist.

Mangels einer vorliegenden landesweiten Erfassung des Kugelpreises für Speiseeis sind wir nachfolgend von dem von den Fragestellern aufgeführten Vergleichspreis ausgegangen. Auf dieser Berechnungsgrundlage und mit dem von Ihnen genannten durchschnittlichen Eiskugelpreis in der Innenstadt von Hannover in Höhe von 1,30 Euro ergäbe sich rein rechnerisch eine über das Jahr gemittelte monatliche Belastung eines durchschnittlichen niedersächsischen Haushalts in Höhe von 13,2 Kugeln Speiseeis.

Vielen Dank.

(Heiterkeit - Helge Limburg [GRÜNE]: In Hannover! Aber woanders sind die Kugeln billiger, Herr Minister! - Zuruf von der CDU: Sind das große oder kleine Kugeln? - Jens Nacke [CDU]: Und wie ist das bei Spaghettieis?)

Wir haben eine Meldung für eine Zusatzfrage aus der AfD-Fraktion vorliegen. Der Abgeordnete Peer Lilienthal, bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vor dem Hintergrund, dass Herr Minister Lies gerade angeführt hat, dass wir - gemeint war vermutlich Niedersachsen - vorangehen wollen, frage ich die Landesregierung: Welche Überlegungen gibt es denn, um die künstliche Verteuerung von Strom zu beenden?

Der Minister antwortet Ihnen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung hat schon mehrere Male - zuletzt Anfang des Jahres - in einer Bundesratsinitiative aufgezeigt, an welcher Stelle Handlungsoptionen bestehen.

Die erste Möglichkeit ist - das fordern wir seit vielen Jahren -, die Stromsteuer auf das europäisch vorgegebene Mindestmaß abzusenken. Wir können sie nicht auf null fahren, aber wir sind weit darüber.

Ein zweiter Weg besteht darin, die in der EEG-Umlage enthaltene Vergünstigung für die stromintensiven Betriebe nicht aus der EEG-Umlage zu finanzieren, sondern allgemein aus den Steuern.

Das sind im Moment die Ansätze. Dazu kommt dann der dritte Ansatz: Wie gelingt es, mit einer CO2-Bepreisung dafür zu sorgen, dass die fossilen Energien nicht weiter künstlich vergünstigt werden, sondern umgekehrt - und das ist viel entscheidender - die erneuerbaren Energien nicht künstlich verteuert werden? Mit diesem Ansatz gelingt es uns auch, moderne Lösungen für die Anwendung von erneuerbaren Energien - beispielsweise mehr Wärmepumpen für die Wärmegewinnung im Haus oder mehr Elektromobilität - zu fördern. Damit wird es uns auch gelingen, Themen wie Power to Gas - sprich: Wasserstoff - weiter voranzubringen.