Protokoll der Sitzung vom 19.06.2019

In diesen Zeiten müssen wir Demokratinnen und Demokraten sehr achtsam miteinander umgehen, und das will ich auch tun. Zumal vor dem Hintergrund des Mordes an einem Menschenfreund wie Walter Lübcke noch einmal deutlich geworden ist, dass der Themenkomplex Flucht, Abschiebung, Zuwanderung der Nährboden für Menschen- und Demokratiefeinde schlechthin ist; das ist der Nährboden für Rechtsterrorismus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie kennen mich aus der engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit in der zurückliegenden Legislaturperiode gut genug, um zu wissen, dass auch ich über Teile des sogenannten Migrationspaketes sehr unglücklich bin, z. B. über § 1 Abs. 4 Asylbewerberleistungsgesetz. Danach ist für vollziehbar ausreisepflichtige Menschen mit Schutzstatus in einem EU-Land oder Drittstaat eine vollständige Leistungskürzung auf null - ich wiederhole: auf null - vorgesehen. Diese Regelung soll den Druck zur Ausreise erheblich erhöhen, so ist die Hoffnung. Aber, sehr geehrte Damen und Herren, darf man diese Menschen - in Niedersachsen sind davon ca. 1 500 betroffen - wirklich in die Obdachlosigkeit schicken? Sollen sie unter Brücken schlafen und um Essen betteln? Unsere Behörden, vor allem das Innenministerium, haben große Zweifel an diesem Part des Gesetzes. Es sei fraglich, ob eine vollständige Leistungseinstellung verfassungsrechtlich tragfähig sei und vom Bundesverfassungsgericht gebilligt würde. Ich denke, auch ohne Entscheidung eines Gerichtes kann man bereits jetzt sagen: Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist unanständig, Menschen ohne Obdach und Essen zu lassen. Irgendeine Stelle wird sich dann kümmern müssen, seien es die Kommunen, seien es die Tafeln oder gar die Polizei. Das können wir

nicht wollen, das hat mit geordneter Rückkehr nichts zu tun, sondern nur mit dem Abschieben von Kosten und Verantwortung zulasten Dritter.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz als Teil des Berliner Migrationspaketes sieht aber auch vor, die Schwelle zur erleichterten Abschiebung von Straftätern abzusenken. Dieser Teil könnte ein Beitrag sein, die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen langfristig sicherzustellen. Aus zahlreichen Gesprächen und Veranstaltungen in meinen sechs Jahren als Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe weiß ich, dass das Thema Kriminalität von geflüchteten und auch gegen geflüchtete Menschen besonders aufwühlt. Deshalb ist es im Sinne derer, die bei uns künftig noch Zuflucht suchen werden - und die Zahlen könnten wieder ansteigen -, wenn Straftäter bei geringeren Strafen als bisher ausgewiesen werden können, u. a. bei einer Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr, beispielsweise in Fällen von Drogenkriminalität. Auch bei antisemitischen Hassstraftaten wird künftig das Ausweisungsinteresse schwer wiegen, und das ist gut so.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Name „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ ist sicher ein Euphemismus. Das Ziel ist natürlich eine Erleichterung von Abschiebungen. Aber Ihren Titel „‚#HauAbGesetz‘ verhindern - Seehofers menschenrechtswidriges Abschiebepaket im Bundesrat stoppen“ empfinde ich als sprachlich grenzwertig.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der AfD)

Im Bundestag und hier im Landtag gehören die Grünen zur Opposition. Doch da, wo die Grünen im Maschinenraum der Realpolitik arbeiten, sprechen sie mit anderem Zungenschlag.

In unserem Nachbarland Hessen hat die grüne Sozialministerin kürzlich noch den Versuch verteidigt, eine hochschwangere Frau aus der Marburger Gegend, Fatima Abidi, nach Algerien abzuschieben.

Und der Landtag in Kiel hat im März ein Abschiebehaftgesetz verabschiedet, das ursprünglich sogar vorsah, die Menschen nachts standardmäßig in ihren Zimmern einzuschließen. Das hat übrigens die SPD-Opposition heftig kritisiert. Der Passus wurde gestrichen. Aber dazu mehr am Donnerstag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lage ist also wesentlich komplexer als der Titel für Ihre Aktuelle Stunde.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Bert Brecht schließen: „Ein guter Mensch sein! Ja, wer wär’s nicht gern?“ Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, spreche ich auch Herrn Seehofer nicht ab.

Wir werden im Ausschuss weiterreden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es spricht nun für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Schünemann. Bitte!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Mitvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat vor Kurzem die Grünen in Verbindung mit Populismus gebracht. Wenn es noch eines Beweises bedurft hat, dann ist es die Überschrift dieser Aktuellen Stunde.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Wi- derspruch bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, „#HauAbGesetz“, „menschenrechtswidriges Abschiebepaket“: Das ist reiner Populismus,

(Christian Meyer [GRÜNE]: Rechts- ausschuss des Bundesrates! - Weite- re Zurufe von den GRÜNEN)

und das ist eine Verunglimpfung von Regierungsmitgliedern und demokratischen Fraktionen, die nichts anderes machen, als geltendes und gesprochenes Recht umzusetzen. Das ist genau der Punkt, um den es hier geht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Anja Piel [GRÜNE]: Ja, so wie bei der Maut! Das haben Sie bei der Maut auch gesagt! - Christian Meyer [GRÜNE]: Wie viele verfassungswid- rige Gesetze haben Sie gemacht? - Weitere Zurufe von den GRÜNEN - Glocke der Präsidentin )

Sehr geehrter Herr Limburg, Sie brandmarken zu Recht Stilmittel wie Populismus an anderer Stelle.

Aber Sie verspielen Ihre Glaubwürdigkeit, wenn Sie das genau in der gleichen Weise auch in diesem Zusammenhang tun.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Bei Popu- lismus sind Sie Experte!)

Ich sage Ihnen: Im Kampf gegen Extremismus brauchen wir alle demokratischen Kräfte. Verspielen Sie nicht Ihre Glaubwürdigkeit durch solch einen Populismus!

(Lebhafter Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der AfD)

Wir stehen vor großen Herausforderungen, denen nur mit differenzierten, sachlichen Antworten zu begegnen ist. Gerade mit Fake News, gerade mit Vereinfachungen und Verkürzungen spalten wir eher unsere Gesellschaft.

In der Frage der Migration geht es doch darum, dass wir ein Miteinander brauchen, einen Zusammenhalt und, meine Damen und Herren, gegenseitigen Respekt. Das kann ich in dieser Form sicherlich nicht erreichen.

(Beifall bei der CDU)

Worum geht es beim Migrationspaket der Großen Koalition in Berlin? - Es geht um gesteuerte Zuwanderung. Das kann man mit drei Punkten überschreiben: Humanität, wirtschaftliche Erfordernisse und Rechtsstaatlichkeit.

Jeder, der als Verfolgter in unser Land kommt, bekommt uneingeschränkten Schutz und maximale Unterstützung, damit er ein selbstbestimmtes Leben in seiner neuen Heimat leben kann.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Das sind Fake News!)

Mit dem Migrationspaket erhalten langfristig Geduldete mehr Möglichkeiten der Ausbildung. Sie erhalten jetzt eine Beschäftigungsduldung, gerade diejenigen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Bereits nach 30 Monaten bekommen sie einen legalen Aufenthaltstitel. Meine Damen und Herren, das ist nicht menschenrechtswidrig, sondern das ist vernünftig und auch human.

(Beifall bei der CDU - Christian Meyer [GRÜNE]: Bei der SPD klatscht kei- ner!)

Was den Fachkräftezuzug angeht, haben wir neu geregelt, dass gerade auch Personen mit beruflicher Qualifikation zu uns kommen können. Sechs

Monate lang können beruflich Qualifizierte jetzt einen Arbeitsplatz suchen.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Er blickt ja auch nur nach rechts!)

Meine Damen und Herren, auch das ist wirtschaftlich vernünftig.

Aber dass diejenigen, die Integrationsverweigerer sind, diejenigen, die ihre Identität verschleiern, diejenigen, die straffällig geworden sind, in der Zukunft weniger Rechte und eben auch weniger Leistungen bekommen, das ist nicht menschenrechtswidrig, sondern gerecht - denen gegenüber, die sich rechtsstaatlich verhalten.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der AfD)

Selbstverständlich bekommen diejenigen, die sich total verweigert haben, nicht überhaupt keine Leistungen mehr, sondern sie kommen in Sammelunterkünfte und bekommen dort Sachleistungen. Insofern muss ich Sie, liebe Frau Schröder-Köpf, hier wirklich korrigieren. Das ist schlichtweg falsch.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Aha! Gro- Ko-Streit! Regieren Sie noch zusam- men?)

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt ist: Wenn ich Rückführungshilfen nicht in Anspruch nehme, muss ich doch damit rechnen, abgeschoben zu werden.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Schauen Sie mal nach links und nicht nur nach rechts!)

Dass man dann auch tatsächlich in die Wohnung hineingehen kann, in der ich mich verstecke, ist doch in Ordnung. Und dass ich, wenn ich zweimal vor der Abschiebung untergetaucht bin, in Abschiebehaft genommen werde, ist richtig.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Das müs- sen Sie der linken Seite erklären!)

Es ist auch nicht richtig, dass Kinder in Abschiebehaft genommen werden. Auch das muss ich zurückweisen. Es ist schlichtweg nicht wahr.

(Zuruf von den GRÜNEN: Doch! - An- ja Piel [GRÜNE]: Herr Schünemann, das ist doch passiert! - Weitere Zurufe von den GRÜNEN - Glocke der Präsi- dentin)