Protokoll der Sitzung vom 20.06.2019

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das ist un- glaublich!)

Unser vorliegender Antrag soll auch diesen Punkten, solchen Situationen Einhalt gebieten. Zahlreiche Missstände sind eben abzuschaffen. Niedersachsen muss dem durch die Bundesregierung und teilweise hier - das haben wir gestern gehört - auch durch die CDU verursachten Druck standhalten und Recht und Anstand wahren, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Dazu zählt, dass nächtliche Abschiebungen endlich abzuschaffen sind. Es ist mehr Rücksicht zu nehmen auf Kranke und andere sogenannte vulnerable Personen, also verletzliche Personen, sowie auf humanitäre Aspekte eines jeden Einzelfalls. So sind auch Familientrennungen ausnahmslos zu unterlassen. Die Auswirkungen von demütigenden Abschiebungssituationen, von Gewaltanwendung oder die furchteinflößende Anwesenheit von Polizeiwaffen oder -hunden beispielsweise auf die Psyche von Kindern sind verheerend und unter allen Umständen zu vermeiden. Das fordern wir in unserem Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In der Abschiebungshaft sind zukünftig ebenfalls ausnahmslos keine vulnerablen Personen wie Kinder, Jugendliche, physisch oder psychisch Kranke, Schwangere usw. unterzubringen sowie keine Menschen mit Behinderungen, auch für andere Bundesländer nicht, meine sehr geehrten

Damen und Herren. Das möchte ich hier ausdrücklich noch einmal unterstreichen.

Die medizinische Versorgung ist deutlich zu verbessern. Das ist in weiten Teilen tatsächlich ein Problem.

Auch die Bereitstellung von Dolmetscherinnen und Dolmetschern ist zu gewährleisten. Die im Justizvollzug eingeführten per Videoübertragung zugeschalteten Dolmetscherinnen und Dolmetscher sind unverzüglich auch in der Abschiebehaft einzusetzen. Das ist, glaube ich, eine gute Reaktion auf den Fall mit der sprachlichen Situation, den ich vorhin beschrieben habe.

Niedersachsen braucht vor allem aber endlich auch ein Abschiebehaftvollzugsgesetz als Grundlage für die Abschiebehaft. Das muss allerdings den Gefangenen größtmögliche Freiheiten zugestehen. Noch einmal zur Erinnerung: Sie sind eben keine Strafgefangenen; sie sind Personen, die einfach festgesetzt werden, um die Abschiebung an dieser Stelle zu realisieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dazu fordern wir weiter einen Anstaltsbeirat und den Wiedereinstieg des Landes in die Rechtsberatung in der Abschiebungshaft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch das ist leider bei den letzten Haushaltsberatungen einkassiert worden.

Natürlich geht es auch um Fortbildungen sowohl für die Richterinnen- und Richterschaft als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ausländerbehörden, damit die Abschiebehaft die absolute Ausnahme bleibt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Onay. - Für die SPDFraktion hat nun die Kollegin Doris Schröder-Köpf das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist genau eine Woche her, dass Fotos in den Ausga

ben der schleswig-holsteinischen Medien erschienen, die einen strahlenden Bundesinnenminister mit seinem nicht minder fröhlich strahlenden Kieler Kollegen zeigten. shz.de protokollierte:

„Der Bundesinnenminister ist gut gelaunt. Bei strahlendem Wetter und mit Blick auf die Kieler Förde hätten Horst Seehofer und Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote feierlich eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Demnach werde die bisherige Landesunterkunft für Flüchtlinge in Neumünster zu einem vom Bund mit 1,5 Millionen Euro unterstützten Ankerzentrum.“

Das sei das Erste im Norden, wie es überall hieß. Schleswig-Holstein ist damit das fünfte Bundesland überhaupt mit einem der umstrittenen Ankerzentren. Man reibt sich die Augen! Im grün mitregierten Schleswig-Holstein eröffnet ein Ankerzentrum, dessen Bestimmung vor allem in der Erleichterung und Beschleunigung von Abschiebungen besteht. Ein Ankerzentrum im Habeck-Land, mitgetragen vom Landesverband des grünen Shootingstars?

Martin Link, Geschäftsführer beim schleswigholsteinischen Flüchtlingsrat, protestierte. Asylsuchende würden nun uninformiert und unvorbereitet in die komplexen und für sie kaum durchschaubaren Asylverfahren getrieben.

Sehr geehrte Damen und Herren, aus dem hohen Norden kommt dieses jüngste Beispiel grüner Gratwanderung zwischen landespolitischem Regierungspragmatismus - manchmal auch -opportunismus - auf der einen und Oppositionsrhetorik und, ja, auch Herzensüberzeugung auf der anderen Seite.

In meinem gestrigen Redebeitrag zur Aktuellen Stunde hatte ich bereits ein Beispiel aus Hessen genannt. Nach dem Versuch der Abschiebung einer hochschwangeren Frau mit ihren hier geborenen Kindern nach Algerien ließ das grün geführte Sozialministerium verkünden, dass Rückführungen von Schwangeren ja nicht per se ausgeschlossen seien. Und in Baden-Württemberg, wo Herr Kretschmann als einziger grüner Ministerpräsident das Sagen hat, kritisiert der Flüchtlingsrat häufiger fragwürdige Abschiebungen, z. B. die einer 69-jährigen pflegebedürftigen ParkinsonPatientin, die seit 1969 in Deutschland lebte und übrigens Rente bezog.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte damit keine Ihrer Parteifreudinnen und -freunde

in anderen Bundesländern anklagen. Ich verurteile es auch nicht, wenn sie schwierige Abschiebungen mittragen. „Die reine Lehre, die die Grünen im Bund vertreten,“ so bringt es die Frankfurter Allgemeine Zeitung treffend auf den Punkt, „lässt sich nicht immer durchhalten.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute, am Weltflüchtlingstag, werden wir erneut mit erschreckenden Zahlen konfrontiert: 71 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. An diesem Weltflüchtlingstag sollten wir uns auch an unser aller Pflicht erinnern, mit Zuflucht suchenden Menschen in unserem Land anständig umzugehen, und zwar unabhängig von ihrem bleiberechtlichen Status. Wir tun das hier in Niedersachsen, auch und gerade dann, wenn diese Menschen aufgrund ihrer rechtlichen Situation nicht bleiben können. Es steht außer Zweifel, dass ein menschenwürdiger Umgang eine unverhandelbare Richtschnur staatlichen Handelns sein muss, und zwar auch bei Abschiebungen. Natürlich: Abschiebungen sind für die Betroffenen eine extrem belastende Ausnahme- und Zwangssituation. Deshalb dürfen sie ausschließlich als Ultima Ratio in Betracht kommen, wenn das Schicksal jeder und jedes Einzelnen sorgfältig ausgeleuchtet ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Humanität und die Durchsetzung von Regeln schließen sich indes nicht aus. Im Gegenteil. Sie gehören zusammen, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz für Geflüchtete erhalten bleiben soll. Auch darauf habe ich gestern mit Blick auf die Absenkung der Abschiebungsschwelle bei Straftätern hingewiesen.

Wir sind uns offensichtlich fast alle darüber einig, dass neben den anerkannten Flüchtlingen nicht alle abgelehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern jenseits von Duldungsgründen in unserem Land bleiben können. Deshalb sollten wir uns darüber verständigen, wie es erreicht werden kann, dass möglichst viele der ausländischen Staatsangehörigen, die nicht schutzbedürftig sind, das Bundesgebiet freiwillig verlassen und es gar nicht erst zur Androhung von Zwangsmaßnahmen kommen muss. Mit einer effektiven Rückkehrberatung, wie sie z. B. das Raphaelswerk in Hannover leistet, können wir das unterstützen. Seit Beginn 2018 sind rund 3 200 Menschen freiwillig aus Niedersachsen ausgereist. Diese Zahl zu steigern, sollte unser Ziel sein. Wir werden das Raphaelswerk demnächst auch noch einmal besuchen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der vorliegende Antrag enthält einen sehr umfangreichen Forderungskatalog. Dabei geht es beispielsweise um Unterlassung nächtlicher Abschiebungen, um Wahrung der Familieneinheit oder um Informationspflichten gegenüber Betroffenen. Diese Forderungen zielen allesamt auf einen humanen, fairen und transparenten Abschiebevollzug, der sich zuallererst an der sozialen und gesundheitlichen Situation des Betroffenen orientiert.

Insofern begrüße ich grundsätzlich jede Idee und jeden Vorschlag, der diese Praxis dort verbessert, wo es nötig ist. Wir werden darüber im Ausschuss diskutieren. In Niedersachsen gilt aber längst das Primat des humanitären und praxisgerechten Abschiebevollzugs, trotz der Fehler, die unterlaufen. Dem wird sicher auch das Abschiebungshaftvollzugsgesetz, das sich derzeit im Innenministerium in der Abstimmung befindet, Rechnung tragen.

Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, suggeriert das Gegenteil. Und das ist nicht in Ordnung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Thema ist bei uns und bei unserem Innenminister in bewährt guten Händen. Dazu will ich Ihnen aus der shz einen Wortwechsel zwischen dem Bundesinnenminister und Minister Boris Pistorius von vorheriger Woche in Kiel übermitteln. Es geht um Ankerzentren.

„Seehofer: ‚Ich warte noch darauf, dass du in Niedersachsen das Gleiche einmal vorlegst.‘ - Pistorius: ‚Das wirst du nicht mehr erleben, lieber Horst.‘ - ‚Du, ich bin zäh‘, scherzt Seehofer. - Pistorius: ‚Ich auch.‘“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier in Niedersachsen regiert übrigens nicht Jamaika, sondern eine Große Koalition.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE])

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die CDU-Fraktion hat nun der Kollege Thiemo Röhler das Wort. Bitte sehr!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen erin

nert mich ein wenig an eine Zeit, in der dieselben schon einmal einen Höhenflug in den Umfragen hatten. Seinerzeit glaubten die Grünen, sie seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen und könnten den Bürgerinnen und Bürgern ihre linken Fantasien überstülpen. Die Grünen meinten seinerzeit mitteilen zu müssen, dass wir jetzt einen Veggie-Day bräuchten, und glaubten, die Gesellschaft bevormunden zu können.

(Belit Onay [GRÜNE]: Das hat Ihre Landwirtschaftsministerin auch gefor- dert!)

Jetzt sind die Grünen der Auffassung, dass es Zeit für eine längst gescheiterte Multikulti-Idee für Niedersachsen sei, und ich glaube, wir alle wissen, dass das nicht der richtige Weg ist.

(Belit Onay [GRÜNE]: Aus welcher Zeit ist denn bitte diese Rede?)

- Ja, Herr Onay, das tut vielleicht weh. Aber das müssen Sie trotzdem ertragen.

(Beifall bei der CDU und bei der AfD)

Dabei hat sich die Fraktion der Grünen ja wirklich auch viel Mühe gegeben. Wenn man sich die 20 Punkte anschaut, stellt man fest, dass das ein wirklich umfangreicher Antrag ist. Nur ehrlicherweise beinhaltet dieser Antrag im Kern nur eine einzige Aussage:

(Belit Onay [GRÜNE]: Humanität! - Christian Meyer [GRÜNE]: Mensch- lichkeit!)

Jeder, der es jemals nach Deutschland bzw. nach Niedersachsen geschafft hat, soll bleiben dürfen.

(Zustimmung von der AfD)