Protokoll der Sitzung vom 23.10.2019

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Diese Notwendigkeit des Einstehens für eine demokratische Gesellschaft zeigten uns die schrecklichen Taten des rechtsradikalen Mannes in Halle vor zwei Wochen sehr deutlich. Dabei möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich gegen jede Bezeichnung wie „verwirrter Einzeltäter“ bin. Hier handelt es sich um einen radikalisierten Mann, der sich durch Propaganda und antisemitische Hetze in rechtsradikalen Netzwerken des Internets sein krudes Weltbild aufgebaut hat.

Taten werden erst denkbar, dann sagbar und dann machbar. Es ist deutlich zu erkennen, dass antisemitische Straftaten oft klar dem rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen sind. Beispielhaft die Zahlen aus dem Jahr 2017 aus Niedersachsen: insgesamt 129 antisemitische Straftaten, davon waren 120 dem rechten Spektrum zuzuordnen.

Meine Damen und Herren, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben. Doch gibt es auch klare Grenzen im freien und demokratischen Diskurs. Die Grenzen sind in den rechtsradikalen Netzwerken schon meilenweit überschritten. Leider kommt es auch im Alltäglichen schrittweise zu Grenzverschiebungen des Sagbaren und der tolerierbaren Meinung. Hier müssen wir alle Sorge tragen, dass der politische Streit über verschiedene Meinungen um uns herum - in der Familie, bei der Arbeit, in der Kneipe, im Restaurant und nun vermehrt in sozialen Netzwerken - die demokratischen Grenzen nicht überschreitet.

Meine Damen und Herren, die aktuelle Situation über die Verrohung unserer Sprache und die daraus folgenden Taten hat unser Bundespräsident

Frank-Walter Steinmeier letzte Woche sehr passend beschrieben:

„Die Aufkündigung des demokratischen

Konsenses erfolgt - auch in unserem Land - nicht auf einen Schlag. Sondern sie erfolgt sukzessive, durch viele kleine, aber spürbare Nadelstiche: hier eine Herabsetzung des Gegenübers, dort eine historische Relativierung, dann eine Verächtlichmachung des politischen Systems, schließlich eine Verhöhnung der Opfer von Gewalttaten.“

Meine Damen und Herren, ich begrüße es außerordentlich, dass man sich auf Bundesebene nun deutlich mehr auf die Umsetzung des geltenden Rechts im Internet konzentrieren will. Es muss deutlich gezeigt werden, wie das Gleichgewicht von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz gewahrt wird. Dies sind zwei Seiten derselben Medaille.

Strafbare Äußerungen im Netz müssen konsequent geahndet werden, um auch dem geistigen Nährboden von Diffamierung, Hass und Gewalttaten entgegenzutreten.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Deswegen begrüße ich die von Bundesjustizministerin Lambrecht angekündigte Verschärfung des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes dahin gehend, dass soziale Netzwerke in der Pflicht sind, Morddrohungen und Volksverhetzung den Strafverfolgungsbehörden zu melden.

Auch die von der Bundesjustizministerin angekündigte Änderung des § 188 des Strafgesetzbuches soll Kommunalpolitiker in Zukunft besser vor Verleumdung und übler Nachrede schützen.

Zugleich ist es wichtig, den Menschen, die sich seit vielen Jahren gegen Hass und Hetze ehrenamtlich engagieren, den Rücken zu stärken. Mit dem geforderten Demokratiefördergesetz kommen gute Signale, dass das ehrenamtliche Engagement für eine aktive Zivilgesellschaft gestärkt wird.

Meine Damen und Herren, in Niedersachsen sind der Schutz von jüdischen Gemeinden und das Leben von Religionsfreiheit von oberster Priorität. Die Fraktionen und die Landesregierung stehen - dies ist vorhin deutlich geworden - in engen und guten Kontakten mit den hier ansässigen jüdischen Gemeinden.

Wir haben Gespräche geführt. Ich bin sehr dankbar, dass es so offen und konstruktiv möglich war, über Antisemitismus und auch über die daraus folgenden Maßnahmen, die wir anstreben, zu sprechen. Dabei geht es natürlich auch um die Erweiterung von Sicherheits- und Schutzmaßnahmen. Seien Sie sicher, dass Sie uns auf Ihrer Seite haben! Wir lassen antisemitischen Hetzern und Tätern keinen Fußbreit. Deshalb werden wir uns - ich glaube, das gilt für alle Fraktionen - bei den anstehenden Haushaltsberatungen den Bitten auf eine stärkere finanzielle Unterstützung nicht verschließen.

Selbstverständlich werden wir uns auch mit den Vorschlägen, die die CDU-Fraktion zur Stärkung des Verfassungsschutzes unterbreitet hat, auseinandersetzen. Allerdings warne ich insgesamt auch ein bisschen davor, dass wir hier nicht zu vorschnellen und überzogenen Reaktionen kommen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang noch einmal für die konstruktive Zusammenarbeit während der Vorgespräche zur Berufung des niedersächsischen Antisemitismusbeauftragten bedanken. Diese geht auf die Initiative unserer Landtagspräsidentin zurück. Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank, auch an die Fraktionen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Ich bin mir sicher, dass wir mit Herrn Dr. Enste eine über alle Fraktionen hinweg wertgeschätzte Persönlichkeit gefunden haben, die am 1. November dieses Jahres seine Arbeit aufnehmen und dem Landtag immer wieder Bericht erstatten wird.

Ich glaube, das sind die ersten Schritte, die wir gehen können. Aber die eigentliche Herausforderung liegt im Alltäglichen, nämlich den Hetzparolen und dem, was wir in den sozialen Medien erleben, wirklich entschieden entgegenzutreten und überall dort, wo wir Verantwortung tragen, deutlich zu machen: Mit uns ist das nicht zu machen!

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Modder. - Für die FDPFraktion hat nun der Fraktionsvorsitzende Herr Dr. Birkner das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Angriffe und Morde von Halle sind ein Angriff auf uns alle. Das ist hier wiederholt zu Recht gesagt worden. Sie sind ein Angriff auf unsere offene Gesellschaft und auf die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, unseres Grundgesetzes, für das wir einstehen - Werte, die keinen Raum geben für Hass gegen Andersgläubige, Andersdenkende, Fremde und Menschen, die in irgendeiner Weise anders sind.

Da stoße ich in der Debatte an einen Punkt, der mir in den letzten Wochen im Nachgang zu den Ereignissen, zu den Morden und zu dem Angriff in Halle aufgefallen ist und der sich vereinzelt auch hier in der Debatte findet. Wenn es denn so ist, dass das ein Angriff auf uns alle ist, dann empfinde ich es oft so, dass wir allzu leicht sagen: Wir äußern Solidarität mit den Menschen jüdischen Glaubens. - Das ist der Sache nach natürlich völlig richtig. Aber wer ist denn dieses „wir“? - Wenn dies ein Angriff auf uns alle ist, dann sind wir alle betroffen. Dann ist nach meinem Empfinden für ein solches zum Teil trennendes Denken gar kein Raum, sondern wir sind diejenigen, die angegriffen worden sind, weil eben Menschen einer bestimmten Glaubensrichtung angegriffen worden sind. Da gibt es aus meiner Sicht keinen Raum für „wir“ und „die“, sondern das ist ein Angriff auf uns gemeinsam. Andernfalls würde die These, dass dies ein Angriff auf uns alle ist, nicht stimmen. Das ist ein Aspekt, über den ich in dieser Debatte immer stolpere und der mich irgendwie stört.

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Frage: Wie steht es eigentlich mit dem Antisemitismus in Deutschland? - Ich freue mich gerade nicht - ich weiß, dass die Kollegin das so nicht gemeint hat; ich will es aber aufgreifen, auch an Herrn Enste in seiner neuen Funktion gerichtet -, dass wir einen Antisemitismusbeauftragten haben. Ich weiß, darüber sind wir uns einig. Das ist der Ausdruck einer Entwicklung, die wir in den letzten Jahren verspüren, nämlich dass Antisemitismus in Niedersachsen und in Deutschland zunimmt. Ich glaube auch, dass wir es 70 Jahre nach dem Holocaust politisch allzu lange nicht richtig wahrhaben wollten, dass das tatsächlich wieder ein Thema ist.

Deshalb ist es richtig, dass wir jetzt einen Antisemitismusbeauftragten haben. Ich kann Herrn Enste natürlich auch namens der FDP-Fraktion die volle Unterstützung zusagen. Aber es ist Ausdruck einer sehr, sehr betrüblichen, beschämenden, schlimmen Entwicklung, die wir 70 Jahre nach dem Holocaust erleben müssen, dass wir eine solche Institution tatsächlich ins Leben rufen müssen.

Das Gleiche gilt für die Frage - auch diese ist nicht neu, muss man ehrlicherweise sagen - des Schutzes jüdischer Einrichtungen. Kindergärten, die geschützt werden müssen, Türen von Synagogen, die verschlossen sein müssen, und der Blick auf das, was im Umfeld von Synagogen passiert: All das ist in Deutschland leider selbstverständlich. Auch wenn es in Berlin vielleicht noch stärker ausgeprägt ist, aber es ist überall im Land präsent. Machen wir uns da nichts vor! Das ist seit Jahren präsent. Auch dieses Thema ist seit Jahren da. Ich empfinde es wirklich extrem beschämend, dass wir das in der Gegenwart ein Stück weit als eine gewisse Normalität hingenommen haben. Beschämend ist auch, dass wir erst jetzt darüber sprechen, nachdem solche Anschläge erfolgt sind.

Was folgt aus alledem? - Natürlich müssen wir den Schutz jüdischer Einrichtungen verstärken. Auch das ist kein neues Thema. Es ist gut, wenn da jetzt endlich etwas in Bewegung kommt.

Wir müssen aber auch das jüdische Leben sichtbar machen, ihm den Raum dafür geben und über die finanziellen Rahmenbedingungen ermöglichen,

dass jüdisches Leben und jüdische Kultur bei uns als integraler Bestandteil unseres Lebens stattfinden können.

Es gibt die Verantwortung jedes Einzelnen; sie ist schon erwähnt worden. Ich kann mich den Ausführungen der Präsidentin nur anschließen, dass natürlich jeder gefordert ist, sich gegen jede Form des Hasses gegenüber Menschen zu äußern und zu positionieren.

Aber wir müssen uns auch fragen, wie ein solcher, zum Teil auch latenter Antisemitismus überhaupt entstehen kann. Welche Rolle spielt eigentlich Bildung? Welche Rolle spielt eigentlich die Schule in diesem Rahmen, um dem Antisemitismus zu begegnen? - Wir erleben ja neben dem offenen, hasserfüllten Antisemitismus, der sich offen und direkt äußert, einen indirekten, latenten Antisemitismus, der sich z. B. dadurch äußert, dass der Holocaust geleugnet wird, dass die Frage der Schuld Deutschlands und der Deutschen relativiert

wird und dass Debatten darüber geführt werden, jetzt sei es doch einmal gut damit.

Nein, es ist nicht gut damit. Es ist eine untilgbare Schuld, die für uns in Verantwortung mündet und die wir immer wieder wahrnehmen müssen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Aber machen wir uns nichts vor: Diesen latenten Antisemitismus gibt es, und den gibt es eben nicht nur bei denen, über die wir sagen, sie seien krasse Rechtsradikale, sie seien krasse Islamisten, sondern den gibt es auch in der bürgerlichen Gesellschaft. Er ist da, und damit müssen wir uns auseinandersetzen, und wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass dieser künftig weniger wird. Wir müssen die Auseinandersetzung dort suchen, wo er uns begegnet, und zwar aus meiner Sicht auch sehr kompromisslos in den eigenen Zirkeln, in denen man sich bewegt und wo einem so etwas vielleicht mal begegnet. Dort müssen wir ihm entsprechend entgegentreten.

Und wir sind bei der inneren Sicherheit gefordert. Natürlich sind wir da gefordert. Das gilt für jede Form des Extremismus, der konsequent zu bekämpfen ist - durch Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte, Verfassungsschutz. Hier kann ich mich der Kollegin Modder anschließen. Man muss natürlich da ansetzen, wo es wirksam ist. Ich bitte darum, keine symbolhaften Debatten darüber zu führen, dass man bei dieser Gelegenheit jetzt zu Grundrechtseingriffen kommt, die möglicherweise im Ergebnis gar nicht dazu führen, dass das, was man verhindern will, tatsächlich verhindert wird, sondern weil man allgemein der Auffassung ist, dass diese Instrumente und Mittel nötig sind. Lassen sie uns doch bitte die Debatte auf das konzentrieren, was zielgerichtet hilfreich ist! An diesen Diskussionen wollen und werden wir uns sehr aktiv beteiligen,

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

damit der Extremismus auch in Form des Antisemitismus zielgerichtet bekämpft werden kann.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Ebenfalls zu Tagesordnungspunkt 3 hat sich Herr Abgeordneter Ahrends für die AfD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Spätestens mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Sieg über die Nationalsozialisten wurde bekannt, welche unvorstellbar grausamen Verbrechen durch das NS-Regime an den Juden in Deutschland und weiten Teilen Europas verübt wurden. Millionenfach wurden Menschen getötet, weil sie einer anderen Religion angehörten. Das war ein abscheuliches Verbrechen, für das wir als Deutsche Verantwortung tragen und auch übernehmen - auch wir von der AfD.

(Beifall bei der AfD)

Das Ende des Zweiten Weltkrieges ist somit aber auch gleichzeitig ein Anfang einer ganz besonderen deutschen Verantwortung für das jüdische Leben in unserem Land und auch für die Existenz des Staates Israel, der 1948, kurz nach Kriegsende, gegründet wurde. Gerade wir Deutschen sind historisch verpflichtet, Antisemitismus mit allen uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu bekämpfen. Nie wieder, so das Versprechen, soll Antisemitismus in Deutschland eine Chance haben.

Aber leider hat es auch nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder antisemitische Anschläge in Deutschland gegeben, war es doch der 9. November 1969, als eine linksextreme Gruppe am Tag der Novemberpogrome eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus in Westberlin deponierte. Im Jahr 1972 waren es dann arabische Terroristen der PLO, die während der Olympischen Spiele in München elf israelische Sportler als Geisel nahmen und töteten. 1976 waren es neben arabischen Terroristen deutsche Mitglieder der linksextremen revolutionären Zellen,

(Zurufe von den GRÜNEN)