Es war Frau Seidler, die mir über Vorfälle berichtet hat, die unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erleben, wenn sie ihre Synagogen für die Besichtigung nichtjüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, insbesondere Schulklassen, öffnen. Sie berichtete über Bemerkungen junger Menschen, die deutlich machen, dass das, was viele von uns bereits als überwunden glaubten, noch allgegenwärtig ist oder - schlimmer noch - dass all dies zurückzukehren droht.
Wenn das so ist, liebe Frau Seidler, dann ist es leider so, dass auch ich meiner Verantwortung als Deutscher und als Politiker nicht gerecht geworden bin. Das Gefühl des Stolzes, das man im Rahmen der Vergangenheitsbewältigung so gerne spüren will, weicht dann einer ganz anderen Empfindung, dem Gefühl der Scham, und der Erkenntnis auch des eigenen Versagens.
Wir sprachen an diesem 25. September auch darüber, was wir nun außerhalb dessen tun können, was wir ohnehin und immer wieder tun, über das hinaus, was die Feinde dieser Gesellschaft mit Spott und Häme kommentieren. Nun, wir werden zunächst das tun, was zur Verteidigung eines jeden Mitbürgers getan werden muss. Wir werden den persönlichen Schutz unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in besonderer Weise sicherstellen. Wir werden zusätzliche Mittel für die Arbeit der jüdischen Gemeinden zur Verbesserung der selbstorganisierten Sicherheit bereitstellen und für den polizeilichen Schutz Sorge tragen.
Wir müssen aber darüber hinaus mehr tun. Wir müssen einem gesellschaftlichen Klima entgegenwirken, welches Vorfälle wie in Halle überhaupt erst möglich gemacht hat. Wir müssen einem Klima entgegentreten, in dem Hass und Intoleranz begünstigt werden. Wir müssen uns mit Ge
schichtsvergessenheit vieler auseinandersetzen und diejenigen stellen, die mit ihrer Sprache und Verrohung den Nährboden für diejenigen bereiten, die den Worten Taten folgen lassen.
Wir müssen aber auch etwas anderes beachten. In unserem Gespräch waren Sie es, lieber Herr Fürst, der die Frage gestellt hat, wie weit die Aufrüstung zum Schutz jüdischer Einrichtungen gehen soll - zu Recht! Jüdisches Leben ist Teil dieser Gesellschaft. Wir alle wollen nie wieder erleben, dass dieses jüdische Leben fern von uns anderen hinter Mauern und Panzerglas stattfindet. Der Gedanke spielender jüdischer Kinder hinter einem Stacheldrahtzaun muss für jeden von uns unerträglich sein.
Jüdisches Leben und jüdische Kultur gehören in die Mitte unserer Gesellschaft als Teil unserer Kultur und unseres Miteinanders - auch dies ist Teil unserer Verantwortung.
Die Tür, welche die Menschen in der Synagoge in Halle gerettet hat, soll nun ein Ort des Gedenkens werden. Wir werden künftig noch besser dafür Sorge tragen, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger durch solch starke Türen geschützt werden. Wir werden aber auch dazu beitragen, dass diese Türen möglichst bald wieder offenstehen.
Vielen Dank, Herr Kollege Toepffer. - Nun hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Fraktionsvorsitzende Frau Piel. Bitte, Frau Kollegin!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es freut mich sehr, dass wir zu diesem Anlass eine so breite Initiative für diese Resolution gefunden haben. Ich möchte den anderen Fraktionen im Hause für die Zusammenarbeit an dieser Resolution herzlich danken.
Vor gerade einmal vier Wochen haben wir in diesem Landtag über die zunehmende Gewaltbereitschaft rechter Kreise gesprochen. Mit dem Attentat
in Halle haben sich Hass und rechtsextreme Hetze erneut Bahn gebrochen. Dieser Ausbruch an Gewalt kostete zwei Menschen das Leben und ließ viele mit dem Gefühl zurück, in Deutschland nicht mehr sicher sein zu können.
Über 70 Jahre nach der Schoa gab es einen Angriff auf eine Synagoge in Deutschland mit tödlichem Ausgang. Lediglich die massive Tür der Synagoge hat Schutz davor geboten und verhütete ein noch größeres Blutbad. Anschließend wurde ein türkischer Imbiss Ziel des rassistischen Angriffs - etwas mehr als ein Jahr nach dem Urteil über die Mordtaten des NSU!
Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer und den Betroffenen des Attentats. Unsere Solidarität gilt all jenen, die dieser Tage von Antisemitismus und menschenfeindlichem Hass bedroht sind.
Der Anschlag in Halle reiht sich in eine bedrückende Entwicklung rechten Terrors ein - in der ganzen Welt, aber auch in Deutschland. Die Fehler der Vergangenheit holen uns ein. Der Kollege Toepffer hat es schon angesprochen: Nach den NSUMorden gab es weder eine lückenlose Aufklärung noch ein echtes Konzept gegen rechte Gewalt. Auch die zunehmende Gewaltbereitschaft, die vielen Bedrohungen, die Straftaten und Angriffe auf Flüchtlingswohnheime, auf Moscheen und auch auf Synagogen haben nicht zu ausreichenden Konsequenzen geführt. Wir haben nicht verhindern können, dass in diesem Jahr drei weitere Menschen durch Nazis ermordet wurden: Walter Lübcke, Jana L. und Kevin S.
Auf jüdischer Seite gibt es zu Recht große Bitterkeit darüber, dass die Bedrohung von rechts trotz der vielen Mahnungen und Warnungen, die seit Jahren nicht nur von den Betroffenen, sondern auch von Wissenschaftlern ergangen sind, nicht ernst genug genommen wurden. Ich danke ganz besonders Katarina Seidler, ihrer Tochter und auch Michael Fürst dafür, dass sie unentwegt - wie vom Kollegen Toepffer eben beschrieben - den Austausch mit uns über solche Fragen suchen und immer wieder Gespräche mit uns darüber führen.
Richard C. Schneider hat letzte Woche in der Zeit einen bemerkenswerten Artikel geschrieben, den ich Ihnen auch noch mal empfehle. Er sagt darin:
„Wir warnen davor, dass Antisemitismus längst wieder salonfähig geworden ist, aber nur wenige glauben uns.“
Machen wir uns klar: Die fortgesetzten Angriffe, der Hass, die Hetze, die geistige Brandstiftung im Internet und mittlerweile auch in Parlamenten - oder auch vor der Tür von Parlamenten - sowie das Unterwandern unserer Institutionen sind ein Angriff auf alle - auf alle, die für diese Demokratie, für unsere freie und tolerante Gesellschaft einstehen, die Minderheiten schützen und sich allen rassistischen Umtrieben entschieden entgegenstellen. Ich sage Ihnen deutlich: Mahnwachen und Solidaritätsbekundungen sind wichtige Zeichen. Sie reichen in solchen Zeiten, bei solchen Bedrohungen aber nicht aus.
Um den Nazis den Raum für ihre Straftaten wieder abzunehmen, braucht es auf der einen Seite eine sehr starke Zivilgesellschaft, aber auch einen wehrhaften, konsequenten Rechtsstaat, der konsequent eingreift, wenn Rechtsextreme Menschen einschüchtern, bedrohen und den Staat in seinen Grundfesten angreifen. Wir müssen die Menschen in unseren Synagogen und Moscheen schützen. Niemand darf sich bei der Ausübung seiner Grundrechte bedroht oder eingeschüchtert fühlen.
Der Kollege Toepffer hat es angesprochen; dennoch reicht der Ruf alleine nach Sicherheitsmaßnahmen nicht aus. Es muss uns auch darum gehen, dauerhaft gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen und auch in der Mitte der Gesellschaft für eine echte Auseinandersetzung mit den eigenen Vorurteilen und dem gegenwärtigen Rassismus zu sorgen. Das ist übrigens unsere gemeinsame Verantwortung: die der politischen Akteure, der Bildungseinrichtungen, der Betriebe und auch der Zivilgesellschaft.
Auch dürfen persönlicher Einsatz für Demokratie und Zivilcourage nicht dazu führen, dass man selbst ins Fadenkreuz kommt. Ich sage das mit Blick auf David Janzen, der sich in diesen Tagen mit echter Bedrohung konfrontiert sieht und Morddrohungen und Anschläge im privatesten Bereich erfährt. Dafür sind unsere Sicherheitsbehörden in der Verantwortung. Dafür brauchen wir politische Rahmenbedingungen. Es trifft uns an anderer Stelle in Thüringen. Da sind alle Spitzenkandidaten
gleichermaßen - Mike Mohring, Bodo Ramelow, Dirk Adams - von solchen Morddrohungen betroffen gewesen.
Nazis dürfen nicht ungestraft bedrohen! Sie dürfen sich nicht bewaffnen können, und es darf keine Nachsicht für Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in diesem Parlament geben.
Wenn Menschen bei der Ausübung ihrer Grundrechte von anderen Menschen bedroht und eingeschüchtert werden, darf es zukünftig kein
„Schwamm drüber“, kein „Wir drücken jetzt mal ein Auge zu“ und keinerlei Nachsicht mehr geben. Nur wenn klar ist, dass solche Bedrohungen und Straftaten konsequent verfolgt werden, kann eine wehrhafte Demokratie ihre Grundwerte überhaupt angemessen verteidigen.
Wir freuen uns heute alle gemeinsam über den Antisemitismusbeauftragten, der bei uns ist. Aber unsere Frage an Regierung und Koalitionsfraktionen ist natürlich auch: Warum kürzen Sie angesichts solcher Bedrohungslagen das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus? Warum müssen Landesprogramme, auch solche, die von Bundesgeldern leben, die engagiert zum Ausstieg aus der rechten Szene arbeiten, jedes Jahr wieder um ihr Überleben fürchten? Auf was warten wir denn noch, um endlich ausreichend Geld in solche Institutionen zu geben, in denen sich Menschen damit beschäftigen und mit großem Erfolg dafür einsetzen, dass wir eine starke und wehrhafte Demokratie sein können?
Gewalt- und Radikalisierungsprävention fängt immer auch mit Bildung an. Wir brauchen deshalb geeignete Bildungsmaßnahmen, die Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit immunisieren,
bevor sie sich rechts verorten. Da müssen wir ansetzen, um unsere Gesellschaft vor rechter Propaganda zu schützen.
Nicht erst seit Halle ist klar: Diese Eskalation der Gewalt hier in Deutschland geht uns alle an. Wir alle sind in der Pflicht, etwas zu ändern. Wir selbst müssen das Bollwerk gegen diesen Hass sein - jede und jeder von uns, jeden Tag! Es ist eine Illusion, zu glauben, dass uns unsere Geschichte
nicht wieder einholen kann. Sich von dieser Illusion zu verabschieden, heißt aber auch, der Realität klar ins Auge zu schauen und nach geeigneten Maßnahmen zu suchen - und nach den richtigen Mitteln zur Gegenwehr.
Wo und von wem auch immer uns menschenverachtender Hass entgegenschlägt, ist es an uns, dass wir diesem mit aller Macht entgegentreten. Verständigen wir uns hier und heute nicht einfach nur auf eine Resolution, sondern verabreden wir uns dazu, gemeinsam gegen Hass und Hetze vorzugehen! Die Schüsse in Halle, das Attentat auf Walter Lübcke, die Morde des NSU dürfen sich nicht wiederholen - niemals, nirgendwo!
Vielen Dank, Frau Kollegin Piel. - Nun hat für die SPD-Fraktion Frau Fraktionsvorsitzende Modder das Wort. Bitte!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem hier zu beratenden Antrag „Terrorangriff in Halle - Antisemitismus und allen weiteren Formen von Menschenverachtung entschieden entgegentreten!“ setzen wir heute im Niedersächsischen Landtag ein gemeinsames starkes Signal für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft.
Dass es über 70 Jahre nach der Befreiung vom nationalsozialistischen Terrorregime immer noch und wieder vermehrt zu antisemitisch motivierten Straftaten kommt, zeigt uns deutlich, dass alle Demokratinnen und Demokraten für eine wehrhafte Demokratie einstehen und kämpfen müssen - jeden Tag, überall.
Meine Damen und Herren, unsere Gedanken gehören den beiden Opfern und den Verletzten des Anschlages in Halle. Unser Mitgefühl gilt deren Familien und ihren Freunden. Dieser Anschlag ist eine Schande für unser Land. Eine Schande, dass solche Taten auch heute noch geschehen können! Es ist für mich unerträglich, dass Menschen jüdischen Glaubens in unserer Gesellschaft nicht frei und unbekümmert ihren Glauben leben können, sondern durch Hass und Gewalt bedroht werden.
Jom Kippur ist der höchste jüdische Feiertag; Jom Kippur ist ein Tag der Stille. An diesem Feiertag wurden unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger über Stunden in einer Synagoge im Paulusviertel von Halle in Angst und Schrecken versetzt. Zwei Menschen wurden sinnlos getötet.
Wir alle sind aufgerufen, für eine wehrhafte Demokratie einzutreten, weiter eine aktive Zivilgesellschaft zu fördern und weiter unserer gesellschaftlichen Verantwortung, die wir auch als gewählte Vertreterinnen und Vertreter in unserem Handeln haben, gerecht zu werden. Kein Fußbreit dem Rechtsextremismus und kein Fußbreit den Feinden unserer demokratischen Verfassung!