Protokoll der Sitzung vom 23.10.2019

Die Landwirtschaft ist nach der Automobilindustrie der zweitgrößte produzierende Wirtschaftszweig in Niedersachsen. Wir sind Agrarland Nummer eins; das wird immer wieder beschrieben. Landwirte und landwirtschaftliche Betriebe gehören in Niedersachsen zum Kernbereich der mittelständisch geprägten Wirtschaft. Hier hängen - das muss man sich wirklich einmal anhören - direkt oder indirekt so viele Arbeitsplätze von der Landwirtschaft ab wie in keinem anderen Bundesland.

Landwirtschaft ist mehr als nur Wirtschaft, die Produktion von Lebensmitteln ist mehr als nur ein Wirtschaftszweig. Landwirtschaft gehört zur DNA Niedersachsens. Die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte verdient unseren Respekt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die Herausforderung ist der Spannungsbogen von Landwirtschaft auf der einen und Verbraucher-, Klima- und Umweltschutz auf der anderen Seite. Auf immer mehr Feldern sieht man - das darf man nicht außer Acht lassen - grüne Kreuze. Sie sind eine Aufforderung, mit den Landwirtinnen und Landwirten ins Gespräch zu kommen. Diese Kreuze sind ein stiller Protest. Darüber kann man geteilter Meinung sein. Viele Landwirte befürchten vor allem durch das neue Agrarpaket des Bundes einen weiteren Niedergang von landwirtschaftlicher Produktion auf ihren Höfen.

Gestern gab es die Demonstrationen der Landwirtinnen und Landwirte in unseren Städten. Die Initiative „Land schafft Verbindung“ hatte zu den Kundgebungen aufgerufen. In ihr haben sich nach eigenen Angaben Landwirtinnen und Landwirte verbandsübergreifend und parteiunabhängig zusammengeschlossen.

Das Bündnis betont: „Auch wir möchten die Natur und Umwelt schützen, das Tierwohl weiter ausbauen, die Landwirtschaft zeitgemäß weiterentwickeln.“ Das höre ich überall auf den Höfen. In vielen Gesprächen und bei meinen Besuchen wird

immer deutlich, dass sich unsere Landwirtinnen und Landwirte genau den Themen stellen, die auch hier genannt worden sind: Natur- und Umweltschutz, Klimaschutz, Düngeverordnung, Tierwohl, Pestizideinsatz usw..

Ein Junglandwirt aus dem Ammerland brachte es für mich auf den Punkt: „Was wir brauchen, ist ein gemeinsamer Vertrag. Es muss nicht täglich eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden, sondern wir brauchen einen Vertrag mit der Gesellschaft, in dem wir miteinander vereinbaren, was die gesellschaftlichen Erwartungen sind, wie wir das gemeinsam umsetzen können und wie wir das alles so zusammenbekommen, dass die Betriebe damit auch wirtschaftlich über die Runden kommen.“

Das ist das Stichwort „Gesellschaftsvertrag“. Helmut Dammann-Tamke hat es genannt. Recht hat er! Ich verstehe die verschiedenen Protestaktionen auch als Gesprächsangebot.

Eines ist klar: Ohne Veränderung in der Landwirtschaft wird es nicht gehen. Wenn die Gesellschaft eine öffentliche Dienstleistung von der Landwirtschaft erwartet - beispielsweise die Ausweitung von Wasserrandstreifen, eine andere Art der Bewirtschaftung der Äcker und Felder mit weniger Pflanzenschutzmitteln oder weniger Dünger, mehr Tierwohl -, dann müssen wir das auch bezahlen.

Und noch eines ist klar - das hat Karsten Krogmann heute in seinem Kommentar in der NWZ wunderbar ausgedrückt -: „Die Probleme lassen sich nicht gegen, sondern nur mit den Landwirtinnen und Landwirten lösen.“

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Wie wahr!)

Wir müssen Landwirtinnen und Landwirten Gehör schenken. Sie sorgen sich nicht nur um ihre Höfe und ihre Existenzen, sondern leiden vielerorts - auch das ist schon mehrfach gesagt worden - unter dem schlechten Bild, das über ihren Berufsstand vorherrscht.

Deshalb danke ich unserer Ministerin Otte-Kinast und unserem Minister Olaf Lies ausdrücklich dafür, dass sie sich an die Seite der Landwirtinnen und Landwirte stellen, und dafür, dass sie zu Zukunftsgesprächen bereit sind.

(Beifall bei der SPD)

Abschließend bemühe ich einen Spruch, der gerade um die Welt zieht: „No farmers, no food, no future.“ Was soll ich dazu noch sagen? - Wohl wahr!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Logemann. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich nun die Kollegin Miriam Staudte zu Wort gemeldet. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der Titel der Aktuellen Stunde der CDU-Fraktion lautet: „Sorgen ernst nehmen - ohne Landwirtschaft keine Zukunft“.

Wir Grünen nehmen die Sorgen der Landwirtinnen und Landwirte natürlich ernst. Aber ich glaube, das allein reicht nicht, sondern man muss auch die Probleme, die diesen Sorgen zugrunde liegen, ernst nehmen - und das machen wir seit Jahren.

Herr Dammann-Tamke, ich begrüße Ihre Ausführungen, in denen doch ein ganzes Stück Selbstkritik angeklungen ist. Sie haben zu Recht gesagt, dass die Landwirte das machen, was gesetzlich gerade erlaubt ist. Und genau deswegen müssen wir gemeinsam versuchen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so zu ändern, dass sie kongruent mit den gesellschaftlichen Anforderungen sind.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Im Dialog, Frau Kollegin!)

In den letzten Jahrzehnten wurden - hauptverantwortlich war leider die CDU - Probleme im Tierschutz, im Artenschutz oder im Wasserschutz ignoriert. Damit hat man die Landwirtschaft letztlich in eine Sackgasse geführt.

Gestern ist für mehr Wertschätzung demonstriert worden. Inhaltlich ist aber auch gegen die Düngeverordnung und gegen das Agrarpaket demonstriert worden, das die Große Koalition in Berlin präsentiert hat.

Gestern hieß es - und das ist auch in einigen Redebeiträgen heute angeklungen -, dass wir langsamer machen müssten, dass wir Tempo herausnehmen müssten.

(Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Im Dialog!)

Ich glaube allerdings nicht, dass das die richtige Antwort sein kann. Ein Beispiel: Die EU

Nitratrichtlinie gilt schon seit 1991. Wir müssten heute nicht über „rote Gebiete“ etc. diskutieren, wenn man bereits früher gesagt hätte, dass es in bestimmten Gebieten keinen Zubau an Tierställen geben darf oder dass man den Sojaimport einschränken muss - denn der ist die Ursache für die Überdüngung hier. Aber das ist nicht passiert.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Der Sojaimport ist die Ursache für die Düngeverordnung?)

In dem Agrarpaket heißt es z. B., dass Glyphosat bis 2024 verboten werden soll. Für die Zeit bis dahin gibt es eine Glyphosat-Minderungsstrategie. Nun schlägt die Große Koalition das vor. Aber wo sind ihre Bestrebungen, die Landwirte bei einem Ackerbau ohne Pestizide zu unterstützen? Wie soll der Wissenstransfer von der Biolandwirtschaft in eine konventionelle Landwirtschaft stattfinden, die auf Pestizide verzichtet? Wo sind Förderprogramme, um Maschinen für die mechanische Bodenbearbeitung anzuschaffen?

Es werden viele kleine Schritte angekündigt, aber es fehlt an der politischen Unterstützung. Und da reicht es eben nicht, dass die CDU-Regierungsfraktion mit der Ministerin im Rücken eine Aktuelle Stunde beantragt. Nein, wir wollen Handlungen sehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch das halbherzige Tierwohllabel der Bundesregierung wird nicht dazu führen, dass Landwirte mehr Einnahmen haben, um die notwendigen Investitionen in die Ställe zu realisieren.

Wir haben keinen Konsens darüber, dass die Neuausrichtung der Agrarförderung absolut notwendig ist, um in den nächsten Jahren diese großen Herausforderungen bewältigen zu können. In diesem Agrarpaket wird für ein Jahr ein bisschen von der ersten in die zweite Säule verschoben. Aber es gibt keine Planungssicherheit, weil sich vor allem die CDU und ihre Partnerfraktionen im EU-Parlament gegen eine wirkliche Agrarreform stemmen.

Daran müssen Sie arbeiten. Insofern, finde ich, geht Ihr Appell zu einem gesellschaftlichen Dialog vor allem an Ihre eigene Adresse. Viele Landwirte

sagen: Ja, wir wollen gerne, aber unterstützt uns dabei!

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich fand es schade, dass die Ministerin und der Minister gestern nicht auf das Mercosur-Abkommen eingegangen sind. Wenn man dieses Abkommen stoppen würde, könnte man den Landwirten viele Sorgen vor der Zukunft nehmen.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen. Gestern haben viele junge Landwirte demonstriert. Es waren aber nicht alle Landwirte vertreten.

(Zuruf von Helmut Dammann-Tamke [CDU])

Ich habe dort z. B. keine Vertreter von Ökobetrieben gesehen.

(Widerspruch von der CDU)

Die AbL hat sich auch sehr differenziert geäußert. Die Milchbauern durften ihre Schilder für faire Preise nicht hochhalten.

(Unruhe - Glocke des Vizepräsiden- ten)

Das, was notwendig ist - - -

(Zuruf von Helmut Dammann-Tamke [CDU] - Gegenruf von Christian Meyer [GRÜNE]: Sie reden die ganze Zeit dazwischen!)

Moment, Frau Kollegin!

(Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Wenn das nicht basisdemokratisch ist, dann weiß ich gar nichts mehr!)

- Meine Damen und Herren!

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Von Fir- men unterstützt basisdemokratisch! - Gegenrufe von der CDU: Oh! Oh!)